Nach einer kata­stro­pha­len Nacht in Bang­kok, die eigent­lich nur dazu hatte die­nen sol­len, einen Anschluss­flug zu errei­chen und statt­des­sen einige Cha­rak­ter­züge an mir zu Tage geför­dert hatte, die man unver­züg­lich ampu­tie­ren sollte, hatte ich mei­nen Flug zurück nach Europa verpasst. 

Und das völ­lig zu Recht! Seit­dem weiß ich, wie es sich anfühlt, vor einer Ser­vice­kraft von Air Ber­lin zu ste­hen, die den armen Irren vor ihr geflis­sent­lich igno­riert, wirre Kom­man­dos in ein Wal­kie-Tal­kie bellt und ihn mit Todes­ver­ach­tung straft, weil er sich die Blöße gibt, in sei­nem ver­lot­ter­ten Zustand zum ver­zwei­fel­ten Bitt­stel­ler zu wer­den, um doch noch an Bord der Maschine zu kom­men. Die letzte Fas­sade mei­ner Würde brö­ckelte bedenk­lich. Air Ber­lin kannte keine Gnade – irgend­wann werde ich mich fürch­ter­lich rächen – wobei die mit ihrem neuen Flug­ha­fen genug gestraft sind.

Außer­dem war ich selbst schuld; oder die Typen im Hotel, die mich nicht geweckt hat­ten; und das nur weil sie der Über­zeu­gung waren, dass ich bereits wach war, als ich nach einer schlaf­lo­sen Nacht zur bes­ten Früh­stücks­zeit her­ein­ge­schneit kam – nur um kurze Zeit spä­ter gewahr zu wer­den, was für einen Bock­mist ich in der Nacht fabri­ziert hatte und bei dem Ver­such ein­zelne Pas­sa­gen – vor dem Ein­schla­gen des unwei­ger­lich fol­gen­den Holz­ham­mers – schrift­lich zu fixie­ren, bevor sie auf ewig in den Orkus der Bedeu­tungs­lo­sig­keit hin­ab­sin­ken wür­den, in einen Sekun­den­schlaf geriet, der eben nicht einige Sekun­den anhielt, son­dern zu mei­nem Ent­set­zen zu einem Kurz­zeit­koma von zwei Stun­den geführt hatte. Das rea­li­sierte ich, als ich mich unter die Dusche bege­ben wollte und not­ge­drun­gen eine Unter­hal­tung mit­hörte. Der fol­gende Tau­mel, das eilig zusam­men­ge­raffte Gepäck, has­ti­ges Aus­che­cken sowie das Char­tern eines Taxis, das sich trotz mei­ner emsi­gen Bemü­hun­gen nicht in einen Düsen­jet ver­wan­deln wollte, hat­ten nichts genützt. Ich stand vor dem Nichts.

10

Viel­leicht spürt die Dame am Ser­vice-Schal­ter, dass ich dabei bin, mich in eine tickende Zeit­bombe zu ver­wan­deln, und sie ver­kün­det mir groß­mü­tig, man könne mir aus Kulanz­grün­den eine Umbu­chung für den nächs­ten Tag gegen die Gebühr des hal­ben Flug­prei­ses zuge­ste­hen – viel­leicht könnte man ja an dem Irren noch­mal ver­die­nen, wenn er wie­der klar im Kopf ist, und man erspart sich, eine Rand­exis­tenz vor­ei­lig zu ver­nich­ten. Jetzt musste ich nur noch Geld steh­len. Am Abend zuvor hatte ich mich schließ­lich bei einer unglück­li­chen Trans­ak­tion infolge der zu raschen Abfolge ver­schie­de­ner Wäh­run­gen in den letz­ten Mona­ten um eine Null ver­tan und anstatt der ver­blie­be­nen 10 Euro mehr abge­ho­ben als mir noch zustand.

Nicht ganz unmaß­geb­lich dürfte auch der ein­set­zende Hirn­fick gewe­sen sein, der auf­grund der herr­schen­den 40 Grad, einer gefühl­ten Luft­feuch­tig­keit von 99% und einer auf­kom­men­den Eupho­rie, dass ich auch diese Reise gemeis­tert hatte, rasant an Fahrt gewann. Auch der Genuss eines süf­fi­gen Weiß­weins, den ein gewief­ter Schwei­ne­fi­cker in einer Bier­fla­sche ver­kaufte (womit er mich gekriegt hatte; denn an jedem Ort pro­bierte ich die exo­tischs­ten Biere), war nicht hilf­reich. Die­sen Feh­ler hatte ich zu allem Über­fluss auch noch als Wink des Schick­sals ver­stan­den und das hatte eine neue Stufe der Eska­la­tion ein­ge­lei­tet. In den wir­ren und schwer zu ent­zif­fern­den Auf­zeich­nun­gen die­ses Abends prangt eine Bemer­kung zu die­ser Erleuch­tung: „it‚s a coconutyoga‚s world.“ – armer Irrer!

Eigent­lich müsste meine Bank doch koope­ra­tiv sein und der Auto­mat erneut ein wenig Geld aus­spu­cken. Schließ­lich tut die sich auch als Immo­bi­li­en­spe­ku­lant im neuen Herz Euro­pas (auf der Magis­trale Paris-Bra­tis­lava) her­vor, bei der Stüt­zung von Nah­rungs­mit­tel­prei­sen (…) und bei Geschäf­ten mit hirn­am­pu­tier­ten Arsch­lö­chern (Zitat eines Leh­rers auf einem huma­nis­ti­schen Gym­na­sium über den damals zehn­jäh­ri­gen Autor die­ses Tex­tes…), die mit Was­ser­wer­fern Wahl­kampf machen.

Doch der Bank­au­to­mat lacht mich höh­nisch an: Hier hast Du kei­nen Kre­dit mehr, Du aso­zia­ler Her­um­strei­cher! Wärst Du nicht auf Rei­sen gegan­gen und hät­test wie jeder anstän­dige Mensch wei­ter­ge­ar­bei­tet, dann hät­ten wir Dir auch den Dispo nicht gestri­chen – „däm­li­cher Arsch!“, mur­melte ich, doch der nächste Auto­mat war nicht bes­ser erzo­gen. So muss ich aner­ken­nen, welch trost­lose Bedeu­tung ein see­len­lo­ses Flug­ha­fen­ge­bäude für einen Gestran­de­ten in solch einer Stunde gewin­nen kann. Lost in Transit(ion)! Würde mich eine Fabrik in Bang­kok anstel­len? Panik kommt in mir auf – ja, ich hatte es end­gül­tig zu weit getrie­ben. Ich war doch ein hoff­nungs­lo­ser Fall! In einem Anfall von Wahn­sinn muss ich mir ver­knei­fen, als Beloh­nung für meine Hel­den­ta­ten der ver­gan­ge­nen Nacht mei­nen Kopf an der nächs­ten Scheibe blu­tig zu schla­gen oder durch wüten­des Gebrüll die Auf­merk­sam­keit der heim­tü­cki­schen Secu­rity auf mich zu len­ken. Was war ich nur für ein erbärm­li­cher Idiot! Doch so schnell der Wahn­sinn ange­flu­tet war – so schnell ver­ebbte er wieder.

4

Ich erin­nerte mich an all die schö­nen Erleb­nisse der letz­ten Monate und beschloss, meine Reise nicht auf solch unwür­dige Weise zu been­den. Ich atmete tief durch und eine läs­sige Ruhe, die der Situa­tion selt­sam unan­ge­mes­sen erschien und mei­ner­seits zu einem dümm­li­chen Grin­sen führte, kehrte zurück. Wenn bipo­lare Men­schen auf Rei­sen gehen, gibt es eben viel zu erzäh­len. Das würde wohl nicht der letzte Feh­ler in mei­nem Leben sein. Dafür war ich Erfah­rungs­mil­lio­när. Nun hieß es durch den mas­si­ven Kon­sum von Kof­fein und Niko­tin wie­der einen kla­ren Kopf zu krie­gen und einen Weg zu fin­den, um wie­der auf­zu­ste­hen. Dafür würde ich Hilfe brauchen.

Den höl­li­schen Kater in mei­nem Schä­del hatte ich zwi­schen­zeit­lich ver­ges­sen. Das Adre­na­lin, das sich wäh­rend der Taxi­fahrt zum Flug­ha­fen in mir auf­ge­staut hatte, hätte sicher gereicht, um mit einem Jagd­bom­ber ein­mal um die Welt zu flie­gen – mit einem debi­len Lächeln im Gesicht. Da musste ich nun wie­der anknüpfen.

Infolge eini­ger Tele­fo­nate, die ich von einem Inter­net­cafe aus führte, konnte ich dank­bar regis­trie­ren, dass es im weit ent­fern­ten Europa Men­schen gab, die mich trotz mei­ner Allü­ren noch immer mögen und mir bei­sprin­gen wür­den. Schon wäh­rend der Gesprä­che war ich wie­der zum Scher­zen auf­ge­legt – schließ­lich wurde ich als Über­ra­schungs­gast auf einer Geburts­tags­party im schwei­ze­ri­schen Jura erwar­tet, für die ich aus Bali anreiste.
Danach war ich wie­der in der Lage, mich ganz mei­nen Kopf­schmer­zen hin­zu­ge­ben. Im Flug­ha­fen­bus fuhr ich erneut in die Stadt und stieg mit mei­nen letz­ten Gro­schen wie­der im sel­ben Hos­tel ab – schlim­mer konnte es ohne­hin nicht wer­den. Den Rest des Tages ver­brachte ich in einem bud­dhis­ti­schen Tempel.

2

Immer wie­der kamen aus der letz­ten Nacht furcht­bare Gedan­ken­fet­zen in mein Bewusst­sein. Was war ich nur für ein grau­sa­mer Bas­tard! Eben hatte ich noch stun­den­lang mit einem taub­stum­men Thai über das Leben phi­lo­so­phiert und schon wurde ich (begüns­tigt durch unsere Ankunft auf der Kasoan Road) in einen fins­te­ren Abgrund hin­ab­ge­zo­gen. Das Schlimmste war: Dort fühlte ich mich (in die­ser Nacht!) pudelwohl.

Von Kitsch aller Art, über Klei­dung, Elek­tro­nik, Acces­soires bis hin zu gefälsch­ten Füh­rer­schei­nen und Stu­den­ten­aus­wei­sen oder Mas­ken von Sad­dam Hus­sein oder Osama Bin Laden fin­det man dort alles – und mehr. Natür­lich kann man sich auch vor Ort Ras­tas machen las­sen oder Tat­toos ste­chen und sich von Fischen anknab­bern las­sen. Gar­niert wird das Spek­ta­kel (das hier nur im Ansatz beschrie­ben ist) durch das Anprei­sen von Flat­rate-Sau­fen, wum­mernde Tech­n­obässe, Ange­bote aller Art aus dem leich­ten Gewerbe und durch­trie­bene Gestal­ten, die einem ins Ohr rau­nen: „Ping-Pong, Sir?“

Die Preis­liste die­ser Mar­ke­ting­ge­nies bestand aus Gegen­stän­den, die wir aus­su­chen soll­ten, wor­auf­hin sie von einer uns nicht näher bekann­ten Frau in ihre Geschlechts­öff­nun­gen gesteckt wur­den. Ich will nicht ins Detail gehen. Aber das war ekel­er­re­gend. Und wie konnte man diese indis­ku­ta­ble Ein­la­dung mit einem „Sir“ abschlie­ßen? Viel­leicht waren die Gen­tle­men schlicht aus­ge­stor­ben. Nach­dem das nicht zog, wurde das Ange­bot noch wesent­lich sub­ti­ler: „you like Boom, Boom?“ Schmie­rig grinste uns der miss­ra­tene Typ von der Seite an. Schwer zu beschrei­ben, wie übel einem in solch einem Moment wer­den kann; man ist hin und her geris­sen zwi­schen hand­fes­tem Ekel und einer Form von mor­bi­der Fas­zi­na­tion, dass sich ein sol­cher Ort wirk­lich auf Län­gen- und Brei­ten­gra­den mate­ria­li­siert hatte.

1

Neben mir stimm­ten die Mön­che ihre Man­tras an und ich saß in tie­fer Ein­kehr neben ihnen und ver­suchte die ent­setz­li­chen Erin­ne­run­gen zu ver­trei­ben, die ich auf­grund mei­ner mas­si­ven Zel­len­ver­nich­tung bereits ver­lo­ren hoffte, und ent­schul­digte mich ganz im Stil­len für meine gren­zen­lose Dumm­heit und war schließ­lich dank­bar, dass der zweite Teil mei­ner Reise nicht mit einem sol­chen Absturz endete, son­dern ich noch in der Lage war zu bereuen und mit einem Rest von Würde heim­zu­keh­ren. Irgend­ei­nen Kre­dit brauchte ich schließlich…

Wer Zeit und Muße hat, erfährt im Ori­gi­nal­bei­trag außer­dem, wie ich den Aus­stei­gern auf Ko Samui begeg­nete, wes­halb sich mein Rei­se­part­ner auf der Full-Moon-Party auf Ko Pha Ngan in einen hüp­fen­den Gum­mi­ball ver­wan­delte und warum ich mei­nen Erleb­nis­sen in Thai­land nur mit gonzo-jour­na­lis­ti­schen Mit­teln zu Leibe rücken konnte…

Cate­go­riesThai­land
  1. Maik says:

    Die Kha­o­san Road war für mich auch eher bäh. Ver­stehe den Hype nicht. Zum Glück war ich zu dem Zeit­punkt schon abge­här­tet was diese frag­wür­di­gen Ange­bote betrifft. Am Ende fand ich Bang­kok dann doch rich­tig Klasse.

    1. zwei­fel­los hat Bang­kok auch schöne Sei­ten und es gibt defi­ni­tiv bes­sere Ecken um abzu­stei­gen. Und danke für das Kom­pli­ment, werde mich irgend­wann mal wie­der dem gon­zoes­ken Stil zuwen­den… Liebe Grüsse!

    1. anders ließ sich das nicht scha­dens­frei dar­stel­len ;-) Als die gesam­mel­ten Repor­ta­gen von Hun­ter Thomp­son näch­te­lang mein Zwerch­fell atta­ckier­ten, wußte ich, wie ich mir end­lich das Thai­land-Trauma von der Seele schrei­ben konnte: mit den Stil­mit­teln der FREAK POWER :-)

    2. Ich habe „Die Rol­ling-Stone-Jahre“ gele­sen und kann es sehr emp­feh­len. Es ent­hält die meis­ten sei­ner Repor­ta­gen, einen Aus­zug aus „Fear and Loathing in Las Vegas“ und Brief­wech­sel zwi­schen den Rol­ling-Stone-Ver­ant­wort­li­chen und Hun­ter, die einen Ein­blick in seine „Arbeits­weise“ bie­ten. Das Buch ist eine gute Annä­he­rung an seine Per­son – ein ziem­li­cher Wäl­zer, aber unbe­dingt lesens­wert. Ansons­ten direkt zu „Fear and Loathing in Las Vegas“ grei­fen. Es gibt neben der Ver­fil­mung die­ses Buches auch noch den Film „when the buf­falo roams“, in dem seine jour­na­lis­ti­sche Arbeit stär­ker im Vor­der­grund steht.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert