Ich wache auf. Es ist dun­kel und ich habe kei­nen blas­sen Schim­mer, wo ich bin. Aber das fällt mir recht schnell wie­der ein: Kap­ver­den, Santo Antao, Tar­ra­fal de Monte Trigo. Nach­dem ich die Ori­en­tie­rung, den Mann und mein Handy gefun­den habe, stelle ich fest, dass es gerade mal fünf Uhr ist. Das ist nicht die pas­sende Zeit, um wach zu wer­den. Das ist für gar nichts die pas­sende Zeit. Nach­dem ich das ent­schie­den habe, döse ich wie­der ein und schiebe dabei träge noch ein paar Gedan­ken­fet­zen im Kopf von A nach B. Das hilft. Aller­dings nicht lange. Plötz­lich bin ich wie­der voll da. Fal­scher Gedanke, zur fal­schen Zeit am fal­schen Ort. Haben wir uns am Vor­abend nach ein paar Schnäp­sen zum Fischen ver­ab­re­det? Kann es sein, dass wir mor­gen drei Stun­den lang in einer Wal­nuss-Schale auf den Wel­len des Atlan­tiks trei­ben wer­den? Als klei­ner Punkt im rie­si­gen Ozean? Na groß­ar­tig. Wie oft habe ich mir vor­ge­nom­men, mich beim Genuss von Alko­hol nicht zu hals­bre­che­ri­schen Aktio­nen zu ver­ab­re­den? Oh Gott, ich könnte flu­chen. Meine Fähig­kei­ten als Schwim­me­rin rei­chen für genau 50 Meter Brust­schwim­men. Und das klappt auch nur ohne Wel­len und so lange ich die Gewiss­heit habe, dass unter mir Boden ist, der jeder­zeit für mich da sein wird. Aber diese quä­len­den Gedan­ken hel­fen gerade nicht wei­ter. Ich schwimme um mein Leben. Das ist anstren­gend. Ich schlafe wie­der ein. Bes­ser so. Es könnte schließ­lich das letzte Mal sein.

Am Mor­gen wird schnell klar, dass ich nicht ertrun­ken bin. Auch die Ver­ab­re­dung zum Fischen steht. Wir früh­stü­cken und machen uns gegen 9 Uhr gemein­sam mit dem eng­li­schen Ehe­paar Mia und George auf den Weg zum Strand. Das geht recht flott, denn der fängt direkt vor dem Haus an und so sind wir nach einer Minute auch schon am ver­ab­re­de­ten Treff­punkt. Keine Gele­gen­heit also, um Zeit zu schin­den oder mir noch schnell eine Aus­rede ein­fal­len zu las­sen, warum ich plötz­lich doch nicht mit kann. Die bei­den ein­hei­mi­schen Fischer war­ten nicht direkt auf uns. Eigent­lich beach­ten sie uns kaum und beschäf­ti­gen sich wei­ter damit, alles vor­zu­be­rei­ten. Schließ­lich ist das für sie kein Aus­flug. Sie fah­ren zur Arbeit und wir dür­fen mit. Wer­den nur gedul­det, wäh­rend wir so eine Art Schnup­per­prak­ti­kum absol­vie­ren. Wäh­rend ich mich noch mit der super nai­ven Frage quäle, wie die jetzt das Fischer­boot über die nicht ganz klei­nen Steine, durch die Bran­dung hin­durch ins Meer beför­dern wol­len, wer­den wir auf­ge­for­dert, uns in Bewe­gung und in ein klei­nes Schlauch­boot zu set­zen. Ist das jetzt der Ernst? Wir wer­den mit einem Schlauch­boot fah­ren? So hatte ich mir mein Able­ben irgend­wie nicht vorgestellt.

Aber Zeit zum Grü­beln haben die bei­den nicht ein­ge­plant und ehe wir uns ver­se­hen, befin­den sich Mia und ich mit einem der Fischer auf dem Was­ser. Als ich ein Stück vor uns ein klei­nes Fischer­boot lie­gen sehe, wird mir klar, dass wir noch ein­mal umstei­gen wer­den. Das beru­higt mich. Zumin­dest etwas. In einem zwei­ten Durch­gang wer­den auch die Män­ner ein­ge­sam­melt. Am Ende sind wir zu sechst und ste­chen in See.

 

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Die Fischer grei­fen zu ihren Rudern, die jeweils aus zwei Stü­cken Holz zusam­men­ge­setzt sind. Einen Motor gibt es nicht. Natür­lich auch keine Schwimm­wes­ten oder ande­ren Safety-Schnick­schnack. Ins­ge­samt nicht beson­ders ver­trau­en­er­we­ckend. Wir set­zen uns in Bewe­gung. Schnell bil­den sich große Schweiß­trop­fen auf der Stirn der Fischer. Es ist noch früh am Tag, aber alles andere als kühl. Die Sonne lacht sich einen und auch die Wel­len haben ihre eige­nen Vor­stel­lun­gen, wer sich wie, wohin und mit wel­cher Geschwin­dig­keit bewegt. Nicht zuletzt ist das Boot heute einige Kilo schwe­rer als üblich. Pre­käre Arbeits­be­din­gun­gen, aber gut für die Arm­mus­keln und die sind tipp­topp in Schuss. Nach­dem wir ein gan­zes Stück hin­aus gefah­ren sind, wird der Anker gewor­fen: Ein gro­ßer Stein befes­tigt an einem lan­gen Strick. Plopp. Die Wel­len sind nicht zu hoch, den­noch schau­kelt das kleine Boot gut gelaunt vor sich hin. Ist ja auch ein schö­ner Tag heute. Viel Grund zur Freude. Aber nicht für alle Insas­sen. Geor­ges Gesichts­farbe beginnt sich lang­sam zu ver­än­dern. Von rot­braun zu weiß zu einem blas­sen Grün. Man kann dabei zuschauen. Ein biss­chen wie bei die­sen Rin­gen. Nach ca. fünf Minu­ten kann er nicht mehr ver­ber­gen, dass seine Stim­mung auf dem Tief­punkt ange­kom­men ist. Unter lau­tem Wür­gen erbricht er sein Früh­stück ins Meer, um es groß­zü­gig mit den Fischen zu teilen.

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Wäh­rend Mia, der Mann und ich ver­su­chen, den Spa­gat zwi­schen größt­mög­li­cher Dis­kre­tion und höf­li­cher Anteil­nahme hin­zu­be­kom­men und die eigene auf­stei­gende Ko-Übel­keit zu igno­rie­ren, schert Geor­ges Zustand die Fischer wenig bis gar nicht. Sie begin­nen mit ihrer Arbeit und zer­le­gen mit­ge­brachte Krab­ben in ihre Ein­zel­teile, um sie anschlie­ßend ins Meer zu wer­fen. Bei den Fischen soll das die nötige Auf­merk­sam­keit erre­gen. Es klappt und schon sehen wir sie im kla­ren Was­ser aus der Tiefe nach oben schie­ßen. Gie­rig schnap­pen sie mit ihren klei­nen Mäu­lern nach den Krab­ben­tei­len. Nun, wo sie über unsere Ankunft in Kennt­nis gesetzt sind, kann der wich­tigste Teil der Arbeit beginnen.

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Die Arbeits­mit­tel lie­gen schon bereit und könn­ten puris­ti­scher nicht sein: Meh­rere Meter grüne Nylon­schnur auf eine Art Früh­stücks­brett­chen gewi­ckelt, mit einem Stein und je zwei Haken am Ende, fer­tig ist die Angel. Ein Fisch vom Vor­tag wird zu Köder recy­celt, an dem Appa­rat befes­tigt und schon fliegt alles zusam­men in hohem Bogen ins Meer. Rasant spult sich die Schnur vom Brett­chen ab. Wäh­rend wir in die Tiefe star­ren, befin­det sich der Fischer in einem Zustand höchs­ter Kon­zen­tra­tion. Die Nylon­schnur hält er locker zwi­schen den Fin­gern und war­tet auf den rich­ti­gen Moment. Der scheint jetzt gekom­men zu sein. Plötz­lich zieht er mit einem Ruck an der Schnur, lässt kurz wie­der locker, befragt noch ein­mal sein Bauch­ge­fühl und das was man Erfah­rung nennt und dann geht alles ganz schnell. Mit Höchst­ge­schwin­dig­keit grei­fen beide Hände abwech­selnd nach dem Nylon und holen die Angel ein. Wie­der star­ren wir ins Meer, so tief wir kön­nen. Und da, tat­säch­lich, ein Fisch! Kugel­fisch. Braun, weiß und schön rund steigt er auf und ver­lässt das Was­ser Rich­tung Boot. Da hängt er nun. Wir star­ren ihn an und jubeln ihm zu. Dem Fisch impo­niert das wenig. Er hat sich den Tag anders vor­ge­stellt. Er will weder ange­starrt, noch beklatscht wer­den. Die Aktion ist auch recht sinn­los und dient am Ende eher zu Demons­tra­ti­ons­zwe­cken. Denn Kugel­fisch steht nicht auf der Spei­se­karte und so wird er vor­sich­tig vom Haken getrennt und wie­der in die Frei­heit ent­las­sen. Zurück im glit­zern­den Atlan­tik treibt er regungs­los auf dem Rücken. Ist der jetzt tot? Der Gedanke ist noch nicht ganz zu Ende gedacht, da durch­zuckt es ihn. Der Lebens­wille ist zurück. Jede Flosse wird kurz geschüt­telt, dann taucht er ab, nimmt Fahrt auf und ver­schwin­det schnell dahin, wo er her kam.

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Wäh­rend wir vor uns hin­schau­keln, beißt wie­der etwas an. Der erste sinn­volle Fang. Nur George kann sich nicht so recht dafür begeis­tern. Unru­hig rutscht er hin und her. Ein Blick auf seine Uhr, ver­rät ihm, dass es gerade mal 10 Uhr ist. Wei­tere zwei Stun­den Wel­len­rei­ten ste­hen uns bevor. In Kom­bi­na­tion mit dem anhal­ten­den Geschau­kel ist diese Infor­ma­tion zu viel für ihn. So sehr er sich auch bemüht, er kann es nicht auf­hal­ten und über­gibt sich ein wei­te­res Mal. Viel hat sein Magen nicht mehr zu bie­ten, das hört man. Aber auch das Wenige, das noch da ist, will er los­wer­den. Alles muss raus. Als er fer­tig ist, bekom­men wir eigene Früh­stücks­brett­chen aus­ge­hän­digt und dür­fen unser Glück ver­su­chen. Tat­säch­lich ist es auf unse­rer Seite und ein Fisch nach dem ande­ren wan­dert in unse­ren Eimer. Jeder ist anders, sil­bern, rotorange, blaubraun mit gel­bem Punkt an der Schwanz­flosse. Wie schön. Wie ver­gäng­lich. Nach kur­zem Todes­kampf lie­gen sie bald alle gleich da, mit auf­ge­ris­se­nen Mäu­lern oder ein­fach so. Mit­leid steigt in mir auf. Aber ich sehe ein, dass die­ses gerade nicht ange­bracht ist. Wer essen will, muss angeln. So ist das nun mal.

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Des­halb werfe auch ich meine Angel aus und muss nicht lange war­ten. Etwas zieht und zerrt mit aller Gewalt daran. Das muss ein gigan­ti­scher Fisch sein. In freu­di­ger Erwar­tung mache ich laut­stark dar­auf auf­merk­sam und bereite die ande­ren men­tal dar­auf vor, dass wir gleich ein biss­chen enger zusam­men­rü­cken müs­sen. Der Kampf beginnt. Gemein­sam mit dem Mann ver­su­che ich die Nylon­schnur ein­zu­ho­len, wäh­rend alle mit­fie­bern. Bestimmt ein ganz dicker Bro­cken. Das sieht auch einer der Fischer so. Aller­dings lässt er mich nach nähe­rer Betrach­tung der Situa­tion wis­sen, dass er nicht bereit ist, den Fel­sen mit­zu­neh­men, den ich angeb­lich an der Angel habe. Mit ein paar geüb­ten Hand­grif­fen befreit er die Schnur. Das war´s dann wohl. Mach´s gut du schö­ner gro­ßer – was auch immer.

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Nach die­ser her­ben Ent­täu­schung muss drin­gend Ablen­kung her und in Form flie­gen­der Fische lässt sie nicht lange auf sich war­ten. Plötz­lich tau­chen sie neben dem Boot in der Luft auf. Für einen kur­zen Moment steht die Zeit still, wäh­rend sie sil­bern vor blauem Him­mel schwe­ben. Und fast sieht es so aus, als win­ken sie uns zu, bevor sie wie­der ins Was­ser ein­tau­chen. Einer mit offen­sicht­li­chen Navi­ga­ti­ons­pro­ble­men kommt bei sei­nem Manö­ver aller­dings vom Kurs ab. Von hin­ten klatscht er erst gegen den Mann und dann ins Boot. Das stellt sich für ihn schnell als recht unvor­teil­haft her­aus. Zwar hat auch er es nicht auf den Spei­se­plan geschafft, aber unser Vor­rat an Ködern ist gerade auf­ge­braucht. Also machen wir mit sei­ner Hilfe noch den einen oder ande­ren Fang.

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Und wie immer, wenn der Spaß am größ­ten ist, heißt es Schluss für heute. Die Zeit ist um, was George laut­stark über den Atlan­tik brüllt. 12´o´clock! Ich lache auf. Diese unver­hoh­lene Freude, dass es end­lich vor­bei ist. Es scheint, als hätte er seine Uhr die ganze Zeit genau im Auge behal­ten und ein­zig auf die­sen Moment gewar­tet. Spä­ter stellt sich her­aus, dass einer der Fischer ihn danach gefragt hatte. Diese Tat­sa­che igno­riere ich aber, weil es viel lus­ti­ger ist, die Uhr­zeit unge­fragt über den Atlan­tik zu brüllen.

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Lu Morgenstern

Kein Digitaler Nomade. Keine Weltreise. Lu Morgenstern ist Pendlerin zwischen Vollzeitjob, Fernweh und 28 Urlaubstagen im Jahr. Zu wenig, wie sie findet, denn Lu ist verliebt in diese Welt und hätte gern mehr Zeit für sie. Schon früh verlor sie ihr Herz an Europa. Während einer Reise auf die Kapverden brach zu allem Überfluss diese unbändige Sehnsucht nach noch ferneren Ländern aus. Seitdem hat Lu die große Begabung, sich in Träumereien zu verstricken und still die Tage bis zur nächsten Reise zu zählen. Endlich wieder an einem fremden Ort angekommen, wird sie zum bekennenden Messi, wenn es um Strandgut, Sonnenstrahlen, Glücksmomente und schöne Geschichten geht. Manche davon hält sie fest in ihrem Reisetagebuch.

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