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Feri­en­ge­fühl in Figueira da Foz

Por­tu­gal hat sich in den letz­ten Jah­ren zu einem der span­nends­ten Län­der der Welt für Street Art ent­wi­ckelt. Die Kunst­werke sind nicht nur in Lis­sa­bon und Porto zu fin­den, son­dern auch in klei­ne­ren Städ­ten, in die sich nur wenige Tou­ris­ten ver­ir­ren. Ich habe einen Road Trip durch die Region Cen­tro de Por­tu­gal im Nor­den des Lan­des gemacht, um genau diese zu erkun­den. Nach dem Auf­takt unse­res Road Trips in Estar­reja ver­schlägt es uns ein paar Zwi­schen­stopps spä­ter in den Bade­ort Figueira da Foz, der aus­sieht wie ein mon­dä­nes Wun­der­land aus ver­gan­ge­nen Jahrzehnten. 

Ab ans Meer: Ein Abste­cher nach Costa Nova

Es liegt zwar nicht wirk­lich auf dem Weg, aber einen Abste­cher nach Costa Nova müs­sen wir ein­fach machen. Die Strand­pro­me­nade in dem klei­nen Ort ist näm­lich von cha­rak­te­ris­ti­schen gestreif­ten Häus­chen gesäumt, die aus­se­hen wie die wit­zige Kulisse eines Kin­der­films. Ursprüng­lich waren die Hüt­ten, die auf Pfäh­len in den Sand­bo­den gebaut wur­den, zur Lage­rung von Stroh gedacht. Die bun­ten Far­ben hal­fen den Fischern dabei, ihre Stroh­scheune bereits von Wei­tem wie­der­zu­er­ken­nen – ein biss­chen Spaß daran, mit den Strei­fen gute Laune zu berei­ten, mag aber auch im Spiel gewe­sen sein.

Im Laufe des 19. Jahr­hun­derts kamen immer mehr Bade­gäste nach Costa Nova, weil man sich vom dor­ti­gen Was­ser beson­dere gesund­heit­li­che Effekte ver­sprach. Mit der Zeit bau­ten immer mehr Fischer ihre Hüt­ten zu ver­miet­ba­ren Unter­künf­ten aus und zogen selbst wei­ter nach Süden. Heute sieht man zwar keine Fischer­boote mehr, doch auch die Mas­sen, die hier einst am Meer gele­gen haben müs­sen, sind nicht mehr zu sehen. Statt­des­sen kann man unter Pal­men ent­spannt zwi­schen den gestreif­ten Hüt­ten ent­lang­fla­nie­ren – und eine davon nied­li­cher als die andere fin­den. Villa Kun­ter­bunt auf Por­tu­gie­sisch, denke ich, und kann mich gar nicht satt sehen.

Aveiro, eine künst­le­ri­sche Fischerstadt

Eine kurze Auto­fahrt ent­fernt liegt Aveiro, mit fast 80.000 Ein­woh­nern Haupt­stadt der gleich­na­mi­gen Region, in der wir unter­wegs sind. Die Stadt ist bekannt für Kunst, aller­dings für tra­di­tio­nel­lere For­men: Einer­seits las­sen sich hier über­all in der Alt­stadt typisch por­tu­gie­si­sche bunte Flie­sen fin­den, ande­rer­seits sind die bemal­ten Boote, die über­all in den Kanä­len der Stadt ankern, eine ganz eigene Kunst­form. Vorne fin­den sich nor­ma­ler­weise reli­giöse Motive, hin­ten das genaue Gegen­teil – dre­ckige Witze, leicht beklei­dete Frau­en­kör­per. Vorne das, was einen schüt­zen wird, hin­ten all das, was „dem da oben“ ver­bor­gen blei­ben soll, der Humor der por­tu­gie­si­schen Fischer ist um eini­ges simp­ler als die detail­liert ange­fer­tig­ten Bil­der selbst.

Mit einem der Boote über die Kanäle zu brau­sen, macht genauso viel Spaß wie her­um­zu­lau­fen und sich die Male­reien auf den Gon­deln genauer anzu­se­hen. Bei dem grauen Wet­ter, das uns in Aveiro emp­fängt, machen sie die Stadt um eini­ges bun­ter. Ich muss lachen, als ich ein Boot ent­de­cke, das vorne einen ganz eige­nen Gott gemalt hat – einen Fußball-Nationalhelden.

Street Art in Aveiro

Auch in Aveiro gibt es Street Art-Kunst­werke: Direkt im Zen­trum prangt ein Bild von Künst­ler Vhils, der dafür bekannt ist, Werke nicht an die Wand zu brin­gen, son­dern die Kon­tu­ren sei­ner Por­traits gerade dadurch zu erzeu­gen, dass er Teile der Wand abträgt. Auch, wenn die beein­dru­cken­den Explo­sio­nen, mit denen er seine Bil­der fer­tig­stellt, wie uns Lara ver­rät, größ­ten­teils Show sind, das Kon­zept ist unge­wöhn­lich und span­nend. Street Art, gerade wenn es ille­gal ange­fer­tigt wird, wird von Stadt­ver­wal­tung wie Anwoh­nern häu­fig als Zer­stö­rung ange­fer­tigt – warum also nicht ein­fach mit der Zer­stö­rung Kunst machen und die­sen Gegen­satz end­gül­tig auflösen?

Dane­ben ein sehr viel ein­fa­che­res Bild, das sich jedoch per­fekt in seine Umge­bung inte­griert: Ein arbeits­lo­ser Leh­rer hat an die Wand gegen­über des Bahn­hofs war­tende Per­so­nen gemalt, die mit ihrem Smart­phone beschäf­tigt sind oder, mit dicken Ruck­sä­cken bepackt, vor­bei­lau­fen. Street Art muss nicht künst­le­risch hoch­tra­bend sein, um Men­schen ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern.

Zeit­reise in Figueira da Foz

Figueira da Foz, das ist ein Name, den man sich ruhig auf der Zunge zer­ge­hen las­sen kann, denke ich, und freue mich jedes Mal, wenn sich die Gele­gen­heit bie­tet, ihn laut aus­zu­spre­chen. Auch, wenn mein Por­tu­gie­sisch sich auf einem gerin­gen Level bewegt, die Nasale und Vokale sit­zen. Diese Spra­che ist zu schön, um wahr zu sein, für meine Ohren zumindest.

Und Figueira da Foz schafft es tat­säch­lich, die Erwar­tun­gen zu erfül­len, die mir durch den Kopf schwir­ren, wenn sein Name darin wie­der­hallt. Die Häu­ser hier sind bunt und haben hohe Türen, die ver­schie­de­nen Mus­ter der Azu­le­jos glie­dern sich ein zwi­schen Pas­tell­far­ben und abge­wetz­tes Holz. Das Schöne an Por­tu­gal ist, dass es hier schön ist, ohne dass man’s ver­sucht, habe ich irgendwo schon ein­mal geschrie­ben und muss jetzt wie­der daran den­ken. Hier braucht es keine Pracht­bau­ten, keine gold­ver­zier­ten Kup­peln und keine brei­ten Alleen – der Charme der klei­nen Gas­sen, in denen jedes Haus anders aus­sieht, die in bunte Flie­sen ein­ge­fasste Türen mit dem leicht abge­wetz­ten Charme, die farb­lich pas­sende pas­tel­lene Wäsche, die aus den Fens­tern hängt, all das reicht mir, um begeis­tert durch die Stadt zu tau­meln und an einem Tag eine Spei­cher­karte voll zu schießen.

Wie eine Filmkulisse

In Figueira da Foz kommt noch dazu, dass viele der Häu­ser aus­se­hen, als wäre die Zeit in einer längst ver­gan­ge­nen, sehr viel schö­ne­ren Epo­che ste­hen geblie­ben. In der zwei­ten Hälfte des 19. Jahr­hun­derts baute man ganze Stadt­vier­tel nach dem Stil fran­zö­si­scher Bade­orte, um den anrei­sen­den Gäs­ten etwas bie­ten zu kön­nen. 1884 wurde hier das erste Casino Por­tu­gals eröff­net, Figueira da Foz wurde zum meist­be­such­tes­ten Strand­ort im gan­zen Land. Ich stelle mir vor, wie hier zur Jahr­hun­dert­wende die Élite des Lan­des durch die Stra­ßen fla­nierte, ihr Geld im Casino ver­spielte und sich mit den ers­ten Roll­film­ka­me­ras vor dem Strand ablich­ten ließ.

Ich kann gar nicht anders, als mich zwi­schen den deko­rier­ten Türm­chen, den run­den For­men und den in alt­mo­di­schen Schrift­ar­ten ver­fass­ten Laden­schil­dern wie mit­ten in einem Wes Ander­son-Film zu füh­len. Das grelle Licht, mit dem alles bei­nahe zwei­di­men­sio­nal aus­sieht, tut sein Übri­ges, am Strand flä­zen ver­ein­zelte Bade­gäste unter klas­sisch bun­ten Son­nen­schir­men. Ob der Regis­seur die Stra­ßen hier jemals als Loca­tion in Betracht gezo­gen hat, kann ich nicht sagen, doch Figueira da Foz hat tat­säch­lich eine lange Geschichte als Film­stadt – nicht nur als Kulisse, son­dern auch als Aus­tra­gungs­ort eines der ers­ten Film­fes­ti­vals Por­tu­gals, das 2017 zum 45. Mal statt­ge­fun­den hat.

Street Art in Figueira da Foz

Trotz all der Schön­heit und der mon­dä­nen Ent­wick­lung ist Figueira da Foz auch immer eine Fischer­stadt geblie­ben. Und die Street Art-Kunst­werke, die hier zu fin­den sind, haben es sich zur Auf­gabe gemacht, diese Geschichte auf­zu­grei­fen und bild­haft dar­zu­stel­len. Wie schon in Estar­reja wur­den auch hier die Künst­ler von Lara Seixo Rodri­gues und ihrer Orga­ni­sa­tion Mista­ker Maker aus­ge­wählt. Die Werke sind dabei schon 2013 und 2014 im Rah­men von Fes­ti­vals entstanden.

Beson­ders bemer­kens­wert sind zwei groß­flä­chige Arbei­ten: An einer Wand gegen­über eines Parks hat Mario Belém ein rie­si­ges Bild aus Fischer­mo­ti­ven und See­manns­garn­ge­schich­ten ent­ste­hen las­sen, das seine volle Wir­kung erst ent­fal­tet, wenn man es von wei­ter weg betrach­tet. Und direkt am Strand hat der por­tu­gie­si­sche Künst­ler Pan­tó­nio seine typi­schen dyna­mi­schen Tier­fi­gu­ren an eine halb­runde Wand gebracht. Beson­ders toll ist es, in der Mitte zu ste­hen und die ein­zel­nen Stri­che zu ver­fol­gen – aus Fischen wer­den For­men, aus Sei­len Arme und Hände, Füße und schließ­lich Gesich­ter, alles ist mit allem ver­wo­ben, das Schick­sal der Fische bedingt das Schick­sal der Men­schen und umgekehrt.

Beson­ders gut gefällt mir jedoch auch eine mit bun­ten Füch­sen deko­rierte Häu­ser­ecke von Kruella d’Enfer, die ganz ein­fach Spaß macht. Und auch die tol­len, von Azu­le­jos inspi­rier­ten Arbei­ten von Add Fuel pas­sen super ins Bild.

Figueira da Foz, ich kann die­sen Namen gar nicht oft genug sagen, hier würde ich gerne blei­ben, hier könnte selbst ich mich zu einem trä­gen Strand­ur­laub ver­lei­ten lassen.

Street Art – auf dem Dorf?!

Doch es geht wei­ter, und wir schla­gen zunächst ein­mal eine unge­wöhn­li­che Rich­tung ein. Anstatt direkt auf die nächste Stadt zuzu­steu­ern, geht es in eines der umlie­gen­den Dör­fer. Street Art und Städte schei­nen untrenn­bar mit­ein­an­der ver­bun­den, in länd­li­chen Gegen­den habe zumin­dest ich maxi­mal ein paar Graf­fiti-Schmie­re­reien von Jugend­li­chen erwar­tet. Ein Kunst­pro­jekt in Por­tu­gal, eben­falls unter der Lei­tung von Mista­ker Maker, wollte zei­gen, dass es auch anders geht. Und so befin­den sich in den Dör­fern rings um das his­to­ri­sche Mon­temor-o-Velho seit 2016 vier groß­flä­chige Kunst­werke. Im Juli 2017 sind sogar noch zwei hinzugekommen.

Gerade das Let­te­ring von Half­stu­dio scheint gleich­zei­tig her­aus­zu­ste­chen aus der länd­li­chen Archi­tek­tur – und sich wun­der­bar ein­zu­fü­gen. „Por amor à terra“, aus Liebe zur Erde, aus Liebe zur Hei­mat, steht da in rie­si­gen Buch­sta­ben. Aus Tür­men für Strom­um­lei­tun­gen haben Add Fuel, The Caver und Fedor bunte Land­mar­ken gemacht – mit Bezug zur Natur, zur Land­wirt­schaft und zu den Tie­ren der Region.

Ich bin über­zeugt – Street Art gehört nicht nur in die Stadt. Und doch freue ich mich auf die Orte Viseu und Covilhã, die uns auf unse­rem Road Trip noch bevor­ste­hen und uns hof­fent­lich mit ähn­lich span­nen­den Bil­dern empfangen.

Mehr Infor­ma­tio­nen

Aveiro und Costa Nova
Aveiro und Costa Nova sind nicht unbe­dingt Street Art-High­lights, lie­gen aber auf dem Weg und loh­nen einen Besuch. In Costa Nova kann man übri­gens angeb­lich auch sehr gut auf dem Fisch­markt essen, wo frisch Gefan­ge­nes direkt zube­rei­tet wird. In Aveiro darf man sich die Ovos Moles nicht ent­ge­hen las­sen, eine lokale Süßig­keit, die eigent­lich nur aus Obla­den­schei­ben und Eigelb besteht – und trotz­dem rich­tig gut schmeckt. Hier macht eine Boots­fahrt auf den Kanä­len rich­tig Spaß, oder man erkun­det die Stadt zu Fuß.
Figueira da Foz
Figueira da Foz liegt etwa auf hal­ber Stre­cke zwi­schen Lis­sa­bon und Porto und mit dem Auto nur eine Drei­vier­tel­stunde von Coim­bra ent­fernt. Der Strand­ort ist nach die­sem Road Trip mein per­sön­li­cher Geheim­tipp für Por­tu­gal. Wer auf unge­wöhn­li­che Archi­tek­tur steht, sich für Wes Ander­son-Sze­ne­rien und alt­mo­disch-mon­däne Städt­chen begeis­tern kann oder ein­fach Street Art an einem unge­wöhn­li­chen Ort erkun­den will: Unbe­dingt hin­fah­ren und begeis­tert sein! Auf die­ser Karte fin­den sich übri­gens alle in Figueira da Foz erstell­ten Kunstwerke.Mehr zu Aveiro, Figueira da Foz und Street Art-Kunst gibt’s übri­gens zu lesen bei mei­nen nie­der­län­di­schen Blog­ger-Kol­le­gin­nen Rose­l­inde und Esther – auf Englisch.
Cate­go­riesPor­tu­gal
Ariane Kovac

Hat ihr Herz irgendwo zwischen Lamas und rostigen Kleinbussen in Peru verloren. Seitdem möchte sie so viel wie möglich über andere Länder und Kulturen erfahren - wenn möglich, aus erster Hand.

Wenn sie gerade nicht unterwegs sein kann, verbringt sie viel Zeit damit, den Finger über Landkarten wandern zu lassen und ihre eigene Heimat ein bisschen besser zu erkunden, am liebsten zu Fuß. Immer dabei, ob in Nähe oder Ferne: Kamera und Notizbuch, denn ohne das Schreiben und das Fotografieren wäre das Leben für sie nicht lebenswert.

  1. Diana Menco says:

    Wie schön, dass ich die­sen Bei­trag ent­deckt habe, als ich ein wenig zu Por­tu­gal recher­chiert habe.
    Ich werde mich näm­lich auf mei­ner Reise hier die nächs­ten Monate her­um­trei­ben, lang­sam von Süd nach Nor­den. Und Figueira da Foz steht jetzt auf jeden Fall auch auf mei­nem Plan.
    Danke für die inspi­rie­ren­den Beschrei­bun­gen. Eine sol­che Spra­che ist ein­fach rich­tig schön!
    Hab einen wun­der­ba­ren Tag
    Deine Diana
    http://dianamenco-diereise.de/

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