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Endlich Marokko! Teil 4: MARRA-CASH!

 

Wie weit ist es noch?“ frage ich – auf Deutsch, denn der halb­starke Bur­sche, der mei­nen Ruck­sack auf einem Esels­kar­ren durch die Souks kut­schiert, hat mich auch wie selbst­ver­ständ­lich in mei­ner Mut­ter­spra­che angesprochen.

Mei­nen Ruck­sack hätte ich aller­dings auch selbst tra­gen kön­nen. Doch die Nacht ist bereits über Mar­ra­kesch her­ein­ge­bro­chen und auch wenn ich keine Angst habe, so habe ich doch keine Ahnung, wo ich hin muss – er schon. Hoffentlich.

Der Junge ist der Neffe vom Taxi­fah­rer. Der Taxi­fah­rer ist ein Freund vom Hos­tel-Mana­ger. Seit mei­ner Ankunft am Bus­bahn­hof wurde ich wei­ter­ge­reicht wie der Klin­gel­beu­tel in der Kir­che – nur dass man da Geld rein tut anstatt wel­ches raus­zu­neh­men.

„Oh, nicht mehr weit,“ sagt der Neffe vom Taxi­fah­rer, dem ich unsi­cher durch die Alt­stadt folge. Alles, was ich in der Dun­kel­heit aus­ma­che, erin­nert mich eher an eine Film­ku­lisse, als an die Wirk­lich­keit. Ja, die Ver­lo­ckung ist groß, tat­säch­lich an die Häu­ser­wände zu klop­fen, um zu sehen, ob sie nur aus Pappe sind.

Mache ich aber nicht. Statt­des­sen folge ich dem Nef­fen vom Taxi­fah­rer um eine Bie­gung und durch einen düs­te­ren Tun­nel und auf der ande­ren Seite hält tat­säch­lich mein Hos­tel ein­la­dend die Tür auf.

Ich bin mir natür­lich dar­über im Kla­ren, dass der Neffe vom Taxi­fah­rer nicht nur aus rei­ner Gast­freund­schaft mei­nen Ruck­sack durch die halbe Medina geschleppt hat. Er will Geld dafür. Darum gebe ich ihm wel­ches – und bin über­rascht, als er dan­kend ablehnt und sich trollt.

Damit bleibt er aber der ein­zige in den nächs­ten Tagen…

„Beau­tiful lady, have a look! I give you good price! Good price for shoes! Look, beau­tiful shoes for beau­tiful lady!“

werde ich am nächs­ten Tag von einem Ver­käu­fer angebrüllt.

„No, thank you. I’m just looking.“

sage ich und winke ab.

„Yeah, well… I’m just sel­ling!“ sagt er, ange­pisst. Ich wette, meine Ant­wort steht ganz oben auf der Liste der Sätze, die marok­ka­ni­sche Stra­ßen­händ­ler nicht mehr hören können.

Aber ich kann nicht Feilschen.War nie mein Ding. Ich mag Sachen, auf denen feste Preise ste­hen. Ich ver­meide Aus­ein­an­der­set­zun­gen. Ich ver­han­dele nicht gern.

In Mar­ra­kesch bin ich also kom­plett Fehl am Platz. Hier ist alles Verhandlungssache.

Die Taxi­fahrt, die Fla­sche Was­ser, die Über­nach­tung im Hos­tel,  die Dat­teln, die Kutsch­fahrt, der Esel, die Ziege, die Schild­kröte, die Kro­ko­dil-Leder­haut, die Gewürze, die Wun­der­lampe, der rich­tige Weg nach Hause. In den Souks gibt es 1001 Schnäpp­chen und als Tou­rist werde ich als wan­deln­der Geld­au­to­mat angesehen.

Die Leute sagen, in Mar­ra­kesch sei nichts umsonst. 

Eigent­lich müsste die Stadt am Fuße des Atlas „Marra-Cash“ heißen.

 

Trotz­dem bin ich hell­auf begeis­tert! Mar­ra­kesch for­dert mich her­aus, zwingt mich dazu, mich aus­zu­tes­ten und auf Men­schen zuzu­ge­hen, nein zu sagen – und das auch mal laut. Und vor allem: Vie­les mit Humor zu nehmen.

Die ver­win­kel­ten Gas­sen der Souks und der große Platz Dje­maa el-Fna zie­hen mich magisch an. Ich gehe ver­lo­ren zwi­schen den Tür­men aus Gewür­zen, den rie­si­gen Tep­pich­la­gern, den Läden mit Sil­ber-Schmuck und denen mit ech­tem Silber-Schmuck.

Über­all da, wo Tou­ris­ten auf Ein­hei­mi­sche tref­fen, kann ich mich kaum sattsehen.

Henna-Male­rin­nen, die ahnungs­lo­sen Mäd­chen als Geschenk den Arm täto­wie­ren und dann aber doch Geld dafür verlangen.

Schlan­gen­be­schwö­rer, die zum Inkasso-Unter­neh­men wer­den, wenn du ein Foto von ihnen machst.

Fre­che Ben­gel, die sich als Guide aus­ge­ben und dich in die Irre füh­ren – nur um dann noch mehr Geld abzu­stau­ben, damit sie dich wie­der zurückbringen.

Geschäfts­män­ner, die irr­sin­nige Argu­mente erfin­den, um ihre Ware an den Mann zu brin­gen. („Diese Lampe gehörte Ali Baba höchstpersönlich!“)

Die Bewoh­ner Mar­ra­keschs sind clever. 

Sie haben ihre west­li­chen Besu­cher genau stu­diert  – und der Dje­maa el-Fna ist ihr Hörsaal. 

Kei­nen über­rascht es mehr als mich, dass ich mich hier bewege wie ein Fisch im Wasser! 

Vor allem das Feil­schen fas­zi­niert mich auf ein­mal. Auf mei­nen Streif­zü­gen durch die rote Stadt beob­achte ich, dass Feil­schen keine flüch­tige Ange­le­gen­heit ist, die es gilt, schnell hin­ter sich zu brin­gen. Schließ­lich geht es hier um ein Geschäft. Güter wech­seln von einer Hand zur ande­ren den Besit­zer. Und dafür lässt man sich Zeit.

Der Käu­fer begut­ach­tet die Ware und sieht sich im Laden um, fragt nach der Her­kunft der Pro­dukte, fühlt wie schwer sie sind, wie gut sie ver­ar­bei­tet wur­den und macht dem Händ­ler Kom­pli­mente für die gute Arbeit. Der Händ­ler gibt Aus­kunft, prä­sen­tiert seine Ware, erkun­digt sich nach der Hei­mat des Käufers.

Und das dauert.

Lange Minu­ten ver­ge­hen, bis sich schließ­lich auf ein Stück fest­ge­legt wird. Die Zeit brau­chen beide, um sich zu beschnup­pern, um ein­zu­schät­zen, wie hoch oder nied­rig sie den Preis anset­zen kön­nen. Nennt der Händ­ler sein ers­tes Gebot, ist sein Preis min­des­tens drei­mal so hoch wie der wahre Wert. Nennt der Käu­fer sein ers­tes Gebot, sollte er darum immer höchs­tens ein Drit­tel des Prei­ses nen­nen, den er bereit ist, auszugeben.

Fast so als wür­den sie tan­zen, kom­men sich Händ­ler und Käu­fer so immer näher und tref­fen sich im Ide­al­fall genau in der Mitte. (Wenn man sich nicht einig wird, kann es auch hel­fen, noch ein klei­nes Geschenk oben drauf zu legen – ein Kau­gummi, ein Feu­er­zeug, ein Taschen­mes­ser – je nach­dem wie hoch der Preis ist)

Es heißt, du hast zu gut gefeilscht, wenn der Händ­ler dir am Ende wütend die Ware entgegenschleudert.

Aber das will ja kei­ner. Der Händ­ler muss immer­hin eine Fami­lie ernäh­ren und was für mich nur ein gro­ßer Spaß ist, ist für ihn über­le­bens­wich­tig. Wenn alles gut läuft, wird die Ware also schließ­lich in Zei­tungs­pa­pier ein­ge­schla­gen und wech­selt den Besit­zer, genau wie das Geld. Ein Hand­schlag, um das Geschäft zu besie­geln, Salem alei­kum, ich wün­sche noch gute Geschäfte.

Meine Zeit in Mar­ra­kesch ver­geht so wie im Flug. Ich fülle mei­nen Ruck­sack mit Sou­ve­nirs und mei­nen Kopf mit Bil­dern. Und auf ein­mal bin ich auch schon wie­der auf dem Weg zum Flug­ha­fen, als ich die letzte Stimme Mar­ra­keschs hin­ter mir rufen höre.

“Deutsch­land! Hey, Deutschland!”

Es ist der Neffe vom Taxi­fah­rer. Die­ses Mal ohne den Eselskarren.

“Du hast ver­ges­sen mich zu bezah­len, Deutsch­land!” sagt er, als er mich ein­holt  und grin­send die Hand aufhält.

Es stimmt also, was die Leute sagen: Nichts ist umsonst, in Marra-Cash…

 

Tra­vel is like an end­less uni­ver­sity. You never stop learning.

HARVEY LLOYD

Cate­go­riesMarokko
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Gesa Neitzel

Eigentlich Fernsehredakteurin, aber viel lieber unterwegs, erzählt Gesa auf ihrem Blog von ihren Reisen um die Welt und vor allem zu sich selbst. In ihren Depeschen geht es um Fernweh, Heimweh, Bauchweh... und all den anderen Wehwehchen, die ein Nomadenleben so mit sich bringt.
In den letzten Jahren hat sie in Berlin gelebt, in Australien einen Jeep durchs Outback gefahren, in Lissabon ihr Herz verloren und in Bali nach ersten Surfversuchen gleich ein Loch im Kopf gehabt.

Gesa ist eine Suchende. Nach was? Das weiß sie selbst nicht so genau. Aber was auch immer es ist - es ist irgendwo da draußen und bis sie es gefunden hat, wird’s hier bestimmt nicht langweilig.

  1. Nadine says:

    Jaahhh, dass mit dem pene­tran­ten Geld aus der Tasche zie­hen ist hier in Mar­ra­kesch wirk­lich ein Pro­blem. Aber keine Sorge, dass läuft genauso unter den Ein­hei­mi­schen, halt nicht in so Rie­sen Beträgen 

    LG aus Marrakesch,

    Nadine

  2. Harry Bode says:

    Ich kenne Mar­ra­kesch noch aus den 60er Jah­ren. Damals gab es zwar auch schon reich­lich Tou­ris­ten – aber kein Ver­gleich zu heute. Die Stadt und die Bewoh­ner sind ein­fach groß­ar­tig! Wer will ihnen vor­wer­fen, an den Tou­ris­ten zu ver­die­nen? Wen das stört, der sollte mal die Abzock­men­ta­li­tät der Ein­woh­ner Roms oder ande­rer Städte erle­ben. Der Bericht ist ist sehr gut! Bitte mehr davon!

    http://www.der-seniorenblog.de

  3. Daniel says:

    Was für ein geschick­ter Junge, der Neffe!
    War­tet der doch wirk­lich, bis er dir sprich­wört­lich die letz­ten Dir­ham aus der Tasche zie­hen kann.
    Für alle, die ihren Marok­ko­trip noch vor sich haben:

    Im Tra­vel­wiki gibt es eine sehr nütz­li­che Preis­auf­lis­tung zur Ori­en­tie­rung http://wikitravel.org/en/Marrakech#Prices

  4. Pingback:Unpacking Travel: Ausgabe 05 | GoEuro Blog

  5. Micha says:

    Mir gehts wie Alex – ich liebe Mar­ra­kesch. Aber ganz Marokko hat mein Herz erobert…
    Über dei­nen Klin­gel­beu­tel-Ver­gleich habe ich mich sehr amü­siert (und gleich wei­ter erzählt). Bus­bahn­höfe sind doch fast über­all auf der Welt irgend­wie bloody f…g :)

  6. Alex says:

    Ich liebe Mar­ra­kesch – Lass‘ es ein­fach laufen…Die Händ­ler unter­bie­ten sich meist von alleine – auch wenn man manch­mal das Gefühl hat, es artet in eine Schlä­ge­rei aus. ;) Man sollte sich ein­fach vor­her einen ange­mes­se­nen Preis über­le­gen, den man bereits ist zu zah­len. Tolle Bil­der und ein wirk­lich schö­ner Bericht!

    Liebe Grüße

    Alex

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