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Ein Blick durchs Schlüsselloch

Hund im Kaukasus

„Ist das nicht das Land mit den vie­len Spio­nen?“ – Was für ein komi­scher Gedanke von mei­nem Kol­le­gen. Ich glaube, ich muss mal mit eini­gen Vor­ur­tei­len über Aser­bai­dschan auf­räu­men und nehme euch mit auf eine Reise ins Land des Feuers.

Das Land des Feuers

Der Dezem­ber ist wie­der viel zu schnell da. Die Weih­nachts­vor­be­rei­tun­gen lau­fen auf Hoch­tou­ren und was habe ich im Sinn? End­lich Urlaub. Das Jahr war lang und irgend­wie sehne ich mich nach dem Aben­teuer außer­halb mei­nes Roll­be­reichs des Büro­stuhls. Ich will wan­dern, ob warm oder kalt ist mir fast egal. Ich will irgend­wie wohin, wo es ruhig ist und eher nicht so die typi­sche Desti­na­tion, wie man auf Neu­deutsch sagen würde. Ich lasse den Glo­bus auf mei­nem Bild­schirm rotie­ren. Nicht so weit weg wäre schön, sonst lohnt sich das ganze Flie­gen für die 10 freien Tage gar nicht. Es ist mir im Nach­hin­ein recht unklar, wieso ich mich plötz­lich so an Aser­bai­dschan fest­beiße. Ich weiß so ziem­lich gar nichts über das „Land des Feu­ers“, wie es sich selbst nennt. Mein Kol­lege ist aber der Mei­nung, dass hier Agen­ten jeden über­wa­chen. Ein lus­ti­ger Gedanke, den mir aber kei­ner vor Ort bestä­ti­gen kann. Eins ist aber sicher, das Land selbst. Die Hin­weise des Aus­wär­ti­gen Amts lesen sich irri­tie­rend locker und ruhig. Es gibt gefühlt nichts Siche­re­res als nach Aser­bai­dschan zu rei­sen. Auf den letz­ten Drü­cker suche ich noch einen Rei­se­füh­rer, komi­scher­weise ein schwe­res Unter­fan­gen. Ich finde nur einen Lonely Pla­net von 2016, alles andere kommt erst 2020 auf den Markt. Schon irgend­wie komisch und doch reizvoll.

Şəhidlər Xiyabanı - Baku

Ein Blick nach Aserbaidschan

Mein Visum bean­trage ich online. Ein Novum für Aser­bai­dschan. Vor 2 Jah­ren musste man noch viel mehr für sein Visum tun, jetzt sind es wenige Klicks und drei lange Tage war­ten. Es klappt rei­bungs­los und wenige Tage spä­ter sitze ich im Flie­ger nach Baku. Der Flug­ha­fen in Baku beein­druckt durch seine Kon­struk­tion und ist ein ers­ter Vor­ge­schmack auf das moderne Baku mit sei­nen moder­nen Büro­tür­men, die den Weg in die Innen­stadt flan­kie­ren. Ich nehme den Flug­ha­fen-Shut­tle, der mich für unver­schämte 1,50 Manat, umge­rech­net ca. 0,80 Euro, in die Innen­stadt bringt. Ein­zig ver­semmle ich meine ers­ten Ein­drü­cke mit der Dumm­heit meine „Bak­i­Card“, das elek­tro­ni­sche Bus­ti­cket, mit viel zu vie­len Manat auf­ge­la­den zu haben. Ich dachte es gibt Rück­geld am Auto­ma­ten und habe mei­nen ein­zi­gen Schein in den Auto­ma­ten gesteckt. Die Putz­frau vom Flug­ha­fen, die mich etwas ver­lo­ren vor dem Auto­ma­ten ste­hen sieht, schaut nur auf den Betrag und schlägt ihre Hände über den Kopf zusam­men. Für 50 Manat kann ich wahr­schein­lich Monate lange Metro und Bus fah­ren. Eine Fahrt kos­tet gerade mal 0,30 Manat.
Straße nach Baku

Es ist kurz vor 23 Uhr als der Flug­ha­fen­bus mich an der Metro­sta­tion „28 Mai“ im Stadt­zen­trum aus­spuckt. Die Stra­ßen sind voll mit Men­schen. Ich merke schnell, hier tickt die Uhr anders. Ich che­cke im Hos­tel ein und werde gleich gefragt, ob ich noch eine Runde an der Pro­me­nade spa­zie­ren gehen möchte. Ich lehne dan­kend ab. In mei­nem Kopf schwir­ren die Gedan­ken. Manch­mal ist es ange­nehm, spon­tan unter­wegs zu sein, aber gerade eben will ich ein­fach zu viel von mir. Ich ver­su­che trotz der Zeit­ver­schie­bung etwas Schlaf zu fin­den und ver­tage die Ent­schei­dung zu mei­nen Plä­nen auf den nächs­ten Mor­gen. Und der fängt viel zu früh an. Ich früh­stü­cke schnell und erwi­sche einen frü­hen Bus nach Quba und in Quba dann ein Taxi in die Berge. Ich bin keine 24 Stun­den in Aser­bai­dschan und eigent­lich da, wo ich hin wollte – in den Ber­gen. So ein­sam wie es nur geht, in dem klei­nen Dorf Xınalıq am Ende der Straße.
Xınalıq in Aserbaidschan

Willkommen in den Bergen

Irgend­wie bin ich zu ein­fach hier gelan­det. Alles läuft zu glatt. Mein Taxi­fah­rer fin­det eine Unter­kunft für mich. Ich muss mich um nichts küm­mern. Ich werde von Necati emp­fan­gen. Er zeigt mir mein Zim­mer und da die Sonne noch hoch steht und ich es noch drei Stun­den zum Son­nen­un­ter­gang sind, erklärt er mir den Weg zu dem klei­nen Gip­fel über dem Dorf. Sein Hund beglei­tet mich und als wüsste er wohin ich möchte, läuft er vorne weg und zeigt mir den Weg. Ein sehr ange­neh­mer Weg­ge­nosse, der im Ort aber anschei­nend ungerne gese­hen wird. Kin­der wer­fen mit Stei­nen in seine Rich­tung. Er scheint es gelas­sen zu nehmen.

Ein ers­ter Aus­blick auf das „abge­le­gendste Dorf“ Euro­pas ergibt sich von der klei­nen Kuppe über dem Ort. Der Xınalıq selbst liegt am Ende der Asphalt­straße, die sich erst seit weni­gen Jah­ren hin­auf in die Berge schlän­gelt. Zuvor war der Ort auf über 2100 Metern nur über eine mise­ra­ble Schot­ter­piste erreich­bar. Die alten Stein­häu­ser sind schlicht gebaut, Tiere lau­fen durch die Stra­ßen und vor den Türen trock­nen schön säu­ber­lich gesta­pelt Mist­fla­den für die spä­tere Ver­wen­dung als Brenn­ma­te­rial. Die Gegend ist jetzt im Win­ter braun und karg. Im Som­mer blü­hen an den Berg­flan­ken ver­schie­denste Blu­men. Jetzt liegt etwas Schnee auf den Berggipfeln.

Berg Şahdağ

Bis unter die Wolken

Am nächs­ten Tag nehme ich mir einen Gip­fel­kamm nörd­lich vor und erkunde die Land­schaft. Wie­der dabei ist Neca­tis Hund. Ich folge der alten Straße und biege dann in Rich­tung Nor­den ab. Nach eini­gen Kilo­me­tern ver­läuft sich die Straße. Übrig blei­ben Hir­ten­pfade und weite Wie­sen. Ich folge einem klei­nen Tal­ein­schnitt immer wei­ter den Berg hin­auf und ver­su­che mich an die gro­ben Anwei­sun­gen von Rah­man, Neca­tis Vater, zu hal­ten. So ganz bin ich mir nicht sicher, wo der Weg wei­ter gehen soll. Das liegt auch ein wenig an den auf­zie­hen­den Wol­ken, die mir den Blick nach oben ver­sper­ren. Knapp unter den Wol­ken zieht ein eisi­ges Lüft­chen auf. Wei­ter geht es nicht. In die Wol­ken ohne wirk­li­chen Weg und ohne Aus­sicht auf eine Aus­sicht trete ich den Rück­weg an. Ich quere den Berg­hang und folge ein­fach nur mei­ner Laune den Berg hin­un­ter. Ver­lo­ren gehen kann ich nicht. Alle Wege füh­ren zurück ins Dorf. Es war­tet lei­der keine warme Dusche auf mich. Auf einen sol­chen Luxus muss ich lei­der ver­zich­ten. Dafür muss der Dorf­brun­nen vor Rah­mans Haus­tür für eine Kat­zen­wä­sche mit eis­kal­tem Was­ser her­hal­ten. Drin­nen war­tet dafür ein schö­ner hei­ßer Tee auf mich. Mehr brau­che ich nicht.
Blick über Xınalıq

Gefrohrene Wasserfälle

Als die Sonne am nächs­ten Mor­gen auf­geht, stehe ich vor einer Ent­schei­dung. Erst wollte Necati mich zu zwei Was­ser­fäl­len brin­gen, dann wurde er aber von sei­nem Vater zurück­ge­pfif­fen, da sich dort gerne Bären auf­hal­ten. Das ich dort alleine hin­ge­hen würde, würde es auch nicht bes­ser machen. Ich suche nach einer Alter­na­tive und werde fün­dig. Fast über­has­tet ver­ab­schiede ich mich von Rah­man und Necati und ein Freund von Rah­man fährt mich 20 Minu­ten in den Nach­bar­ort Qalay­xu­dat. Von dort aus wan­dere ich in Rich­tung Qrız. Der Wan­der­pfad führt mich ent­lang des Qudyal­çay-Can­yon und zum gefro­re­nen Was­ser­fall von Qrız.

Qudyalçay-Canyon in Aserbaidschan

Der schmale Weg führt zum Teil direkt am obe­ren Rand des Can­yons ent­lang und bie­tet wun­der­schöne Aus­bli­cke. Am Mor­gen hän­gen die Wol­ken noch in der engen Schlucht, legen sich aber bald für einen tie­fen Blick hinab zum Fluss. Ich bin schon den drit­ten Tag alleine. Bis auf ein zwei Hir­ten sehe ich kei­nen Men­schen. Obwohl es Win­ter ist, kann ich in der Sonne ohne Jacke lau­fen und nach den ers­ten Kilo­me­tern habe ich auch schon die größ­ten Höhen­un­ter­schiede des Weges über­wun­den und schlen­dere. Ich habe Zeit, wieso sollte ich het­zen. Es gibt kein Inter­net, keine Ter­mine und keine Ver­pflich­tun­gen. Es ist ein Tag der Tie­fen­ent­span­nung. Und den­noch, ich bin trotz lang­sa­men Schritts viel zu schnell unterwegs.

Wasserfall von Qrız

Gedanken auszappen

In Qrız frage ich mich zu Sey­fed­din durch. Er steht schon erwar­tungs­voll vor sei­nem Haus. Rah­man hat uns ver­mit­telt und alles orga­ni­siert. Wir ver­ste­hen uns sprach­lich über­haupt nicht. Ein­zig ein wenig rus­sisch aus dem Google Über­set­zer und ein paar abge­hackte Worte aus dem Off­line-Wör­ter­buch Aser­bai­dscha­nisch-Eng­lisch hel­fen über den Nach­mit­tag und Abend. Der Tisch wird zum Abend­brot reich gedeckt. Im Hin­ter­grund läuft der Fern­se­her. Zap­pen ist hier auch ange­kom­men und so wech­selt das Pro­gramm von Volks­mu­sik zu Musik und wie­der zurück. Ich ver­stehe kein Wort. Das ist mir aber auch mitt­ler­weile egal. Ich träume schon von mehr: mehr Ruhe, mehr Ber­gen und noch einen Tick mehr Aser­bai­dschan. Dafür dann in und um die Haupt­stadt Baku.

Essen in Qrız

Informationen zu meinen Wanderrouten

Die Wan­der­rou­ten habe ich bei Out­door­ac­tive ver­linkt. Hier sind auch alle wich­ti­gen Infor­ma­tio­nen, wie Anreise, Unter­kunft und emp­foh­le­nes Gepäck verlinkt.

Cate­go­riesAser­bai­dschan
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Dominik Mohr

Dominik folgt seinem Schatten durch die Welt. In einem minimalistischen und einfachen Reisestil wird man von ihm um die Welt geführt und einmal beschleunigt, geht es dann immer weiter. Meist geht die Tour an abgelegene Orte und bringt das tägliche Leben und die Hürden der Menschen näher.
Ausgefallene und teilweise auch ungewöhnliche Reiseziele rund um Afrika und den Nahen Osten stehen vereinzelten Reisezielen in den beliebten Gegenden entgegen und zeigen den Kontrast der Welten und der Natur.

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