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Es sind Folgen seltsamer Zufälle, improvisierte Situationen, spontane Planänderungen oder Unvorhersehbarkeiten, die uns auf Reisen zu den ganz besonderen Orten und den unvergesslichen Momenten des Lebens führen. Es sind oft verschlossene Türen oder geschlossene Grenzen, die uns neue Türen oder unbekannte Grenzen öffnen.
Ich erinnere mich an dunkle, kalte Wintertage in Deutschland, die geprägt waren von unseren Träumen, Plänen und Gedanken. Wir wollten gemeinsam gen Osten fahren, auf dem Landweg nach Indien. Ich erinnere mich an monatelange Vorbereitungen. Und ich erinnere mich an Situationen, die mich verzweifeln ließen. Ich erinnere mich, wie du mich beruhigt hast, wenn ich die Nerven verloren habe. Ich erinnere mich, wie du mir Mut gemacht hast, wenn ich Angst bekommen habe. Ich erinnere mich an unsere Freude darüber – oder unsere Furcht davor – bald nicht mehr Herr über unser Leben zu sein, die Kontrolle über unser Dasein abzugeben, uns von einer Reise ins Ungewisse treiben und gänzlich fremdbestimmen zu lassen.
Kurz nach Weihnachten. Unruhen in Belutschistan. Tote in Quetta. Unser Visum für den Iran in Arbeit, das Visum für Indien bereits im Pass. Ein Visum für Pakistan sollten wir aufgrund der Unruhen nicht bekommen. Keine Antworten auf unsere Mails. Keine besetzten Telefone auf der Botschaft in Frankfurt. Keine Reaktionen auf unsere schriftlichen Anträge. Wären wir besser organisiert gewesen, hätten wir den einzig richtigen Kontakt in Berlin finden können. Wir waren es nicht.
Egal. Es ist April. Wir fahren los. Vielleicht gibt es eine Möglichkeit, das fehlende Visum von unterwegs zu organisieren. Es gibt sie nicht. Nicht ohne unsere Zweitpässe, die sich jedoch auf dem Postweg zu deinem Freund in Dubai befinden. Dies allerdings ist eine andere Geschichte. Wir sollten also nicht nach Pakistan reisen. Inschallah. So soll es sein. Und so muss uns ein Schiff vom Süden des Irans nach Dubai bringen. Ein anderes – ein Größeres von dort nach Bombay. Dieses besagte Schiff fährt nur einmal im Monat. Im Iran rechnest du aus, dass wir das frühere Schiff nicht erreichen werden. Das Spätere erreicht Dubai erst im Oktober. Doch was tun in dieser Zeit? Das Bling-Bling-Shoppaholic-Plastic-Superlativ-Dubai interessiert uns nicht. Nicht für länger als einen Stopp Over. Und vor allem nicht im gnadenlos heißen Hochsommer. Du schaust mit mir auf unsere kleine zerknitterte Weltkarte und wir überlegen gemeinsam, wie und wo wir die Wochen bis zur Abfahrt des Cargo-Schiffs verbringen können. Schnell sind wir uns einig. Wir fahren in den Oman.
Mit einigen Hindernissen reisen wir außerplanmäßig doch voller Vorfreude über die Landesgrenze von den Vereinigten Arabischen Emiraten in das Sultanat Oman. Es ist September. Es ist unerträglich heiß. Und noch viel feuchter. Die glühende Luft flirrt vor unseren Augen. Du versuchst, deine schweißnasse Kleidung zu ignorieren. Ich trage nach wie vor ein leichtes Kopftuch. Im Gegensatz zum Iran ist es keine Pflicht, doch mein Bauchgefühl sagt mir, es sei angemessen. Nicht so in Muscat. Hier verbringen wir zunächst einige entspannte Tage um deinen Geburtstag zu feiern. Ich schenke dir eine Pause. Drei Tage ohne Entscheidungen. Drei Tage ohne zu schwitzen. Drei Tage ohne zu fahren. Drei Tage in einem Hotel. Drei Tage Aircondition. Deinen Geburtstag verbringen wir äußerst dekadent am Pool des Hotels. Lethargisch von der Hitze trinken wir das erste Glas Wein seit vielen Wochen. Am Abend lädst du mich zum Essen ein am Hafen. Ich genieße dich. Wir blicken auf die Yacht des Sultans. Und trinken mehr Wein.
Nach drei Tagen halten wir fest, dass wir all dies nicht brauchen. Es brennt unter unseren ungewohnt sauberen Fingernägeln. Wir müssen zurück in unseren Truck. Zurück auf die staubigen Straßen. Zurück auf den Weg ins Ungewisse. Wir verlassen Muscat Richtung Süden. Dort sei es nicht so feucht. Du fährst. Der starke heiße Wind bläst dir um die Ohren. Die sengende Hitze flirrt auf der wie mit dem Lineal gezogenen Straße.
Vor einigen Stunden haben wir die Hafenstadt Sur hinter uns gelassen. Du hältst am Straßenrand. Sagst, du möchtest ans Meer schauen. Jetzt. Hier. Du biegst ab und wir fahren in Richtung der hohen Dünen, hinter welchen wir das Meer vermuten. Die Sandpiste würden wir mit einem gewöhnlichen Auto nicht fahren. Wir sind dankbar für unseren Truck, der sich geschmeidig durch den tiefen heißen Sand gräbt. Wir fahren etwa eine halbe Stunde und dann erblicken wir ihn. Den Strand. Unseren Strand. Unsere Bucht. Wir werden uns gelbem Sand, türkisfarbenem Wasser und goldenen Klippen gewahr, einer ruinenartigen Fischerhütte aus Stein mit Netzen zum Trocknen.
Inmitten dieser Bucht, in einiger Entfernung der kleinen Hütte parkst du unser Haus am Meer. Ich öffne die Türen und Fenster. Ohne mit mir zu sprechen, weißt du was ich denke. Hier bleiben wir. Niemand zwingt uns, weiter zu fahren. Dieser Strand soll uns gehören. Zumindest borgen wir ihn uns für einige Tage aus. Etwa zehn Tage können wir völlig autark leben. Genug Trinkwasser im Truck. Genug zu essen. Genug Sonne für den Strom. Du und ich. Ich und du. Das Meer. Mehr brauchen wir nicht. Du baust unser Vorzelt auf. So bekommen wir Schatten und Schutz vor der gnadenlosen Sonne. Der Wind ist angenehm erfrischend.
Am Nachmittag gehen wir Hand in Hand zum Wasser. Du kühlst dich ab. Ich beobachte dich. Und freue mich über deine Verspieltheit in der Brandung. Deine Haare sind hell geworden in den letzten Monaten. Ich darf nicht ins Wasser. Noch nicht. Ein Sturz von der Leiter des Trucks in der arabischen Steinwüste, drei frisch genähte Wunden an meinen Beinen – auch dies eine andere Geschichte – lassen mich sehnsuchtsvoll auf die Wellen blicken. Du kommst aus der Brandung. Du packst mich und trägst mich vorsichtig ins Wasser. Meine Beine hoch gestreckt darf ich mich abkühlen im kristallklaren Ozean. Du trägst mich weit hinaus und tauchst mich unter. Nur die verbundenen Beine nicht. Ich habe meine Arme fest um deinen Hals verschränkt. Ich küsse deine Schulter und schmecke das Salz auf deiner warmen Haut. Ich verrate dir erst später, wie sehr ich dich liebe für diesen Moment.
Auf dem Weg zurück zum Truck entdecken wir große Spuren im Sand – und wir wissen beide genau, was diese für uns bedeuten. Du lächelst mich an. Wir haben eine Mission für diese Nacht!
Am Abend setzen wir uns in den Sonnenuntergang und beobachten eine Horde Delphine die wie choreographiert vor unseren Augen schwimmt. Es ist fast ein wenig zu kitschig. Ich koche, wir essen. Wein kann man nicht kaufen im Oman, doch nach unserer Abstinenz im Iran fehlt uns nichts. Wir teilen unsere letzte Dose Cola wie den kostbarsten Rotwein – und sind glücklich.
Als es dunkel wird, starten wir unsere Mission für diese Nacht. Wie Prinz und Prinzessin krönen uns mit Stirnlampen und laufen erneut zum Strand hinunter. Du hältst meine Hand. Wir verfolgen die bulldozerartigen Spuren, schleichen leise und vorsichtig durch den noch immer warmen Sand. Es ist stockfinster aber warm. Der Mond wird bald aufgehen.
In Ras-al-Had haben wir gelernt, wie man Riesenschildkröten beobachtet, ohne sie zu stören. Da! In gleichmäßigem Rhythmus wird Sand durch die Luft geschleudert. Wir nähern uns langsam, halten den Atem an und erblicken die riesige Green Turtle. Wir beleuchten sie nur von hinten und beobachten aufgeregt das Bemühen des Panzertiers. Baut sie ein echtes Nest? Oder nur ein Täuschungsnest, um die Feinde der kostbaren Eier zu irritieren? Das arme schwere Tier bei seinen Bemühungen zu beobachten, bringt uns an unsere Schmerzgrenze. Die Bewegungen scheinen ihm schwer zu fallen. Man möchte ihm helfen. Doch nichts da. Du umschlingst mich von hinten und wir staunen gebannt. Es soll nur ein Täsuchungsnest werden!
Wir gehen weiter und entdecken viele weitere der großen Schildkröten. Da! Diese baut eine andere Form, ein wirkliches Nest? Wir beobachten ehrfürchtig und werden damit belohnt, die stolze Mutter beim Legen von hunderten von Eiern zu beobachten. Mit dir allein an diesem Strand in der finsteren Nacht dieses gigantische Naturschauspiel erlebend beginne ich zu weinen. Du lässt mich. Und hältst mich noch fester. Nach gefühlten Stunden stapfen wir erschöpft die Böschung hinauf zurück zu unserem Truck, der den sternenklaren Strand bewacht. Selig schlafen wir ein.
Am Morgen schlafen wir lange und frühstücken spät. Wir bekommen Besuch. Ein paar Kinder des Dorfes schauen nach dem Rechten. Die etwa Zehnjährigen sind neugierig, äußerst freundlich, zwar etwas schüchtern aber lassen sich nach anfänglicher Zurückhaltung unseren Truck zeigen. Die Augen sind groß, die Verwunderung noch größer. Wir können uns zwar kaum unterhalten, doch die Jungs unterhalten uns den gesamten Nachmittag prächtig. Als großer, blonder Mann stehst du im Mittelpunkt der Kinder. Sie haben unglaublich viel Spaß mit dir. Ergriffen und voller Liebe beobachte ich dich, wie du mit ihnen im Sand tobst. Die Jungen kommen uns von nun an jeden Tag besuchen. Sie gehören an diesen Strand. Der Strand gehört ihnen. Irgendwann werden sie stolze Fischer sein, so wie ihre Väter.
Auch diese schauen am Nachmittag vorbei. Sie reichen uns frisch gefangenen Thunfisch. Ein Geschenk. Und sie gehen wieder. Die Omanis sind ein unglaublich herzliches, unbeschwertes Volk. Der Sultan ist gut zu ihnen. Ich bringe Tee an ihre Hütte, an der sie ihre Netze flicken. Und am Abend sind wieder alle verschwunden. Ich nehme den Fisch aus und brate ihn an unserer Außenküche, backe Brot. Du liest und schreibst. Gemeinsam genießen wir das Festmahl im Sonnenuntergang.
Ich frage dich, ob wir diese Tage jemals erlebt hätten, wären nicht unheimlich viele Dinge passiert, die wir nicht geplant hatten. Wo sind wir? Wann sind wir? Wir sind hier. Und wir sind jetzt. Wir sind eins. Du mit dir. Ich mit mir. Wir mit uns. Wir mit dem Strand. Wir spüren das Sein. Das Sein, das nach nichts verlangt. Das Sein, das nicht mit Gewesenem vergleicht. Das Sein, das sich nicht nach Besserem sehnt. Das Sein, was nicht verändert werden muss. Das Sein wie man es nicht entwerfen kann. Das Sein was einfach da … und gut ist.
Am nächsten Morgen frage ich mich beim Blick aufs Meer dennoch, ob wir diese unvergessliche Leichtigkeit des Seins auch an einem anderen Ort erleben werden. Doch dann entdecke ich Spuren im Sand und verschiebe diese Frage auf morgen. Für heute Nacht haben wir eine Mission.
Antworten
Vielen Dank für den wunderbaren Artikel!
Euer Blog ist eine große Inspiration!LG Margarete
Danke, Margarete!
Solch schöne Kommentare sind die beste Motivation um Geschichten zu schreiben!
Sonne satt!
Hallo Jennifer und Peter,
eure Berichte sind echt fesselnd und dieser Blog lässt mich seit Tagen schon nicht mehr los.
Ich plane auch für Mitte 2015 und 2016 mehrere Reisen in den Nahen Osten.
Findet ihr die Situation dort unten zur Zeit gefährlich? Seid ihr nur mit Gruppen oder auch alleine unterwegs? Auf was sollte man eurer Meinung nach im Nahen Osten achten?Viele Grüße aus Frankreich
Hallo Rafael,
verzeih die späte Antwort. Das ist irgendwie untergegangen.
Der Oman ist extrem sicher, da würde ich mir keine Sorgen machen. Auch der Iran ist total sicher für Touristen. Natürlich muss man immer wieder auf aktuelle Nachrichten achten, aber vieles ist nicht so wie es in den Medien geschildert wird. Gerade die Berichterstattung über den Iran ist immer wieder völlig abstrus.
Wir reisen immer alleine.
Ich würde immer mal die Sicherheitswarnungen des Auswärtigen Amtes lesen … aber auch dort nicht vor allen Warnungen in Panik ausbrechen. In den muslimischen Ländern wirst du erst einmal von der unglaublichen Gastfreundschaft überwältigt sein und dich einfach mitreissen lassen.
Herzliche Grüße, Jen und Peter
Wunderbar!
Danke, Moe!
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