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Diese Geschichte ist für meinem lieben Opa Herbert
Salento, Kolumbien, an einem bewölkten Tag meines Sabbaticals,
Ich bin auf Empfehlung hier. Zwei US-Amerikanerinnen meinten, dass man in Salento besonders schön reiten kann. Auch ohne Vorkenntnisse. Mein kolumbianischer Guide hat mich auf das Pferd gesetzt, mir kurz erklärt, wie man bremst und Gas gibt. Das war’s. Ich sitze etwas skeptisch auf dem weißen Hengst. „Er ist ein gutes Tier“, meint mein Guide. Während man in Deutschland vor dem ersten Ausritt ein paar Reitstunden bekommt, kann man in Südamerika direkt loslegen. Das Pferd muss nur gut sein. Wir warten noch auf zwei Holländerinnen. Wendy und ihre Freundin. (Sie heißt tatsächlich Wendy) Auch für die beiden ist es das erste Mal auf einem Pferd. Wir traben langsam los. Da hat der Guide noch einen Hinweis für uns: Wir sollen ein bisschen vorsichtig sein. Letzte Nacht hat es geregnet. Und unser Weg führt uns ein paar schlammige Hänge hinab. Außerdem könnte es wieder regnen. Über uns ziehen gerade dunkle Wolken auf. Mein Herz pocht. Ein ängstliches Gefühl versucht sich auszubreiten.
Auf einem weißen kolumbianischen Pferd in Salento, Kolumbien
Etwas Neues nach der großen Reise
Chemnitz, im Frühjahr nach meinem Sabbatical,
Ich bin mit meinen Eltern und meiner Schwester spazieren. „Willst du vielleicht das Auto von Opa übernehmen?“ fragt die Mutti. „Der Opa kann ja nicht mehr fahren und der Onkel will sich ein neues kaufen.“ Ich bin irritiert. Wozu brauche ich denn ein Auto? Ich lebe in Berlin. Eh ich da einen Parkplatz finde, bin ich doch schon fünfmal mit der Ringbahn um die ganze Stadt gekreist. „Ich fand immer, dass du Talent zum Auto fahren hast. Du kommst da von uns allen am meisten nach dem Vati.“ Ich? Talent zum Auto fahren? Und das nach der Sache, die damals passiert ist? Aber OK. Irgendwie ist mir nach dem Ende der Reise sowieso gerade alles egal. Und es kann ja nicht schaden, mal wieder etwas neues auszuprobieren.
Chemnitz, Im April nach dem Sabbatical,
„Nicht so weit rechts!“ Wir üben mit Vatis Auto. Es ist schon eine ganze Weile her, dass ich das letzte Mal gefahren bin. „Schalten!“ Im Urlaub in Kalifornien. Mit diesem Automatik-Auto, welches ich dann versehentlich in die Leitplanke gesteuert habe. „Wir fahren 50. Und nicht mehr!“ Das Eltern mit ihren Kindern immer in diese Top-Down-Kommunikation verfallen müssen. „Gas geben, wenn du den Berg hochkommen willst! Nicht träumen!“ Na gut. Er will mir ja was beibringen. „Vorne rechts abbiegen!“ „BLINKEN!“
Bei meinem Opa, im Mai nach dem Sabbatical,
Heute ist es nun soweit. Die harten Trainingsstunden mit dem Vati liegen hinter mir und auch der bürokratische Teil ist geschafft. Opa schenkt mir heute seinen silbernen Opel Astra. Das Unterschreiben auf der Schenkungsurkunde war ein wenig zittrig. Er ist jetzt 90 Jahre alt. Körperlich nicht mehr ganz so fit, aber geistig gut dabei. Schon komisch, dass irgendwann mal eine Zeit kommt, in der man Dinge aufgibt, die man nicht wieder anfangen wird. Der Opa hat noch ein paar wichtige Tipps. Einen setze ich sofort in die Tat um: Ich habe jetzt immer einen Hammer im Auto. Falls ich irgendwann mal ungewollt in einen See stürzen sollte, bin ich jedenfalls sicher. Der Opa stammt aus der Generation, die den zweiten Weltkrieg überlebt hat. Der weiß was er tut.
Berlin, an einem Sommertag nach dem Sabbatical,
Ich habe mir extra einen halben Tag frei genommen, um in Ruhe nach Chemnitz fahren zu können. Der Berliner Stadtverkehr ist Freitag Mittag nicht zu unterschätzen. Heute Abend spielt Deutschland im Viertelfinale der WM gegen ?. Egal! Hauptsache wir werden Weltmeister! „Huuuup!“ Ups. Ich hätte beinahe jemandem die Vorfahrt genommen. Aber alles ist gut gegangen. Ich bin leicht nervös. Heute ist meine erste Fahrt allein auf der Autobahn. Mein Herz pocht. Ein ängstliches Gefühl versucht sich auszubreiten.
Flashback
im Jahr 2000 in Chemnitz,
Ich bin auf der Heimfahrt von der Schule nach Hause. Seit ein paar Wochen habe ich meinen Führerschein und mein erstes eigenes Auto. Als ich in unsere Wohnsiedlung hineinfahre, bin ich in Gedanken mit dem halben Kopf noch in der Schule. Hier ist eine 30er-Zone. Ich will rechts abbiegen. In die kleine Straße mit den Parkplätzen. Es ist eng hier. Da schießt ein hektische Pizza-Lieferantin mit ihrem Auto aus der kleinen Straße. Sie sieht mich nicht. Ich bremse. Ihr Kopf blickt immer noch nach rechts. Sie will Vorfahrt beachten. Ihr Kopf dreht sich nach vorn. Und so können wir uns anschauen, als sie frontal in mein Auto hineinfährt.
Verletzt ist keiner. Da die Rechtslage strittig ist, wird später Teilschuld erklärt und jeder bleibt auf seinen Kosten sitzen. Die Reparatur lohnt sich nicht. Nach diesem Unfall werde ich in Deutschland nicht mehr wirklich Auto fahren.
Über Angst
Angst ist wichtig! Sie hilft uns mögliche Gefahren zu erkennen. Sie sorgt dafür, dass wir aufmerksam und vorsichtig bleiben. Doch sie darf niemals zu groß werden. Und wenn sie anfängt uns einzuschränken, müssen wir uns von ihr befreien. Dann braucht es Mut.
Nur ein kleines bisschen Mut
In Salento, an diesem bewölkten Tag meines Sabbaticals
Es regnet in Strömen. Wendy, ihre fröhliche Freundin und ich haben dicke Ponchos um. Wir sind trotzdem nass bis auf die Haut. Ein kleines bisschen ist mein Hengst geschlittert, als wir den Hang hinunter mussten. Aber er hat es mit seinen vier Beinen sehr gut gemeistert. Mein ängstliches Gefühl ist einer Neugier gewichen. Vor uns liegt ein weites Feld. Ich lasse die Zügel etwas lockerer. Mein weißer Hengst galoppiert los. Ich spüre ein glückliches Gefühl. Ich bin frei.
Auf der Autobahn A4, an diesem Sommertag nach dem Sabbatical
Ich habe die Musik etwas lauter gedreht und singe mit. Mir egal, was die in den anderen Autos denken. Gleich fahre ich an der ehrwürdigen Landeshauptstadt Dresden vorbei. Vor mir öffnet sich das malerische Elbtal. Ich spüre ein glückliches Gefühl. Ich bin frei.
Freiheit ist die Belohnung für Mut!
Dein Gregório Jones
Wendys fröhliche Freundin versucht ihre jugendlichen Stute zu bändigen
Das Pferd war an diesem Regentag in Salento das überlegene Verkehrsmittel
Nass bis aufs Fell – mein edler kolumbianischer Schimmel
P.S: Herzlichen Dank noch mal an den lieben Opa für das gut trainierte Silberpferd! Es kommt halt doch immer auf das Pferd an 😉
Antworten
Toll geschrieben, Gregório! Dieser Text mit seinen Gedankensprüngen und Brüchen…selten, dass ich so was lese in all den vielen Blogs. Bitte mehr davon!
Deine Erfahrungen mit dem Reiten erinnern mich an meinen 3.Ausritt im Leben. Sei froh, dass Du keinen Aufsichtsdrachen neben Dir hattest, so wie ich in Kirgistan, der ich zu langsam war und die meinem Pferd ungefragt immer wieder mit der Peitsche eins überzog. Deshalb war die Belohnung meines Mutes leider nicht das Freiheitsgefühl, von dem Du schreibst. Immerhin bin ich heil zurück gekommen…Danke fürs Kompliment. Tatsächlich war mein zweiter Ausritt in Brasilien auch nicht so erfüllt vom Freiheitsgefühl. Weder bei mir, noch bei meinem lahmenden, kurz vor der Pension stehenden Wallach. Es kommt halt wirklich immer auf das Pferd an 🙂
Das ist ein sehr spannender Bericht über Freiheit und Angst. Ich kenne das Gefühl gut und finde es besonders schön und irgendwie berauschend, wenn man seine Angst überwindet. Dieser Moment, wenn man plötzlich merkt, dass man eher neugierig als ängstlich ist. Wunderbar. 🙂
Liebe Grüße aus Brixen SüdtirolHola Danielle, danke dir fürs Lesen und fürs Mutigsein auch zu kommentieren. 🙂 Liebe Grüße zurück aus Berlin
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