7 Milliarden Freunde

Mein ganz per­sön­li­cher Appell gegen die Angst vor »Frem­den« vom Janu­ar 2015. Mit unver­än­der­ter Aktua­li­tät.

Das Bes­te am Rei­sen waren für mich immer die Leu­te. Klar, die Natur ist ver­dammt schön anzu­schau­en, Muse­en bil­den uns mit leer­rei­chen Text­ta­feln, und an einem Traum­strand mit Pal­men erholt es sich sehr ange­nehm. Für mich ist ein Urlaub aber erst dann rich­tig gut, wenn ich einem Ein­hei­mi­schen begeg­ne, der mich in sein Lieb­lings­lo­kal mit­nimmt, um mit mir bis in die Mor­gen­stun­den über sei­ne und mei­ne Wel­ten zu phi­lo­so­phie­ren. Um schließ­lich immer wie­der zu erken­nen, dass die­se Wel­ten trotz ganz ande­rer Far­ben, bei den wirk­lich wich­ti­gen Fra­gen gar nicht so unter­schied­lich sind.

In 6 Mona­ten Süd­ame­ri­ka hat­te ich viel Zeit für sol­che Begeg­nun­gen.

Darf ich prä­sen­tie­ren:

Mei­ne Freun­de aus Süd­ame­ri­ka

patricia

Die Halb-Kolum­bia­ne­rin-Halb-Deut­sche Patri­cia nimmt mich bei ihrer Fami­lie im Blu­men­pa­ra­dies auf, nimmt mir die Angst vorm Spa­nisch spre­chen … und lehrt mich, dass man sei­ne Wert­sa­chen nie­mals im gepark­ten Auto las­sen soll­te.

 

miguel

Der schö­ne Miguel zeigt mir sein Bogo­tá. Er moti­viert mich beim Kung Fu Trai­ning an der Uni mit­zu­ma­chen und ver­rät mir den bes­ten Trick um nicht über­fal­len zu wer­den.

 

madeluz

Made­luz wird mich im »Plam­tree-Hos­tel« drei Wochen mit ihrem Lächeln ver­zau­bern. Und sie wird mir einen magi­schen  Stein kolum­bia­ni­scher Urein­woh­ner schen­ken, damit ich auf der Rei­se immer sicher bin.

 

daniel

Dani­el heißt mich als ein­zi­gen wei­ßen Tou­rist in dem ver­träum­ten Dorf an der kolum­bia­ni­schen Pazi­fik­küs­te herz­lich will­kom­men. Er zeigt mir, wie man mit blo­ßen Hän­den klei­ne Kreb­se fängt und erklärt mir was Koka­da ist.

 

juan

Ich tref­fe Juan auf den Gala­pa­gos-Inseln, wo er mir zei­gen wird, dass man die Wun­der der Welt auch auf eige­ne Faust erkun­den kann. Und dass man nicht jeden Moment zwang­haft im Foto fest­hal­ten muss.

 

Nathali

Voll­blut-Bra­si­lia­ne­rin Eliza­beth (2.v.l.) wird  Natha­li und mich über Sil­ves­ter in Rio beher­ber­gen. So herz­lich, dass ich noch einen gan­zen Monat län­ger blei­be und viel über Rio, die Abwas­ser-Pro­ble­ma­tik am Traum­strand Ipan­e­ma, töd­li­che Gul­li-Deckel und ihre ganz gro­ße Lei­den­schaft – das Meer – ler­ne. Noch heu­te schickt sie mir fast täg­lich Land­schafts­auf­nah­men von Rio per Face­book. Sie will, dass wir zurück­kom­men. Und irgend­wann wird sie damit Erfolg haben.

 

niko

Der deut­sche Aus­wan­de­rer Niko wird mich in Bue­nos Aires auf­neh­men, mir einen Par­ty­plan erstel­len, eine Rei­se nach Pata­go­ni­en orga­ni­sie­ren und an Weih­nach­ten für mich, Natha­li und sei­nen jüdi­schen Part­ner David ein Weih­nachts­es­sen zube­rei­ten.

 

islam

Sie kommt aus Vene­zue­la. Er aus Däne­mark. In Bue­nos Aires hat das mus­li­mi­sche Paar gemein­sam eine Saft­bar eröff­net. Er hat ein anste­ckend fröh­li­ches Lächeln, was er aller­dings gera­de auf Fotos nicht zeigt, weil er die­se Kor­rek­tur­span­ge tra­gen muss. Die bei­den erklä­ren mir, dass sich nach ihrer Inter­pre­ta­ti­on des Korans nur ver­hei­ra­te­te Män­ner und Frau­en die Hand geben dür­fen. Außer­dem erfah­re ich, wo es am Mon­tag Abend Rabatt auf lecke­res argen­ti­ni­sches Eis gibt und wor­auf es bei frisch­ge­press­ten Frucht­säf­ten ankommt.

 

Eine beson­de­re Begeg­nung in Ber­lin Neu­kölln

Ich könn­te noch ein Wei­le durch mei­nen Foto-Ord­ner kli­cken und mit mei­nen Begeg­nun­gen prah­len. Aber ich woll­te noch etwas ande­res erzäh­len. Etwas Wich­ti­ges:

An einem Som­mer­abend im Jahr 2008 in Ber­lin-Neu­kölln,
Ich lau­fe mit mei­ner lie­ben Freun­din Lot­ta durch die leer­ge­feg­ten Stra­ßen. Im Fern­se­hen läuft die Fuß­ball-Euro­pa­meis­ter­schaft. Tür­kei gegen Kroa­ti­en. Der Sie­ger trifft im Halb-Fina­le auf Deutsch­land.  Die­ses Jahr wer­den wir bestimmt Euro­pa­meis­ter. Eigent­lich wäre es schon wit­zig das Spiel hier irgend­wo zu gucken. An der Ecke gibt es ein Lokal mit Fern­se­her. Wir gehen hin­ein. In der nächs­ten Sekun­de über­le­gen wir direkt wie­der raus­zu­ge­hen. Wir sind ver­se­hent­lich in einer Bar für deutsch-tür­ki­sche Män­ner gelan­det. Nicht der rich­ti­ge Ort für eine klei­ne, offen­sicht­lich deut­sche Frau und einen schwu­len, offen­sicht­lich deut­schen Mann.

Der Wirt bringt uns zwei Stüh­le. Wir blei­ben. Die Anwe­sen­den  wer­fen uns aus siche­rer Distanz leicht beun­ru­hig­te Bli­cke zu. Aber das Spiel ist noch span­nen­der als wir. Ver­län­ge­rung. Die 119. Minu­te läuft. Da schießt Kroa­ti­en ein Tor. Lot­ta und ich flu­chen. Genau wie die Män­ner in der Bar. Einer schnappt sich sei­ne Jacke und will gehen. Sein Gesicht hat bereits resi­gniert. Doch das Spiel ist noch nicht vor­bei. Noch ein Tor fällt. Der Aus­gleich! In der 120. Minu­te. „Tür­ki­ye!!!“ schrei­en die klei­ne Frau und der schwu­le Mann gemein­sam mit allen ande­ren in die­sem Raum. Und in die­sem Jubel zer­fällt auch die Distanz, die uns anfangs trenn­te. Elf­me­ter­schie­ßen. Jeder in die­sem Raum will dass die Tür­kei siegt. 0:0, 1:0, 1:1, 2:1 … Und schließ­lich das erlö­sen­de 3:1 für die Tür­kei. Der Jubel kennt jetzt kei­ne Gren­zen mehr. Wir blei­ben noch ein biss­chen und wün­schen uns gegen­sei­tig, mit Freu­de in den Augen, ein gutes Halb­fi­na­le. Deutsch­land hat eine gute Mann­schaft, sagen die Män­ner mit Respekt. Ich erin­ne­re, dass an die­sem Ber­li­ner Som­mer­abend jeder gelä­chelt hat.

Ist es nicht irgend­wie komisch, dass man sol­che sol­che Erleb­nis­se sonst eher im Urlaub oder auf Rei­sen hat?

7 Mil­li­ar­den Freun­de

Ich glau­be, dass man sich mit den meis­ten Men­schen die­ser Erde mal auf ein gepfleg­tes Bier­chen stil­les Was­ser tref­fen könn­te, und dabei irgend­et­was Schö­nes ent­de­cken wür­de. Man muss ja nicht gleich mit jedem eine tief gehen­de Face­book-Freund­schaft begin­nen. Das könn­te mit Geburts­tags­grü­ßen und dem Liken von Sta­tus­mel­dun­gen auch etwas stres­sig wer­den. Und ja! Es gibt auch kom­plet­te Voll­idio­ten, vor denen wir uns in Acht neh­men müs­sen. Aber ich will ein­fach glau­ben, dass so häss­lich unse­re Abgrün­de auch sind, die schö­nen Sei­ten in der über­wäl­ti­gen­den Mehr­heit von uns doch über­wie­gen.

Wäre ein Welt mit 7 Mil­li­ar­den Freun­den nicht etwas Herr­li­ches? Oder ist das viel­leicht die gut­mensch­lich dümms­te und naivs­te Ant­wort auf die gro­ßen Fra­gen unse­rer Zeit?

Schließ­lich gibt es da ja auch noch unse­ren ver­trau­tes­ten, liebs­ten und ältes­ten Freund: Unse­re Angst.

Unser Freund die Angst

Die Angst vor Men­schen, die wir nicht ken­nen und nicht ver­ste­hen. Die Angst an einen Frem­den etwas abge­ben zu müs­sen, was uns wich­tig ist. Die Angst von einem Frem­den hin­ter­gan­gen oder gar beraubt zu wer­den.

Es gibt Men­schen, die haben so viel von die­ser Angst, dass sie die­se jeden Mon­tag in die Welt hin­aus schrei­en. Ihr Name ist schlau gewählt. Er belei­digt die­je­ni­gen, vor denen sie Angst haben, so effek­tiv, dass sie mit denen kei­ne Gesprä­che mehr befürch­ten müs­sen. Sie schrei­en. Ganz laut. Damit die Poli­tik end­lich auf­wacht und was tut. Nur so wird sich schließ­lich etwas ändern.

Aber ist Angst wirk­lich die bes­te Ant­wort, die uns ein­fällt?

Und was ist eigent­lich die Fra­ge?

„Was macht jetzt die Poli­tik?“ hört man es immer wie­der rufen. Aber ist das wirk­lich die wich­tigs­te Fra­ge? Wenn die Pro­ble­me so groß sind. Und wenn die Fra­ge, wo es mit unse­rer Gesell­schaft hin­geht, uns doch so wich­tig ist. Soll­ten wir dann nicht zumin­dest ver­su­chen sie zu beant­wor­ten? Statt zu schimp­fen, dass ande­re es nicht für uns tun. Sind wir wirk­lich so abhän­gig, so schwach, dass wir immer jeman­den brau­chen, der für uns spricht?

Aber auch das ist noch nicht die rich­ti­ge Fra­ge.

Das ist die rich­ti­ge:

Kann Ich mit Dir spre­chen?

Je suis Gré­go­i­re. Ich bin ein Träu­mer. Und wer bist Du?

Erschienen am



Antworten

  1. Avatar von M
    M

    Naiv. Unglaub­lich naiv.

    Das allein wäre genug, schlimm wird es, wenn Ande­re, Unbe­tei­lig­te die­se eige­ne Nai­vi­tät, das Dahin­schmel­zen vor dem eige­nen Gut­men­schen­tum, mit ihrer Gesund­heit oder dem Leben bezah­len müs­sen.

    7 Mil­li­ar­den Freun­de? WTF?

  2. […] wäre es, wenn Du 7 Mil­li­ar­den Freun­de hät­test? Nach­dem ich die­sen Arti­kel auf Rei­se­de­pe­schen gele­sen habe, habe ich die Men­schen erst ein­mal aus einem ganz neu­en […]

  3. Avatar von Dani

    Wow, was für ein tol­ler Post! Ich stim­me dir abso­lut zu, dass Angst nicht die rich­ti­ge Ant­wort sein kann. Und Ableh­nung schon mal gar nicht. Die meis­ten Men­schen, die zu uns kom­men, weil sie Hil­fe suchen, sind sicher­lich kei­ne schlech­ten Men­schen. Und das Frem­de kann ja auch durch­aus sehr berei­chernd sein, wenn man es zulässt. 🙂
    Lg aus dem fer­nen frem­den Defer­eg­gen­tal Ost­ti­rol 😉

  4. Avatar von kofferpacken.at via Facebook

    »Die gefähr­lichs­te aller Welt­an­schau­un­gen ist die der Leu­te, wel­che die Welt nie ange­schaut haben.« (Alex­an­der von Hum­boldt)

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