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Der ein­zige weiße Tourist

Der Sand an der kolum­bia­ni­schen Pazi­fik­küste ist dun­kel. Die Haut der Men­schen hier auch. Afro­ko­lum­bia­ner ist der kor­rekte Begriff für die Ein­hei­mi­schen. Eine Gruppe Dorf­jungs spielt am ande­ren Ende des Stran­des Fuß­ball. So weit von mir ent­fernt, dass das Mee­res­rau­schen die Spiel­ge­räu­sche über­tönt. Vor ein paar Jah­ren war das hier eine Region, die für den Kokain-Han­del wich­tig war, wes­we­gen Tou­ris­mus hier nicht mög­lich war. Inzwi­schen ist die Sicher­heits­lage sta­bil und fast alle Regio­nen die­ser ande­ren kolum­bia­ni­schen Küste sind jetzt ber­eis­bar. Auch die gän­gi­gen Rei­se­füh­rer haben sich der idyl­li­schen Küste geöff­net. La Barra, das Dorf in dem ich mich gerade befinde, hat es noch nicht in mei­nen Rei­se­füh­rer geschafft. Ich bin an die­sem Novem­ber­tag tat­säch­lich der ein­zige weiße Tou­rist in die­sem Dorf. Und obwohl die Kulisse male­risch ist,  fühle ich mich doch ein klei­nes biss­chen ein­sam.  Keine fünf Minu­ten spä­ter wird ein klei­ner Junge erschei­nen und mir mit schel­mi­gem Blick: „Koka..“ anbieten.

Doch wie bin ich über­haupt hier­her gekom­men? Ich will mal zur Abwechs­lung von vorn beginnen.

2 Tage vor­her, in einem Fisch­re­stau­rant in Cali.
Es gibt Mee­res­früchte mit … Kokos­soße. Die ganz große Por­tion. „Lecker!“ Dass ich die­ses Adjek­tiv mal im Zusam­men­hang mit typi­schem kolum­bia­ni­schen Essen sagen würde, hätte ich auch nicht mehr geglaubt. Die raf­fi­nier­ten deut­schen Soßen sind genau das, was mir hier am meis­ten fehlt. Aber diese Kokos­soße ist der Hit. Caro, die Freun­din einer Freun­din, hat mich in die­ses Fisch­re­stau­rant mit­ge­nom­men. Cale­ñas hei­ßen die Frauen aus Cali und Caro ist eine wasch­echte Caleña.  „Genau so schmeckt das Essen an der Küste“, sagt sie. Wirk­lich? Damit gibt es nun keine Zwei­fel mehr, dass ich an die an die kolum­bia­ni­sche Pazi­fik­küste fah­ren werde. Eine Fein­schme­cker­reise wird das.

Auf dem Weg zur ande­ren kolum­bia­ni­schen Küste

vor 10 Stun­den, am Bus­bahn­hof in Cali,
Ich soll früh auf­ste­hen, damit ich die erste Fähre von Buen­a­ven­tura neh­men kann. Das Meer ist um die Zeit noch ruhig und da mir auf Boo­ten schnell schlecht wird, ist das viel­leicht nicht ver­kehrt. Aber 4:30 auf­ste­hen war schon hart. Jetzt schnell noch Geld abhe­ben. In Kolum­bien erin­nert Geld abhe­ben ein biss­chen an das Zocken an einer Slot-Maschine in Las Vegas. Man muss schnell sein, ver­steht die Regeln nicht wirk­lich und oft geht man leer aus. Immer­hin 300 Pesos (ca. 100 €) erspiele ich. Das muss für die Reise rei­chen. Im Zwei­fel zahle ich halt mit Karte.

vor 6 Stun­den, am Boots­steg in Buenaventura
Ich hätte mal am Bus­bahn­hof noch was essen sol­len. Von den Kokos­kü­gel­chen, die mir die Frau mit den ste­chen­den kaf­fee­brau­nen Augen ver­kauft hat, werde ich bestimmt nicht satt. Sonst habe ich aber alles wie beschrie­ben gemacht. Habe auch einen 5‑Li­ter-Kanis­ter Was­ser und ein paar Kekse gekauft. Caro­lina war so lieb mir einen Zet­tel mit ein paar wich­ti­gen Infos zu schrei­ben: Anrei­se­weg, Sehens­wür­dig­kei­ten, Hos­tel-Adresse und kuli­na­ri­sche High­lights. Alles was sonst der Rei­se­füh­rer leis­ten muss.

vor 5 Stun­den, im Boot
Das soll Was­ser unter uns sein? Es fühlt sich so an, als würde das Boot gerade ver­su­chen einen Zement­weg zu über­que­ren. Zum Glück hab ich meine Rei­se­ta­blet­ten genom­men. Ärger­lich, dass mir die Kokos­ku­geln beim letz­ten Auf­schla­gen des Boo­tes aus der Tasche gekul­lert sind. Und ärger­lich, dass diese Boots­faht so teuer war. Ich werde halt das Hos­tel mit Karte bezahlen.

vor vier­ein­halb Stun­den, in Juanchaco
„Du kannst dir mit uns ein Taxi tei­len oder den Bus nach Ladril­le­ros neh­men,“ das freund­li­che Pär­chen aus Bogotá zeigt auf einen Trak­tor, der hier als Bus genutzt wird und in unre­gel­mä­ßi­gen Abstän­den die bei­den Dör­fer ver­bin­det. Die Wahl fällt mir leicht und so fah­ren wir kurz dar­auf über die Sand­stra­ßen nach Ladrilleros.

vor vier­e­invier­tel Stun­den, zwi­schen Ladril­le­ros und La Barra, auf einem Motorrad,
Platsch! Es ist das zweite Mal, dass ich von dem Moto­taxi abstei­gen musste. Und das dritte Mal, dass ich mit vol­lem Gepäck und die­sem lei­di­gen 5 Liter-Kanis­ter auf der schlam­mi­gen Straße aus­ge­rutscht bin. Caro­li­nas Zet­tel hatte mich dar­auf hin­ge­wie­sen, dass zwi­schen Ladril­le­ros und La Barra nur Motor­rä­der fah­ren. Wenn man den Weg so anschaut, ist auch klar warum. Dass ich dafür viel­leicht meine Wan­der­schuhe mit Pro­fil hätte anzie­hen sol­len, stand lei­der nicht auf mei­nem Zettel.

la-barra-schlamm

vor drei­ein­halb Stun­den in La Barra
Das war hef­tig. Nach die­ser Anreise ist mir auch klar, warum mein Rei­se­füh­rer die­sen Ort nicht lis­tet. Yolanda emp­fängt mich herz­lich. Sie ver­sucht zu igno­rie­ren, dass ich von oben bis unten mit viel­far­bi­gem Schlamm besu­delt bin. Yolanda ist eine Freun­din einer Freun­din von Caro­lina. Die Joga-Con­nec­tion. Sie ist auch Caleña und ver­mie­tet hier seit eini­gen Jah­ren ein Feri­en­haus. Das Haus ist für sechs Leute aus­ge­legt. Da aber gerade der Diens­tag nach dem Brü­cken­tag (in Kolum­bien wer­den alle Fei­er­tage pau­schal auf einen Mon­tag gelegt, damit die Leute auch wirk­lich frei haben) ist, bin ich gerade der ein­zige Gast. Und da ich eben ein Freund einer Freun­din einer Freun­din bin, bekomme ich einen Wahn­sinns­preis. Nur mit Karte bezah­len kann man lei­der nicht. Der ein­zige Geld­au­to­mat steht in Juanchaco.

vor einer hal­ben Stunde, auf mei­ner Veranda,
So aus­ge­schla­fen, sieht die Welt doch ganz anders aus. Auf mei­ner Veranda gibt es eine Hän­ge­matte zum Ent­span­nen. Vor mei­nem Haus ist ein klei­ner Sand­weg – die „Haupt­straße“ – auf der ein paar Kin­der spie­len. Und unge­fähr 50 Meter ent­fernt ist das Meer. Nur komisch, dass mich kei­ner der Dorf­be­woh­ner über­haupt wahr­nimmt. Der ein­zige, der bis­her mit mir gespro­chen hat, wollte mir direkt eine Fla­sche Schnapps ver­kau­fen. Ich werde mal zum Strand gehen. Viel­leicht sind da ja noch andere Touristen

Koka …?

Der Sand an der kolum­bia­ni­schen Pazi­fik­küste ist dun­kel. Die…Ok! Hier hatte ich angefangen.
Bereits zwei­mal war ich allein im Was­ser plan­schen. Und da ich lei­der „Pun­tito y Anton“ in Cali gelas­sen habe, habe ich auch keine Rei­se­lek­türe. Ich liege auf mei­nem Bade­tuch und knab­bere ein paar Kekse. Bei mei­nem knap­pen Rei­se­bud­get werde ich mir die wohl ein­tei­len müs­sen. Plötz­lich nähert sich ein Gruppe Klein­kin­der. (Kennt ihr den Film Mada­gas­car? Und kennt ihr diese Pin­guine, die nied­lich schauen, aber grim­mige Absich­ten haben? Falls nicht, kurz die­ses Video gucken. Ach … und kennt ihr das Gefühl, wenn man von unten zu jeman­dem her­auf­schaut und die­ser dann so über­mäch­tig wirkt?) „Dame un Gal­leta! Dame otra!“ „Gib mir einen Keks! Gib mir noch einen!“ Ich schaue her­auf zu fünf gie­ri­gen Pin­gui­nen … Kin­dern im Alter zwi­schen fünf und sie­ben. Da sie mich etwas ein­schüch­tern, ver­teile ich flei­ßig Kekse. Dabei ver­su­che ich ihnen päd­ago­gisch zumin­dest ein „Gra­cias“ zu ent­lo­cken. Da fragt mich der kleinste von ihnen plötz­lich mit schel­mi­gem Blick: „Koka..?“ Ich bin ent­setzt. Hier wer­den also nied­li­che Kin­der als Kokain-Ver­käu­fer für west­li­che Tou­ris­ten ein­ge­setzt. Ich igno­riere die Frage. Als die Packung leer ist, zie­hen die Pin­guine … Kin­der wie­der ab. Nur einer bleibt. Daniel heißt er. Er ist sie­ben und er hat ein lus­ti­ges Kin­der­la­chen. Ich beschließe jetzt meine unglück­li­che Per­spek­tive zu ver­las­sen und stehe auf. „¡Gran­disimo!“ „Rie­sig!“ jauchzt er. Von oben sieht die Welt ganz anders aus. Wir spie­len Fan­gen und Stock­wer­fen. Seine Cou­sine, die mög­li­cher­weise auf ihn auf­pas­sen soll, ist mit ihrem Smart­phone beschäf­tigt. Mit dem Stock malt er per­fekte geo­me­tri­sche For­men in den dunk­len Sand. Und er ist so schnell, dass er kleine Krebse fan­gen kann. Wir beschlie­ßen, uns auch am nächs­ten Tag wie­der zum Spie­len zu treffen.

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Abends,
Auf dem Zet­tel stand eine Emp­feh­lung für das Restau­rant von Doña Ola. Mee­res­früchte wur­den heute lei­der nicht frisch gefan­gen. Dafür haben die Fischer einen lecke­ren Fisch an Land gezo­gen. „Mit Kokos­soße bitte“ sage ich in freu­di­ger Erwar­tung. Und sie lächelt zurück, wohl wis­send, dass sie hier weit und breit die bes­ten Soßen zau­bern kann. „Und zum Trin­ken?“ „Biche“ sage ich ohne zu Zögern. Das stand auf mei­nem Zet­tel als Emp­feh­lung für ein typi­sches Getränk der Küste. Ihr Lächeln wech­selt kurz in einen Zwei­fel-Modus, dann nickt sie schließlich.

Wäh­rend ich auf mein Essen warte gesellt sich Yeis­son zu mir. Ob er einen Schluck Biche haben kann? Ich hatte so eben fest­ge­stellt, dass die­ses Getränk, wel­ches mir Caro­lina emp­foh­len hat und wel­ches hier in einer unschul­di­gen klei­nen Was­ser­fla­sche ver­kauft wird, tat­säch­lich Schnapps mit 70% Alko­hol ist. Ich schaue den Jun­gen an und frage wie alt er ist. „18“ sagt er stolz. Hmmm… Links von mir tapst ein Zwei­jäh­ri­ger durch das Restau­rant, der ver­sucht mit einem Brot­schmier­mes­ser ein Stück Papp­ma­schee zu zerteilen.

Das Essen war tat­säch­lich ver­dammt lecker. Und Yeis­son hat sich ange­bo­ten mir mor­gen eine der Sehens­wür­dig­kei­ten per Boot zu zei­gen. Die Mal­ga­res – ein Piscina, was auf Spa­nisch so viel wie Schwimm­bad heißt. Jeden­falls ist es eine der Sehens­wür­dig­kei­ten auf mei­nem Zet­tel. Und Yolanda hat gemeint, dass ich hier ein­fach mit den Leu­ten vor Ort Tou­ren machen soll.

Tag 2, mittags
ich habe mir im Laden an der Ecke eine Seife für einen hal­ben Euro gekauft und bin gerade dabei meine Hose vom Schlamm zu befreien. Da kommt Gustavo vor­bei um mich zu mei­nem Tages­aus­flug ins Piscina abzu­ho­len. Yeis­son konnte wohl kein Boot für die Tour orga­ni­si­ern und Gustavo hat einen Ein­baum, den sein Groß­va­ter vor Jahr­zehn­ten gebaut hat. Yolanda wohnt im Nach­bar­haus. Sie schaut vom Bal­kon und mus­tert den Jun­gen. Sie fragt ihn wer seine Eltern sind. Dann über­legt sie kurz und bestä­tigt schließ­lich, dass er ein guter Junge ist. Wir kön­nen also eine Tour machen. Zu mei­ner Sicher­heit packe ich noch die Fla­sche Biche und Kekse ein.
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im Piscina,
Pisci­nas sind Süß­was­ser­be­cken im Dschun­gel, in denen man baden kann. Gustavo und ich sind allein. Er isst meine Kekse. Alko­hol mag er nicht. Ich plan­sche im Piscina. Meine Sachen habe ich am Becken­rand neben sei­ner Machete abge­stellt. Wir plau­dern. Er ist mit sei­nen 18 Jah­ren kein Meis­ter der Kon­ver­sa­tion, aber seine Aus­spra­che ist ver­ständ­lich und für ein klei­nes Gespräch reicht es. Gefähr­lich sei es hier nicht. Theo­re­tisch gibt es zwar auch Tiger, aber er hat noch nie wel­che gese­hen und außer­dem sind sie nacht­ak­tiv. Eine Freun­din hat er nicht und die Par­tys in Ladril­le­ros sind bes­ser als in La Barra. Dafür erzäh­len die Leute in Ladril­le­ros oft schlechte Dinge über La Barra, die nicht stim­men. Ich will gar nicht wis­sen, was das für Dinge sind, aber viel­leicht sind das ja die Gründe warum La Barra noch nicht in mei­nem Rei­se­füh­rer steht. „Hast Du schon Kokada pro­biert?“ fragt er plötz­lich. (Moment mal! Da war doch eine Extra-Silbe an Koka… dran. KokaDA statt KokaIN) Ich frage Gustavo was eigent­lich Kokada ist? „Kleine mit Panela (Zucker­rohr) ver­mischte Kokos­ku­geln, die in die Blät­ter der Koka-Pflanze ein­ge­wi­ckelt sind. Die klei­nen Kin­der ver­kau­fen sie hier“

Abends bei Doña Ola,
Die Sonne geht gerade unter. Son­nen­un­ter­gänge am Pazi­fik sind beson­ders male­risch. Doña Ola amü­siert sich köst­lich, als ich ihr mein Miß­ver­ständ­nis bezüg­lich Kokada erzähle. Auch die ande­ren Gäste in ihrem Restau­rant sind von der Geschichte amü­siert. Heute ser­viert sie mir einen frisch gefan­ge­nen Krebs, und sie erklärt mir wie ich die­sen mit dem Stein, der als Besteck dane­ben liegt, am bes­ten zer­lege. Da kommt mein Kum­pel Daniel vor­bei und setzt sich ganz selbst­ver­ständ­lich neben mich. Ein paar andere Jungs haben ihn geär­gert und er braucht etwas Auf­mun­te­rung. Ich scherze, dass er von all den Kek­sen schon ein klei­nes Dicker­chen – ein „Gord­ito“ – gewor­den ist. Sein Kin­der­la­chen ist wie­der per­fekt. Ich frage Yeis­son, der irgend­wie immer in mei­ner Nähe ist, ob er mir Kokada orga­ni­sie­ren kann. Und wenige Sekun­den spä­ter, halte ich eine Tüte mit die­sen Süßig­kei­ten in der Hand. Die sind nur für Daniel – mei­nen neuen bes­ten Freund an der kolum­bia­ni­schen Pazifikküste.

HAPPY END

P.S. Wenn ihr Happy Ends mögt, dürft ihr die­ses sehr gern an eure Freunde weiterleiten.

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Über Happy Ends

Das schöne daran, wenn man die eige­nen Erin­ne­run­gen in eine Geschichte packt, ist die Mög­lich­keit die Geschichte an der Stelle enden zu las­sen, wo sie am schöns­ten ist. Nun ist es im wah­ren Leben – im Gegen­satz zur Welt der Geschich­ten – oft so, dass nach dem Happy End noch Sachen pas­sie­ren, die viel­leicht nicht ganz so schön sind. Mir per­sön­lich gefällt die­ses Ende hier am bes­ten. Aber es gibt sicher auch ein paar neu­gie­rige Rei­se­de­pe­schen-Leser, die ganz genau wis­sen wol­len, was noch an der Pazi­fik­küste pas­siert ist. Und daher schlage ich einen Kom­pro­miss vor: Ich ver­ste­cke das alter­na­tive Ende die­ser Geschichte ein­fach in den Tie­fen des Inter­nets hin­ter die­sem Link. 

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