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Es ist mittlerweile über zwei Jahre her, doch die schrecklichen Erinnerungen sind noch frisch: Im Februar 2012 kam in Buenos Aires ein Zug nicht rechtzeitig zum Stehen und prallte im Kopfbahnhof Once gegen einen Prellbock. 52 Menschen starben direkt oder an den Folgen des Zugunglücks. Familienangehörige und Freunde der Opfer gingen am zweiten Jahrestag der Tragödie erneut auf die Straße und forderten Gerechtigkeit, die aus ihrer Sicht noch nicht erfüllt ist. Wir haben die Demonstranten begleitet.
Rund 500 Personen treffen sich am Samstagabend an einer Straßenecke der Avenida 9 de Julio in der Innenstadt von Buenos Aires. Die meisten halten Protestschilder in die Luft. Vereinzelt haben sie auch Bilder von Opfern mitgebracht, die am 22. Februar 2012 beim Zugunglück im Bahnhof Once ihr Leben lassen mussten. Es fließen Tränen. In der ersten Reihe der Demonstranten tragen drei Beteiligte ein großes, schwarzes Transparent, auf dem JU5T1(+1)CIA PARA LAS VICTIMAS DE LA TRAGEDIA DE ONCE in weißen und roten Lettern steht. Es wird Gerechtigkeit für die mittlerweile 52 Todesopfer (kurz vor der Demonstration ist der vorerst letzte Passagier an seinen Verletzungen verstorben) gefordert.
Die Demonstranten setzen sich in Bewegung, in Richtung Plaza de Mayo. Auf diesem im Zentrum gelegenen Platz befindet sich nämlich nicht nur der Sitz der argentinischen Regierung, sondern auch das Regierungsgebäude der Stadt Buenos Aires. Und hier möchten sich die Demonstranten endlich Aufmerksamkeit und Gehör verschaffen. Polizisten auf Motorrädern begleiten die Gruppe auf ihrem Weg dorthin. Dennoch schaffen es einige, unbemerkt beschriftete Transparente an Fensterscheiben und Hauswände anzubringen, auf denen unter anderem „Justicia es viajar seguros“ steht. Gerechtigkeit bedeutet sicheres Reisen. Es geht schnell. Pinsel raus, Kleber drauf, Plakate dran. Die Ordnungshüter bekommen davon nichts mit. Kurz vor dem Eintreffen am Plaza de Mayo werden die Protestrufe der Demonstranten immer lauter.
Gegenseitige Schuldzuweisungen
In diesen entschlossenen Rufen geht es vor allem darum, dass aus Sicht der Protestierenden der falsche Beteiligte in der Kritik steht. Denn die für die betroffene Strecke verantwortliche private Betreibergesellschaft Trenes de Buenos Aires (TBA) schloss von Anfang an menschliches Versagen des Lokführers, der den Unfall überlebt hat, nicht aus. Die Línea Sarmiento sei in einem „akzeptablen“ Zustand, sagte ein TBA-Sprecher kurz nach dem Unglück. Und der für Züge zuständige Direktor der Gesellschaft ließ verlauten, dass es bei TBA mehr Investitionen als bei anderen Gesellschaften gebe. Demgegenüber stehen die Aussagen des Lokführers: Er behauptet, dass er zweimal versucht habe zu bremsen und schließlich auch die Notbremse gezogen habe – beides vergeblich. Außerdem habe er bereits an vorangegangenen Stationen die Verkehrsleitstelle per Funk auf die Bremsprobleme hingewiesen. Die Zuständigen hätten ihm jedoch mitgeteilt, dass er weiterfahren solle.
Die Folge: Der Zug kollidierte am Ende des Gleises im Bahnhof Once mit einem Prellbock, mehrere Waggons schoben sich ineinander oder kippten auf den Bahnsteig und rissen dabei 52 Passagiere in den Tod und verletzten circa 700 weitere Personen, von denen die meisten Knochenbrüche und Quetschungen davontrugen. Die Demonstranten sehen die Schuld bei den Verantwortlichen der Bahngesellschaft. Sie prangern die schlechten Zustände der Züge in Buenos Aires an, die zum größten Teil noch aus den 1960er Jahren stammen. Auf unseren Zugfahrten durch die argentinische Hauptstadt bestätigt sich dies – Türen lassen sich teilweise nicht schließen, überall ist Rost.
Anhaltende, schmerzhafte Trauer
Angekommen am Plaza de Mayo schauen wir uns um und staunen. Hier hat sich die Anzahl der Demonstranten nach unserer Schätzung ungefähr vervierfacht. Eine Bühne ist aufgebaut. Jemand liest durch ein Mikrofon die Namen der 52 Todesopfer des Zugunglücks vor. Die auf dem großen Platz Versammelten schreien nach jedem aufgezählten Namen „presente“. Anwesend. Dann wird ein Video abgespielt. Die Leute starren auf die Großbildleinwand, auf der zahlreiche Familienangehörige der Opfer zu sehen sind. Sie sprechen über ihre anhaltende Trauer und schmerzhaften Verluste. Und fordern Gerechtigkeit. Die Zuständigen des Bahnunternehmens sollen zwei Jahre nach dem Unglück endlich zur Verantwortung gezogen werden, so ihre Forderung. Nur, ob dies eines Tages wahr werden wird, ist wohl fraglich.
Als wir den Plaza de Mayo verlassen, sind wir uns allerdings sicher, dass die Demonstranten auch in den kommenden Jahren wiederkommen und ihrer Forderung Nachdruck verleihen werden. Der Rest liegt jedoch nicht in ihren Händen.
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