Vor mir sitzt John. 59 Jahre aus Hobart, Tan­sa­nia. Ziem­lich welt­li­cher Typ, der wohl auch schon eini­ges gese­hen hat. Wir haben spä­ter Zeit, um dar­über zu spre­chen. Er hat grüne Kopf­hö­rer auf, um sich vor den dump­fen, lau­ten Schlä­gen der Rotor­blät­ter zu schüt­zen. Sein Kopf klebt an der Scheibe des Hub­schrau­bers und er fragt mich, ob ich ein Bild von ihm machen kann. Ich muss mich kon­zen­trie­ren, denn ich höre ihn nicht, ver­stehe aber, was er mir sagen will. „I’m speechl­ess!“, sagt er zu mir. Ich weiß, was er meint. Ich sitze eben­falls am Fens­ter und wenn meine Kamera nicht an der Scheibe kle­ben würde, dann wäre es meine Nase. Wie bei einem klei­nen Kind, was am Schau­fens­ter vor sei­ner Lieb­lings­sü­ßig­keit steht. In ca. 300m Höhe flie­gen wir zwi­schen den Ber­gen über den Nord­at­lan­tik durch wol­ken­be­han­gene Sunde und Fjorde nach Klaks­vik. Mit einem öffent­li­chen Hub­schrau­ber. Quasi die Stra­ßen­bahn der Färöer. Ein 20-minü­ti­ger Flug von Stadt zu Stadt kos­tet 25€. Ähm. Wer das nicht auf sei­ner Bucket List hat: Drauf schrei­ben und machen. 

Nach 5 Tagen flie­gen wir also über die Insel­gruppe, die wir abge­wan­dert und gefah­ren sind. Diese eine beson­dere Insel­gruppe. Man sagt: Es sind die schöns­ten Inseln der Welt. Ich kenne die ande­ren nicht. Aber diese hier sind es wahr­schein­lich. Färöer-Inseln. Schafs­in­seln oder, was auch immer. Es ist atem­be­rau­bend. Ein Ort, der dich in eine Zeit­schleife fal­len lässt. Zeit, Stress, Druck und Besitz. All das hat hier kei­nen Wert. Vor allem die Zeit. Ich würde gern drin blei­ben. Die Inseln geben dir alles und wehe du nimmst es dir nicht. Es ist wie ein gro­ßer Schlüs­sel, der sich nur dreht und die Tür öff­net, wenn du gedul­dig beim Auf­schlie­ßen bist und zuhörst. Aber der Reihe nach.

Die erste Wan­de­rung. Ich denke, ich bin rich­tig ange­zo­gen. Habe noch was zum Über­zie­hen dabei und tapse los. Eine kleine Wan­de­rung. Auf nach Gas­a­dalur. Das soll sehr schön sein. Was­ser­fall. Klei­nes Dorf. Biss­chen Berge. Ich mache mir keine Gedan­ken wei­ter. Erst­mal lau­fen. Hach, die­ses Wan­dern. Hiken, wie man so schön sagt. Toll. Kei­nen Wan­der­weg gefun­den. Also lau­fen wir auf der Straße. Biss­chen Hun­ger haben wir und es ist unge­müt­lich, aber ok. Haupt­sa­che es reg­net nicht. Plötz­lich dreht das Wet­ter und zwar rich­tig. Oder anders gesagt, es zeigt uns, was wir für die Natur sind. Näm­lich nichts. Eisi­ger Wind. Direkt ins Gesicht. Schnee­we­hen. Knüp­pel­harte Kälte. Wir wol­len doch nur um die­sen Berg herum, um zu dem Ort auf der Karte zu kom­men. Aber schein­bar haben wir nicht rich­tig zuge­hört. Ich ver­sinke, ohne zu schauen wo ich hin­trete, bis zur Hüfte im Schnee. Schuhe und Hose nass. Wir schauen uns an und keh­ren um. Scheiße. Wan­de­run­gen sol­len doch mit einem Ziel enden. Bin ich kein rich­ti­ger Hiker? Nach 10 Minu­ten Rück­weg dann das: Son­nen­schein. Tau­wet­ter und es öff­net sich das erste Mal diese atem­lose Land­schaft unter leicht wol­ki­gem Him­mel. Schnell die Kamera gezückt. Der Schnee stört mich. Ist trotz­dem in Ord­nung. Aber nur kurz, weil das Wet­ter wie­der sein Ding macht. Als, ob uns die­ser Ort hier sagt: „Freunde, wenn ihr wollt, bekommt ihr alles. Oder eben nicht!“

Nach 20 km Fuß­marsch sind wir irgend­wie ent­täuscht, weil es mit die­ser Wan­de­rung nicht geklappt hat. Aber warum eigent­lich? Es hat doch geklappt. Es hat alles geklappt. Die Kinn­la­den hän­gen in der Knie­kehle, weil wir zu sehr beein­druckt sind und die Füße bren­nen das erste Mal! Erst­mal ein Bier und es gibt Nudeln mit Toma­ten­soße. Der Schnee taut schön weg und ich freue mich auf meine grüne Insel. Mein Gedanke wird sofort im Keim erstickt. Aus Süd­wes­ten zie­hen, dicke graue Wol­ken in das Tal von Sor­va­gur. Inner­halb von Minu­ten ist alles kom­plett ein­ge­schneit und du hast das Gefühl im tiefs­ten Win­ter zu sein. Wahn­sinn. Mein Haupt­wort in den nächs­ten 5 Tagen. Die ers­ten Bil­der laden auf die Fest­platte und ich erahne, was mich hier erwar­ten wird. Ich will alles.

Am nächs­ten Mor­gen fah­ren wir mit dem Bus nach Tor­shavn. Übri­gens. Bus­fah­ren kos­tet zum Teil genauso viel, wie Heli­ko­pter flie­gen. Unsere Bli­cke hän­gen am Fens­ter. Nach jeder Kurve drü­cken dich diese kar­gen, brau­nen Berge in die Knie. Ohne Worte. Erst­mal. Nach dem Check-In im Hos­tel geht es nach Hoyvik. Fan­gen wir mal klein an. Ler­nen wir die Insel ken­nen und bes­ser ver­ste­hen. Unser Ziel ist ein Aus­sichts­punkt etwas nörd­lich von der Insel­haupt­stadt. Wir gehen quer­feld­ein. Das erste Mal tritt ein rich­ti­ges, ech­tes Frei­heits­ge­fühl ein. Du siehst einen Fel­sen und stehst 20 Minu­ten spä­ter auf ihm! Ich liege an der Kante. 70 Meter oder noch mehr geht es hier steil nach unten. Vor­sich­tig robbe ich zurück. Da muss ich noch schnell run­ter. Die­ser Blick. Hmm, die andere Seite sieht auch toll aus. Jetzt kommt auch noch die Sonne. Wind­ja­cke aus und noch­mal hoch. Ich bin drin! Ich bin in der Schleife und ver­liere das Zeitgefühl.

Am Abend gibt es ein paar Guin­ness im Pub. Mein Kopf pro­du­ziert unend­lich viele Gedan­ken und Fra­gen. Auf die meis­ten Gedan­ken bekomme ich in den nächs­ten Tagen eine Ant­wort. Man ist im All­tag sein eige­ner Gefan­ge­ner und erhält hier wie­der Frei­gang. Den muss man nut­zen, denn die­ser Schatz hier oben im Nor­den ist von unschätz­ba­rem Wert. Ich habe mir vor­ge­nom­men, genau das auch zu tun. Egal, wie eisig der Wind mir hier um die Ohren fliegt. Alles andere ist Schafscheiße!

Cate­go­riesFäröer Inseln
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  2. Lea Christin says:

    Das sieht ein­fach nur so wahn­sin­nig schön und magisch aus.. es inspi­riert mich unglaub­lich, selbst in diese Welt hin­aus zu gehen und meine Träume zu mei­ner Rea­li­tät zu machen..
    Nun nach dem Abi werde ich ab August auch für 365 Tage den Pla­ne­ten berei­sen und ich bin so vol­ler Vor­freude gegen­über all den Her­aus­for­de­run­gen und Ein­drü­cken die mich erwar­ten werden :)
    Du hast mich auf jeden Fall als eine neue Lese­rin dazu gewonnen.
    Liebste Grüße, Lea von http://leachristin.com

  3. Peter says:

    Wirk­lich tolle Bil­der und ein tol­ler Ein­druck von den Inseln. Wann warst du denn da? Auf den Fotos sieht es ja noch recht eisig aus…

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