Das Glück des Alleinreisens?

Seit fast einer Stun­de irren wir durch Colom­bo, der Taxi­fah­rer und ich. Der fin­det trotz GPS und meh­re­ren Tele­fo­na­ten mit mei­nem Hotel den Weg nicht. Ich bin frus­triert, müde und inzwi­schen ist es mir auch ein biss­chen unheim­lich. So hat­te ich mir weder mei­ne Ankunft in Sri Lan­ka vor­ge­stellt noch das Allein­rei­sen in Erin­ne­rung.

Nach ein paar Rei­sen in Gesell­schaft zuerst erst wäh­rend einer Pres­se­rei­se, dann unter­wegs mit mei­nem Vater und danach mit einem Freund, fühlt sich das Allein­rei­sen ein biss­chen holp­rig an. Was war dar­an noch­mal so toll? Wäre ich jetzt mit einer Freun­din unter­wegs, dann hät­te man zumin­dest über die Situa­ti­on gemein­sam lachen kön­nen. Viel­leicht hät­te sie auch dar­an gedacht, das Han­dy vor­her auf­zu­la­den, so dass man dem Taxi­fah­rer beim Weg fin­den hät­te hel­fen kön­nen. Oder wir hät­ten uns ein­fach die Kos­ten für den dop­pelt so teu­ren Hotel­trans­fer geteilt und lägen jetzt schon im Bett. So bin ich auf mich allein gestellt und als wir eine hal­be Stun­de spä­ter end­lich ankom­men habe ich die Nase gründ­lich voll – ich will nach Hau­se!

Das Pro­blem ist aller­dings, dass ich kein rich­ti­ges Zuhau­se mehr habe. Das fin­de ich meis­tens gar nicht schlimm, denn mein Zuhau­se ist da wo mein Kof­fer ist. Gera­de ist er in Sri Lan­ka wo ich nicht auf Urlaub, son­dern zum Arbei­ten bin. Ich habe mein Hob­by, das Rei­sen, zum Beruf gemacht. Und was das Allein­rei­sen angeht, nun, da bin ich jetzt angeb­lich Exper­te, denn ich habe ein Buch dar­über geschrie­ben. Davon mer­ke ich in die­ser Nacht aller­dings nichts und bin froh, dass mich kei­ner sieht. Ich war noch nie gut dar­in, Rat­schlä­ge zu befol­gen und schon gar nicht mei­ne eige­nen.

Nach einer rela­tiv kur­zen Nacht ste­he ich am nächs­ten Vor­mit­tag am Bahn­hof. Schon wie­der mache ich auf ver­meint­lich coo­len Bud­get-Rei­sen­den und habe ich mir ein Ticket für die 3. Klas­se nach Gal­le gekauft. Umge­rech­net sind das nur € 0,50 für eine zwei­ein­halb­stün­di­ge Fahrt und ich freue mich über das Schnäpp­chen. Wie schlimm kann es schon sein?

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Als der Zug kommt ist er voll, rap­pel­voll für mei­ne deut­schen Augen. Für die Sri Lan­ker scheint noch Luft zu sein – einer geht noch, einer geht noch rein. Ein net­ter Mann am Bahn­hof hilft mir und quetscht kur­zer­hand mei­nen schwe­ren Kof­fer durch die Tür, ich hang­le mich irgend­wie hin­ter­her. Da ste­he ich nun im Vor­ab­teil zwi­schen zwei Klos, ein Plumps­klo und ein ’nor­ma­les‹, und cir­ca zwan­zig Mit­rei­sen­den. Die Türen des Zuges blei­ben auch wäh­rend der Fahrt geöff­net und der Opa der mit bau­meln­den Bei­nen im Tür­rah­men sitzt, scheint es von uns allen am gemüt­lichs­ten zu haben.

Aber das gehört schließ­lich dazu oder? In Sri Lan­ker fährt ein ech­ter Rei­sen­der nun mal mit dem Zug, denn nur das ist #Insta­gram­wor­t­hy.

Ich habe aller­dings kei­ne Chan­ce, mich dabei male­risch aus dem Zug zu hän­gen und Sel­fies zu machen. Denn ers­tens kann ich mich nicht bewe­gen und zwei­tens scheint die Tür der Stamm­platz des Opas zu sein, der bewegt sich nicht. Außer­dem läuft mir nicht nur am Rücken der Schweiß run­ter, son­dern auch im Gesicht – foto­gen ist was ande­res und all die­se authen­ti­schen Rei­sen­den sehen immer sehr schick aus, wenn sie sich in Hip­pie­kleid­chen aus dem Zug hän­gen. Kleid­chen habe ich auch, aber sie sind in den Tie­fen des Kof­fers, denn ich fin­de Klei­der eige­nen sich für Zug­fahr­ten gar nicht gut. So lass ich es lie­ber mit den Sel­fies denn an mir ist gera­de nichts Insta­gram­wor­t­hy.

Neben mir steht eine klei­ne 10-Jäh­ri­ge, die mich immer wie­der vol­ler Neu­gier mus­tert und dann angrinst. Sie und ihre Schwes­tern hal­ten sich eif­rig an mei­nem Rimo­wa Kof­fer fest wäh­rend wir durch die grü­ne Land­schaft brau­sen. Ich füh­le nicht nur den Schweiß im Rücken, son­dern auch frem­de Hän­de, man tritt mir auf den Fuß und ich wer­de von dem Mann der sich durch den vol­len Wagen drängt, um Snacks zu ver­kau­fen, ange­rem­pelt. Kei­ner ent­schul­digt sich, kei­nen stört’s – so ist das halt.

Auch mich stört es eigent­lich nicht, denn irgend­wie gehört sowas halt zum Rei­sen dazu. Nicht um authen­tisch zu sein oder für Insta­gram, son­dern weil Rei­sen eben nicht immer gleich Urlaub ist, nicht nur faul am Strand lie­gen oder schick Essen gehen. Rei­sen ist auch mal unan­ge­nehm, holp­rig und im wahrs­ten Sin­ne des Wor­tes schweiß­trei­bend. Allein­rei­sen noch ein biss­chen mehr und so freue ich mich, dass ich zumin­dest für die Fahrt eine 10-jäh­ri­ge Freun­din gefun­den habe.

War­um neh­me ich es immer wie­der auf mich? Die­se Fra­ge schießt mir dann doch wäh­rend der Fahrt durch den Kopf. Die Ant­wort ist auch dies­mal wie­der die­sel­be: weil ich es kann. Auch wenn mir zu heiß ist, auch wenn mir gera­de der Mann neben mir schmerz­haft sei­nen Ellen­bo­gen in die Rip­pen gesto­ßen hat, bin ich mir trotz­dem noch des unglaub­li­chen Pri­vi­legs des Allein­rei­sens bewusst. Das Pri­vi­leg, mich ein­fach auf­zu­ma­chen und dabei den Luxus zu haben, mich zu ent­schei­den, ob ich den über­füll­ten Zug neh­men will oder lie­ber ein Taxi. Das Pri­vi­leg, alles zu tun oder nichts und dabei nur mei­ner Lau­ne zu fol­gen.

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Und dazu gehört eben manch­mal, ziel­los im Taxi durch eine unbe­kann­te Stadt zu fah­ren und zwi­schen Frem­den im Zug gedrängt zu ste­hen, nur um ein paar Euros zu spa­ren. Kei­ner gibt mir einen „Ich hab’s dir doch gesagt!“-Blick, kei­ner mosert an mei­nen Ent­schei­dun­gen rum und auch ich kann kei­nen außer mir sel­ber anschnau­zen – eine inter­es­san­te Erfah­rung und kei­ne unan­ge­neh­me.

Als ich aus­stei­gen will, schwingt sich der Opa auf ein­mal eif­rig auf die Bei­ne und hebt mei­nen schwe­ren Kof­fer aus dem Zug. Das klei­ne Mäd­chen lacht mich zum Abschied noch ein­mal breit an und winkt. Auch das ist etwas, was alle Stra­pa­zen wett macht – die Freund­lich­keit von Frem­den zu erfah­ren.

 

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Antwort

  1. Avatar von Markus - Der RadtourenChecker

    Ken­ne ich die­ses Gefühl des Allein­rei­sens. Ich rei­se auch oft allei­ne. Ein­fach ziel­los umher­ir­ren. Am bes­ten zu Fuß, da kommt man an die ver­schie­dens­ten Orte. Vor allem mit dem Fahr­rad macht das Spaß (ich rei­se meist mit dem Fahr­rad). Man muss nur mit sich selbst dis­ku­tie­ren und kann sei­nen gan­ze eige­nen Rhyth­mus fin­den.

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