„When Soweto snee­zes, all of South Africa cat­ches a cold.“

sagt unser Guide, Lun­gile, stolz. Die nächs­ten zwei Stun­den will er unsere kleine Gruppe deut­scher Tou­ris­ten durch sein Town­ship füh­ren und erklä­ren, was Soweto zum Zen­trum Süd-Afri­kas und für ihn zum Nabel der Welt macht. Der sym­pa­thi­sche 28-Jäh­rige trägt ein brei­tes Lachen im Gesicht und kommt in sei­nem Trai­nings­an­zug sport­lich daher. Seit einem Jahr ist er bei Soweto Back­pa­ckers, Sowe­tos ers­tem Hos­tel für Indi­vi­du­al­tou­ris­ten, als Fahr­rad­guide beschäf­tigt. Er liebt seine Stadt und sei­nen Job und will uns zei­gen warum. Noch vor weni­gen Jah­ren wären sol­che Tou­ren undenk­bar gewe­sen. Vie­les hat sich seit­dem geän­dert. Längst ist Soweto nicht mehr nur ein armer Slum.

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Fahr­rad­fah­ren, aus­ge­rech­net in Soweto? Hier, wo es kaum asphal­tierte Stra­ßen gibt, dafür unzäh­lige Hügel und Schlag­lö­cher, die sich bei Regen in kleine Seen ver­wan­deln? Aus­ge­rech­net hier, wo kein Ein­hei­mi­scher auf die Idee käme sich auf einen Fahr­rad­sat­tel zu schwingen?

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Soweto SOuth WEstern TOwnship ist das wohl legen­därste Town­ship der Welt und das größte Süd­afri­kas. Es liegt 20 Kilo­me­ter süd­west­lich von Johan­nes­burg, zu dem es seit 2002 offi­zi­ell gezählt wird. Soweto ist ein wild gewach­se­nes Laby­rinth aus min­des­tens 32 Vier­teln. Genau weiß nie­mand, wie viele Men­schen hier leben. Auf drei­ein­halb bis fünf Mil­lio­nen Ein­woh­ner belau­fen sich die Schät­zun­gen. Auf engs­ten Raum reiht sich ein Haus an das nächste. In Bezir­ken wie White City woh­nen die Men­schen in ein­fachs­ten Well­blech­hüt­ten, in Orlando West ste­hen Luxus­vil­len hin­ter Sta­chel­draht und Mau­ern. Die Schere, die das ganze Land in reich und arm spal­tet, ver­läuft auch durch das Town­ship. Soweto spielt eine große Rolle in der Geschichte Süd­afri­kas. Ursprüng­lich eine Wohn­sied­lung für Arbei­ter, die in den nahe gele­ge­nen Gold­mi­nen arbei­te­ten, wurde es 1923 zum schwar­zen Ghetto ernannt. Auch heute wird es fast aus­schließ­lich von Schwar­zen bewohnt. Die Stadt stand für Unter­drü­ckung, Ras­sis­mus, Segre­ga­ti­ons­po­li­tik, Armut und Gewalt, wurde aber auch zum Sym­bol für Pro­test, Rebel­lion, Wider­stand und Wan­del. Heute, 20 Jahre nach den ers­ten demo­kra­ti­schen Wah­len des Lan­des, steht Soweto auch für neue Chan­cen, Hoff­nung und das Lebens­ge­fühl einer neuen Gene­ra­tion Süd­afri­ka­ner der Born-Frees, der nach 1994 Geborenen.

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Im Fuhr­park des Hos­tels suchen wir uns das pas­sende Zwei­rad aus. Das Ange­bot reicht vom Moun­tain­bike bis zum sty­li­schen City-Crui­ser. Seit 2005 bie­tet Soweto Back­pa­ckers Fahr­rad­tou­ren durch das Town­ship an. Das Publi­kum ist meist jung und hip, Ruck­sack­tou­ris­ten aus Europa, Aus­tra­lien und den USA auf der Suche nach einem Aben­teuer. Aber spä­tes­tens seit der Fuß­ball-Welt­meis­ter­schaft 2010 kom­men auch ältere Rei­sende und sogar Familien.

Unsere Fahrt führt durch die hüge­li­gen Stra­ßen des Town­ship. Das Leben fin­det hier vor allem drau­ßen statt. Kin­der ren­nen hin­ter unse­ren Fahr­rä­dern her und brül­len „Aba­lunga, Aba­lunga“, was so viel heißt wie „Weiße, Weiße“. Von allen Sei­ten wer­den wir mit „Ola-Ola“ gegrüßt. Dar­auf ant­wor­ten wir mit „Shap-Shap“. Ganze Kon­ver­sa­tio­nen las­sen sich mit die­sen zwei kur­zen Wör­tern füh­ren. „Shap-Shap“ kann „Hallo“, „Guten Mor­gen“, „Wie geht´s“, „Mir geht´s gut“, „Okay“ und noch vie­les mehr bedeu­ten. Wich­tig ist dabei auch die kor­rekte Hand­hal­tung. Beide Hände wer­den zu Fäus­ten geballt, wobei die Dau­men, abge­spreizt, nach außen zei­gen. Mit die­ser Geste kommt man über­all gut an und sorgt bei den Locals für aner­ken­nen­des Nicken. Die exo­ti­schen Aus­län­der auf Fahr­rä­dern sind für die Bewoh­ner eine eigene Sehenswürdigkeit.

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Wir hal­ten an der Vil­akazi Street 8115 im Stadt­teil Orlando West. Hier lebte einst Nel­son Man­dela, der große Natio­nal­held. Heute ist das Haus ein Museum und eine der Haupt-Attrak­tio­nen Sowe­tos. Vil­kazi Street ist die ein­zige Straße der Welt, die zeit­weise gleich zwei Frie­dens­no­bel­preis­trä­ger behei­ma­tete. Nur wenige Meter von Man­de­las Haus befin­det sich die Resi­denz von Erz­bi­schof Des­mond Tutu, der den begehr­ten Preis 1984 ver­lie­hen bekam.

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Soweto ist bunt. Über­all pran­gern präch­tige Graf­fiti. Viele zei­gen das Kon­ter­fei Man­de­las. Auch die Kunst des Sing Pain­tings ist hier schwer in Mode. Groß­flä­chig wer­den Pro­dukte und Dienst­leis­tun­gen aller Art in den schöns­ten Far­ben und Schrift­zü­gen bewor­ben. Aus Autos und She­be­ens, den loka­len Knei­pen, ertönt Kwaito-Musik, eine Mischung aus House-Beats und Sprech­ge­sang in Zulu oder ande­ren süd­afri­ka­ni­schen Spra­chen. Dazu bewe­gen sich die so genann­ten Rub­ber­men in Cho­reo­gra­phien zu den Beats, ver­ren­ken ihre Glie­der in abar­tige Posi­tio­nen und machen eine Spit­zen-Show. Pant­sula nennt sich die­ser ener­gie­ge­la­dene Tanz, der in den Town­ships Süd­afri­kas zu Zei­ten der Apart­heid ent­stan­den ist. Viele der Tän­zer tra­gen auf­wen­dige Out­fits. Mode und ein indi­vi­du­el­ler Stil ist für die Jugend ein wich­ti­ges Aus­drucks­mit­tel. Mitt­ler­weile hat Soweto sogar eine eigene Fashion-Week.

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Die Tour führt uns berg­auf zum Hec­tor Pie­ter­son Memo­rial, das an die Opfer der Schü­ler­pro­teste von 1976 erin­nert. Für viele Süd­afri­ka­ner ein ganz beson­de­rer Ort. Das Mahn­mal gedenkt der 15.000 Schü­ler, die fried­lich gegen die Ein­füh­rung von Afri­kaans, dem so genann­ten Kolo­nial-Nie­der­län­disch, pro­tes­tier­ten. Die Demons­tra­tion wurde von der Poli­zei gewalt­sam mit Schuss­waf­fen nie­der­ge­schla­gen. Zahl­rei­che Kin­der und Jugend­li­che kamen ums Leben. Unter ihnen der 12-jäh­rige Hec­tor Pie­ter­son. Ein Bild zeigt den ster­ben­den Hec­tor in den Armen eines Freun­des und sorgte welt­weit für Empö­rung. Der Junge wurde zur Sym­bol­fi­gur des fol­gen­den Auf­stands der schwar­zen Süd­afri­ka­ner gegen das Apartheidregime.

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Von hier oben haben wir einen tol­len Blick über das Town­ship. In der ferne ragen die Orlando Towers in die Höhe. Die bunt bemal­ten Kühl­türme des still­ge­leg­ten Orlando-Kraft­werks sind das inof­fi­zi­elle Wahr­zei­chen Sowe­tos. Heute befin­det sich in ihnen ein Restau­rant und Mutige kön­nen sich im Bun­gee-Jum­ping versuchen.

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Unser letz­ter Stopp führt uns in eine der vie­len She­be­ens. Die Kneipe ist ein­fach ein­ge­rich­tet, ein Hin­ter­hof, über­dacht mit Well­blech. Am frü­hen Sonn­tag­mit­tag ist sie bereits gut gefüllt mit Locals, vor allem jun­gen Män­nern. Lun­gile lässt uns das tra­di­tio­nelle, lokal gebraute Mais­bier pro­bie­ren. Die leicht rosa schim­mernde Brühe wird aus einer Holz­schalle getrun­ken, die im Kreis herum gereicht wird. Der Geschmack ist säu­er­lich und erin­nert an But­ter­milch. Mit her­kömm­li­chen Bier hat das Getränk nicht viele Gemein­sam­kei­ten. Zum Run­ter­spü­len geneh­mi­gen wir uns ein tra­di­tio­nel­les Pils-Bier und mischen uns unter die Gäste. Die freuen sich mit aus­län­di­schen Tou­ris­ten plau­dern zu können.

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Der Aus­tausch mit Ein­hei­mi­schen ist fes­ter Bestand­teil des Pro­gramms von Soweto Back­pa­ckers. 1999 wurde der kleine Tou­ris­tik­be­trieb von Lebo Malepa gegrün­det. Lebo ver­folgt das ehr­gei­zige Ziel Besu­cher nach Soweto zu brin­gen und nach­hal­ti­gen Tou­ris­mus zu eta­blie­ren. Er will, dass die Men­schen das Vier­tel rich­tig ken­nen ler­nen und nicht nur bei der Durch­fahrt aus dem Bus­fens­ter her­aus ein paar Bil­der knip­sen. Auch tritt er dafür ein, dass die Bewoh­ner nicht nur als Tou­ris­ten­at­trak­tio­nen gese­hen wer­den. Er setzt auf echte Begeg­nun­gen und Aus­tausch, wie hier in der Kneipe. Zu Beginn behei­ma­tete Lebo Tou­ris­ten in sei­nem eige­nen Wohn­aus. Mitt­ler­weile bie­tet er neben Unter­kunft auch Fahrrad‑, Wal­king- und Tuk Tuk-Tou­ren an. Auf den Tou­ren bin­det er die ver­schie­dens­ten Insti­tu­tio­nen ein, von der She­been bis zum Museum. So kommt Geld in das Vier­tel und schafft neue Arbeitsplätze.

Soweto ist ein Vier­tel im Umbruch, mit neuen Mög­lich­kei­ten, aber auch gro­ßen Pro­ble­men und Her­aus­for­de­run­gen. Es liegt in der Hand der vie­len jun­gen Men­schen hier über das Schick­sal Sowe­tos zu entscheiden.

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Fazit:

Mit dem Fahr­rad kommt man schnell und wen­dig durch die Stra­ßen Sowe­tos und ist nahe am Leben der Bewoh­ner dran. Der Wind weht um die Nase, Musik liegt in der Luft und die Krea­ti­vi­tät des Vier­tels ist fast greif­bar. Also Fahr­rad­fah­ren in Soweto? Meine Ant­wort lau­tet unbedingt!

Vie­len Dank an South Afri­can Tou­rism für die Ein­la­dung und die tolle Erfahrung.

Cate­go­riesSüd­afrika
  1. Janine says:

    Vie­len Dank für diese tol­len Ein­drü­cke. In den letz­ten Tagen habe ich mich mehr und mehr mit Soweto beschäf­tigt und meine erste Erkennt­nis: Ufff..das ist ja so groß. Und: Wie man kann da auch schlafen????
    Obwohl mich das viele Rei­sen lang­sam eines bes­se­ren beleh­ren sollte, hatte ich rich­tige Ste­reo­ty­pen im Kopf.

    Diese Fahr­rad­tour klingt super. Allein schon um das Nach­hal­tig­keit Pro­jekt zu unter­stüt­zen und das Geld dort hin zu schaf­fen wo es hingehört!

    Toll. Das machen wir im Sommer. :-)

    LG Janine

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