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Cerro Rico: Im Angesicht des Teufels

In den Minen des Ber­ges Cerro Rico schuf­ten tau­sende Minen­ar­bei­ter – dar­un­ter viele Kin­der und Jugend­li­che – unter wid­rigs­ten Arbeits­be­din­gun­gen für einen gerin­gen Lohn. Dabei ris­kie­ren sie auf­grund von Gefah­ren wie unan­ge­kün­dig­ten Explo­sio­nen und ein­stür­zen­den Stol­len tag­täg­lich ihr Leben. Schutz erhof­fen sie sich daher vom Herr­scher des Ber­ges, dem Teu­fel, den sie Tío nen­nen. Als Gegen­zug beschen­ken sie ihn mit Opfer­ga­ben wie Koka­blät­tern und hoch­pro­zen­ti­gem Alkohol. 

Wir ste­hen am Ein­gang einer der Minen des 4.800 Meter hohen Ber­ges Cerro Rico (Rei­cher Berg) in der boli­via­ni­schen Anden­stadt Potosí. Alles ist ver­staubt. Dicke Rohre kom­men aus dem dunk­len Inne­ren des schma­len Stol­lens. Auf dem Boden sind her­un­ter­ge­kom­mene, teil­weise kaputte Gleise zu erkennen.

Unser Guide Rolando, ein ehe­ma­li­ger, erfah­re­ner Minen­ar­bei­ter, steckt sei­nen Kopf in die Öff­nung des Ber­ges und horcht. Dann tritt er schnell zurück und weist uns mit lau­ter Stimme an: „War­ten! Nicht in den Schacht gehen!“ Das Grol­len, das aus dem Berg kommt, wird in die­sem Moment immer lauter.

Wenig spä­ter schie­ben drei Minen­ar­bei­ter mit hohem Tempo eine Lore vol­ler abge­bau­ter Roh­stoffe – in der Regel Zinn, Kup­fer, Zink, Blei – aus dem Stol­len. Es kracht und schep­pert, als sie das Tages­licht errei­chen und am Aus­gang einen dort ste­hen­den Wagon ram­men. Die ver­schmutz­ten Minen­ar­bei­ter tra­gen Helme mit Lam­pen. Einige haben Tücher um Mund und Nase gebun­den, um sich vor auf­ge­wir­bel­ten und gesund­heits­schäd­li­chen Par­ti­keln im Inne­ren des Ber­ges, der in der kar­gen Umge­bung über der Stadt Potosí thront, wenigs­tens ein wenig zu schützen.


Dann schaut uns Rolando, des­sen linke Wange mit unzäh­li­gen Koka­blät­tern gefüllt ist, an und ruft: „¡Vamos!“ Los geht’s! Wir set­zen die ers­ten Schritte in den Berg. Dun­kel­heit umhüllt uns umge­hend. Der Licht­ke­gel am Ende des Schach­tes wird nach und nach klei­ner und schwächer.

Rolando stoppt für einen Augen­blick und sagt: „Jetzt befin­den wir uns im Cerro Rico. Darf ich vor­stel­len: Das ist der Berg, der Men­schen frisst.“

Der Berg, der Men­schen frisst

Dies ist die Bezeich­nung der Mine­ros für den Berg, in dem in den ver­gan­ge­nen rund 500 Jah­ren Mil­lio­nen von Men­schen bei ihrer gefähr­li­chen Arbeit ums Leben gekom­men sind. Die tra­gi­sche Geschichte die­ses rauen Ortes führt bis ins 16. Jahr­hun­dert zurück, als die Kolo­ni­al­macht Spa­nien begon­nen hat, die damals noch üppi­gen Sil­ber­vor­kom­men des „Rei­chen Ber­ges“ aus­zu­beu­ten. In die­ser Zeit war Potosí wohl­ha­ben­der als die euro­päi­schen Metro­po­len Paris und Lon­don. Dies war aller­dings ein Reich­tum, von dem die hart schuf­ten­den Anden­be­woh­ner und india­ni­schen Zwangs­ar­bei­ter nichts hat­ten. Die Taschen haben sich schließ­lich die Besat­zer von der ibe­ri­schen Halb­in­sel vollgemacht.

Heut­zu­tage sind noch über 10.000 Arbei­ter in den circa 180 Minen des Cerro Rico tätig. Rolando erklärt uns, dass die meis­ten Mine­ros auf selb­stän­di­ger Basis arbei­ten und in ins­ge­samt 39 Gewerk­schaf­ten gebün­delt sind. „Sie ent­schei­den also, wann und wie lange sie im Berg sind. Die meis­ten müs­sen aber die ganze Woche durch­ar­bei­ten, weil sie das Geld drin­gend benötigen.“

Im Schnitt ver­diene ein Minero 1.000 bis 2.000 Boli­via­nos (umge­rech­net 100 bis 200 Euro) im Monat. „Aber es kommt natür­lich dar­auf an, wie erfolg­reich er ist und wie viel brauch­ba­res Gestein er aus dem Berg her­aus­holt“, fügt der kleine, stäm­mige Boli­via­ner hinzu. Er sieht nicht glück­lich aus, als er dies im Halb­dun­keln des lan­gen Schach­tes sagt. Denn er weiß aus jah­re­lan­ger eige­ner Erfah­rung, wie schwie­rig es für einen boli­via­ni­schen Berg­ar­bei­ter ist, seine Exis­tenz aufrechtzuerhalten.

Erneu­tes Rumo­ren aus der Tiefe unter­bricht unser kur­zes Gespräch. Es hört sich so an, als ob der ganze Berg ent­setzt brül­len würde, als ob wir am Abgrund zur Hölle ste­hen wür­den. Wir quet­schen uns an die unebene Wand des frei­ge­leg­ten Stol­lens. Minen­ar­bei­ter schie­ßen erneut mit einer Lore an uns vor­bei, die kurze Zeit spä­ter ent­gleist. Einer der jun­gen Män­ner schnappt sich eine Holz­planke, mit deren Hilfe der Wagon in Schwerst­ar­beit wie­der auf die Gleise gehievt wird. Es geht wei­ter. Auch für uns.

Begeg­nun­gen in der Mine

Wir bie­gen um eine Ecke. Einige Löcher, die tief ins Dunkle füh­ren, müs­sen wir nun über­que­ren. Der vor uns fla­ckernde Schein der Helm­lam­pen zeigt uns den Weg. Eisen­vor­rich­tun­gen hän­gen immer wie­der in den unter­schied­lich hohen Schäch­ten herum. Wir müs­sen an man­chen Stel­len fast krab­beln, um vor­wärts zu kom­men. Dabei stoße ich mir zwei Mal mit Wucht den Kopf. Der Helm, den ich auf­ge­setzt habe, muss eini­ges aushalten.

Eini­ges aus­ge­hal­ten in sei­nem Arbeits­le­ben hat der alte Minero, den wir zufäl­lig tref­fen. Er geht gebückt, von der jahr­zehn­te­lan­gen Arbeit gezeich­net. In der rech­ten Hand hält er einen Stock, auf den er sich stützt. Um sei­nen Hals bau­melt eine Sicher­heits­gru­ben­lampe, deren offene Flamme sich bläu­lich ver­färbt, wenn die Kon­zen­tra­tion gefähr­li­cher Gase ansteigt. Über eine sei­ner bei­den Schul­tern hat er einen Beu­tel mit abge­bau­ten Roh­stof­fen gewor­fen. Eine schwere Last.


Er berich­tet uns, dass er 70 Jahre alt ist und seit sei­nem 17. Lebens­jahr in der Mine arbei­tet. Alleine. „Das mache ich schon immer so, ich komme gut klar“, sagt er. Bevor sich unsere Wege wie­der tren­nen, geben wir ihm als Gast­ge­schenk Spreng­stoff sowie eine Zünd­schnur. Auch eine Tüte mit Koka­blät­tern bekommt er von uns aus­ge­hän­digt. Diese unge­wöhn­li­chen Mit­bring­sel haben wir vor unse­rem Besuch in der Mine auf einem Markt in Potosí extra für die­sen Zweck gekauft.

Jetzt pas­sie­ren wir den Camino de la Muerte. Den Weg des Todes. Die­ser Minen-Abschnitt wird so genannt, weil an der einen Seite ein meter­tie­fer Abhang ist. Es ist Vor­sicht gebo­ten. Lang­sam set­zen wir einen Fuß vor den anderen.

Wenig spä­ter ste­hen wir wohl­be­hal­ten vor einem Minen­ar­bei­ter, der am Boden sitzt und mit einem Ham­mer Steine aus­ein­an­der­schlägt. Nach jedem Hieb prüft er mit kri­ti­schem Blick das Ergeb­nis die­ser Kraft­auf­wen­dung. Die Steine, die er ver­kau­fen kann, packt er in blaue Säcke – und schleppt sie am Ende des Arbeits­ta­ges aus der Mine heraus.

Danach klet­tern wir durch einen Spalt in einen ande­ren Schacht. Es ist eng. Geröll plumpst her­un­ter, als ich mich müh­sam nach oben bewege. Dann ist es geschafft. Ein Junge, jugend­li­ches Alter, guckt mich ver­dutzt an. Eine Stange Dyna­mit liegt in sei­ner Hand. Wei­ter hin­ten im Schacht herrscht gro­ßer Lärm. Ein ande­rer Minero bohrt mit einem rie­si­gen Boh­rer Löcher ins harte Gestein. Nach einer guten Minute setzt er die Maschine ab. „Willst du auch mal?“, fragt er grin­send. Kurz feh­len mir die Worte, bevor ich einwillige.

Der Boh­rer ist schwer, als ich ihn ansetze und mich ein Stück­chen in den Berg hin­ein­ar­beite. Harte Malo­che, die dem 36-jäh­ri­gen Teofilo, der min­des­tens zehn Jahre älter aus­sieht, deut­lich leich­ter als mir von der Hand geht. An den nächs­ten Arbeits­schritt, den Teofilo mit sei­nem 16 Jahre alten Sohn Pedro, wie wir in der Zwi­schen­zeit erfah­ren haben, vor­be­rei­tet, wage ich mich hin­ge­gen nicht heran: Das Prä­pa­rie­ren von Spreng­stoff, das im Anschluss daran in die eben auf­ge­bohr­ten Löcher gesteckt wird, um den Stol­len mit einer Explo­sion zu erweitern.

Unser Guide Rolando ver­rät uns, dass es kei­nen Minen­ar­bei­ter gebe, der diese Arbei­ten kon­trol­liere und steuere. Die Folge: Die Spren­gun­gen erfol­gen unko­or­di­niert. Kein Minero wisse, was der andere mache. Ein zusätz­li­ches Sicher­heits­ri­siko in der Mine.

Dem freund­li­chen Teofilo ist dies egal. Denn er muss genü­gend Geld ver­die­nen, um seine Fami­lie ernäh­ren zu kön­nen. „Mein Sohn geht noch zur Schule. Er hilft mir nur an den Nach­mit­ta­gen. Wenn er den Abschluss in der Tasche hat, soll er jedoch einen ande­ren, bes­ser bezahl­ten und siche­re­ren Beruf erler­nen. Das ist mein gro­ßer Wunsch“, sagt Teofilo.

Kein Ein­zel­fall. Den Traum, der Arbeit im Berg ent­flie­hen zu kön­nen, hegen sicher­lich alle schät­zungs­weise 800 Kin­der und Jugend­li­che, die im Cerro Rico auf der – meist ver­geb­li­chen – Suche nach einer ver­blie­ben­den Sil­bera­der sind.

Beschwich­tige den Tío

Schließ­lich ist die knüp­pel­harte Pla­cke­rei unter Tage unter ande­rem wegen ein­stür­zen­der Gänge sehr gefähr­lich. Die tau­sen­den Mine­ros hal­ten sich daher stets an das wich­tigste Gesetz im Cerro Rico: Beschwich­tige den Tío. Dies ist dem Aber­glau­ben der Berg­ar­bei­ter nach der Teu­fel höchst­per­sön­lich, von dem es in jedem Stol­len einen gibt. Des­sen Gips­ab­bild, das wir an die­sem Nach­mit­tag erbli­cken, ist mit bun­ten Papier­schlan­gen gekrönt. Zusätz­lich haben die Mine­ros Koka­blät­ter vor dem Tío aus­ge­legt. Auch hoch­pro­zen­ti­ger Alko­hol steht dort.

„Dies sind Gaben für den Herrn der Stol­len, um ihn milde zu stim­men. Denn die Mine­ros glau­ben, dass in der Mine Gott sie nicht beschüt­zen kann. Hier erbit­ten sie den Schutz des Herr­schers der Unter­welt“, berich­tet Rolando und fügt hinzu: „Der Glaube die­ser Berg­leute ist also zwei­ge­teilt. Außer­halb der Mine beten sie zu Gott, im Innern die­ses Ber­ges aber aus­schließ­lich zum Tío.“ Wir dre­hen dem Herrn der Stol­len den Rücken zu – und machen uns auf dem Weg zurück ans Tageslicht.

Dort ange­kom­men atmen wir erst ein­mal durch – und bli­cken von oben auf das heute ver­armte Potosí. Das beklem­mende Gefühl der ein­engen­den Mine kön­nen wir nach einer Zeit wie­der able­gen. Den meis­ten Mine­ros bleibt die­ses Gefühl lei­der ihr rest­li­ches Leben ver­gönnt. Denn sie müs­sen auch mor­gen wie­der im Cerro Rico für ihren Lebens­un­ter­halt schuf­ten. Und das im Ange­sicht des Teufels.

Cate­go­riesBoli­vien
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Christian & Daniela

Christian und Daniela tauschten ihren durchgeplanten Alltag in Deutschland gegen die ungewisse Freiheit einer langen Reise durch das holprig-schöne Südamerika. Langweilig wird es dem Journalisten und der (Hobby-)Fotografin dabei nicht. Denn im kunterbunten Ländermix des Abenteuerkontinents wandern sie über die längste Gebirgskette der Erde, verlaufen sich in Megastädten, schippern über den mächtigsten Strom der Welt und verschwinden tief im grünen, verworrenen Dschungel. Und da sie denken, dass sie nicht nur alleine etwas von diesen Erlebnissen haben sollten, drücken sie so oft wie möglich auf den Auslöser ihrer Kamera und tippen fleißig in die Tastatur ihres Laptops. Das Ergebnis: Geschichten von einer Reise.

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  2. Bianca says:

    Ein wirk­lich beklem­men­der Bei­trag. Den­noch danke dafür. Ich kann mir kaum vor­stel­len, jeden Tag in eine Mine hinab zu stei­gen und bin froh, dass mir das erspart bleibt, Die Angst der Men­schen kann ich mir wahr­schein­lich nur begrenzt vor­stel­len. Ich habe größ­ten Respekt vor ihnen, jeden Tag aufs Neue die­sen Mut aufzubringen. 

    Liebe Grüße aus dem Passeiertal

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