Budapest und das Partyvolk

Ich muss lachen. Natür­lich muss­te es so kom­men. Natür­lich.

Nachts um 22 Uhr ste­hen wir im Dun­keln vor einer schwar­zen, schwe­ren Tür in Buda­pest. Hier irgend­wo in die­sem Haus soll unser Gast­ge­ber Ist­ván woh­nen.

Zwei vol­le Tage lang haben wir in der Hoff­nung auf eine Mit­fahr­ge­le­gen­heit an der Stra­ße ver­bracht, haben die Nacht in unse­rem Zelt an der Tank­stel­le gele­gen, haben kaum eine Hand­voll Stun­den geschla­fen. Um vier Uhr mor­gens sind wir auf­ge­stan­den. In Dun­kel­heit und eisi­ger Käl­te haben wir sämt­li­che LKW-Fah­rer-Häus­chen besucht. Ohne Erfolg. Es dau­er­te eine Ewig­keit bis die Son­ne auf­ging, bis sie Käl­te und Dun­kel­heit ver­trieb. Spä­ter haben wir uns etli­che Stun­den in der pral­len Son­ne am Stra­ßen­rand die Bei­ne in die hung­ri­gen Bäu­che gestan­den, haben stun­den­lang vor­bei­ra­sen­de Autos ver­zwei­felt ange­lä­chelt. Nun sind wir end­lich in Buda­pest. Ich will nur noch duschen, essen, schla­fen und hof­fen, dass mir mein Kör­per die letz­ten bei­den Tage ver­zei­hen möge.

Ungarns Nationalgetränk: Pálinka

Ist­ván wohnt in einer 3‑Mann-Stu­den­ten-WG. Wäh­rend der letz­ten Fahrt, die uns über­ra­schen­der Wei­se bis direkt an unser Ziel führt, ver­mi­schen sich Erschöp­fung und Eupho­rie. Wir wit­zeln. Was ist, wenn wir direkt in Buda­pest fei­ern gehen wür­den? Es ist Mitt­woch­abend. Ist­váns Mit­be­woh­ner öff­nen uns die Tür. Zwei blas­se, schüch­ter­ne Jungs um die 20, die sich schnell wie­der in ihre Zim­mer zurück­zie­hen – zum Ler­nen. Ich betrach­te gera­de kopf­schüt­telnd mein zer­stör­tes Spie­gel­bild, mei­ne gerö­te­ten, müden Augen, als eine SMS von Ist­ván ein­tru­delt. Er kommt in ein paar Minu­ten nach Hau­se, hat noch zwei ande­re Couch­sur­fer im Schlepp­tau und möch­te mit uns auf ein paar Bier in die Knei­pe gehen.

Wir schau­en in unse­re von Müdig­keit gezeich­ne­ten Gesich­ter und fan­gen zeit­gleich an ver­zwei­felt zu lachen. Kei­ne 10 Minu­ten spä­ter ste­hen wir bereits an der The­ke einer Bar im Bezirk VII – Buda­pests berüch­tig­ter Aus­geh­mei­le – und trin­ken Pálin­ka mit Kirsch­ge­schmack. Ungarns berühm­ter Obst­schnaps hat über 50% Alko­hol und soll unse­re müden Geis­ter wecken.

Ist­ván ist ein lie­bens­wer­ter, auf­ge­dreh­ter klei­ner Kerl, spricht mit den dicken Voka­len und unge­bän­dig­tem Enthu­si­as­mus eines US-Ame­ri­ka­ners und redet wie ein Was­ser­fall. Beglei­tet wird er von zwei jun­gen pol­ni­schen Mäd­chen. Couch­sur­fern, denen er kei­ne Schlaf­mög­lich­keit, dafür aber eine wil­de Par­ty­nacht ver­sprach. Heu­te ist ihr letz­ter Abend und sie wol­len ordent­lich die Sau raus­las­sen.

Ruinenbars: Vom Untergrund zum Establishment

Die Pálin­ka haben unse­re Lebens­en­er­gien wie­der geweckt. Irgend­wo lüm­mel­ten wohl doch noch ver­steck­te Kraft­re­ser­ven. Wir lan­den im Szim­pla, der wohl bekann­tes­ten Rui­nen-Bar in Buda­pest. Hier, in der löch­ri­gen Außen­hül­le einer ehe­ma­li­gen Ofen­fa­brik, wur­de einst ille­gal zu Par­tys gela­den. Ille­gal und geheim ist hier heu­te gar nichts mehr. Der Lonely Pla­net kür­te das Szim­pla zur dritt­bes­ten Knei­pe der Welt. Der Höhe­punkt der hip­pen Schä­big­keit wird hier nun jeden Abend zele­briert. Das Szim­pla ist genau­so rie­sig wie beein­dru­ckend, genau­so her­un­ter­ge­kom­men wie per­fekt, genau­so selt­sam wie anzie­hend. Unzäh­li­ge Räu­me, ver­win­kel­te Eta­gen, wacke­li­ge Wen­del­trep­pen, rie­si­ge Sofas, Was­ser­pfei­fen, Schrott und Kunst, Rost und Nip­pes – alles ver­eint sich zu einem unge­wohn­ten, aber stim­mi­gen Gan­zen.

Szimpla, Budapest Szimpla, Budapest Szimpla, Budapest

Lär­men­de, betrun­ke­ne Tou­ris­ten bestim­men das Bild. Ist­ván ist der ein­zi­ge Ungar weit und breit. Es gibt Bier und Wein und noch mehr Wein und Bier. Unse­re klei­ne Grup­pe hat sich unge­plant ver­grö­ßert. Tür­ken, Deut­sche, Hol­län­der und Ame­ri­ka­ner sit­zen quat­schend an unse­rem gro­ßen Tisch, als wir gemein­sam beschlie­ßen wei­ter zu zie­hen.

Drau­ßen wan­ken uns zwei völ­lig betrun­ke­ne Aus­tra­li­er ent­ge­gen. Er lallt irgend­et­was, kann sich kaum noch auf den Bei­nen hal­ten. Sie ist völ­lig am Ende. Die Haa­re zer­zaust, die Schmin­ke ver­lau­fen, das Kleid halb geöff­net, kann sie ohne Hil­fe kei­nen Fuß mehr vor den ande­ren set­zen. Ihr mas­si­ger Kör­per wird kaum noch von ihrem Kleid in Schach gehal­ten. Offen­bar sind die bei­den drin­gend auf der Suche nach etwas zu essen. Ist­ván zeigt auf einen güns­ti­gen Laden, der die Stra­ße wei­ter run­ter Piz­za­stü­cke ver­kauft. Doch der Aus­tra­li­er ist aus­drück­lich auf der Suche nach einem roman­ti­schen Restau­rant. Wir ent­fer­nen uns lachend und etwas beschämt. Kur­ze Zeit spä­ter sehen wir die Aus­tra­lie­rin ihre schwab­be­li­gen Arme in die Luft rei­ßen. Freu­dig schreit sie “PIZZAAA” in die dunk­le Nacht hin­aus.

Wir lan­den im Instant. Einer wei­te­ren Rui­nen-Bar, dies­mal mit einer rie­si­gen Tanz­flä­che, über der eine wei­ße Eule hängt und ver­stö­ren­de Kanin­chen­fi­gu­ren in einem Netz gefan­gen sind. Unten tanzt eine schwit­zen­de Mas­se Tou­ris­ten zu Par­ty­mu­sik – ger­ne auf der Suche nach einem roman­ti­schen Stell­dich­ein. Auch das Instant ist groß und ver­win­kelt. Hin­ter jeder Ecke fin­det man einen wei­te­ren Tanz­be­reich, ande­re Räu­me, Kicker-Tische, knut­schen­de Pär­chen, noch eine The­ke, kot­zen­de Män­ner.

Anders als Ist­ván müs­sen wir uns am nächs­ten Mor­gen zum Glück nicht zur Uni quä­len, son­dern schä­len uns gegen Mit­tag ent­spannt aus unse­ren Schlaf­sä­cken auf der Couch im Wohn­zim­mer.

Wunderschönes Buda, herrliches Pest

Wir las­sen es lang­sam ange­hen, schlen­dern durch Pest, den Teil der Stadt, der sich durch die Donau von ihrem Bru­der Buda trennt. Ist­ván wohnt nur weni­ge Hun­dert Meter vom rie­si­gen Par­la­ments­ge­bäu­de Buda­pests ent­fernt. Mit sei­nen unzäh­li­gen Türm­chen erin­nert es ein wenig an den Palace of West­mins­ter in Lon­don. Die Stadt ist ent­spannt. Die unzäh­li­gen Tou­ris­ten­strö­me, die ich befürch­te­te, blei­ben aus. Der Bezirk VII wirkt tags­über wie aus­ge­wech­selt. Die Par­ty­tou­ris­ten lie­gen noch in ihren Hos­tel­bet­ten. Der Besu­cher­an­drang der übri­gen Tou­ris­ten ver­läuft sich in den brei­ten Bou­le­vards von Pest und ent­lang des schö­nen Donau­ufers, das gesäumt ist von den Pracht­bau­ten der Habs­bur­ger Dynas­tie. Neun Brü­cken füh­ren ins­ge­samt über die brei­te Donau, die in der Spät­som­mer-Son­ne glit­zert wie eng­li­scher Tee mit ein biss­chen zu viel Milch.

Parlament, Budapest
Par­la­ments­ge­bäu­de, Buda­pest
Donau, Budapest
Kriegs­denk­mal »Schu­he an der Donau«
St. Stephans Basilika, Budapest
St. Ste­phans Basi­li­ka

Budapest Impo­sant und mäch­tig führt uns die Ket­ten­brü­cke über den Fluss nach Buda. Buda unter­schei­det sich stark von der fla­chen, geschäf­ti­gen Pest-Sei­te. Statt brei­ter Alleen bestim­men hier enge mit­tel­al­ter­li­che Gas­sen das Stadt­bild, es ist hüge­lig und grün, klei­ne Häus­chen, statt gro­ßer Pracht­bau­ten. In den schma­len Stra­ßen ver­läuft sich der Besu­cher­an­drang nicht mehr ganz so leicht wie in Pest. Es wird eng zwi­schen Mat­thi­as­kir­che, Fischer­bas­tei und Burg­vier­tel.

Kettenbrücke, Budapest
Ket­ten­brü­cke
Burgpalast, Budapest
Burg­pa­last
Matthiaskirche, Budapest
Mat­thi­as­kir­che
Fischerbastei, Budapest
Fischer­bas­tei
Gassen in Buda, Budapest
Gas­sen in Buda

Bis zum Bezirk VIII, so erzählt uns Ist­ván abends bei einem wei­te­ren Bier, sind die Par­ty­tou­ris­ten noch nicht vor­ge­drun­gen. Frü­her galt der Bezirk bei den Bewoh­nern Buda­pests als ver­pönt. Der hohe Aus­län­der­an­teil in dem frü­he­ren Indus­trie­vier­tel und die ver­meint­lich hohe Kri­mi­na­li­täts­ra­te schreck­ten ab. Spä­ter ent­wi­ckel­te sich dann genau hier eine Sze­ne, die sich ger­ne als unkon­ven­tio­nell bezeich­net. Heu­te fin­det man in dem alten Pes­t­er Stadt­teil zahl­rei­che ehe­ma­li­ge Paläs­te und Muse­en, ver­steckt zwi­schen unsa­nier­ten Häu­sern aus der Jahr­hun­dert­wen­de, umfunk­tio­nier­ten Lager­hal­len und einer leb­haf­ten Knei­pen- und Kul­tur­sze­ne fern­ab von Tou­ris­ten­kot­ze und Par­ty­volk aus dem Bil­lig­flie­ger.

Bezirk VIII, Budapest
Bezirk VIII

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Den drit­ten Abend möch­ten wir eigent­lich mal ohne Feie­rei, Wein und Bier über­ste­hen, doch das ist in Buda­pest nur schwer mög­lich. Ist­ván ruft uns an. Zwei wei­te­re Couch­sur­fer aus Deutsch­land sind heu­te bei ihm in der Woh­nung ange­kom­men. Da er heu­te kei­ne Zeit hat, könn­ten wir ihnen doch ein paar Rui­nen-Bars im berüch­tig­ten Bezirk VII zei­gen. Mit Lena und Lau­rin trin­ken wir ein paar Bier auf dem Eli­sa­beth-Platz. Trotz Alko­hol-Ver­bots in der Öffent­lich­keit, um das sich in Buda­pest aber sowie­so nie­mand schert, ist das hier der offi­zi­el­le Vor­glüh-Platz für jun­ge Ungarn. Am künst­lich ange­leg­ten Was­ser­be­cken, auf Wie­sen und Bän­ken tum­melt sich hier an einem Sams­tag­abend gefühlt die hal­be Stadt. Wir gön­nen uns eine Was­ser­pfei­fe zu küh­lem Weiß­wein im Szim­pla. Der Gra­nat­ap­fel-Duft umgibt uns lieb­lich und schwer. Dann zie­hen wir wei­ter. Wei­te­re Rui­nen-Bars war­ten heu­te Nacht auf uns. Das Kuplung, eine ehe­ma­li­ge Auto­werk­statt und das Racs­kert, ein ehe­ma­li­ger umzäun­ter Auto­ab­stell­platz, laden ein zu Bier und Wein.

Kuplung, Budapest
Kuplung

Die heilenden Quellen von Budapest

Wir brau­chen drin­gend Ent­span­nung. Von den unzäh­li­gen Ther­mal­bä­dern in Buda­pest, ent­schei­den wir uns für das Szé­che­nyi-Heil­bad. Das wun­der­schö­ne, über 130 Jah­re alte Bad ist eines der größ­ten Ther­mal­bä­der Euro­pas. Den gan­zen Tag ver­brin­gen wir zwi­schen Sau­na und Dampf­bad, ver­schie­den tem­pe­rier­ten Becken und wohl­tu­en­den Was­ser­mas­sa­ge­säu­len für Rücken, Nacken und Füße. Traum­haft.

Széchenyi-Heilbad, Budapest
Szé­che­nyi-Heil­bad

Zuhau­se ange­kom­men, steht unse­re WG schon in den Start­lö­chern. An unse­rem letz­ten Abend kom­men wir natür­lich nicht um eine Men­ge Wein und Bier, eini­ge Rum-Cola und einem Bad in der schwit­zen­den Men­ge im Instant her­um.

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Antworten

  1. Avatar von Adele Berg via Facebook
    Adele Berg via Facebook

    Buda­pest. <3 Unbe­dingt Kin­der­eisen­bahn fah­ren (sehr skur­ril) und ein Exit Game besu­chen. 🙂

    1. Avatar von nuestra américa
      nuestra américa

      Vie­len Dank für die Tipps, Ade­le.

  2. Avatar von Claudia

    Oh man das hört sich nach ner span­nen­den zeit an! Ich weiß nicht ob ich ger­ne nach buda­pest woll­te… mir ist schon der urlaub in den hotels in schen­na exo­tisch und auf­re­gend genug 😀 mich kriegt man eher mit nem süd­see strand­ur­laub 😉
    Grü­ße

    1. Avatar von nuestra américa
      nuestra américa

      Buda­pest ist eine tol­le Stadt mit zwei sehr unter­schied­li­chen aber span­nen­den Gesich­tern. Wenn sich irgend­wo Städ­teur­laub lohnt, dann wohl hier.
      Aller­dings ist es auch für Buda­pest schwer der Süd­see Kon­kur­renz zu machen. 😉

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