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Blut, Qualm und Taschendiebe – in den Tempeln der Hindus erleben wir das Opfer-Fest Dashain
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Ein Mann und seine Gabe: Im Tempel Dakshinkali opfert man der Göttin Kali Tiere, Kokosnüsse und Räucherstäbchen
Blut, der ganze Boden ist voll Blut. Und bis auf uns Ungläubige, trägt hier niemand Schuhe. Mit nackten Füßen stapfen die Menschen durch Pfützen und Lachen von Blut. Und sie sorgen dafür, dass der graue Stein im Tempel Dakshinkali noch roter wird, indem sie enthauptete Hähne oder Ziegenböcke hinter sich her zerren. Ein Mann legt einen abgeschlagenen Ziegenkopf auf einer Stufe ab. Es ist ein irritierender Anblick, wie sich das Maul öffnet und wieder schließt und noch einmal öffnet. Die letzten Momente im Leben eines Tieres, das stirbt, um eine blutrünstige Göttin mild zu stimmen.
Der Tempel ist Kali geweiht, der Gattin Shivas. Und wie bei so vielen Göttern im Hinduismus, stellt Kali nur einen von vier Charakteren der Göttin dar, sie ist die Zerstörerin. Damit nimmt sie eine wichtige Rolle ein in dieser Religion, in der Neues nur entstehen kann, wenn das Alte zerschlagen wurde. Einst soll man Kali auch Menschenopfer gebracht haben, heute sterben vor allem männliche Tiere. Je wohlhabender der um Beschwichtigung bittende, desto größer das Tier, es sind vor allem Ziegenböcke und Hähne. Die Armen bringen Kokosnüsse, die im Tempel aufgeschlagen werden, Blumen, mit denen die Statuen der Göttin verziert werden, Räucherstäbchen, die nie einzeln sondern in ganzen Bündeln abgefackelt werden. Ihr süßlich-strenger Geruch vermischt sich mit dem des Blutes. Dazu dröhnt leiernde Musik aus den Lautsprechern, unterbrochen von sich ständig wiederholenden Anweisungen und Warnungen, auch auf Englisch: „Attention! Thievepockets!“
Warten auf Einlass: Dieser treue Begleiter weiß nicht, dass dies seine letzte Reise ist
Wir sind zurück aus dem Himalaya. Der Weg bis Lukla führte erst über aussichtsreiche Panoramawege und später über denselben Himalaya-Highway, den wir auch auf dem Hinweg genommen haben. Und selbst der Flug verlief ohne besondere Vorkommnisse. Bis zu den Moment, in dem wir vom Airport in eine Stadt fuhren, die nicht dieselbe zu sein schien, die wir verlassen haben. Weniger Verkehr, weniger Menschen, als hätte Kathmandu einen Exodus erlebt. Und genau das ist passiert: Das wichtigste hinduistische Fest des Jahres – Dashain – hat begonnen. 15 Tage lang wird die Göttin Durga, die Quelle alles Lebens gefeiert. Die Stadt nimmt eine Auszeit von ihren Bewohnern. Die feiern in der Heimat. Häuser und Dörfer werden geschmückt, Familien kommen zusammen, man tanzt auf den Straßen. Und wir mitten unter ihnen, fasziniert, begeistert, erschüttert, aufgewühlt.
Ein Land in Farbe: Beim Dashain fahren die Hindus ihre Götter durch die Dörfer und bestäuben sich mit Pigmenten
Ab dem achten Tag bringen die Gläubigen ihre Opfergaben in die Tempel des Landes. Als erstes beschließen wir, den in einer Talsenke bei Kathmandu gelegenen Dakshinkali zu besuchen. Der Weg vom Parkplatz zum Heiligtum wird gesäumt von Ständen, an denen Händler Gebetsketten und Blumensträuße verkaufen, Kokosnüsse und Räucherstäbchen, Hähne und Ziegenböcke – es sind Last-Minute-Opfer für die, die kein eigenes Tier dabei haben. Es ist heiß, die Luft steht, und die Gläubigen reihen sich geduldig in eine mehrere hunderte Meter lange Schlange ein. Es wird dauern, bis sie ins Innere des Tempels vordringen.
Kerzen, Räucherstäbchen, im Tempel werden die Tiere getötet. Es ist Akkordarbeit, heute sind es 500 Ziegenböcke
Die Anlage selbst ist kaum zu überblicken, so viele Menschen, so viel Rauch, so viel Blut. Im Akkord schneiden zwei kräftige Männer den Tieren die Kehlen durch. Mit dem Blut wird eine Kali-Statue bespritzt. Während der Kopf des Tiere im Tempel bleibt, wird der Rest hier ausgenommen, abgekocht und abgezogen, die Gläubigen nehmen es mit für den Festschmaus zu Hause. Auch deshalb kann man den Eindruck haben, eher in einem gewaltigen Schlachthof zu sein als an einem Ort der Gebete und der Einkehr. Wären da nicht der Rauch, das Fackeln der Kerzen, die Betenden, die verzückt zum Himmel blicken.
Warten für eine Audienz im Heiligtum: Gläubige stehen mit ihren Opfergaben geduldig in langen Reihen an
Für uns ist der Tempel nicht leicht zu ertragen. Susanne, der Vegetarierin, fällt schon der Anblick der an den Füßen gehaltenen Hähne und der treu neben ihren Besitzern in den Warteschlangen stehenden Ziegenböcke nicht leicht. Und ich beobachte die Ärmsten der Armen, wie sie im Wasser eines Baches stehen, der an der Anlage vorbei fließt, und der gefärbt ist vom vielen Blut, und ich sehe wie sie die noch verwertbaren Fleischreste herausklauben. Es sind Momente wie dieser, in denen man eine Vorstellung davon bekommt, was es bedeutet in einem der ärmsten Länder der Erde zu leben. Das zusammen gehalten wird von seiner Religion. Ein Priester malt uns ein Tilaka auf die Stirn, bindet uns ein Band ums Handgelenk und erklärt, was hier passiert, dass das Dashain- oder auch Durga-Fest eines der wichtigsten sei für die Hindus: Dass man es zehn Tage lang feiere, es ist wie euer Weihnachten, wir begrüßen die Ankunft der Göttin, die kann so gütig wie strafend sein, und deshalb besänftigen wir sie mit unseren Gaben. Dann verlangt der Priester Geld von uns.
»Wie viel?«
»So viel wie du für richtig hältst.«
Wir geben ihm einen Schein.
»Das ist zu wenig.«
Wir geben ihm einen weiteren.
»Immer noch zu wenig.«
»Nein.«
»Na, gut.«
(stark verkürzte Wiedergabe)
Wir danken für Segnung und Erklärung. Doch unser Unbehagen über diesen Ort will nicht weichen. Und wir kehren zurück in unser Hotel in den Bergen über der Stadt. Zwei Nächte bleiben wir im Haatiban-Resort, um uns zu erholen von den Wandertagen im Himalaya. Dann wollen wir aufbrechen zu einer Rundreise durch die Tempel Nepals. Den Anfang machen einige der wichtigsten Orte der Hindu.
Segnung und Erklärung: Ein Priester malt uns die Tilaka auf die Stirn und erklärt die Rituale zur Besänftigung der Göttin
Wir setzen unsere Reise an spirituelle Orte Nepals fort mit dem besten Auto, das man sich für so eine Fahrt vorstellen kann – mit einem schwarzen Mercedes 230. Es ist ein Modell der so genannten Baureihe 123, wie sie von 1975 bis 1986 hergestellt wurde. Das Auto ist älter als Mr. Bulla, sein Fahrer. Die Limousine hat sehr komfortable Sitze, vier elektrische Fensterheber und mehr als eine Million Kilometer auf dem Tacho.
Segen auch für Autos. Dieser Mercedes aus den 1980er Jahren hat mehr als eine Million Kilometer auf dem Tacho
Während des Fests werden auch Autos gesegnet, und bevor wir weiter fahren erhält „unser“ Mercedes eine Zeremonie mit Räucherstäbchen, Blüten, Bändern und Obst (ein Apfel wird auf den Motor gelegt), und dann geht es los. Wir holen Achim ab. Joachim Chwaszcza arbeitet für den DAV-Summit-Club, er ist Nepal-Experte, Buchautor und Reiseleiter mit Leidenschaft. Und wir begleiten ihn in den nächsten Tagen. Zuerst geht es an einen düsteren Ort – nach Pashupatinath.
Nekropole in der Großstadt: Pashupatinath ist für die Hindus die wichtigste Bestattungsstätte im Kathmandu-Tal
Auch die große Tempelanlage im Osten Kathmandus ist Shiva gewidmet, hier aber wird sie als Göttin des Lebens verehrt. Der innere Bereich des Tempels ist für Nicht-Hindus nicht zugänglich, die darin stehende Shiva-Statue darf nur von Priestern aus dem Süden Indiens berührt werden. In den Gebäuden rund um den Tempel leben Sadu, Frauen und Männer, die sich ganz der Askese hingeben, und Lebensmüde, die glauben, dass sie bald sterben. Und auf ihren letzten Ruheplatz warten – eine der Verbrennungsstätten am Fluss Bagmati.
Ein Ort für Weise und Sterbende: Nepal-Experte Achim erklärt wie dieser Tempel funktionert und hat eine Spende für die Sadu-Frauen. Krankenwagen bringen die Toten direkt vom Hospital zu den Verbrennungsstätten am Fluss-Ufer
Wir beobachten eine der Zeremonien. Wie die Familie mit der Toten auf einer Bahre zum Fluss kommt. Frauen weinen, Männer waschen die Füße der Leiche. Blumen und Kleider werden ins Wasser geworfen (wenige Meter flussabwärts fischen Kinder sie wieder hinaus), und dann bahren sie die Tote auf einem Scheiterhaufen auf. Sie legen feuchtes Stroh auf den Körpfer und zünden das Holz an. Rauchschwaden ziehen über die Anlage, es ist ruhig, fast still. Nur das Knistern der Flammen. Auf der anderen Flussseite haben sich ein paar Zuschauer versammelt. Pashupatinath ist kein gruseliger Ort. Es ist eine Stadt der Toten, ihnen wird hier die letzte Ehre erwiesen. Mit großer Selbstverständlichkeit. Und jeder darf dabei sein.
Momente des Abschieds: Die Tote wird auf einer Bahre gebracht, die Verwandten weinen, waschen ihr die Füße, werfen Blumen und Kleider in den Fluss, die von den Jungs links wieder herausgefischt werden. Dann verbrennt man ihre Leiche und verteilt später die Asche über das Wasser
Leben und Tod, Liebe und Trauer. Zuschauer sind eine Selbstverständlichkeit in dieser Nekropole. Das Lingam ist Symbol der Fruchtbarkeit – Penis und Vagina in einem. Und ständig liegt Rauch über der Stadt der Toten
Unser nächstes Ziel ist der Tempel von Manakamana, er gilt als einer der wichtigsten für die Hindus in Nepal: Einmal im Jahr kommen die Gläubigen hierher und bringen ein Opfer für die Göttin, die Wünsche erfüllt. Es ist eine beschwerliche Reise. 105 Kilometer Highway in Nepal fühlen sich an wie 500 Kilometer Forstweg in Deutschland. Mehr als fünf Stunden sind wir unterwegs. Der Mercedes rollt und stampft über die von Schlaglöchern zermürbte Straße.
Die Legende von Manakamana ist die einer komplizierten Dreiecksbeziehung: Nur ihr Geliebter darf wissen, dass Manakamana eine Göttin ist. Als ihr Mann, der König von Gorkha, das erfährt, stirbt er sofort. Wie es ihre Pflicht ist, verbrennt sich Manakamana mit ihm. Doch zuvor hat sie ihrem Geliebten versprochen, zurückzukommen. Als ein Bauer mit seinem Pflug gegen einen Stein scheppert, und der zu bluten beginnt, wird das als Zeichen gewertet – die Göttin ist zurück. An der Stelle, an der dieses Wunder geschah, wurde der Tempel errichtet. Achim fügt hinzu, dass man von hier bei gutem Wetter einen tollen Blick hat auf Annapurna und Manaslu.
Tempel der Zuversicht: Die Göttin Manakamana erfüllt die Wünsche der Gläubigen
Unfassbar viele Menschen warten in langer Reihe geduldig darauf, mit der einzigen Seilbahn des Landes zum 1300 Meter hoch gelegenen Tempel befördert zu werden. Es gibt sogar Lastkabinen, in denen Ziegenböcke – mit einem Gepäckanhänger versehen wie Koffer am Flughafen – transportiert werden. Die Gläubigen haben sich hübsch gemacht, die meisten bringen nur Pflanzenopfer für Manakamana, die Göttin, die die Wünsche der Gläubigen erfüllt.
Nepals einzige Seilbahn fährt nach Mankamana. Da sorgt ein Militärpolizist dafür, dass man einzeln das Heiligtum betritt
Auch am und im Tempel selbst herrscht eine gewisse Leichtigkeit und Heiterkeit: Man fotografiert sich vor der Stupa, reiht sich in eine weitere Warteschlange ein, bis man seine Opfergabe darbringen darf. Die wenigen Tiere werden nicht im sondern neben dem Tempel geschlachtet. Es brennen viele Kerzen, der Rauch von Unmengen von Räucherstäbchen zieht in dicken Schwaden über die Tempelanlage. Wir sind die einzigen Langnasen hier oben. Und einige Nepali machen Fotos von uns, sie finden uns interessant: Susanne hat langes, fast blondes Haar. Völlig ungewöhnlich in Nepal. Achim und ich sind grauhaarig. Auch spannend. Und wir haben obendrein behaarte Arme. Sensationell. Ein Mann streicht mir über meinen eigentlich nicht allzu pelzigen Unterarm, dann über seinen eigenen, nahezu nackten. Und beginnt herzhaft zu lachen.
Nach zwei Stunden schweben wir mit der Seilbahn zurück ins Tal. Schweigsam gleiten wir über die Dächer einer Siedlung, die alle lila lackiert wurden, Werbe-Gag eines Mobilfunkanbieters. Wir sind von den Eindrücken und Bildern der letzten Tage überwältigt. Ja, wir wollen die Welt fühlen. Und kommen uns jetzt vor wie der Zauberlehrling in Goethes Ballade.
Last-Minute-Opfer: Wer keine Gaben hat, kauft im Bazar des Tempels einen Hahn oder Räucherstäbchen
Unser Hotel liegt nur wenige Kilometer von Manakamana entfernt. Allerdings muss man vom Parkplatz noch über eine schmale Hängebrücke zu Fuß den Fluss Trisuli queren und dann rund 30 Minuten einem Pfad durch ein Bauerndorf zwischen Bananen und Bambus folgen, bis man die Summit River Lodge erreicht. Ein paar hübsche, aber schlicht eingerichtete Bungalows in einem terrassiert angelegten, üppigen Garten. Abends sitzen wir auf einer der Veranden und hören dem Kreischen der Zikaden zu. Wir trinken ein Everest-Biert. Ein Rafting-Schlauchboot schaukelt auf dem Fluss vorbei. Die Paddler johlen vor Vergnügen. Verblüffend zu erkennen, dass das, was die Verrückten da unten treiben, uns so viel näher ist als die Rituale der Gläubigen in den Tempeln.
Am Fluss Trisuli – sehr beliebt bei Raftern – liegt unsere Lodge. Man traut sich fast nicht, es im Zusammenhang mit einer Reise durch so viele Tempel zu sagen, es ist ein Paradies der Ruhe. Wie eng Leben und Tod miteinander verbunden sind, zeigt die große Schaukel an der Nekropole Pashupatinath: Während hinter ihnen der Jammer und der Rauch der Totenverbrennungen über den Hain weht, juchzen und lachen vor Vergnügen die fliegenden Kinder
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