Auf Schmugglerrouten durch Andorra

„Was ist das, was hier über­all wächst – Salat?!“ Rat­lo­sig­keit auf unse­ren Gesich­tern, als wir ent­lang klei­ner Fel­der durch die andor­ra­ni­schen Pyre­nä­en fah­ren. Tat­säch­lich, die zar­ten grü­nen Pflan­zen, die ihre dün­nen Blät­ter aus dem frisch beack­ter­ten Boden ragen las­sen, sehen aus wie Kopf­sa­la­te, die bis zur Ern­te noch eine Wei­le wach­sen müs­sen. Aber Salat­blät­ter, hier, mit­ten in den Ber­gen, auf so klei­ner Flä­che? Wer in einem Land lebt, das dank stei­ler Hän­ge und hoher Pla­teaus ohne­hin kaum Mög­lich­kei­ten zur Land­wirt­schaft bie­tet, wird ver­mut­lich etwas anbau­en, das ein biss­chen mehr Nähr­stof­fe ent­hält, den­ke ich mir noch, und knei­fe die Augen zusam­men.

End­lich dann die Erkennt­nis – was hier wächst, ist tat­säch­lich Tabak. Dass eben die­ser in Andor­ra aus Steu­er­grün­den ger­ne ein­ge­kauft wird, war mir bewusst, jedoch nicht, dass das klei­ne Land selbst wel­chen anbaut. Dabei hat der Tabak­an­bau eine lan­ge Geschich­te und war der wich­tigs­te Wirt­schafts­zweig des Lan­des, bevor er vom Tou­ris­mus abge­löst wur­de.

Tabakanbau in Andorra

Tabak­an­bau, mit­ten in Euro­pa? Ich stau­ne nicht schlecht, die Pflan­zen hät­te ich wohl eher in Süd­ame­ri­ka oder Afri­ka erwar­tet, eben als Teil des­sen, was man frü­her „Kolo­ni­al­wa­ren“ genannt hat. Doch auch in den Tälern Andor­ras wächst der Tabak flei­ßig, aller­dings nur auf einem gerin­gen Teil der land­wirt­schaft­lich nutz­ba­ren Flä­che des Lan­des. Dass es die Plan­ta­gen heu­te noch gibt, liegt schlicht dar­an, wie lukra­tiv das Geschäft mit dem Tabak ist. Eine Hand­voll Fabri­ken in Andor­ra stellt für gro­ße Mar­ken wie Camel oder Marl­bo­ro her.

Den­noch ist Tabak als Wirt­schafts­zweig in Andor­ra im ver­gan­ge­nen Jahr­hun­dert immer stär­ker zurück­ge­gan­gen – güns­ti­ge­re Kon­kur­renz in ande­ren Tei­len der Welt mach­te das Geschäft kaputt, der Tou­ris­mus wur­de inter­es­san­ter. Zeu­ge davon ist das Tabak­mu­se­um, das sym­bol­träch­tig in einer ehe­ma­li­gen Fabrik in der Nähe der Haupt­stadt unter­ge­bracht ist. End­gül­tig schlie­ßen muss­te die­se 2007, bei­na­he ein­hun­dert Jah­re nach Eröff­nung. Heu­te wird in den ehe­ma­li­gen Fabrik­hal­len nicht nur der Weg von der Pflan­ze bis zur fer­ti­gen Ziga­ret­te plas­tisch dar­ge­stellt, son­dern auch auf die Bedeu­tung von Tabak in Andor­ra über das rein Wirt­schaft­li­che hin­aus Bezug genom­men.

Wein statt Tabak – eine Alternative

Heu­te gibt es jedoch auch Ver­su­che, den Tabak­an­bau durch ande­re land­wirt­schaft­li­che Pro­duk­te zu erset­zen. Este­ve Tor besaß frü­her selbst Tabak­fel­der, bevor er 2005 mit Unter­stüt­zung des Land­wirt­schafts­mi­nis­te­ri­ums einen Ver­such wagen woll­te: Wächst Wein auf den 1.200 Meter hohen, stei­len Ost­hän­gen im Dorf Auvi­nyà? Es brauch­te eine gewis­se Zeit, um aus­zu­tes­ten, wel­che Sor­ten für die­ses raue Kli­ma geeig­net sind. Dabei ist Wein eigent­lich kein all­zu unge­wöhn­li­ches Pro­dukt in Andor­ra – Weiß­wein, der auch in kal­ten Zonen wach­sen kann, wur­de hier frü­her bereits ange­baut. Doch die von Tor gegrün­de­te Casa Auvi­nyà schaff­te es, auch den ers­ten Rot­wein des Lan­des her­zu­stel­len.

3000–4000 Fla­schen wer­den jähr­lich vom Fami­li­en­un­ter­neh­men pro­du­ziert. Dabei ist viel Hand­ar­beit im Spiel, denn Maschi­nen kapi­tu­lie­ren an den stei­len Hän­gen. Ver­kauft wird der Wein an eini­ge Geschäf­te und Restau­rants in der Nähe, auch nach Frank­reich, weni­ger nach Spa­ni­en. Der Wein ist nicht nur wegen sei­nes Geschmacks beliebt, son­dern vor allem auf­grund sei­ner Geschich­te – der ers­te Rot­wein Andor­ras, das macht schon etwas her.

Und wie schmeckt das Gan­ze? Ich, mei­nes Zei­chens begeis­ter­te Wein­trin­ke­rin, aber defi­ni­tiv kei­ne Ken­ne­rin, kann es nur in einem Wort zusam­men­fas­sen: Unge­wöhn­lich. Es mag an der Höhe lie­gen, an der spe­zi­el­len Aus­wahl an wider­stands­fä­hi­gen Sor­ten oder am Pyre­nä­en­bo­den – aber ich fin­de, der Geschmack passt mehr als gut zur spe­zi­el­len Geschich­te des edlen Trop­fens, und die wun­der­schö­ne Umge­bung tut ihr Übri­ges.

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Schmugglerrouten um Andorra

Genau­so lang wie den Tabak­an­bau gibt es in Andor­ra wahr­schein­lich schon den noch lukra­ti­ve­ren Tabak­schmug­gel. Die Berg­päs­se ste­cken vol­ler Mög­lich­kei­ten, unge­se­hen über die Gren­ze zu kom­men, und in wirt­schaft­li­chen Not­la­gen sicher­te das nächt­li­che Trans­por­tie­ren der schwe­ren Ruck­sä­cke nach Frank­reich oder Spa­ni­en so man­chen Andor­ra­nern das Über­le­ben. Lan­ge wur­den der ille­ga­le Grenz­ver­kehr eher gelas­sen gese­hen, bald waren es jedoch nicht mehr die Andor­ra­ner selbst, son­dern orga­ni­sier­te, kri­mi­nel­le Ban­den aus dem Aus­land. Unter ande­rem auf Druck der EU und der Nach­bar­län­der, denen durch die ille­ga­len Ziga­ret­ten hohe Sum­men an Steu­er­gel­dern ver­lo­ren gegan­gen waren, ver­stärk­te man Ende der neun­zi­ger Jah­re die Kon­trol­len radi­kal. Heu­te ist Andor­ra längst nicht mehr als Schmugg­ler-Para­dies bekannt.

Doch natür­lich gibt es sie noch, die Tou­ris­ten, die ein paar Packun­gen Ziga­ret­ten mehr mit­neh­men, als sie eigent­lich dür­fen, und die jun­gen Män­ner, die sich nachts gefüll­te Ruck­sä­cke über die Schul­tern wer­fen und sich auf den Weg ins Gebir­ge machen. Seit der Welt­wirt­schafts­kri­se sei der Schmug­gel wie­der ange­stie­gen, erzählt man uns. Eine Stan­ge kann man in Andor­ra für um die 20 Euro kau­fen und in Frank­reich für 35 bis 40 Euro los­wer­den. Mit einem gro­ßen Ruck­sack kann man so bei einer ein­zi­gen Grenz­über­que­rung 1.500 Euro Gewinn machen.

Doch die Gefah­ren sind all­ge­gen­wär­tig: Wer erwischt wird, dem dro­hen min­des­tens hohe Geld­stra­fen, und auch die Berg­ket­ten zwi­schen Andor­ra und sei­nen Nach­bar­staa­ten sind uner­bitt­lich. Auf den über 2.000 Metern, die die Päs­se hier hoch sind, liegt ganz­jäh­rig Schnee, das Wet­ter kann augen­blick­lich umschla­gen. Wer die Wege nicht genau kennt, kann da schnell in Pro­ble­me gera­ten.

Schmuggler-Routen heute: Unterwegs zu Fuß und auf Rädern

Viel wich­ti­ger für Andor­ra sind mitt­ler­wei­le jedoch die neu­en Nut­zungs­ar­ten für die alten Wege im Gebir­ge. Und die sind ähn­lich sport­lich, aber sehr viel weni­ger heim­lich­tue­risch. Andor­ra ist ein ein­zi­ges Wan­der­pa­ra­dies, vie­le der Wege lau­fen ent­lang der Gren­zen in die Nach­bar­län­der – und somit auch über ehe­ma­li­ge oder gar aktu­el­le Schmugg­ler­pfa­de. Wan­dern ist in die­sen Gegen­den so beliebt, dass auch die Zoll­fahn­der hier ohne Uni­form auf­tre­ten, son­dern sich ins Wan­der-Out­fit wer­fen, um nicht schon von Wei­tem erkannt zu wer­den.

Wer ganz viel Ener­gie hat, der kann das klei­ne Land sogar wan­dernd ein­mal kom­plett umrun­den. 7 Etap­pen sind für 120 Kilo­me­ter vor­ge­se­hen. Das ist jedoch nichts für Untrai­nier­te – ent­lang der Pyre­nä­en war­ten star­ke Stei­gun­gen und unweg­sa­mes Ter­rain, und Zu- und Abstie­ge zur Rou­te fin­den sich nur an weni­gen Stel­len. Doch Andor­ra bie­tet auch kür­ze­re und leich­te­re Fern­wan­der­we­ge oder ver­schie­den anstren­gen­de Tages­tou­ren. Ein Netz aus 30 Berg­hüt­ten ermög­licht es einem, auch ohne Zelt unter­wegs zu über­nach­ten.

Wir ent­schei­den uns für eine etwas ande­re Tour und stei­gen auf vier Räder, um über eine ehe­ma­li­ge Schmugg­ler-Rou­te zu bret­tern. Statt der ver­spro­chen Quads gibt es Bug­gys, also klei­ne run­de Gefähr­te mit offe­nen Sei­ten, dafür aber einem fes­ten Dach, das um eini­ges mehr Sicher­heit bie­tet. Drin­nen eine fixe Anlei­tung, wie man sich ver­hält, soll­te sich das Ding trotz der dicken Rei­fen über­schla­gen.

Rasant durch die Pyrenäen

Wer hier schon län­ger mit­liest, der weiß viel­leicht, dass das Auto­fah­ren und ich noch nie all­zu gute Freun­de waren. Es war ein gro­ßes Dra­ma, als ich tat­säch­lich zum ers­ten Mal allei­ne in einem Auto sit­zen muss­te – und dann auch noch in einem Miet­wa­gen. Und ja, ich wer­de dafür regel­mä­ßig aus­ge­lacht. Doch in Andor­ra freue ich mich rie­sig auf die Tour und habe gar kein Pro­blem damit, sofort den Fah­rer­platz ein­zu­neh­men. Wahr­schein­lich liegt es ein­fach dar­an, dass ich im Stra­ßen­ver­kehr unter kon­stan­ter Angst lei­de, einen Fuß­gän­ger zu über­se­hen oder dem Auto, das nicht mehr gehört, einen Krat­zer zuzu­fü­gen. Hier in den Ber­gen ist die Wahr­schein­lich­keit gering, ande­ren Scha­den zuzu­fü­gen, und ein Krat­zer soll­te den robus­ten Bug­gys nun wirk­lich nichts aus­ma­chen.

Und so wet­zen wir die Wie­se, die im Win­ter eine Ski­pis­te ist, nach oben. Bald sehen wir schnee­be­deck­te Gip­fel über­all um uns her­um, und es folgt die klas­si­sche Rich­tungs­wei­sung in Andor­ra: Hier Frank­reich, dort Spanien.Für uns geht es immer wei­ter nach oben, über Schot­ter­pis­ten und ein Stück, das so steil ist, dass ich mich schon über­win­den muss, tat­säch­lich mein gan­zes Gewicht aufs Gas­pe­dal zu drü­cken. Berg­ab macht natür­lich noch mehr Spaß und ich bin bald etwas gelang­weilt davon, in der Schlan­ge im Schne­cken­tem­po hin­ter den ande­ren her­fah­ren zu müs­sen. Aria­ne, der Stra­ßen­row­dy, viel­leicht ist es ganz gut, dass ich sonst so wenig im Auto unter­wegs bin, den­ke ich und gebe für das letz­te Stück mei­ne Fah­rer­po­si­ti­on ab.

Über die alten Schmugg­ler­rou­ten haben wir auf unse­rer Tour lei­der recht wenig erfah­ren, dafür hat­ten wir jede Men­ge Spaß. Und ste­hen damit selbst bei­spiel­haft für den Wan­del in dem klei­nen Berg­land, in dem der Tou­ris­mus heu­te sehr viel wich­ti­ger ist als alles, was mit dem Tabak zu tun hat.

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