„No. It’s not safe!“ – sagt die Rezep­tio­nis­tin, als wäre allein der Gedanke naiv. Ich wollte ihre Ein­schät­zung hören: Ob es sicher wäre, vom Hotel aus ins Saka­manga-Restau­rant zu lau­fen. Nur 400 Meter ent­fernt liegt es, Google Maps hatte die Geh­zeit mit 5 Minu­ten berech­net. Offen­bar nicht. Sie tritt vor die Tür, hält den Arm raus und stoppt eines die­ser creme­far­be­nen Old­ti­mer-Taxis. Anders geht es wohl nicht, hier in Antana­na­rivo nach Ein­bruch der Dun­kel­heit. Zwei Links­kur­ven spä­ter, noch ehe ich den Sicher­heits­gurt anle­gen kann, kom­men wir an. Ich muss beim Aus­stei­gen über diese Abstru­si­tät lachen. Doch ratio­nal betrach­tet, ist ein Leben unter sol­chen Umstän­den natür­lich alles Andere als lustig.

Es sind Anek­do­ten wie diese, die viele Rei­sende abschre­cken. Nach Mada­gas­kar kom­men sie wegen der Affen­brot­bäume in der Allée des Baobabs, der geo­lo­gi­schen For­ma­tio­nen in Tsingy de Bema­raha, der natür­li­chen Swim­ming-Pools in Isalo oder der Lemu­ren in Anja oder Anda­sibe. Nach Antana­na­rivo kommt man, um schleu­nigst wie­der zu gehen.

Antananarivo: Von Touristen gerne gemieden

Die Haupt­stadt Antana­na­rivo, oft auch nur Tana genannt, gilt also als das unum­gäng­li­che Ein­falls­tor zu Mad­gas­kars Schön­hei­ten. Die Stadt ver­heißt nichts Gutes. Kri­mi­na­li­tät. Armut. Wenige offi­zi­elle Sehens­wür­dig­kei­ten. Als Tou­rist kann man kaum ein paar Schritte gehen, ohne ange­spro­chen zu wer­den. Das kann Angst ein­ja­gen. Dazu kommt: Antana­na­rivo erfüllt nicht über­all die klas­si­schen Erwar­tun­gen an Ästhe­tik. Der unsäg­li­che Ver­kehr ver­stopft die Stra­ßen, es liegt Müll herum. Das ame­ri­ka­ni­sche For­bes Maga­zin hat 2015 eine unrühm­li­che Rang­liste ver­öf­fent­licht: Nur zwei Städte auf die­ser Welt sind dem­nach schmut­zi­ger als Antana­na­rivo: Baku und Dhaka.

Es gibt den­noch gute Gründe ein paar Tage in Tana zu blei­ben. Allein die Bedeu­tung, die diese Stadt für das Land hat. Natür­lich ist sie Regie­rungs­sitz, Mit­tel­punkt von Indus­trie, Admi­nis­tra­tion und Bil­dung. Aber aus Sicht eines Rei­sen­den viel inter­es­san­ter: sie formt das urbane Zen­trum des Lan­des, mit all sei­nen Impli­ka­tio­nen. Hier kom­men die unter­schied­lichs­ten Men­schen auf engs­tem Raum zusam­men. Die Stadt ver­heißt Schön­heit auf den zwei­ten Blick.

Wo spielt es sich ab, das Leben?

Am Mor­gen wol­len wir zum Analakely Markt. Wir las­sen sämt­li­che Wert­sa­chen im Hotel­safe, nur die Kame­ras wickeln wir eng ums Hand­ge­lenk. Schon am Vor­tag waren wir mit unse­rem Guide Fanah in der Gegend rund um die Ave­nue de l‚Independence unter­wegs gewe­sen. Er war besorgt um uns. Sobald wir ein paar Sekun­den aus sei­nem Blick­feld gerie­ten, suchte er uns immer ganz hek­tisch. Ein biss­chen kom­men wir uns daher vor wie trot­zige Kin­der, die heim­lich los­zie­hen, obwohl es die Eltern klar ver­bo­ten hatten.

Man muss sich den Markt wie den inne­ren Kern eines rie­si­gen Han­dels­are­als vor­stel­len: In der gesam­ten Stadt gibt es zwar auch klas­si­sche Ver­kaufs­flä­chen, aber es wird sehr viel an Stän­den am Stra­ßen­rand oder von mobi­len Händ­lern ver­kauft. Allein optisch ist der Markt ein High­light. Da er ent­lang stei­ler Trep­pen führt kön­nen wir vom höchs­ten Punkt aus über eine Allee von Son­nen­schir­men bli­cken. Sobald wir uns hin­ein­stür­zen, wird es tat­säch­lich anstren­gend. So eng, und aus allen Rich­tun­gen wer­den wir ange­spro­chen. Dicht bei­sam­men ste­hen die Stände. Dazwi­schen sit­zen Men­schen, die ver­kau­fen, was sie wohl irgendwo zusam­men­klau­ben konn­ten. Die Rück­schale eines Han­dys, ein paar Schrau­ben, eine Bat­te­rie. Andere Händ­ler tra­gen ihre Waren auf dem Kopf. Manch­mal quet­schen sich Autos durch die ver­stopf­ten Gas­sen. Es ist eine kom­pri­mierte Erfah­rung, unser Markt­rund­gang. Unzäh­lige Ein­drü­cke pras­seln auf uns ein. Aber: Der Markt eig­net sich über­all, um sich einer Stadt anzunähern.

In einer nahe­ge­le­ge­nen Sprach­schule ler­nen emsige Teen­ager Deutsch. Sie spre­chen fast feh­ler­frei, haben einen beein­dru­cken­den Wort­schatz und sind hoch­mo­ti­viert die Spra­che anzu­wen­den. Nur was ist die gute Aus­bil­dung wert, hier auf Mada­gas­kar? Viele Optio­nen gibt es nicht. In dem Insel­staat, einem der ärms­ten Län­der der Welt, domi­niert die Land­wirt­schaft. Die Jugend­li­chen sind opti­mis­tisch. Im Tou­ris­mus gibt es Stel­len. Deutsch­spra­chige Rei­se­lei­ter sind gefragt, das wäre was.

Ganz oben angekommen

Auf dem Weg zur Rova von Antana­na­rivo, dem ehe­ma­li­gen Königs­pa­last, wird vie­les kla­rer. Die Stadt ist ver­ti­kal geglie­dert in Ober- und Unter­stadt (Haute-Ville und Bass-Ville). Hier oben, wo das Klima ange­nehm und kühl ist, sind die schö­nen Gebäude der Stadt. Läden und Restau­rants sind hier ver­gleichs­weise hoch­prei­sig. Es gibt ein Fit­ness­stu­dio, wo man Men­schen auf dem Lauf­band durch die Fens­ter­scheibe sieht. Mit 1462m der höchste Punkt der Stadt, funk­tio­niert das Areal rund um den Palast wun­der­bar als Aus­sichts­punkt über Antana­na­rivo. Häu­ser lie­gen far­ben­froh an den Hän­gen, ähn­lich wie man das von man­chen süd­ame­ri­ka­ni­schen Städ­ten kennt.

Man kann von hier auf den Lac Anosy bli­cken, ganz unten liegt er. Der See wurde zu Ehren der im 1. Welt­krieg gefal­le­nen Mada­gas­sen in Form eines Her­zens (also des tat­säch­li­chen Organs) ange­legt. Bis weit ins Zen­trum hin­ein, sogar ter­ras­sen­ar­tig auf den Hügeln erkenn­bar, zie­hen sich groß­flä­chige Reis­fel­der. Ohne tech­ni­sches Gerät wer­den sie von behä­bi­gen Zebus durch­pflo­gen. Das kannte ich so noch von kei­ner Haupt­stadt die­ser Welt.

Auf der Aus­sichts­platt­form tum­meln sich die Teen­ager. Sie spie­len Fuß­ball, schie­ßen Pro­fil­bil­der für Face­book oder hän­gen ein­fach ab. Ein paar junge Pär­chen hal­ten schüch­tern Händ­chen. Öffent­li­che Zärt­lich­kei­ten sind in Mada­gas­kar nicht gern gese­hen. Aber hier oben guckt kei­ner. Fast kei­ner. Einen Auf­pas­ser gibt es. So ein Halb­star­ker ist das hier, selbst noch jugend­lich mit Secu­rity-Uni­form und Knüp­pel am Gür­tel. Schwer vor­stell­bar, dass er im Ernst­fall den Unter­schied macht. Unser Guide ist in stän­di­ger Sorge. Die „Gangs­ter“, sagt er, tau­chen auch hier oben immer wie­der auf.

Essen mit den Eliten

In einer Haupt­stadt tum­meln sich immer die Mäch­ti­gen des Lan­des. Die­je­ni­gen, die die Res­sour­cen ver­wal­ten, egal wie knapp sie sind. Wer einen Ein­blick in das eli­täre Trei­ben Mada­gas­kars möchte, muss sich einen Tisch im Restau­rant „La Var­an­gue“ reser­vie­ren. Als wir ankom­men, steht ein Auto mit klei­ner USA-Flagge an der Küh­ler­haube im Gar­ten. Der zuge­hö­rige Body­guard blickt uns stan­des­ge­mäß fins­ter an. Drin­nen ste­hen ein paar Tische inmit­ten einer umfas­sen­den Anti­qui­tä­ten-Samm­lung. Ein Din­ner im Museum.

Zu Tisch wer­den wir von meh­re­ren Kell­nern umgarnt, die sofort nach­schen­ken, wenn man mal von sei­nem Was­ser­glas nippt. Um uns herum sitzt die Ober­schicht. Mit klas­si­scher Abend­gar­de­robe und neu­rei­chem Gehabe. Frauen zie­hen Lip­pen­stift nach und Män­ner legen die Han­dys auf den Tisch, weil ein Deal­ma­ker eben kei­nen Fei­er­abend kennt. Und wäh­rend drin­nen die Oli­ven aus Paris zum Apé­ri­tif genascht wer­den, sit­zen drau­ßen am Ein­gangs­tor 3 Sicher­heits­leute auf Holz­sche­meln. Sie wei­sen Bett­ler, Hung­rige und Streu­ner ab. Die Rea­li­tät muss drau­ßen blei­ben, es reicht halt nicht für alle. Selbst im GEO-Maga­zin klingt es, als sei dies ein grund­sätz­li­cher Zustand, Armut per Defi­ni­tion: „Mada­gas­kar ist ein Ort, der sich durch die Freund­lich­keit sei­ner Bewoh­ner und die Begrenzt­heit mate­ri­el­ler Mög­lich­kei­ten definiert“.

Wer weiß, was Tana noch alles für uns bereit­ge­hal­ten hätte, wären wir etwas län­ger geblie­ben. Ich wollte noch soviel tun: Der jun­gen Poe­tin aus dem Taxi zu ihrer Auf­füh­rung fol­gen, im Gare de Soarano, dem alten Bahn­hof einen Espresso unter Geschäfts­leu­ten trin­ken oder schlicht­weg die so expres­sive Kunst- und Gas­tro­szene wei­ter erkun­den. Der Punkt ist: Ich würde an die­sen rauen Haupt­städ­ten der Welt nie ein­fach so vor­bei­ge­hen. Je tie­fer man ein­steigt, desto span­nen­der wird es. Auch in Tana.

Offen­le­gung: Unser Road­trip durch Mada­gas­kar wurde von Erlebe-Fern­rei­sen unter­stützt. Lie­ben Dank an Chris­tina vom Mada­gas­kar-Team für die kom­pe­tente Bera­tung und an Julia für ihre Engels­ge­duld bei all unse­ren Fragen :-) !

Cate­go­riesMada­gas­kar
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  2. Sehr inter­es­san­ter Bericht. War selbst schon ein paar Tage in Tana. Direkt als Tou­ris­ten­ma­gnet würde ich es nicht bezeich­nen, eher als Dreh­scheibe für eine Wei­ter­reise. Den­noch kann man auch in Tana viele schöne Foto­mo­tive fin­den, wie auch euer Bericht schön zeigt. lg Peter

    1. Stefan says:

      Danke Peter, so in etwa haben wir das auch wahr­ge­nom­men. Es war schon span­nend zu sehen, was sich alles auf­tut, wenn man sich auf Tana einlässt.

      Alles Liebe!

  3. Eva91 says:

    Sieht nach einem sehr armen Volk aus. Gehört habe ich bis­her nur schöne Dinge aus dem Land. Aber wirk­lich gese­hen noch gar nichts. Aber die Infos die ihr in eurem Blog gibt sind wirk­lich sehr gut. Vie­len Dank aus dem 4 Sterne Hotel Oberstaufen

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