Baum­wip­fel schwan­ken bedroh­lich, irgend­was, irgend­wer kommt da direkt auf uns zu. Dann sehe ich sie. Ein Orang-Utan-Weib­chen mit ihrem Nach­wuchs. An Sei­len klet­tert die Mut­ter geschickt unter Ein­satz aller vier Glied­ma­ßen Rich­tung Fut­ter­platz, wäh­rend sich ihr Klei­nes an ihrem Rücken fest­krallt. Flink angelt sie sich eine Büschel Bana­nen, ein paar Früchte wer­den an Ort und Stelle ver­zehrt, und schon sind die bei­den in dem ewi­gen Grün ver­schwun­den. Da, ein Schau­keln, Baum­kro­nen stre­ben aus­ein­an­der. Ein Dreier-Gespann aus Mut­ter, Baby und Jung­affe nähert sich von der ande­ren Seite um sich rasch an dem Früchte-Buf­fet zu bedie­nen. Vor­sicht ist gebo­ten. Es könnte sich ein aggres­si­ves Männ­chen in der Nähe befin­den, das dem Nach­wuchs, oder auch dem Weib­chen gefähr­lich wer­den könnte. Grund­sätz­lich sind die impo­san­ten Men­schen­af­fen eher Ein­zel­gän­ger. Meist begeg­nen sie sich nur zu Paa­rungs­zwe­cken. Die fried­li­chen Weib­chen hal­ten es auch mal län­ger gemein­sam aus, wäh­rend Begeg­nun­gen zwi­schen männ­li­chen Art­ge­nos­sen meist feind­se­lig verlaufen.

Einst ansäs­sig in aus­ge­dehn­ten Gebie­ten Süd­ost­asi­ens, leben Orang-Utans in freier Wild­bahn nur noch auf Bor­neo und Suma­tra. Wie hier im Semeng­goh-Reser­vat, außer­halb Kuchings, in Sara­wak. Wobei die Orang-Utans hier quasi Halb-Wilde sind. Seit 20 Jah­ren wer­den im Natur-Reser­vat junge, ver­waiste Orang-Utans, oder Tiere aus Gefan­gen­schaft, an ein Leben im Regen­wald gewöhnt. Mitt­ler­weile gibt es hier eine gesunde Popu­la­tion von ca. 2.000 Men­schen­af­fen, die in der Wild­nis leben und nur manch­mal für einen kos­ten­lo­sen Snack an der Fut­ter­sta­tion vor­bei schauen. Tiere, die erst kürz­lich aus­ge­wil­dert wur­den, zei­gen sich öfter. Fut­ter­zei­ten sind täg­lich um 9 Uhr mor­gens und 15 Uhr nach­mit­tags. Hierzu sind Besu­cher im Reser­vat erwünscht, ansons­ten genie­ßen die Tiere unge­störte Ruhe. Die Chan­cen ein paar der Men­schen­af­fen zu Gesicht zu bekom­men ste­hen sehr gut, auch wenn natür­lich keine Garan­tien gege­ben werden. 

Der Chef im Semeng­goh-Reser­vat heißt Rit­chie und ist damit quasi mein Namens­vet­ter, was ihn mir spon­tan sym­pa­thisch macht. Der „Big Boss“ ist schon 37 Jahre alt und mit sei­nen fast 100 Kilo­gramm Lebend­ge­wicht eine impo­sante Erschei­nung. In letz­ter Zeit bekommt er aber Kon­kur­renz. Der jün­gere Edwin hat es auf sei­nen Sta­tus abge­se­hen. Wilde Ter­ri­to­ri­al­kämpfe haben die Ran­ger schon beob­ach­ten kön­nen, bei denen Edwin bereits einen Fin­ger ver­lo­ren haben soll. Mit einem bal­di­gen Sieg des Jün­ge­ren und der dar­auf­fol­gen­den Ver­ban­nung des alten Boss, wird in Kürze jedoch gerech­net. Ja, die Natur kann auch grau­sam sein.

Die Pflege und der Schutz im Reser­vat sind vor­bild­lich, aber auch auf Malay­sia und Indo­ne­sien sind die Lebens­räume der Men­schen­af­fen mas­siv bedroht. Vor allem die starke Nach­frage nach Palmöl gefähr­det die Orang-Utan-Popu­la­tion. Beide Natio­nen zäh­len zu den Haupt­pro­du­zen­ten die­ses Produktes.

Doch nicht nur die Lebens­räume unse­rer nächs­ten tie­ri­schen Ver­wand­ten sind in Gefahr, auch mensch­li­che Habi­tate müs­sen oft dem Fort­schritt, bezie­hungs­weise dem Palmöl und der Holz­in­dus­trie wei­chen. Hier kommt Andy ins Spiel, ein Mann, der mich nach unse­rer Begeg­nung noch nach­hal­tig beein­druckt. Andy ist in sei­nen spä­ten 50ern und heißt nicht wirk­lich Andy. Wie viele Malay­sier trägt Andy zusätz­lich zu sei­nem malay­si­schen einen west­li­chen Per­so­nen­na­men. Genau ver­stan­den habe ich nicht, wie die­ses Sys­tem funk­tio­niert. Schein­bar kann die­ser Name frei gewählt wer­den, oder wird bereits von den Eltern aus­ge­sucht. Andy selbst zählt zu der indi­ge­nen Bevöl­ke­rung Bor­neos, die unter dem Sam­mel­be­griff Dayak zusam­men­ge­fasst wird und sich aus mehr als 100 ver­schie­de­nen Stäm­men zusam­men­setzt, mit eige­nen Spra­chen, Lebens­weise und Kul­tur. Bis zu sei­nem 15. Lebens­jahr lebte Andy mit sei­ner Fami­lie im Regen­wald, in einem so genann­ten Lang­haus, einer gro­ßen, Hütte auf Stel­zen, die in Längs­rich­tung in einen Gemein­schafts­teil und anein­an­der­ge­reihte Wohn­be­rei­che auf­ge­teilt ist. Bis zu 40 Fami­lien kön­nen in so einem Lang­haus woh­nen. Der Stamm lebte vom Jagen und Sam­meln und so lernte Andy von sei­nen Eltern das Fähr­ten­le­sen, wel­che Pflan­zen genieß­bar sind, wel­ches Kraut vor Insek­ten­bis­sen schützt, wie man ein Dach gegen Regen abdich­tet, schlicht das Leben und Über­le­ben im Regen­wald. Wie viele andere Stämme wurde auch dem sei­ni­gen das Land geraubt. Die Bewoh­ner wur­den in neue moderne Häu­ser umge­sie­delt, Andy ging ins Inter­nat und lernte völ­lig andere Dinge. Jetzt führt er Tou­ris­ten durch Sara­wak. Andy ist ein Wand­ler zwi­schen den Zei­ten. Eine anrüh­rende Melan­cho­lie umgibt ihn, auch wenn er sehr prag­ma­tisch ist. So spricht er zum Bei­spiel flie­ßend Deutsch. Die Spra­che hat er sich mit Kur­sen aus dem Inter­net selbst bei­gebracht, aus dem ein­fa­chen Grund, weil er darin eine Busi­ness-Oppor­tu­nity sieht, da nicht so viele Gui­des Deutsch spre­chen. Eng­lisch spricht er, wie viele Malay­sier, sowieso per­fekt. Immer wie­der bin ich begeis­tert über Andys rei­chen Wort­schatz. Bei der Besich­ti­gung des Sara­wak Cul­tu­ral Vil­lage, einer Art leben­di­gen Museum, in dem sich die tra­di­tio­nelle Lebens­weise der ver­schie­de­nen Stämme erfah­ren las­sen, benutzt er ganz selbst­ver­ständ­lich das Wort „Mehr­zweck­halle“, als er eine Hütte zeigt, in der unter ande­rem die Skalps der Feinde auf­be­wahrt wer­den, Frauen Hand­ar­beit ver­rich­ten und Ver­samm­lun­gen statt­fin­den. Das beein­druckt mich doch sehr.
Das Cul­tu­ral Vil­lage Sara­wak hat viele Aus­zeich­nun­gen erhal­ten und geht, abge­se­hen von der Cul­tu­ral Show, die mich ein wenig zu sehr an Frei­zeit­park erin­nert, wür­de­voll mit dem indi­ge­nem Erbe Sara­waks um. Letz­tes Jahr waren sogar Prince Charles und Camilla zu Gast. Doch wie muss das für Andy sein, Tou­ris­ten durch die Rui­nen sei­ner Kind­heit zu füh­ren? Die­sen Gedan­ken kann ich trotz aller Fas­zi­na­tion nicht zur Seite schie­ben. Andys Kin­der mögen den Regen­wald und das ein­fa­che Leben dort bereits nicht mehr, sie fin­den es lang­wei­lig und möch­ten nicht auf Kom­fort und Inter­net ver­zich­ten. Ich frage Andy, ob es viele Stam­mes­an­ge­hö­rige gibt, die Anpas­sungs­pro­bleme an die neue Lebens­weise haben, und ja, die gibt es wohl zuhauf. Alko­hol­miss­brauch und Kleb­stoff­schnüf­feln sind die Ant­wort. Natür­lich ist die Geschichte des Kolo­nia­lis­mus Bor­neos schon Jahr­hun­derte alt und so rich­tig in Ruhe gelas­sen wur­den die Stämme nie, sei es von bru­neiischen Sul­ta­nen, der Brooke-Dynas­tie, den Eng­län­dern oder Nie­der­län­dern. Doch die mas­sive Abhol­zung des Regen­wal­des, die von Staats­sei­ten kaum kon­trol­liert wird, ver­än­dert das Land nach­hal­tig für Mensch und Tier. Nach der schließ­lich voll­stän­di­gen Rodung des Dschun­gels ent­ste­hen hier rie­sige Mono­kul­tu­ren von Palmöl-Plan­ta­gen. Es bleibt zu hof­fen, dass die mas­sive natio­nale und inter­na­tio­nale Kri­tik an die­sem Wirt­schafts­zweig zu einem Ein­len­ken und Umden­ken führt.

Noch kann man die unbe­schreib­li­che Schön­heit des Regen­walds erfah­ren, zum Bei­spiel im Bako Natio­nal­park, dem ältes­ten Natio­nal­parks Sara­waks. Er liegt nörd­lich von Kuch­ing, auf einer 27 Qua­drat­ki­lo­me­ter gro­ßen Halb­in­sel am Süd­chi­ne­si­chen Meer. Der Park lässt sich nur per Boot errei­chen, genauer gesagt, mit­tels einer wag­hal­si­gen 20-minü­ti­gen Über­fahrt in einem win­zi­gen Holz­kahn. Ich bin in der Regen­zeit da, das Was­ser steht hoch, der Wel­len­gang ist stark. Der Fah­rer bret­tert mit einem Mord­s­tempo an bun­ten Holz­hüt­ten auf Stel­zen vor­bei, das Was­ser ist ganz braun von dem gan­zen Schlick, den der zu die­ser Jah­res­zeit rei­sen­den Fluss direkt ins offene Meer trans­por­tiert. Rich­tig holp­rig ist das, macht jedoch rie­sig Spaß. Schon am Pier steht ein Warn­schild vor Kro­ko­di­len, die hier über­all lau­ern kön­nen. Also Hände bes­ser nicht im Was­ser bau­meln las­sen. Im Park war­ten 16 ver­schie­dene Trek­king-Rou­ten auf die Besu­cher, nebst einer Ran­ger­sta­tion, die gleich­zei­tig auch die ein­zige Ver­sor­gungs­mög­lich­keit ist, um die herum sich die Lodges gesel­len. Denn wer möchte, kann gleich für meh­rere Tage blei­ben und den Regen­wald auch in der Nacht erkun­den. Die Tier-und Pflan­zen­welt ist enorm viel­sei­tig. So umfasst der Natur­park fünf ver­schie­den Vege­ta­ti­ons­zo­nen. Grä­ser und Busch­werk, Man­gro­ven­wald, Sumpf­wald, Tief­land­dschun­gel und Hoch­pla­teau­wäl­der las­sen sich erwan­dern. Mit offe­nen Augen und vor allem dank Andys geziel­ten Fähr­ten­le­ser-Blick sehe ich auf unse­rer Wan­de­rung lus­tige Wild­schweine, die fre­chen klei­nen Maka­ken, ein schla­fen­des Flug­hörn­chen, Ech­sen, Krebse und als abso­lu­tes High­light die sagen­haf­ten Nasen­af­fen, die es nur hier auf Bor­neo gibt. Mit der über­di­men­sio­na­len, bir­nen­för­mi­gen Nase, die aller­dings nur die Männ­chen besit­zen, dem lan­gen Schwanz und dem kugel­run­den Bauch, bie­ten sie einen äußerst kurio­sen Anblick. Die Nasen­af­fen leben in den tie­fer­ge­le­ge­nen Man­gro­ven­wäl­dern, nicht weit vom Was­ser ent­fernt. Die Chan­cen die tag­ak­ti­ven Wald­be­woh­ner im Bako Natio­nal­park zu Gesicht zu bekom­men, ste­hen daher beson­ders in Was­ser­nähe nicht schlecht. „Da, guckst Du“ – Andys typi­sche Ankün­di­gung, wenn es etwas zu sehen gibt. Er deu­tet auf einen Busch, kei­nen Meter ent­fernt von mir. Ich schaue und sehe erst mal nichts, dann ent­de­cke ich, vol­ler Schau­ern, eine gras­grüne Viper. Vor Schlan­gen habe ich wirk­lich Angst. Auf meine Frage nach der Gif­tig­keit der Viper, ent­geg­net mir Andy, sie sei extrem gefähr­lich. Je nach­dem wo sie zubeißt blei­ben wenige Minu­ten bis Stun­den bis zum Tode. Bei einem Biss, fügt Andy non­cha­lant hinzu, solle man im bes­ten Falle die Schlange köp­fen und mit zum Arzt neh­men, dann stän­den die Chan­cen am bes­ten das rich­tige Heil­mit­tel zu bekom­men. Beson­ders viele Men­schen ster­ben jedoch nicht an Schlan­gen­bis­sen, die Kro­ko­dile sind weit­aus gefähr­li­cher. Ich nehme mir trotz­dem vor nichts anzu­fas­sen und ganz genau auf mei­nen Weg zu schauen.

Der Besuch des wahn­sin­nig grü­nen, damp­fen­den, duf­ten­den, sum­men­den Regen­wal­des berührt mich und lässt mich beglückt und ergrif­fen zurück. Instän­dig hoffe ich, dass die vie­len Bemü­hun­gen von Tier- und Arten­schüt­zern Erfolg zei­gen und dass die­ses unglaub­li­che Fleck­chen Erden wei­ter­hin geschätzt, gehegt und gepflegt wird. Andy wün­sche ich viele nette, ent­spannte Tou­ris­ten, vor allem aus Deutsch­land, damit er seine Sprach-Kennt­nisse noch ver­fei­nern kann und einen bal­di­gen, wohl­ver­dien­ten Ruhe­stand, den er außer­halb der Groß­stadt in Ruhe ver­brin­gen kann, mit Blick auf den Regen­wald, sei­ner eins­ti­gen Heimat.

Vie­len Dank an Tou­rism Malay­sia für die Einladung.

Semeng­goh Nature Reserve
Sara­wak Cul­tu­ral Village
Bako Natio­nal­park

Cate­go­riesMalay­sia
  1. Bernstein says:

    Tol­ler Bericht und jetzt inter­esse ich mich…würde gerne mein Traum erfül­len u ein­mal zu Orang Utans …Kannst du mir Tips geben wie ich es mit Bade­ur­laub u Strand ver­bin­den kann…oder dort irgendwo in der Nähe… da ich und mein Mann auch sehr gerne schnorcheln…und Halb­pen­sion buchen? Da ich nicht so der Gemüse esser bin,sind drau­ßen Geschäfte, wo man Was­ser u Cola kau­fen kann..Und wir wol­len Anfang Sep­tem­ber flie­gen… würde mich über Ant­wort sehr freuen…Lg MELANIE aus Hamburg

  2. Tanja says:

    Hallo Ricarda,danke für den fei­nen Bericht! kannst du mir den Kon­takt von Andy geben? Bin im April in Bor­neo und suche noch einen net­ten Guide.
    Lie­ben Gruss
    Tanja

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