Neulich am Ammersee: ich sitze am Ufer, schaue auf’s Wasser und tue das, was eigentlich viel zu selten passiert: nämlich nichts. Meine Gedanken schweifen umher. Ich frage mich, warum es mich eigentlich immer wieder hinaus treibt, an Orte, die ich noch nicht kenne, in Unterkünfte, die nicht mein Zuhause sind. Und an diesem Frage bleibe ich hängen.
Unterkünfte: Gasthäuser, Hotels, Pensionen, Hostels. Wenn ich alle Reisen zusammenzähle habe ich mindestens drei Jahre ich fremden Unterkünften geschlafen. Ist es nicht eigentlich merkwürdig sich in fremde Betten zu legen, ohne zu wissen, wer in der Nacht zuvor dort gelegen hat, was ihn treibt, warum er unterwegs ist, wovon er träumt und was er hofft? Braucht es nicht unglaublich viel Vertrauen in den Gastwirt, den Hotelwirt, die Zimmermädchen, den Koch, um sich nachts einfach hinzulegen und friedlich im fremden Bett zu schlafen? Was weiß ich denn eigentlich über das Hotel, dem ich mich da anvertraue? Ist es einfach nur ein Produkt oder hat es eine Seele?
In Diessen, dem Künstlerdörfchen am Westufer des Ammersees, wohne ich im MaurerHansl, einem kleinen familiären Hotel in einem historischen Gebäude. Dazu gehört, gleich nebenan, eine Villa und ein Haus mit Ferienwohnungen. Und passend zu meinen Überlegungen am See stelle ich mir die Frage: Wer ist das eigentlich, der dem spießigen Zweifamilienhaus nebenan pinke Rollläden und eine Fassade mit Zebrastreifen verpasst hat?
ungewöhnliche Fassade in einem bayrischen Dorf
Die Ferienwohnung nebenan, aus brav mach frech
in fremden Betten schlafen, an fremden Tischen essen. Und doch irgendwie zu Hause sein.
Und wer hat dafür gesorgt, dass jedes Zimmer im Hotel anders gestaltet ist? Jemand muss dort mit viel Herzblut und Liebe zum Detail unterwegs sein. Noch am gleichen Abend suche ich das Gespräch mit Maran, dem Besitzer des Hauses. Und wo eben noch einfach ein Hotel stand, entsteht jetzt eine Geschichte.
Maran’s Eltern, Karin und Helge, sind als Kreative während der wilden 70iger Jahre in München am Theater. Die Mutter Textildesignerin, der Vater Bühnenbildner. Als sie Eltern werden beschließen die Beiden: der kleine Maran soll auf dem Land groß werden. Die Familie zieht in ein Dorf, wo sie eine Kneipe führen und 1977 zieht es sie nach Diessen, um den Gasthof Maurerhansel, einen über 400 Jahre alter Gasthof, zu pachten. Helge, der Mann mit dem Pferdeschwanz wird von den Dorfbewohnern zunächst kritisch beäugt. Aber er entwickelte sich schon bald zu einem so guten Koch, dass die Leute, insbesondere Künstler, von weit her kommen, um im Maurerhansel zu essen.
Jetzt geht es an die Restaurierung der ersten Etage, die jahrelang leer stand. Hier sollen die Gästezimmer entstehen. Vier Lagen Böden reissen sie herraus bis sie auf die Originaldielen stoßen, sie versetzen Wände und stellen den ursprünglichen Zustand wieder her. Beide arbeiten an der Gestaltung der Zimmer. Jedes soll anders sein, ein eigenes Z Thema haben. Sie bauen die Betten selbst und bemalen sie.
Das Tigerzimmer, nicht nur für Katzenfreunde
Sie organisieren legendäre Faschingsverstaltungen, Kostümfeste, Kabaret und Mottopartys. Maran wächst im Hoteltrubel heran, legt als Jugendlicher bei den Partys auf, bastelt Lichtanlagen und gründet eine Beleuchtungsfirma. Anstatt in die Fußstapfen des Vaters zu treten studiert er Architektur. Er ist genauso tatkräftig wie sein Vater und gründet zusammen mit zwei Freunden ein Architekturbüro. Das Unternehmen ist überaus erfolgreich, es wächst an Großaufträgen mit atemberaubender Geschwindigkeit. Bald fühlt sich Maran nur noch als der Verwalter von Millionenbeträgen und Chefvon 25 Mitarbeitern. Der Erfolg droht ihn aufzufressen. Maran vermisst die Freiräume, die er für kreatives Arbeiten braucht und zieht die Notbremse. Er kehrt zurück nach Diessen. Das Hotel wird nun sein neues Projekt. Der Ausbau des Dachstuhls schafft es sogar in die Zeitschrift „Schöner Wohnen.“
Seine Eltern ziehen sich aus dem Tagesgeschäft zurück, leben aber weiterhin in der Wohnung auf der ersten Etage des Hotels. Maran übernimmt die Geschäfte. Parallel nimmt er Architekturaufträge an, die er im überschaubaren Wohlfühlrahmen seines Büro im Dachstuhl des Maurerhansel erledigt. Was bleibt, ist der Esprit der Kreativen: das Maurerhansel erzählt mit jedem bunten Detail davon. Und im Winter, wenn die Seegäste ausbleiben, geht es erst richtig los; ein Kulturprogramm mit Konzerten, Kabaret, Lesungen, Tango-und Tanzabende. Auch das die Idee von Maran. Im Saal des alten Tonnengewölbes und auf der Bühne ist immer was los.
Ruhe gibt es woanders: unten am Seeufer, wo sich schön träumen und nachdenken lässt.
Da hat das Maurerhansel sogar ein eigenes Seegrundstück samt Boot, Grill und Terrasse für seine Gäste.