In mir tobt ein bitter-süßer Kampf und ich bin nur die staubige Bühne. „Werd ich zum Augenblicke sagen: Verweile doch! Du bist so schön! Dann magst du mich in Fesseln schlagen, dann will ich gern zugrunde gehen.“ Mit diesen Worten verkaufte Goethes Faust, getrieben von Neugier und Hunger aufs Leben, Mephisto seine Seele.
Manchmal ertappe ich mich dabei, wie ich im Geiste mit dem verlockenden Wesen um meine Seele verhandle. Für diesen einen Moment! Diesen Augenblick, in dem ich gegen alle Konsequenzen sagen kann: Verweile doch, du bist so schön und sich die Welt für einen Moment ohne mich weiterdreht. Meistens dreht sich die Welt auch ohne meine seelische Anwesenheit weiter. Ich habe Tagträume, rede mit mir selber, starre debil lächelnd in die Wolken, bin oft Monate voraus oder Jahre hinterher – nur eins eher selten: Im hier und jetzt.
Es begann an einem Donnerstag im November ’89. Als die Mauer fiel, öffnete sich für uns das Tor zum Westen, aber vor allem zur Welt. Aus den geliebten Trabitouren zur Ostsee und dem Klettern im Riesengebirge wurden Flüge nach Hawaii und Trecking im Himalaja. Immer im Gepäck – ein Fernweh, das mit jedem Pass im Stempel hartnäckiger wurde.
Man sollte Reisenden einen Beipackzettel mit dem ersten Flugticket aushändigen. Jede Aspirin-Werbung erzählt mir, dass ich zu Risiken und Nebenwirkungen meinen Arzt oder Apotheker befragen sollte, aber als Reisender werde ich vorwarnungslos in die Welt hinaus geschubst. Niemand hat mir gesagt, dass eine unterschwellige Schizophrenie nach längerem und intensivem Genuss des Reisens auftreten und sogar chronisch werden kann. Dieses Gefühl, dass man hat, wenn man nach einem 18 Stunden Flug körperlich am Zoll steht und seelisch noch Caipirinha an der Copacabana schlürft.
Ein arabisches Sprichwort sagt, die Seele reist mit der Geschwindigkeit eines Kamels. In dem Fall hat mein Kamel in den letzten Jahren wohl irgendwo den Anschluss verloren und trottet jetzt wer weiß wem hinterher. Ständig sitzt mir dieser Mephisto auf der Schulter und säuselt süße Worte in mein Ohr während sich Genosse Alltag mit endlosen Warteschlangen, Nummern ziehen und übelgelaunten Busfahrern präsentiert.
Es gibt nur diese wenigen Momente, diese Augenblicke, in denen ich liebevoll mein Kamel streichle, Mephisto endlich mal die Klappe hält und ich seelenruhig verweilen kann – unterwegs!
Der erste Big Mac im Land der unbegrenzten Möglichkeiten; die perfekte Welle am Bells Beachs in Australien; ein glitschiger Ausrutscher auf einer Seegurke im Golf von Thailand; der erste Atemzug auf dem Dach der Welt; ein Mönch, der mich in Bhutan mit einem Holzpenis segnet; ein Marilyn-Monroe-Höschenblitzer vor der Christo Statue in Rio de Janeiro; ein warmer Frühlingstag im Central Park; der freundschaftliche Handschlag eines stolzen Südafrikaners oder ein kleiner tibetischer Junge, der beim Berühren meiner „goldenen“ Haare vor Freude weint – zum Augenblicke möcht’ ich sagen: Verweile doch! Du bist so schön!






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