Im Dorf der Bärte

Gleich gegen­über von Man­hat­tan liegt Wil­liams­burg, die Hoch­burg der Hips­ter im Nor­den von Brook­lyn. Vor zehn oder fünf­zehn Jah­ren zogen vie­le New Yor­ker Künst­ler auf die ande­re Sei­te des East Rivers, heu­te ist das Vier­tel längst gen­tri­fi­ziert.  Doch noch immer ist Wil­liams­burg der per­fek­te Ort, wenn man New York erkun­den will. Und wenn man wis­sen will, wo die all­ge­gen­wär­ti­ge Voll­bart-Mode her­kommt.

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Wil­liams­burg ist auch nicht mehr das, was es mal war. Das sagt jeder, der schon län­ger hier ist. Frü­her konn­te man in leer­ste­hen­den Lager­hal­len und Fabrik­ge­bäu­den bil­li­ge Ate­liers fin­den. Inzwi­schen sind die Mie­ten genau­so hoch wie in Man­hat­tan. Am Ufer des East Rivers ent­ste­hen rie­si­ge Kom­ple­xe mit Yup­pie-Lofts. Hier wohnt zum Bei­spiel der 26-jäh­ri­ge David Karp, der gera­de sei­ne Fir­ma Tumb­lr für ein Mil­li­ar­de Dol­lar ver­kauft hat. Vie­le Künst­ler sind wei­ter­ge­zo­gen nach Bush­wick oder tie­fer hin­ein nach Queens. Trotz­dem ist die Bedford Ave­nue nach wie vor ein Treff­punkt der Krea­ti­ven. Man sitzt auf dem Bür­ger­steig oder vor den Cafés, es gibt die bes­ten viet­na­me­si­schen Sum­mer Rolls und in den Sei­ten­stra­ßen jede Men­ge Clubs mit Life-Musik.

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Der Mensch in Wil­liams­burg trägt Uni­form: Turn­schu­he, enge, hoch­ge­krem­pel­te schwar­ze Hosen, Horn­bril­le, Voll­bart und Schlumpf­müt­ze, ger­ne in Neon­far­ben. Frau­en mögen kau­zig gemus­ter­te Klei­der, Oma-Hüte und schrul­li­ge Hand­täsch­chen. Nicht alle, aber fast alle. Retro in allen sei­nen Vari­an­ten. Wer ein­mal um den Block geht, kommt an zehn Gebraucht-Plat­ten­lä­den und Second-Hand-Stores vor­bei. Beliebt in Schau­fens­tern, auf Knei­pen­ti­schen und in Wohn­ge­mein­schaf­ten: eine Samm­lung von Kak­teen und mög­lichst spie­ßi­gen Zim­mer­pflan­zen.

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Wir spa­zie­ren durch Wil­liams­burg und machen ein Spiel: Wer die ers­ten zehn Pas­san­ten sieht, die sowohl Bart als auch Schlumpf­müt­ze tra­gen, hat gewon­nen. Nach einer hal­ben Stun­de sind wir im drei­stel­li­gen Bereich.

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Ein typi­sches Bei­spiel für die Gen­tri­fi­zie­rung ist die Scho­ko­la­den­ma­nu­fak­tur in der N 3rd Street, wo eine Tafel Scho­ko­la­de zwölf Dol­lar kos­tet. Der Ver­kaufs­tre­sen sieht aus wie eine alte Apo­the­ke. Jede Tafel wird ein­zeln mit brau­nen Kor­deln, edlem Papier und Blu­me ver­packt. Vom Laden schaut man direkt in die Pro­duk­ti­on, wo die Arbei­ter put­zi­ge Müt­zen tra­gen. Säcke mit Kakao­boh­nen lie­gen im Weg, und es wirkt so, als sei­en sie vor allem zur Deko­ra­ti­on hier plat­ziert wor­den.

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So stel­len sich die Grün­der der Scho­ko­la­den­ma­nu­fak­tur in ihrem Hoch­glanz­pro­spekt vor: ehr­li­che Hand­werks­leu­te mit Karo­hemd und Bart, wahr­schein­lich mit einem Bache­lor in Gra­fik Design und Mar­ke­ting. Hand­ar­beit ist ange­sagt in Wil­liams­burg. Offe­ne Bas­tel­stu­ben laden zum Häkeln und Töp­fern ein, manch­mal sitzt man sogar mit­ter­nachts in einem Club um einen gro­ßen Tisch zusam­men und wer­kelt mit Sche­re und Kle­ber.

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Der Hang zum Selbst­ge­mach­ten und Ursprüng­li­chen ist eine ein­leuch­ten­de Reak­ti­on auf die all­ge­mei­ne McDo­nal­di­sie­rung. Doch beim genaue­rem Hin­se­hen ist das  Abge­wetz­te und Nost­al­gi­sche auch nur Fake. Müh­sam auf alter­tüm­lich getrimm­ter Kitsch.

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Wil­liams­burg soll ein Gegen­ent­wurf zum glit­zern­den Man­hat­tan sein – auch wenn der L‑Train nur fünf Minu­ten bis ins East Vil­la­ge braucht. Doch die Geset­ze des Mark­tes gel­ten auch hier. Inves­to­ren haben die letz­ten Bra­chen ver­mes­sen, die meis­ten Lager­hal­len sind längst ver­kauft. Das Empire Sta­te Buil­ding auf der ande­ren Sei­te des East Rivers ist immer zu sehen.

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Manch­mal scheint es, als hät­ten sich die Wil­liams­bur­ger Hips­ter am Stil ihrer Nach­barn ori­en­tiert, den ultra­or­tho­do­xen Juden, die ein paar Blocks wei­ter süd­lich leben. Jen­seits der Divi­si­on Ave­nue ändert sich auf einen Schlag das Stra­ßen­bild. Kei­ne Schlumpf­müt­zen mehr, nur noch Män­ner mit schwar­zen Hüten und Frau­en mit Perü­cken. Die Sat­mar Chas­si­dim tra­gen immer noch die Tracht der ortho­do­xen Juden aus dem Ost­eu­ro­pa des 19. Jahr­hun­derts. Im Gegen­satz zu den Cha­bad Chas­si­dim im Brook­ly­ner Stadt­teil Crown Height sind sie sehr ver­schlos­sen und mei­den den Kon­takt zu einer Welt, die sie für ver­dor­ben hal­ten.

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Es ist kurz vor zwölf. Kei­ne Minu­te ver­geht, ohne dass irgend­wo ein gel­ber Schul­bus um die Ecke biegt, beschrif­tet mit hebräi­schen Let­tern. Die Chas­si­dim haben eige­ne Schu­len und Bus­se, eige­ne Kran­ken­häu­ser und eine eige­ne Bür­ger­wehr.

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Kin­der stei­gen aus, Kin­der stei­gen ein, immer bewacht von meh­re­ren Erwach­se­nen. An einem Haus­ein­gang haben Frau­en eine Schlan­ge gebil­det, als woll­ten sie eilig Was­ser­ei­mer aus dem Haus auf die Stra­ße rei­chen, dabei schie­ben sie eine Rei­he Klein­kin­der zum hal­ten­den Bus.

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An den Haus­ein­gän­gen sind über­all Kin­der­wa­gen ange­ket­tet. Es scheint über­haupt nur Zwil­lings- oder Dril­lings­kut­schen zu geben. Die Gemein­de wächst schnell, es heißt, dass eine Frau hier durch­schnitt­lich neun Kin­der bekommt.

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Die meis­ten Hips­ter aus dem Nor­den Wil­liams­burgs haben noch nie mit einem ihrer rät­sel­haf­ten Nach­barn im Süden des Vier­tels gespro­chen. Und doch schei­nen die Chas­si­dim einen gro­ßen Ein­fluss auf die Hips­ter zu haben mit ihrer Vor­lie­be für Bär­te, Hüte, schwar­ze Kla­mot­ten und alter­tüm­li­che Lebens­ge­wohn­hei­ten. Und damit unge­wollt einen Mode­trend in einer Welt geschaf­fen, mit der sie nichts zu tun haben wol­len.

Erschienen am



Antworten

  1. Avatar von sabine

    muss ich mir mal live geben. Supüer Bil­der

  2. Avatar von Tony Stark

    Jungs was macht ihr hier ?
    Tha­nos ist gleich da und ich muss noch mein zim­mer auf­räu­men xD

  3. Avatar von Thor

    ik ben der jot ded donn­nas

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    1. Avatar von Sarah

      inno­va­ti­ves Kom­mi

  4. Avatar von Peter Parker

    Lie­be fabio­la biettä lärn dütsch ?

    1. Avatar von sabine

      wir sind Neu­bür­ger 🙂

  5. Avatar von fabiola

    inter­es­sant ist vor allem die Tat­sa­che wie sich ein ehe­ma­li­ges Arbei­ter­vier­tel wan­deln kann. Dar­an könn­te man zB Neu kölln in Berln durch­aus mal mes­sen und sih ne Schei­be von abschnei­den! Ich war noch nie dort aber die Berich­te über Wil­liams­burg sind doch ein­fach mega cool. Bars wohin man sieht und dazu noch sehr hype Loka­le und Restau­rants. Ein­fach mega­s­teil dort! Auf mei­ner nächs­ten Rei­se ein MUSS

  6. Avatar von Hermann

    Sehr inter­es­san­ter Bei­trag. Ich war bereits mal in Wil­liams­burg aber mir ist das noch nicht so stark auf­ge­fal­len! Eines ver­wun­dert mich dann schon und ich fra­ge mich wie man sich DAS leis­ten Kann?
    »»An den Haus­ein­gän­gen sind über­all Kin­der­wa­gen ange­ket­tet. Es scheint über­haupt nur Zwil­lings- oder Dril­lings­kut­schen zu geben. Die Gemein­de wächst schnell, es heißt, dass eine Frau hier durch­schnitt­lich neun Kin­der bekommt.«

  7. Avatar von sabine

    sehr inter­es­san­te Beob­ach­tung und das trifft wohl auch auf ande­re Vier­tel zu »Die meis­ten Hips­ter aus dem Nor­den Wil­liams­burgs haben noch nie mit einem ihrer rät­sel­haf­ten Nach­barn im Süden des Vier­tels gespro­chen.« … zumin­dest ist das mei­ne Erfah­rung aus mei­ner Zeit dort! Übri­gens sehr rea­lit­täs­na­her ARti­kel inkl guter Fotos! Vie­len Dank für den objek­ti­ven Bericht! LG Sabi­ne 🙂 Bei die­ser Gele­gen­heit möch­te ich natür­lich nicht ver­ab­säu­men, auch die bes­ten Wün­sche für das neue Jahr 2017 zu über­mit­teln 

  8. Avatar von sonja

    Wow hat ein wenig Ähn­lich­keit mit Shor­editch in Lon­don! Weiß nicht ob du das kennst aber es erin­nert mich ein wenig an die Gegend. auch sehr jung und sehr hipp und das Zen­trum ist die brick­la­ne. Kannst ja mal goog­len und die Bil­der ver­glei­chen. Eine Fra­ge hätt ich doch und zwar wollt ich dort immer hin, weiß aber nicht genau wo sich das befin­det. Es han­delt sich um das Titel foto des Films »es war ein­mal in Ame­ri­ka«. ich glaub da sieht man den Hud­son River aus ner Häu­ser­ecke her­aus­ste­chen. Dort wollt ich hin, könnt aber in der von dir beschrie­be­nen Gegend sein. Kur­ze Ant­wort wär toll 🙂 son­ja

  9. Avatar von Sören
    Sören

    Hi Jut­ta,

    sehr schö­ner Bei­trag und tol­le Bil­der. Füh­le mich ein wenig an mei­nen Trip nach Wil­liams­burg erin­nert (2010). Bin aller­dings eine Sta­ti­on vor­her aus­ge­stie­gen und war ganz allein zwi­schen den chas­si­di­schen Juden, bis sich das Stra­ßen­bild dann nach und nach gewan­delt hat.

    LG, Sören

  10. […] guter Arti­kel zu Wil­liams­burg und eben die­ser eigen­tüm­li­chen Nach­bar­schaft. Wen es inter­es­siert: https://www.reisedepeschen.de/weltreise-durch-williamsburg/ An unse­rem letz­ten Tag haben wir es noch nach Coney Island an der Süd­spit­ze Brook­lyns geschafft, […]

  11. […] an die USA hält und einen Trip nach New York plant, für den hat „reisedepeschen.de“ ein paar Ein­drü­cke aus Wil­liams­burg. (Wir spa­ren uns als Ber­li­ner die Ver­glei­che mit Prenz­lau­er Berg oder […]

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