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Was mache ich hier eigent­lich? Oder: Der Jakobsweg

Als mein mit brand­neuen Wan­der­schu­hen bestück­ter Fuß das erste Mal den stau­bi­gen, spa­ni­schen Boden betrat, wusste ich noch nicht, wor­auf ich mich ein­ge­las­sen hatte. Die Idee mit dem Jakobs­weg war eine fixe, unüber­legte gewe­sen und so stand ich da, in der Mit­tags­hitze in Pam­plona Ende August. Ich war per­fekt vor­be­rei­tet und doch völ­lig ahnungs­los. Daheim wurde mir von ande­ren viel über Hape Ker­ke­ling erzählt, daheim wurde von mir viel gekauft und über­legt, daheim gab ich mich der Illu­sion der Kon­trolle hin. Der Illu­sion, dass ich wüsste, was auf mich zukommt, obwohl ich noch nie zuvor nur auf meine Füße ange­wie­sen war, um von A nach B zu rei­sen. Der Weg zur U‑Bahn zählt da nicht.

Die Illu­sion der Kon­trolle habe ich schon am ers­ten Tag zurück gelas­sen, genau wie nach und nach die einst so emsig zusam­men­ge­tra­ge­nen Hilfs­mit­tel und Klei­dungs­stü­cke. Meine Iso­matte, die mit dem Auf­druck von „836g“ Leicht­ge­wicht warb, hing ich eines Mor­gens gegen 6.30 Uhr in der Däm­me­rung an ein Stopp­schild in der Klein­stadt Estella, da vor mir ein Berg lag und hin­ter mir eine Nacht mit wenig Schlaf. Zuvor hat­ten wir das Klos­ter Santa María la Real de Ira­che pas­siert, aus des­sen Brun­nen nicht nur Was­ser, son­dern auch Rot­wein floss. Es sah aus, als würde Blut aus dem Gemäuer schie­ßen. Dane­ben stan­den zwei Snack-Auto­ma­ten und strahl­ten ihr kal­tes Licht in mein müdes Gesicht.

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Eigent­lich sind diese vor­bei­zie­hen­den Orte aber gar nicht die wirk­li­che Geschichte des Jakobs­we­ges, da man selbst der Vor­bei­zie­hende ist. Eigent­lich ist es egal, ob man dem Hei­li­gen Jako­bus folgt und damit so vie­len Men­schen, die vor einem gelau­fen, gehum­pelt und ange­kom­men sind. Was eigent­lich zählt, ist nur die Zeit. Es geht um Zeit und Wan­del auf die­ser Reise, um nichts ande­res. Um die Zeit ohne Inter­net, ohne Handy und ohne Welt außer­halb der spa­ni­schen Idylle, die sich so abge­trennt von jeg­li­chen eige­nen Lebens­wirk­lich­kei­ten auch gern gegen einen wen­det, sich in eine kilo­me­ter­lange Stre­cke neben stau­bi­gen Auto­bah­nen wan­delt und von Pil­ger­ro­man­tik nicht viel mehr übrig bleibt als die klap­pernde Muschel am Ruck­sack. Die Zeit, die zur Wäh­rung wird, zum wort­wört­li­chen Maß aller Dinge, ob es Ent­fer­nun­gen sind zu Orten, zu Mahl­zei­ten oder zum Wecker­klin­geln. Und das ein­zige, das deine Zeit bestimmt, das ist der Weg. Klingt pathe­tisch, aber wenn man die Muße hat, sich mor­gens in León in eine über­mäch­tige Kathe­drale zu set­zen, die men­schen­leer die Gedan­ken ord­net, wenn man ein­sam vor sich hin stapft und abends Erleb­nisse aus­tauscht (oder was man eben dafür hält), wird man eben pathe­tisch. Ihr soll­tet mein Tage­buch lesen, oder viel­leicht lie­ber nicht. Denn fast alle Ein­träge begin­nen mit „Ich weiß nicht genau, wo wir sind, aber eigent­lich ist es auch egal…“

Am Ende blieb die Zeit ste­hen. Die letzte Etappe umfasste 42km und als ich im Regen 23 Uhr vor der Kathe­drale in Sant­iago de Com­pos­tela auf dem Boden lag, war pathe­tisch noch unter­trie­ben für den Zustand in mei­nem Kopf. Nach all den Alber­gues auf dem Weg kam ich mir im wei­ßen Bade­man­tel im Hotel A Qinta da Auga deka­dent vor. An die­sem Ort außer­halb Sant­ia­gos gab es keine Zeit mehr. Der Tag ver­ging oder auch nicht, es war großartig.

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Wan­del spannt die zweite Klam­mer um die Reise. Die Land­schaft wan­delt sich von spa­ni­scher Hitze, end­lo­sen Wei­zen­fel­dern, Auto­bah­nen, Tro­cken­heit und bewal­de­ten Ber­gen mit einer Flut an Scha­fen zu Gali­cien. Gali­cien ist grün, saf­tig und ruhig. Irgend­wie gar nicht wirk­lich Spa­nien. Kalt ist es am Mor­gen, rich­tig kalt. Kleine Stein­häu­ser, win­zige Dör­fer und viele Kuh­her­den. Hin­durch nach Sant­iago, alles zurück las­sen, die Kilo­me­ter­an­ga­ben auch, denn die stim­men sowieso nicht. Die Land­schaft wan­delt sich, mein Tage­buch wech­selt von Deutsch zu Eng­lisch, hin und her. Da wir eine Zeit­reise machen und eine Etappe mit dem Bus fah­ren, wech­seln die Men­schen um uns, meine Stim­mung wech­selt im Minu­ten­takt, meine Gedan­ken wech­seln und blei­ben kle­ben, ich bleibe kle­ben an Gedan­ken, ich bleibe kle­ben an Orten.

Denn eigent­lich geht es beim Jakobs­weg nicht ums Pil­gern oder um Spa­nien oder um Tra­di­tio­nen. Es geht um Zeit, eine Aus­rede für Zeit. Was am Ende bleibt sind keine Bla­sen oder Urkun­den oder Stem­pel. Es sind kleine Momente auf Stein­hau­fen, es sind Son­nen­auf­gänge, Gerü­che und Gesprä­che. Weil alles so viel nach­drück­li­cher ist und Unbe­deu­ten­des wich­tig wird. Als ich zuhause wie­der in der Ber­li­ner Nacht ankomme und mein Gepäck beschließt, in Madrid zu blei­ben, sagt meine Mit­be­woh­ne­rin, ich leuchte von innen. Das halte ich für noch pathe­ti­scher als mich selbst. Ich denke, ich war ein­fach vol­ler Zeit. Vol­ler Zeit und vol­ler Momente, die bis heute banal und inten­siv zugleich erscheinen.

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Cate­go­riesSpa­nien
Anne Beier

Von einem kleinen Dorf in die Welt, so könnte man ihren groben Lebensplan beschreiben. Auf ihrem Blog, benannt nach dem lahmen Versuch des Lonely Planet, die endlose Dürre neben Weizenfeldern in Spanien als malerisch zu verkaufen, berichten ihre Texte und die Fotos ihres besten Freundes William vom Reisen. So subjektiv wie möglich. Denn es geht doch darum, woran man sich am Ende erinnert und nicht darum, was wirklich war.

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