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Ein Concierge, dessen rotes Jackett goldene Manschetten säumen, öffnet mir die Tür mit einer leichten Verbeugung. Klassisches Interieur markiert meinen Weg zur Rezeption: indirekte Beleuchtung, golden glänzende Armaturen und ein großes, in Holz eingelassenes Aquarium. Die monotone Klaviermusik in der Lobby wirkt beruhigend auf mich ein. Als ich die antike silberne Klingel am Tresen betätige umweht mich in meiner Phantasie bereits eine weltmännische Aura. Ich komme mir in eine andere Zeit versetzt vor, als eine Schiffsreise nach Makassar wenigen Privilegierten vorenthalten war. Für einen Moment vergesse ich, dass ich in meinen verschwitzten Trekkingklamotten deplatziert wirken muss und das Hotel seine besten Zeiten wohl hinter sich hat.
Es ist spät geworden an unserem Ankunftstag in Makassar. Es muss wohl die Phase sein, in der der Abend langsam in die Nacht übergeht. Genau weiß ich es nicht; die wenigen Uhren, die ich seit unserer Landung gesehen habe, zeigten durchweg andere Zeiten an. Das Hotel fasziniert mich, woran das liegt, vermag ich zu Beginn noch nicht auszumachen. Die Angestellten in ihren maßgeschneiderten Uniformen riechen nach schwerem After Shave. Als ich meinen Rucksack ablege und merke, dass mein Hemd total durchgeschwitzt ist, komme ich mir wie eine menschgewordene Beleidigung gegenüber diesen edlen Herren vor. Ein Gast bedankt sich bei einem Angestellten für das Hereintragen seines Koffers. In meiner Vorstellung erwidert der Angestellte so was wie: »Es ist mir eine Ehre, Sir.« Langsam erkenne ich das Faszinierende: Es wirkt, als würde hier ein Theaterstück aufgeführt. Die maßgeschneiderten Kostüme, diese altmodischen Requisiten und die engagierten Schauspieler…
Als ich durch die Hotelbar gehe vervollständigt sich mein Eindruck. Vereinzelt sitzende Geschäftsmänner, die an schweren Holzleisten befestigte Zeitungen lesen, verkörpern den Zustand des Hotels: Charmant wirken sie und gut gepflegt. Gleichzeitig ein wenig abgehalftert in ihren altmodischen dunklen Jacketts. Sie trinken Altbewährtes wie Whiskey oder Kaffee. Vordergründig wirken sie wie die perfekte Besetzung für das Theaterstück. Titel: gegelte Seitenscheitel und windige Geschäfte. Doch, genau wie bei dem Hotel selbst, scheint es, als seien ihre erfolgreichen Tage vorüber. Nein, Top-Adresse ist das Hotel Yasmin keine mehr, und vielleicht war es auch nur in meiner Phantasie einmal eine. Wir mussten nicht lange verhandeln, um unser Zimmer deutlich billiger zu bekommen. Erfolgreiche Geschäftsleute nächtigen längst im modernen Hotel Aston im Stadtzentrum.
Ja, die globalen Player im Hotelgewerbe sind in Makassar angekommen. Das erhabene, authentisch Vornehme dieses Hotels kann jedoch kein Aston nachahmen. Was mir nostalgisch anmutet, ist, dass man im Hotel Yasmin keine Antwort auf die modernen Ketten erarbeitet hat. Es ist kein bewusst romantischer Gegenentwurf zu den rationalisierten Hotelketten, sondern ein Festhalten an Altbewährtem. Das mag wirtschaftlich in den Ruin führen, erscheint mir aber plötzlich zutiefst liebenswert. Dass die Rationalisierung noch nicht Einzug gehalten hat, äußert sich meistens in Ineffizienz. Diese ist in fast jedem Moment erkennbar: Im leeren Frühstücksaal stehen am Buffet ca. 50 gefüllte Wassergläser. Als wir den Saal verlassen, stehen dort noch ca. 46. Auch der Personalschlüssel orientiert sich an geschäftigeren Zeiten: praktisch in jeder Ecke steht ein Angestellter. Ich habe das Gefühl, jedes Anliegen versetzt sofort fünf Mitarbeiter in Aufruhr. Als ich einmal unsere Rechnung für das Abendessen bezahlen will, schickt mich der Kellner zu einem Kollegen, der die Rechnung an einem Nadeldrucker ausdruckt. Diese wiederum kann ich bei einem dritten, dem Kassierer, begleichen.
Aber ist es nicht die Unvollkommenheit, die oft nachhaltig in Erinnerung bleibt? Sagt man Menschen mit Ecken und Kanten nicht nach, dass diese Profil und Charakter haben? Auf das Hotel übertragen: An manchen Stellen ist der Lack ab und moderne Hotelketten haben sicher einen besseren Service. Aber der mystische Charakter entsteht gerade durch das Unvorhersehbare und menschlich Kreative.
Im Aston würde es so was nicht geben: alles klappt wie am Schnürchen, alles ist vorhersehbar. Überraschungen erlebt man keine. Auf jedes Anliegen des Gasts gibt es eine vorgefertigte Antwort. Auch ich weiß Verlässlichkeit zu schätzen. Aber geht nicht gerade durch diese am Reißbrett entworfene, makellose Wohlfühlstimmung viel von dem verloren, was man als ‚Charakter’ bezeichnen würde? Wie soll ein Gefühl der Einzigartigkeit entstehen, wenn jeder Handgriff des Personals in einem Prozesshandbuch festgehalten ist? Was soll mich persönlich beeindrucken, wenn ich weiß, dass hinter jeder Mini-Tube Zahnpasta auf meinem Zimmer ein Business Case steckt? Nicht falsch verstehen: ich würde mich über einen Hotelgutschein für das Aston freuen wie ein kleines Kind. Ich würde den Luxus, die Sauberkeit und meinen wohlriechenden Bademantel in vollen Zügen genießen. Aber ich würde es als austauschbares, unpersönliches Ereignis verbuchen.
Bevor wir aus dem Hotel Yasmin auschecken fragen wir nach Tipps für Transportmöglichkeiten Richtung Tana Toraja. Der Rezeptionist findet einen kleinen zerknüllten Zettel mit den Abfahrtszeiten einiger Busunternehmen. Concierge, Reinigungskraft und Rezeptionist stehen rasch beieinander. Alle werfen engagiert ihre Ideen in den Ring. „Am Besten ihr geht mal zum Daya Terminal“, konkludieren sie schließlich. Machen wir. Wollten wir sowieso. Wieder mal viel Engagement und ein netter Plausch. Mit wenig Ertrag.
Als wir rausgehen würde ich am liebsten jedem die Hand auf die Schulter legen und sagen: Bleib so wie du bist!
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