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Von Leipzig nach Alaska per Anhalter: Entspannt in Uruguay (4)

„How are you today, Ste­fan?“ An der uru­gua­ya­ni­schen Grenze wird man grund­sätz­lich mit Vor­na­men ange­spro­chen. Die Grenz­be­am­ten tra­gen Anzug, von Waf­fen keine Spur. Ele­gant wie auf einer Mafia­hoch­zeit. Nur wo ist der Pate? Ich stran­dete 9 Stun­den und 54 Minu­ten an die­ser Grenze. Nie hab ich län­ger gewar­tet beim Tram­pen. Wollte aber auch nicht so wirk­lich weg. Uru­guay war von Anfang an Ent­span­nung pur. Ein­mal fragte mich ein Uru­gua­ya­ner: „Wie lange bist du denn schon hier?“ „Vier Wochen.“ „Vier Wochen?!? Und dir ist noch nicht lang­wei­lig?“ In der Tat. Nach 6 Wochen hatte ich fast alle Ecken des Lan­des erkun­det und das mit der Lan­ge­weile konnte ich dann auch verstehen.

Uru­guay. Das Bel­gien Süd­ame­ri­kas. Nichts funk­tio­niert, es scheint aber auch nie­man­den zu küm­mern. Wo der Deut­sche über­eif­rig dem Kapi­ta­lis­mus zuar­bei­tet, zuckt der Uru­gua­ya­ner nur mit den Ach­seln und schlürft an sei­ner Mate. Sie wer­den auch „Das Volk der Ein­ar­mi­gen“ genannt, weil ein Arm meist durch die obli­ga­to­ri­sche Ther­mos­kanne (mit hei­ßem Was­ser für die Mate) blo­ckiert ist. Viel­leicht ist die Mate schuld, dass Uru­guay so gleich­gül­tig ist. Eine son­der­bare Mischung aus Anar­chie und Spies­ser­tum beherrscht das Land. Übri­gens das erste Land der Welt, wel­ches Can­na­bis kom­plett lega­li­siert hat, was aller­dings nicht heißt, dass man dort nun über­all Kiffe kau­fen kann. Seit drei Jah­ren ver­sucht die Regie­rung den Anbau und Ver­kauf von Can­na­bis zu orga­ni­sie­ren. Bis­her erfolg­los. Kei­ner weiß warum. Unter den Ein­woh­nern wird gemun­kelt, dass die Armee ein­fach alles sel­ber weg geraucht hat.

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Wer nach Uru­guay reist, der sollte auf jeden­fall den Chi­vito pro­bie­ren. Eine Art Ham­bur­ger. Aber Deluxe. Meist ein Stück Rind­fleisch, bedeckt mit meh­re­ren Lagen Koch­schin­ken, die wie­der­rum mit Käse über­ba­cken wer­den und am Ende, gar­niert von einem Spie­gelei, in einem spe­zi­ell geba­cke­nen Rund­brot mit Salat, Tomate und ver­schie­de­nen Soßen ser­viert wer­den. Dazu Pom­mes. Auch die Cho­rizo in Uru­guay (und nur hier!) kann sich mit der Wurst in Deutsch­land auf jeden­fall mes­sen. Sehr Yummi! Ansons­ten besteht das Land aus zwei Kern­ele­men­ten: Rind und Was­ser. Uru­guay liegt auf einer der größ­ten Süß­was­ser­spei­cher der Welt und war eben­falls welt­weit das erste Land, wel­ches das Recht auf Was­ser in der Ver­fas­sung ver­an­kert hat. Nicht die schlech­teste Zukunftsperspektive.

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Ich wohnte zwei Monate mit mei­nem Sport­tram­per­kol­le­gen Ralf und sei­ner Ehe­frau in einem klei­nen Apart­ment in Punta del Este. Einem der teu­ers­ten Orte Süd­ame­ri­kas. Traum­strände. Beach-Life. Ich kann euch aber sagen, ich hatte sowas von genug von Strand und Meer, nach­dem ich mehr als zwei Monate auf den Ozea­nen ver­bracht hatte. Mein Inter­esse bestand eher in einer anstän­di­gen Tramp­tour, die ich und mein Kum­pel aus­ge­heckt hat­ten. Ins­ge­samt sollte ich in Uru­guay ca. 2700 km tram­pen. Das Land ist halb so groß wie Deutsch­land. Ihr könnt euch also vor­stel­len, dass wir keine Ecke aus­ge­las­sen haben.

Natür­lich konn­ten wir nicht ein­fach so ins blaue Tram­pen. Wir brauch­ten einen Plan. Gemein­sam such­ten wir uns ver­schie­dene Punkte zusam­men, die wir errei­chen woll­ten und bau­ten eine Stre­cke zusam­men. Schnit­zel­jagd. Außer­dem hat­ten wir spe­zi­elle Mis­sio­nen, um den Spaß­fak­tor zu erhö­hen. Diese waren zum Bei­spiel: Eine Google-Watch über­brin­gen, auf dem ein­zi­gen Zug im Land mit­fah­ren, den Uru­gua­ya­ner tref­fen, wel­cher kurz zuvor mit dem Prä­si­den­ten getrampt ist und ein Flug­zeug tram­pen. Wir schaff­ten nicht alles, was aber auch egal ist, wir waren ja schließ­lich in Uru­guay. Die Geschichte mit dem Zug möchte ich aber gerne noch erzäh­len, weil sie so bezeich­nend für die Kul­tur und das Fee­ling in Uru­guay ist.

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Wir kamen gerade aus dem äußers­ten Nor­den über die Ruta 30. Eine sehr ein­same wun­der­schöne Straße, die sich durch die uru­gua­ya­ni­sche Prä­rie pflügt. Unsere Recher­chen hat­ten erge­ben, dass es in Uru­guay genau eine Zug­li­nie gibt. Ein Güter­zug. Der Per­so­nen­ver­kehr wurde schon lange zuvor ein­ge­stellt. Wir erreich­ten Tran­que­ras, gönn­ten uns den bes­ten Chi­vito im gan­zen Land und leg­ten uns in eine Ecke des Bahn­ho­fes schla­fen, direkt neben dem Büro der Bahn­ge­sell­schaft. Wir woll­ten am Mor­gen den Zug abfan­gen. Wir lagen rela­tiv unge­schützt. Das Erste was den mor­gen ankün­digte, wareine Gruppe von 20–30 „einarmigen“-Bahnarbeitern, die gegen 6 Uhr am Bahn­steig ein­tru­delte. Nie­mand schien sich daran zu stö­ren, dass da zwei Jungs in gel­ben Uni­for­men auf dem Boden schlie­fen. Zwei sag­ten: „Guten Mor­gen.“ Kei­ner machte irgend­wel­che Anstal­ten uns zu ver­scheu­chen. Eigent­lich igno­rier­ten uns alle, ohne gro­ßen Aufwand.

Wir hat­ten mitt­ler­weile her­aus­ge­fun­den, wer das sagen hat­ten, rauch­ten eine Ziga­rette und war­te­ten, dass die ganze Mann­schaft abzog und wir end­lich mit dem Ver­ant­wort­li­chen über den Zug reden konn­ten. Wir waren etwas auf­ge­regt, aber vol­ler Ernst dabei unsere Mis­sion zu erfül­len. Lei­der gab es in Tran­que­ras kei­nen Zug mehr. Nur 17 km zum nächs­ten Säge­werk und zurück. Aber sie bau­ten wohl an der Stre­cke. Wie uns aber mit­ge­teil wurde, fuhr von Tacuar­embo nach Paso de los Tor­ros ein Zug. Jeden Abend um 10 Uhr. Das war auch nur 84 km ent­fernt und wir konn­ten locker dahin trampen.

Wir erzähl­ten, wir seien zwei deut­sche Zug­en­thu­si­as­ten und woll­ten unbe­dingt die Bahn in Uru­guay erle­ben. Das war die Tak­tik, die wir vor­her bespro­chen hat­ten. Und natür­lich frag­ten wir die Frage der Fra­gen: Ob wir denn mit dem Zug mit­fah­ren könn­ten? Der Bahn­ar­bei­ter schaute uns nur schul­ter­zu­ckend an, schüt­telte leicht den Kopf und meinte: „Ja, warum nicht?“. So ging das auch in Tacuar­embo: „Ja, warum nicht? Müsst ihr die Fah­rer mal fra­gen.“ Hahaha, ich muss heute noch dar­über lachen. Das ist so typisch Uru­guay. Stellt euch das mal in Deutsch­land vor! „Kann ich auf ihrem Güter­zug mit­fah­ren?“ Der zustän­dige Bahn­ar­bei­ter würde euch erst­mal 5 kg Regel­werk ins Gesicht wer­fen, bevor er euch hoch­kant aus dem Büro schmeißt.

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Wir war­te­ten auf den Zug. Es war bereits Abend. Da kam er ein­ge­rollt. Die Fah­rer stie­gen aus. Wir frag­ten gleich wegen dem Mit­fah­ren. Lei­der fal­scher Ansprech­part­ner, weil hier ein Lok­füh­rer­wech­sel anstand. Die neue Crew sollte gegen 21:45 Uhr da sein. Wir hat­ten am Mit­tag schon Sie­ges­po­sen auf der Lok gemacht. Fotos waren also schon da! So sicher, ob das wirk­lich klap­pen sollte, waren wir aller­dings nicht. Gegen 21:45 Uhr kamen tat­säch­lich die bei­den Lok­füh­rer. Ein Jun­ger und ein Alter. Sie steu­er­ten mit ihren Sport­ta­schen auf die Zug­ma­schine, wo wir schon seit 60 Minu­ten vol­ler Auf­re­gung und Anspan­nung warteten.

Dann der große Moment. Der Alte igno­rierte uns gekonnt und ohne Mühe, wie das nur ein Uru­gua­ya­ner hin­kriegt und stieg direkt in die Lok. Der Junge nahm sich 30 Sekun­den Zeit. Ein wirk­li­ches Gespräch kam lei­der nicht zustande. „Ähm ja, zug­be­geis­terte Deut­sche, wür­den gerne nach Paso de los Tor­ros, woll­ten fra­gen, ob wir viel­leicht auf dem Zug mit­fah­ren könn­ten.“ Er schaute uns an. Schul­ter­zu­cken, leich­tes Kopf­schüt­teln. „Ja, warum nicht? Aber ihr müsst mit uns in die Lok kom­men, wir kön­nen euch nicht auf den Wagons mit­fah­ren las­sen!“ Kein Pro­blem. Warum nicht auch mal in der Lok mit­fah­ren? Und so sind wir das Erste mal in unse­rem Leben mit einem Zug getrampt. Die Fahrt dau­erte ca. 6 Stun­den. Und ich muss sagen, auch wenn Uru­guay etwas träge und ein­tö­nig sein kann, für diese unkom­pli­zierte „Laissez-faire“-Einstellung hab ich das Land wirk­lich geliebt.


EXTRA
Wie hoch ist das Budget?

Ich ver­su­che von 10 € pro Tag zu über­le­ben. Im Schnitt liege ich wohl bei 15 €. Da ich für Trans­port (Tram­pen) und Unter­kunft (Zelt, Freunde, Hos­pi­ta­li­ty­netz­werke) nichts bezahle, bleibt nur noch die Ver­pfle­gung und sons­tige Anschaf­fun­gen, wie Equip­ment erset­zen und Geschenke kau­fen. Am teu­ers­ten sind die Städte. Und vor allem Party machen. Ja, Alko­hol und andere Genuss­mit­tel zur eige­nen Sedie­rung sind die wah­ren Bud­get­kil­ler. Also lie­ber Tox-Free leben, liebe Reisende. :)


 

Leipzig-Alaska-Karte

Cate­go­riesUru­guay
  1. Tommy says:

    Hast genau Recht. Ich habe hier auf dem Trie­rer Güter­bahn­hof erzählt, dass ich schon als Kind davon geträumt habe mal in einer Lok mit­zu­fah­ren. Ich solle eine „Aus­bil­dung zum Loko­mo­tiv­fah­rer“ anfan­gen wurde mir ent­geg­net, mit­fah­ren durfte ich nicht – aber viel­leicht habe ich auch zu schnell aufgegeben.

  2. Chris says:

    Das sind toll­kühne Pläne die ihr euch da aus­ge­dacht habt. Ich bin begeis­tert! Habt ihr denn den Prä­si­den­ten-Tram­per gefunden? :)
    Übri­gens soll es die­ses Jahr dann zum ers­ten Mal Can­na­bis geben. Nur kei­ner weiß wann…

    1. Stefan says:

      Hey Chris,

      wir hat­ten uns auf ne Mate ver­ab­re­det und ich hab Ihn als Face­book Freund. Lei­der hat es für ein Tref­fen nie gereicht. Etwas ver­peilt der Kol­lege. Wir woll­ten ihm einen offi­zi­el­len Auf­nä­her von unse­rem Tramp­sport­ver­ein über­rei­chen, als Aus­zeich­nung sei­ner Leis­tun­gen für das Tram­pens. Wir alle sind Gerald Acosta! :)

      Liebe Grüße,

      Ste­fan

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