Sicher ist nur die Ungewissheit

Mein Blick streift über eine Wand mit ver­bli­che­nen Fotos ver­schie­de­ner Män­ner­ge­sich­ter. Nicht immer lässt es die Qua­li­tät der Bil­der zu, die Abge­bil­de­ten zwei­fels­frei zu erken­nen. „Die krie­gen wir noch“, wirft der Grenz­be­am­te mit einem müden Lächeln ein, immer noch auf den nicht funk­tio­nie­ren­den Scan­ner tip­pend. Wir erfah­ren, dass es sich um natio­nal und inter­na­tio­nal gesuch­te Kri­mi­nel­le han­delt, die wegen Dro­gen­schmug­gel, Mord oder Ter­ro­ris­mus zur Fahn­dung aus­ge­schrie­ben sind. Dass ich mit mei­nem Blick das Gesprächs­the­ma unge­wollt auf Dro­gen­schmug­gel gelenkt habe, bereue ich schnell. Der schmie­ri­ge Mann, dem wir aus­ge­lie­fert sind, ver­sucht uns in ein Gespräch über Dro­gen zu ver­wi­ckeln. Nicht gera­de beru­hi­gend, wo wir doch wis­sen, dass Leu­ten, die die Gren­ze pas­sie­ren, auch hin und wie­der Dro­gen unter­ge­scho­ben wer­den kön­nen. Er schnappt sich unser klei­nes Lan­gen­scheidt Per­sisch-Deutsch-Wör­ter­buch, das wir bes­ser nicht aus­ge­packt hät­ten, blät­tert eif­rig und stoppt mit die­sem Grin­sen, das nichts Gutes bedeu­tet. Der Bit­te näher zu kom­men, folgt die Auf­for­de­rung die­ses eine Wort vor­zu­le­sen. In die­sem Moment ver­flu­chen wir die­ses Mini­wör­ter­buch, das aus­ge­rech­net „Opi­um“ als wich­tig genug für Rei­sen­de in Län­dern, wo Per­sisch ver­stan­den wird, erach­tet. In der Tür des engen Raums, den wir eigent­lich schnell wie­der ver­las­sen möch­ten, lehnt mitt­ler­wei­le der zwei­te Grenz­be­am­te mit dem­sel­ben Grin­sen im Gesicht. Wir legen die Stirn in Fal­ten, las­sen uns auf die­se Wör­ter­buch­spie­le­rei nicht ein und drän­gen auf den Abschluss der Ein­rei­se­for­ma­li­tä­ten. Wenn die­ser Scan­ner für unse­re Päs­se nicht funk­tio­nie­ren will, muss es auch anders gehen und zwar schnell. Nun scheint Bewe­gung in die Sache zu kom­men. Unse­re Namen wer­den in das Regis­ter­buch ein­ge­tra­gen, der Ein­rei­se­stem­pel liegt bereit. Und dann. Ein Aus­bruch gespiel­ter Ent­rüs­tung dar­über, dass wir kei­nen ord­nungs­ge­mä­ßen Stem­pel der Visa­aus­stel­lung hät­ten. Die­je­ni­gen, die in Tadschi­ki­stan das Visum machen las­sen, hät­ten die­sen Stem­pel, wir eben nicht. Mit unse­ren Visa ist natür­lich alles in Ord­nung, nur mit den Grenz­be­am­ten nicht. Aber es ist gar nicht ihre Absicht uns nicht ins Land zu las­sen. Umge­hend zei­gen sie über­trie­be­nes Mit­leid mit uns. Eine nicht weni­ger über­trie­be­ne Ges­te der Ver­traut­heit soll uns signa­li­sie­ren, dass sie uns hel­fen wer­den, gegen etwas Ser­vice-Ent­gelt, ver­steht sich. Uns ist das alles zuwi­der, wir inves­tie­ren noch etwas Zeit, zah­len nicht und es klappt tat­säch­lich.

Der Vor­hang fällt. Die Vor­stel­lung ist been­det. Wir betre­ten Afgha­ni­stan.

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Unser Gui­de und Ver­trau­ter für die nächs­ten Tage und Wochen war­tet bereits auf uns. Ahmed ist gera­de mal über 20 Jah­re alt und macht den­noch einen erfah­re­nen Ein­druck. Er weiß um jede zu erle­di­gen­de For­ma­li­tät, jede zu beach­ten­de Gepflo­gen­heit und wir sind lern­wil­lig. Das afgha­ni­sche Isch­ka­schim ist wesent­lich klei­ner als sein tadschi­ki­scher Namens­vet­ter. Doch die Grö­ße ist es gar nicht, die uns gewahr wer­den lässt, dass wir in einer völ­lig ande­ren Welt gelan­det sind. Wäh­rend wir auf unse­rer Rei­se durch den tadschi­ki­schen Pamir nur sel­ten Kopf­tü­cher gese­hen haben, sticht uns nach nur weni­gen Minu­ten in die­sem neu­en Land eine Frau mit blau­er Bur­ka ins Auge. Aber eigent­lich ist alles, was wir sehen ein in Bewe­gung ver­setz­ter blau­er Stoff. Der Mensch dar­un­ter lässt sich nicht fas­sen. Wir gehen durch den Basar, bewun­dern die afgha­ni­schen Schals, die eigent­lich nicht für Frau­en gedacht sind, aber ganz bestimmt in mei­nem Ruck­sack lan­den. An einem der Stän­de ste­he ich mit einem Mal zwei die­ser Bur­ka tra­gen­den Frau­en gegen­über. Sie schei­nen einen genaue­ren Blick auf mich zu wer­fen. Sie erken­nen jedes kleins­te Zucken in mei­nem Gesicht, kön­nen Ver­mu­tun­gen über mei­nen Gemüts­zu­stand anstel­len, nur mir ist es unmög­lich auch nur ihre Augen zu erken­nen. Plötz­lich ein Kichern unter dem blau­en Schlei­er. Wie alt waren die Frau­en? Jün­ger als ich? Ihre Stim­men hören sich jung an und vor allem hell, ja viel­leicht fröh­lich.

Ahmed führt uns in ein Gast­haus, wo wir uns stär­ken sol­len. Es ver­wun­dert uns nicht, dass alle Bli­cke der Gäs­te auf uns ruhen, als wir die Stu­be betre­ten. Wie vie­le Frau­en hier wohl essen mögen? Ver­mut­lich nur ein paar der weni­gen Tou­ris­tin­nen, die den Weg nach Isch­ka­schim fin­den. Das anfäng­li­che Star­ren ist natür­lich nicht ange­nehm, aber ver­ständ­lich und wir mei­nen eine wohl­wol­len­de Neu­gier in den Bli­cken zu erken­nen. Mei­ne gewähl­te Klei­dung, die ich so schon oft im Iran getra­gen habe, gibt mir zudem eine gewis­se Sicher­heit. Ich ver­spü­re kei­nen Anlass ner­vös an mei­nem Umhang zu zup­fen und in län­ger zu machen, als er ist. Auch wenn es kei­ne Klei­der­vor­schrif­ten in Afgha­ni­stan gibt, glau­be ich die rich­ti­ge Wahl getrof­fen zu haben, ohne mich dadurch ein­ge­schränkt zu füh­len. Aber letzt­lich ver­hal­te ich mich im Augen­blick zurück­hal­ten­der als sonst. Mei­ne Lei­den­schaft zu foto­gra­fie­ren gibt mir dann aber doch den ent­schei­den­den Ruck. Ich fra­ge Ahmed, ob ich als Frau Män­ner freund­lich anspre­chen kann, ohne für Ent­rüs­tung zu sor­gen. Das wäre alles kein Pro­blem, gibt er mir zu ver­ste­hen und sie­he da, mei­ne gerin­gen Per­sisch­kennt­nis­se öff­nen Tür und Tor. Die Men­schen spre­chen Dari und ver­ste­hen mich daher sehr gut. Auch in den nächs­ten Tagen, wenn die Leu­te Wakhi spre­chen, wird mein biss­chen Per­sisch noch ein Eis­bre­cher sein. Mein Weg führt mich raus aus dem Gast­haus, vor­bei an ver­schie­de­nen Läden ent­lang des Basars. Die Män­ner mit ihren Bär­ten und Tur­ba­nen schen­ken mir durch­wegs ein Lächeln. Kein per­fi­des, schmie­ri­ges Grin­sen, wie wir es noch leb­haft in Erin­ne­rung haben. Nein. Ein auf­rich­ti­ges, net­tes Lächeln ohne jede Auf­dring­lich­keit oder Ableh­nung. Plötz­lich wir­ken die stau­bi­gen Stra­ßen Isch­ka­schims ein ent­schei­den­des Stück freund­li­cher.

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Aber Isch­ka­schim ist kei­nes­wegs das Ziel unse­res Abste­chers nach Afgha­ni­stan. Wir sind hier, um den afgha­ni­schen Wak­han zu erkun­den – den „ech­ten“ Wak­han-Kor­ri­dor, den wir eine gan­ze Wei­le schon von Tadschi­ki­stan aus bewun­dert haben. Eini­ge Geneh­mi­gun­gen und Stem­pel sind not­wen­dig, bevor wir die Rei­se raus aus Isch­ka­schim antre­ten kön­nen. Es beginnt ein end­los schei­nen­der Irr­weg von einer Poli­zei­sta­ti­on zur nächs­ten, von der Secret Poli­ce zur Secu­ri­ty Poli­ce oder wie sie alle hei­ßen. Irgend­wann ver­lie­ren wir den Über­blick, ren­nen aber mit­hil­fe Ahmeds durch die gan­ze Stadt von der einen zur nächs­ten Sta­ti­on. Es scheint, als müs­se jede Stel­le ein­mal einen Blick auf uns wer­fen, um dann das Ok geben zu kön­nen. Das gan­ze Pro­ze­de­re in Isch­ka­schim nimmt eine gefühl­te Ewig­keit in Anspruch und tat­säch­lich steht die Son­ne ver­däch­tig tief, als wir end­lich los­fah­ren. Unser Gefährt für die nächs­ten Tage ist ein klapp­ri­ger alter PKW, der uns über jede Schot­ter­pis­te und schma­le Berg­stra­ße füh­ren soll. Wir sind auf ihn ange­wie­sen. Öffent­li­chen Ver­kehr oder Sam­mel­ta­xis gibt es schlicht­weg nicht. Es wird sich zei­gen, dass nur die aller­we­nigs­ten im Wak­han über ein Auto ver­fü­gen. Kaum ver­las­sen wir Isch­ka­schim, ist kei­ne Bur­ka mehr zu sehen. Und da sind sie: die Wakhi-Frau­en mit ihren schö­nen Klei­dern und vor allem mit ihrem schö­nen Lächeln. Ers­te Bekannt­schaf­ten wer­den geschlos­sen, Gesprä­che wer­den geführt, Tee wird getrun­ken. Vor allem aber wer­den Unklar­hei­ten aus dem Weg geräumt. Ahmed als Über­set­zer macht das erst mög­lich. So erklärt uns Sara, dass nur die sun­ni­ti­schen Män­ner ihre Frau­en nicht ohne Bur­ka aus dem Haus gehen las­sen. Der sun­ni­ti­sche Bevöl­ke­rungs­an­teil in Isch­ka­schim ist rela­tiv hoch und wird Rich­tung Khan­dud, der Haupt­stadt des Distrikts Wak­han, immer weni­ger. Die Wakhis sind Shii­ten und Shii­tin­nen, genau­er gesagt gehö­ren sie der ismai­li­ti­schen Glau­bens­ge­mein­schaft an. Auch Ahmed ver­si­chert uns, dass die Ismai­li­tin­nen frei wären in die Schu­le zu gehen und zu arbei­ten, ver­schweigt uns aber nicht, dass es bereits zu Kon­flik­ten zwi­schen Sun­ni­tIn­nen und Shii­tIn­nen geführt hat. Jun­ge sun­ni­ti­sche Män­ner sol­len den Umstand, dass sich shii­ti­sche Frau­en nicht kom­plett ver­hül­len, als Anlass genom­men haben, ihnen zu nahe zu tre­ten und sie zu ernied­ri­gen.

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Wir fah­ren ent­lang der tadschi­ki­schen Gren­ze, schla­fen in ver­schie­de­nen Ort­schaf­ten bei Fami­li­en, die uns stets herz­lich emp­fan­gen. Unse­re Erkun­dun­gen füh­ren durch die vie­len saf­ti­gen Fel­der, die wir nur zu oft von der tadschi­ki­schen Sei­te aus erbli­cken konn­ten. Ahmed hilft uns wie immer bei Gesprä­chen, die über ein paar begrü­ßen­de Wor­te hin­aus­ge­hen. So ler­nen wir auch einen in die Jah­re gekom­me­nen Wakhi ken­nen. Inmit­ten der Wei­te sei­ner Fel­der trennt den afgha­ni­schen Mann nur der Fluss Panj von Tadschi­ki­stan. Dabei ver­deut­li­chen die Ber­ge sowohl auf der tadschi­ki­schen als auch auf der afgha­ni­schen Sei­te, dass die­ses Tal ver­bin­det und nicht trennt. Wie viel näher sich die Wakhis auf der afgha­ni­schen Sei­te den Pami­ris füh­len im Ver­gleich zu den ande­ren Bevöl­ke­rungs­grup­pen Afgha­ni­stans wird nach weni­gen Wor­ten klar. Als der alte Herr beginnt, davon zu spre­chen, dass sie nur auf dem Papier Afgha­nen wären und dass nur der Pamir, der Panj und der Wak­han zäh­len, ver­lie­ren Lan­des­gren­zen für einen Moment ihre Bedeu­tung. Er erzählt uns von den weni­gen Wakhis, die einen Grenz­über­tritt über den Fluss wagen, um Freun­de zu besu­chen und dafür eine Inhaf­tie­rung in Tadschi­ki­stan ris­kie­ren. Zumin­dest waren sol­che Grenz­über­trit­te noch vor weni­gen Jah­ren ver­ein­zelt der Fall.

Für uns geht es immer wei­ter in die Iso­la­ti­on und doch scheint gera­de die das Para­dies zu bedeu­ten. Das soll nicht als Ver­klä­rung der har­ten Lebens­um­stän­de miss­ver­stan­den wer­den. Aber in Anbe­tracht des­sen, dass der Wak­han eben in Afgha­ni­stan liegt und nicht in einem ande­ren Land, kann man bei der Abge­schie­den­heit sogar von einem Glück spre­chen. Die feh­len­de Anbin­dung an das rest­li­che Afgha­ni­stan ist ein Grund dafür, dass hier bis­lang noch nie­mand die Tali­ban zu Gesicht bekom­men hat.

Unser Weg führt uns bis an den Fuß des majes­tä­ti­schen Baba Tun­gis. Unmit­tel­bar dahin­ter liegt schon Paki­stan. Jedes Mal ist es eine Ehre eine der tra­di­tio­nel­len Pami­ri-Häu­ser betre­ten zu dür­fen, deren Bau­wei­se uns schon von Tadschi­ki­stan bekannt ist. Vie­le Frau­en zei­gen mir vol­ler Stolz ihren zahl­rei­chen Schmuck und die lie­be­voll ange­fer­tig­ten Sti­cke­rei­en auf ihrer tra­di­tio­nell geblie­be­nen Klei­dung. Ein älte­res Ehe­paar, das uns gemein­sam mit dem gro­ßen Rest der Fami­lie will­kom­men heißt, erwärmt unser Herz, indem die bei­den offen vor Frem­den wie uns ihre Zunei­gung für­ein­an­der zei­gen. Die­ses uner­müd­li­che Strah­len, die enge Umar­mung und der von Lie­be erfüll­te Blick erzäh­len Geschich­ten einer lang­jäh­ri­gen und glück­li­chen Part­ner­schaft. So ver­ge­hen Tage um Tage, die von einer wun­der­ba­ren Leich­tig­keit getra­gen wer­den. Nur hin und wie­der fällt das Wort auf die poli­ti­sche Situa­ti­on Afgha­ni­stans. Dann ist davon die Rede, dass die Poli­zei nur zu oft gemein­sa­me Sache mit her­ein­fal­len­den Tali­ban-Trup­pen macht oder als ers­tes das sin­ken­de Schiff ver­lässt. Unwei­ger­lich müs­sen wir an die Grenz­be­am­ten den­ken, die sich nicht gera­de mit Ruhm bekle­ckert haben. Aber schnell ver­blas­sen die­se Gesprä­che und wir las­sen uns wie­der von der Fröh­lich­keit der vie­len Kin­der auf unse­rem Weg anste­cken.

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Die Tage ver­ge­hen wie im Flug. Wir müs­sen auf­bre­chen. Wie­der zurück, raus aus Afgha­ni­stan und auf die ande­re Sei­te des Wak­hans. Weh­mut holt uns bereits bei der Abrei­se ein. Zu unglaub­lich war, was wir erle­ben durf­ten. Auf ein­mal steht fest: Noch nie haben wir etwas Schö­ne­res gese­hen. Die Refle­xi­on dar­über, was uns auf unse­ren Rei­sen vor­an­treibt, zau­bert ein Schmun­zeln auf unse­re Lip­pen. Scheint es doch para­dox, die wei­te Welt zu suchen und doch die Iso­la­ti­on klei­ner Land­stri­che zu mei­nen. Eben dort zu fin­den, was wir suchen, wo es nichts gibt außer rei­ßen­den Bächen, blü­hen­den Wie­sen und einem herz­er­wär­men­den Lächeln – eben nichts außer dem, was es wirk­lich braucht. Die Rei­se war zu über­wäl­ti­gend, um nicht wie­der zu kom­men. Unse­re Bekannt­schaft mit Ahmed soll auch über unse­re Rei­se hin­weg bestehen blei­ben. Wie so oft ist es Face­book, was uns dabei hilft. Wir ver­las­sen den Wak­han und Afgha­ni­stan mit einem Gefühl der Zufrie­den­heit und Zuver­sicht. Scheint es doch einer der letz­ten Land­stri­che Afgha­ni­stans zu sein, der vor dem Leid, der in so vie­len ande­ren Tei­len des Lan­des herrscht, ver­schont bleibt.

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Wien. Über ein hal­bes Jahr spä­ter. Ahmed ist seit den letz­ten Tagen viel akti­ver auf Face­book als sonst. Uns ist nicht ganz klar war­um, aber Beun­ru­hi­gung macht sich breit. In der Nacht auf den 29. April ist die Gewiss­heit da. Zebak, weni­ge Kilo­me­ter von Isch­ka­schim ent­fernt, ist in der Hand der Tali­ban. Die Früh­jahrs­of­fen­si­ve hat bereits begon­nen und sie ist rich­tungs­wei­send. Die Mel­dun­gen auf unse­rer FB-Chro­nik über­schla­gen sich. Zwi­schen süßen Tier­vi­de­os, öster­rei­chi­scher Tages­po­li­tik und net­ten Urlaubs­fo­tos mischt sich die Angst der Leu­te aus Isch­ka­schim und Umge­bung.

Unse­re Rei­se holt uns ein. In Wien. In unse­ren siche­ren vier Wän­den. Es ist kei­ne der vie­len Zei­tungs­mel­dun­gen jeden Tag. Die­ses Mal haben wir einen direk­ten Bezug zu der Regi­on und den Men­schen, die dort leben. Unser Herz schlägt wie ver­rückt. Wir schrei­ben Ahmed. Ob es ihm gut gehe, ob er in Sicher­heit wäre, fra­gen wir. Die Lage sei ange­spannt, meint er. „Is it dan­ge­rous for you?“, sehen wir uns tip­pen. Sei­ne Ant­wort ver­setzt uns einen Stoß. Nichts könn­te deut­li­cher sein als ein kom­men­tar­lo­ses „Yes“. Alle Hoff­nung ist auf ein­mal ver­flo­gen. Wir wol­len uns nicht aus­ma­len, was geschieht, wenn die Tali­ban es wirk­lich schafft nach Isch­ka­schim vor­zu­drin­gen. Wir hören Ahmeds Wor­te nach­hal­len, als er uns damals ver­si­cher­te, dass Leu­te, die mit Aus­län­dern zu tun hat­ten, immer als ers­tes die Schre­ckens­herr­schaft der Tali­ban zu spü­ren bekom­men. Die Angst der Men­schen vor Ort erreicht über Face­book auch uns. Plötz­lich fürch­ten wir um Ahmed, sei­ne Fami­lie, den Wak­han – das Para­dies, das wir ken­nen­ler­nen durf­ten. Die Face­book­mel­dun­gen rei­chen uns nicht, wir brau­chen mehr Infor­ma­ti­on. Bei unse­ren Recher­chen sto­ßen wir auf den Tali­ban-Kanal, der in Dau­er­schlei­fe die Ein­nah­me Zebaks zeigt. Die Tali­ban-Pro­pa­gan­da erreicht unser Wohn­zim­mer, neben unse­rem Lap­top noch die ent­wi­ckel­ten Fotos lie­gend, die wir die­ses Jahr den Wakhis mit­brin­gen woll­ten. Die nächs­ten Tage errei­chen uns ers­te Mel­dun­gen und Bil­der von einer zer­stör­ten Schu­le. Die Poli­zei hät­te sich als ers­tes davon gemacht, heißt es. Die Tali­ban hät­te bereits Dör­fer des Bezirks Isch­ka­schim ein­ge­nom­men, hören wir. Wir zie­hen Kar­ten her­an, die die Tali­ban-Bewe­gun­gen ver­deut­li­chen. Auf ein­mal fällt es uns wie Schup­pen von den Augen. Es geht um die Ver­bin­dung nach Paki­stan. Zwi­schen­zeit­lich mel­det Ahmed, das Mili­tär wäre mit etli­chen Hub­schrau­bern nach Isch­ka­schim aus­ge­flo­gen und es wür­de nun alles gut wer­den. Doch die nächs­te Nacht bringt nicht den erwar­te­ten Erfolg. Es tut sich nichts. Ahmed und sei­ne Freun­de über­fällt aber­mals die Unru­he. Die zwi­schen­zeit­li­che Hoff­nung, sie ist schon wie­der ver­flo­gen.

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Afgha­ni­stan, das Land, das bis­lang übri­gens als siche­res Her­kunfts­land gilt, ver­fällt zuse­hends. Die Erin­ne­run­gen an unse­re ver­gan­ge­ne Rei­se: Sie wer­den gegen­wär­tig. Dass auf einen Schlag alles in Gefahr sein soll, scheint uns unwirk­lich. Wir ver­su­chen mög­lichst vie­le Infor­ma­tio­nen ein­zu­ho­len und sind froh, wenn wir etwas von Ahmed hören. Die nächs­te Mel­dung ver­heißt nichts Gutes. Tadschi­ki­stan eva­ku­iert NGOs ent­lang der afgha­ni­schen Gren­ze. Auf der tadschi­ki­schen Sei­te hört man die Kämp­fe, heißt es. Vom erhoff­ten kur­zen Pro­zess mit der Tali­ban ist kei­ne Rede mehr. Die Rück­erobe­rung durch das Mili­tär nicht sicher.

Dann doch. Die Mel­dung, dass das Mili­tär erfolg­reich gewe­sen wäre, lässt wie­der auf­at­men. Es ist die ers­te posi­ti­ve Nach­richt seit lan­gem. Ahmed zeigt sich wie­der zuver­sicht­lich. Es gibt kei­ne Alter­na­ti­ve zur Zuver­sicht. Wir fra­gen uns aber trotz­dem. Wird die Tali­ban erstarkt wie­der kom­men? War der Rück­schlag groß genug? Was wird der Som­mer brin­gen?
Fällt erst Isch­ka­schim, ist auch der Wak­han nicht mehr sicher. Das Leben der Wakhis ist den Tali­ban ein Dorn im Auge. Frau­en, die sich nicht in Bur­kas hül­len, sich frei in der Öffent­lich­keit bewe­gen und Mäd­chen, die ganz selbst­ver­ständ­lich zur Schu­le gehen – all das ist undenk­bar unter einer Schre­ckens­herr­schaft der Tali­ban.

Wir wer­den wie­der nach Zen­tral­asi­en fah­ren. Ob wir Afgha­ni­stan die­ses Mal nur von Tadschi­ki­stan aus sehen wer­den? Ob uns nur ein paar lächer­li­che Meter von den Fel­dern des afgha­ni­schen Wak­hans tren­nen wer­den, so wie die Wakhis eben nur die­se Meter vom siche­ren Tadschi­ki­stan tren­nen? Wir wis­sen es nicht. Noch nie hat uns eine Rei­se vie­le Mona­te danach zuhau­se so aus der Fas­sung gebracht wie die­se. Noch nie gab es Anlass dafür sich wirk­lich Sor­gen zu machen, um die Men­schen, die wir ken­nen­ge­lernt haben. Noch nie war, in Wien sit­zend, Afgha­ni­stan so nah.

Aller­dings kön­nen wir uns ent­schei­den, ob wir hin­fah­ren oder nicht. Abwä­gen, wel­che Risi­ken ver­schie­de­ne Rei­se­desti­na­tio­nen mit sich brin­gen. Der Zufall in einem siche­ren Land und in eine siche­re Zeit gebo­ren zu sein, ist ein nicht ver­dien­tes Pri­vi­leg so vie­ler – uns ein­ge­schlos­sen. Wir füh­len mit den Leu­ten. Unse­re Her­zen hüpft beim Gedan­ken, dass alles dahin sein könn­te, was wir noch vor weni­gen Mona­ten erle­ben durf­ten. Aber schließ­lich wie­gen wir uns in Sicher­heit. Alles, was den Leu­ten vor Ort aber bleibt, ist zu hof­fen und bes­ser nicht zu fra­gen, was nächs­tes und über­nächs­tes Jahr sein wird.

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Anmer­kung: Alle vor­kom­men­den Namen wur­den geän­dert.

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Antworten

  1. Avatar von Z.Mitra
    Z.Mitra

    Gelun­ge­ner Rei­se­be­richt und die Fotos sind ein­fach nur stark. Der Satz, das wir Men­schen die Wei­te Welt suchen und eigent­lich doch einen klei­nen Land­strich mei­nen, find ist sehr getrof­fen. Letz­tes Jahr wollt ich auch in den Wak­han Kor­ri­dor rei­sen, nach­dem ich bei Natio­nal Geo­gra­fik einen Bericht dar­über gele­sen habe und es mich irgend­wie gepackt hat, hat­te ich nach etli­chen Ver­su­chen ein Visum erhal­ten, trotz afgha­ni­scher Wur­zeln. Bei der Ankunft hat es dann lei­der nicht geklappt zum Wak­han Kor­ri­dor zu rei­sen, weil die Tali­ban nach wie vor in dem Gebiet herr­schen, dafür bin ich aber dann in Usbe­ki­stan um im Bamy­an Gebiet gelan­det und konn­te genau sol­che herz­er­wär­men­den Erfah­run­gen machen. Werd es nie ver­ges­sen und bin dank­bar dafür.

  2. Avatar von Lorenz
    Lorenz

    Kom­pli­ment! Ein wirk­lich tol­ler Rei­se­be­richt!

    1. Avatar von Priska

      Vie­len Dank! Freut uns

    2. Avatar von Priska

      Vie­len Dank! Freut uns!

  3. Avatar von Reiseblognews

    Was für unglaub­li­che Ein­bli­cke!! Wie sicher wir uns hier füh­len kön­nen, wird einem auch erst bewusst, wenn man mal das Gegen­teil gese­hen hat. Die Men­schen haben so ande­re Sor­gen und Gedan­ken, dass einem unse­re »Weh­weh­chen« unglaub­lich unbe­deu­tend vor­kom­men„

    1. Avatar von Priska

      Wie recht du hast! Es ist eine ganz ande­re Lebens­welt und Men­schen wie du und ich, was hier immer vie­le ver­ges­sen. Nur dass die­se Men­schen sich mit ganz ande­ren Pro­ble­men kon­fron­tiert sehen als wir.

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