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Warmer Fahrtwind streicht über mein Gesicht. Der Geruch von Algen strömt in meine Nase, vermischt mit Benzin, der in schwarzen Wolken aus dem Motor stößt. Vor unseren Blicken ziehen saftige Hügel, zerklüftete Felsen und Tropenwälder vorbei, die sich abwechselnd im türkisfarbenen und jadegrünen Wasser des Nam Ou spiegeln. Fischer mit dreieckigen Strohhüten angeln in ihren Ruderbooten, einige Dorfbewohner waschen die Wäsche, und hier und da nimmt ein Büffel ein Bad. In der Ferne krallen sich die Wolken an die Gebirgsspitzen, wie um sich nach langer Reise ein wenig auszuruhen.
„Sabai dii! Hello!“ Ein paar Kinder, die am Flussufer spielen, winken uns zu. Wir tun es ihnen gleich, bis uns das Slowboat außer Sichtweite trägt. Das Dröhnen des Motors schneidet sich in die subtropische Hitze Laos‹. Ich bin froh, im Schatten zu sitzen. Eine Holzbedachung erstreckt sich über das gesamte Boot, provisorisch, aber ausreichend, um keinen Sonnenstich zu bekommen.
Holzhütten mit Wellblechdächern auf rotbrauner Erde säumen den Fluss. Zwischen Palmen, Bananenstauden und Riesenbambussen wirken sie geradezu einladend. Ich stelle mir vor, wie es wohl in deren Innern aussehen mag. Gibt es hier Strom?
Ein Amerikaner, der mit uns im Boot sitzt, breitet seine Geldscheine und Papiere auf dem Boden aus, um sie in der Sonne trocknen zu lassen. Beim Einstieg war er mit seiner gesamten Habe in den Nam Ou gefallen, als er kühn vom Anlegesteg ins Boot springen wollte. Ein misslungenes Kunststück, das die gesamte Bootsbesatzung und anwesenden Passagiere erheiterte, und zum Glück auch ihn selbst. Er gehört einer Gruppe von Amerikanern an, die mit dem Fahrrad um die Welt reisen. So etwas würde mir nie in den Sinn kommen, denke ich und beobachtete ihn, wie er Steine auf seine Papiere legt, damit sie nicht wegfliegen. Ich reise lieber gemütlich und slow, in einem Slowboat.
Laos ist die zweite Etappe unserer Weltreise. Nach fünf Jahren im hektischen Paris haben mein Freund und ich uns für eine Auszeit entschlossen. Wir kündigten unsere Wohnung und Jobs, kauften Backpacks und buchten in einem für Weltreisen spezialisierten Reisebüro unsere Flugtickets nach Südostasien und Ozeanien. Sieben Monate wollen wir neue Länder, neue Leute, neue Welten kennenlernen. Raus aus dem stressigen Alltag, rein ins Abenteuer.
Seit einer Woche sind wir nun in Laos. Die Sommerhitze ist erdrückend, die Wasserflasche unser ständiger Begleiter. Wir haben uns die heißesten Monate ausgesucht, um durch das Land zu reisen. Im März und April steigen die Temperaturen mittags auf über 35 Grad. Doch die Luft ist trocken, die Hitze erträglich und das Land voller Faszination. Wir können es kaum erwarten, seine tropischen Dschungellandschaften zu erkunden, uns an den leuchtend grünen Reisfeldern zu weiden und über die bunten Märkte zu schlendern, auf denen exotische Früchte wie Papayas, Stern- und Drachenfrüchte verkauft werden.
Vom Boot aus fallen mir die Kräne und Bagger auf, die am Flussufer über gewaltige Baugelände fahren. Chinesische Flaggen wehen hier. Ich frage den Slowboatkapitän, was es mit ihnen auf sich habe. Staudämme werden im Nam Ou gebaut. Nicht um die laotische Bevölkerung mit Strom zu versorgen, sondern China. Sie bedeuten für das arme Land Geld. Dass dabei große Teile des Urwalds überflutet werden und somit Kapokbäume, Rosenholz, Tiger und Leoparden verschwinden, interessiere die Regierung nicht.
Schließlich trägt uns der Nam Ou nach Nong Khiaw, ein malerisches Dorf im Nord-Osten von Laos, das sich über beide Seiten des Flusses erstreckt. Grüne Anhöhen und Kalksteinberge rahmen es ein. Eine Betonbrücke verbindet die beiden Dorfbereiche. Wir checken in unserem Hotel ein, einer Ansammlung von Hütten aus Korbgeflecht und dunklen Strohdächern, die am Fuße eines Bergs wie kleine Schlumpfhäuser aussehen.
An der Rezeption, die gleichzeitig als Bar fungiert, erzählt uns der Angestellte von einem Wasserfall.
„Waterfall, big attraction in Nong Khiaw“, sagt er.
Mitten in der trockenen Hitze erscheint uns der Gedanke an einen Wasserfall genauso verlockend wie ein weiches Bett nach einem Campingurlaub. Wir legen also unsere Backpacks in unsere Hütte und folgen einer Asphaltstraße, die sich an Kalksteinformationen und trockenen Wiesen entlangzieht. Nach 8 Kilometern ist jedoch noch immer keine Spur von einem Wasserfall. Wir sehen lediglich ein paar kleine Quellen, die aus daumendicken Felsspalten heraustreten. Diese konnte der Mann im Hotel doch unmöglich gemeint haben? Wahrscheinlich liegt es an der Trockenzeit.
Ein wenig enttäuscht beschließen wir kehrtzumachen, um noch bei Helligkeit zurück in unsere Hütte zu kommen. Da hören wir plötzlich das Klicken von Fahrradspeichen hinter uns, begleitet von leichtem Fußgetrappel. Dann eine zarte Stimme, die uns fragt: „Candy? Candy?“
Wir drehen uns um und erblicken fünf Mädchen im Alter von vielleicht zehn Jahren, zwei von ihnen auf Fahrrädern und drei zu Fuß. Sie tragen bunte, abgetragene T‑Shirts, alle dieselben Sandalen mit einer rosa Schnalle und ein nettes Lächeln auf den Lippen. Man sieht ihnen an, dass sie die meiste Zeit draußen verbringen, denn sie sind braungebrannt und gertenschlank.
Bonbons haben wir nicht, aber Kekse.
„We have cookies“, sage ich und hole welche aus meinem Rucksack hervor. Das reicht, um die Mädchen glücklich zu machen.
„Thank you“, sagen sie und beschließen uns zu begleiten.
„Do you live here?“, fragt mein Freund. Sie antworteten irgendetwas auf Laotisch, das wir natürlich nicht verstehen.
„Village“, sagt eines der Mädchen, das als einzige ganz in Schwarz gekleidet ist und die Kekstüte in der Hand hält. Es zeigt in die Richtung Nong Khiaws.
„Do you live in Nong Khiaw?“
Es schüttelt den Kopf und macht eine Geste, als wenn es sich den Arm abhacken würde.
„In front of Nong Khiwa?“
„Yes!“
Ich frage die Mädchen, wie sie heißen. Nang Wi, Nang Kaek, Wandy, Nang Noui und Solita. Hübsche Namen. Es war Wandy, die uns erklärt hat, wo ihr Dorf liegt.
Da fällt mir das Ohnewörterbuch ein, das mir eine Freundin für die Weltreise geschenkt hat. Ein Büchlein voller bunter Bilder, die einem das Kommunizieren ohne Wörter erleichtern. Ich ziehe es aus meiner Hosentasche und zeige es den Mädchen, die daraufhin die Bilder auf Laotisch benennen. Wandy, ohne Zweifel die Anführerin der Gruppe, nimmt das Buch und ruft „Lot keng!“. Ihr Finger zeigt auf ein rotes Auto.
„Lot keng“, versuchen wir ihr nachzusprechen, und die Mädchen lachen, weil es sich wohl ziemlich falsch anhört.
„Car“, übersetzen wir das Wort ins Englische, und sie wiederholen alle im Chor „Car“.
„Pa“, sagt Wandy und zeigt auf einen Fisch.
„Fish“, antworten wir, woraufhin sie alle zusammen „Fish“ nachsprechen.
„Pym.“ – „Book.“
„Hyan.“ – „House.“
Wir müssen schmunzeln, wie lernwillig die kleinen Laotinnen sind. Am Ende laufen wir die Asphaltstraße hinunter und singen alle zusammen: „I want to ride my bicycle, I want to ride my biiiike“.
Diesmal kommt uns der 8 Kilometer lange Weg viel kürzer vor. Kurz vor Nong Khiaw gelangen wir schließlich in ihr Dorf, wo sich die Mädchen von uns verabschieden und zu ihren Familien zurückkehren. Die Tüte mit den Keksen ist schon leer. Wandy ruft uns noch ein heiteres „Bye Bye!“ entgegen und schiebt ihr Fahrrad dann den roten Sandhügel zu ihrer Hütte hoch.
Müde aber erfüllt von dieser Begegnung setzen wir uns ans Ufer des Nam Ou. Den Wasserfall haben wir an dem Tag zwar nicht entdeckt, doch diese Mädchen haben uns für die Enttäuschung entschädigt.
Wir beobachten, wie sich die Sonne im blau-violetten Himmel hinter dem Gebirge verkriecht. Eine leichte Abendbrise trägt den feuchten Geruch nach Fisch und Algen aus dem Nam Ou zu uns, der schwarz an den Kalksteinbergen vorbeifließt, als würde er ahnen, dass sein Leben in dieser Form bald vorbei sein wird.
Inzwischen fahren zwischen Luang Prabang und Nong Khiaw wegen der Staudämme fast keine Slowboats mehr. Manchmal frage ich mich, was aus all den Kindern, Fischern und Wäsche waschenden Dorfbewohnern geworden ist. Vielleicht sind ihre Dörfer inzwischen überflutet und sie selbst zwangsumgesiedelt. Vielleicht verkaufen die Fischer mit den Strohhüten nun industriellen Trockenfisch am Straßenrand, und der Slowboatkapitän fährt die Touristen nicht mehr über den Fluss, sondern über neue Asphaltstraßen. Und die fünf Mädchen? Singen sie noch immer „I want to ride my bicycle“ und erinnern sich dabei an uns?
Wir werden es nie wohl erfahren. Doch eines ist sicher: Wir werden eine der letzten gewesen sein, die in die Seele des Nam Ou blicken durften.
Antworten
Danke fur die Post! Ich will nach Laos heuer gereist. Es sehe wunderschön aus!
Hey Christiane, danke für den Artikel. Ich bin 2018 in Laos und fand euren Einblick besonders interessant und einzigartig!
Hi Alicia, dann wünsche ich Dir einen wundervollen Aufenthalt dort!
Vielen Dank für die netten Kommentare, Lotte und herbb! Ja, es ist richtig schade, wie die Flora und Fauna immer mehr verschwinden… Wie so an vielen Orten der Welt. So lange es noch etwas zu sehen gibt, sollte man sich also beeilen und viel verreisen;)
Hallo Christiane, richtig toll geschrieben. Ich war 2016 mit dem Fahrrad in Laos unterwegs. Ich hab auch in Nong Khiaw übernachtet. Allerdings musste ich mit dem Minibus fahren da mit dem Boot nichts mehr ging. Die chinesische Ausbeute verfolgte mich in ganz Laos. Im Süden sind es dann oft die Thailändischen oder die Vietnamesen. Trotzdem war Laos eine Reise wert.
Ein toller Artikel! Man darf gespannt sein, wie es bei euch weiter geht.
Ich war selbst vor zwei Jahren in Nong Khiaw und da fing das mit den Dämmen schon an. Mein Freund, der damals leider nicht dabei sein konnte aber 2013 dort war, hatte mir den Tipp gegeben, mit dem Slowboat von Nong Khiaw nach Luang Prabang zu fahren – das war wohl einmal möglich. Als ich dort war, ging es aber schon nicht mehr. Das ist so schade… und ich habe seitdem auch nicht mehr aufgehört, mir den Kopf darüber zu zerbrechen :/
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