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Sicher ist nur die Ungewissheit

Mein Blick streift über eine Wand mit ver­bli­che­nen Fotos ver­schie­de­ner Män­ner­ge­sich­ter. Nicht immer lässt es die Qua­li­tät der Bil­der zu, die Abge­bil­de­ten zwei­fels­frei zu erken­nen. „Die krie­gen wir noch“, wirft der Grenz­be­amte mit einem müden Lächeln ein, immer noch auf den nicht funk­tio­nie­ren­den Scan­ner tip­pend. Wir erfah­ren, dass es sich um natio­nal und inter­na­tio­nal gesuchte Kri­mi­nelle han­delt, die wegen Dro­gen­schmug­gel, Mord oder Ter­ro­ris­mus zur Fahn­dung aus­ge­schrie­ben sind. Dass ich mit mei­nem Blick das Gesprächs­thema unge­wollt auf Dro­gen­schmug­gel gelenkt habe, bereue ich schnell. Der schmie­rige Mann, dem wir aus­ge­lie­fert sind, ver­sucht uns in ein Gespräch über Dro­gen zu ver­wi­ckeln. Nicht gerade beru­hi­gend, wo wir doch wis­sen, dass Leu­ten, die die Grenze pas­sie­ren, auch hin und wie­der Dro­gen unter­ge­scho­ben wer­den kön­nen. Er schnappt sich unser klei­nes Lan­gen­scheidt Per­sisch-Deutsch-Wör­ter­buch, das wir bes­ser nicht aus­ge­packt hät­ten, blät­tert eif­rig und stoppt mit die­sem Grin­sen, das nichts Gutes bedeu­tet. Der Bitte näher zu kom­men, folgt die Auf­for­de­rung die­ses eine Wort vor­zu­le­sen. In die­sem Moment ver­flu­chen wir die­ses Mini­wör­ter­buch, das aus­ge­rech­net „Opium“ als wich­tig genug für Rei­sende in Län­dern, wo Per­sisch ver­stan­den wird, erach­tet. In der Tür des engen Raums, den wir eigent­lich schnell wie­der ver­las­sen möch­ten, lehnt mitt­ler­weile der zweite Grenz­be­amte mit dem­sel­ben Grin­sen im Gesicht. Wir legen die Stirn in Fal­ten, las­sen uns auf diese Wör­ter­buch­spie­le­rei nicht ein und drän­gen auf den Abschluss der Ein­rei­se­for­ma­li­tä­ten. Wenn die­ser Scan­ner für unsere Pässe nicht funk­tio­nie­ren will, muss es auch anders gehen und zwar schnell. Nun scheint Bewe­gung in die Sache zu kom­men. Unsere Namen wer­den in das Regis­ter­buch ein­ge­tra­gen, der Ein­rei­se­stem­pel liegt bereit. Und dann. Ein Aus­bruch gespiel­ter Ent­rüs­tung dar­über, dass wir kei­nen ord­nungs­ge­mä­ßen Stem­pel der Visa­aus­stel­lung hät­ten. Die­je­ni­gen, die in Tadschi­ki­stan das Visum machen las­sen, hät­ten die­sen Stem­pel, wir eben nicht. Mit unse­ren Visa ist natür­lich alles in Ord­nung, nur mit den Grenz­be­am­ten nicht. Aber es ist gar nicht ihre Absicht uns nicht ins Land zu las­sen. Umge­hend zei­gen sie über­trie­be­nes Mit­leid mit uns. Eine nicht weni­ger über­trie­bene Geste der Ver­traut­heit soll uns signa­li­sie­ren, dass sie uns hel­fen wer­den, gegen etwas Ser­vice-Ent­gelt, ver­steht sich. Uns ist das alles zuwi­der, wir inves­tie­ren noch etwas Zeit, zah­len nicht und es klappt tatsächlich.

Der Vor­hang fällt. Die Vor­stel­lung ist been­det. Wir betre­ten Afgha­ni­stan.

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Unser Guide und Ver­trau­ter für die nächs­ten Tage und Wochen war­tet bereits auf uns. Ahmed ist gerade mal über 20 Jahre alt und macht den­noch einen erfah­re­nen Ein­druck. Er weiß um jede zu erle­di­gende For­ma­li­tät, jede zu beach­tende Gepflo­gen­heit und wir sind lern­wil­lig. Das afgha­ni­sche Isch­ka­schim ist wesent­lich klei­ner als sein tadschi­ki­scher Namens­vet­ter. Doch die Größe ist es gar nicht, die uns gewahr wer­den lässt, dass wir in einer völ­lig ande­ren Welt gelan­det sind. Wäh­rend wir auf unse­rer Reise durch den tadschi­ki­schen Pamir nur sel­ten Kopf­tü­cher gese­hen haben, sticht uns nach nur weni­gen Minu­ten in die­sem neuen Land eine Frau mit blauer Burka ins Auge. Aber eigent­lich ist alles, was wir sehen ein in Bewe­gung ver­setz­ter blauer Stoff. Der Mensch dar­un­ter lässt sich nicht fas­sen. Wir gehen durch den Basar, bewun­dern die afgha­ni­schen Schals, die eigent­lich nicht für Frauen gedacht sind, aber ganz bestimmt in mei­nem Ruck­sack lan­den. An einem der Stände stehe ich mit einem Mal zwei die­ser Burka tra­gen­den Frauen gegen­über. Sie schei­nen einen genaue­ren Blick auf mich zu wer­fen. Sie erken­nen jedes kleinste Zucken in mei­nem Gesicht, kön­nen Ver­mu­tun­gen über mei­nen Gemüts­zu­stand anstel­len, nur mir ist es unmög­lich auch nur ihre Augen zu erken­nen. Plötz­lich ein Kichern unter dem blauen Schleier. Wie alt waren die Frauen? Jün­ger als ich? Ihre Stim­men hören sich jung an und vor allem hell, ja viel­leicht fröhlich.

Ahmed führt uns in ein Gast­haus, wo wir uns stär­ken sol­len. Es ver­wun­dert uns nicht, dass alle Bli­cke der Gäste auf uns ruhen, als wir die Stube betre­ten. Wie viele Frauen hier wohl essen mögen? Ver­mut­lich nur ein paar der weni­gen Tou­ris­tin­nen, die den Weg nach Isch­ka­schim fin­den. Das anfäng­li­che Star­ren ist natür­lich nicht ange­nehm, aber ver­ständ­lich und wir mei­nen eine wohl­wol­lende Neu­gier in den Bli­cken zu erken­nen. Meine gewählte Klei­dung, die ich so schon oft im Iran getra­gen habe, gibt mir zudem eine gewisse Sicher­heit. Ich ver­spüre kei­nen Anlass ner­vös an mei­nem Umhang zu zup­fen und in län­ger zu machen, als er ist. Auch wenn es keine Klei­der­vor­schrif­ten in Afgha­ni­stan gibt, glaube ich die rich­tige Wahl getrof­fen zu haben, ohne mich dadurch ein­ge­schränkt zu füh­len. Aber letzt­lich ver­halte ich mich im Augen­blick zurück­hal­ten­der als sonst. Meine Lei­den­schaft zu foto­gra­fie­ren gibt mir dann aber doch den ent­schei­den­den Ruck. Ich frage Ahmed, ob ich als Frau Män­ner freund­lich anspre­chen kann, ohne für Ent­rüs­tung zu sor­gen. Das wäre alles kein Pro­blem, gibt er mir zu ver­ste­hen und siehe da, meine gerin­gen Per­sisch­kennt­nisse öff­nen Tür und Tor. Die Men­schen spre­chen Dari und ver­ste­hen mich daher sehr gut. Auch in den nächs­ten Tagen, wenn die Leute Wakhi spre­chen, wird mein biss­chen Per­sisch noch ein Eis­bre­cher sein. Mein Weg führt mich raus aus dem Gast­haus, vor­bei an ver­schie­de­nen Läden ent­lang des Basars. Die Män­ner mit ihren Bär­ten und Tur­ba­nen schen­ken mir durch­wegs ein Lächeln. Kein per­fi­des, schmie­ri­ges Grin­sen, wie wir es noch leb­haft in Erin­ne­rung haben. Nein. Ein auf­rich­ti­ges, net­tes Lächeln ohne jede Auf­dring­lich­keit oder Ableh­nung. Plötz­lich wir­ken die stau­bi­gen Stra­ßen Isch­ka­schims ein ent­schei­den­des Stück freundlicher.

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Aber Isch­ka­schim ist kei­nes­wegs das Ziel unse­res Abste­chers nach Afgha­ni­stan. Wir sind hier, um den afgha­ni­schen Wak­han zu erkun­den – den „ech­ten“ Wak­han-Kor­ri­dor, den wir eine ganze Weile schon von Tadschi­ki­stan aus bewun­dert haben. Einige Geneh­mi­gun­gen und Stem­pel sind not­wen­dig, bevor wir die Reise raus aus Isch­ka­schim antre­ten kön­nen. Es beginnt ein end­los schei­nen­der Irr­weg von einer Poli­zei­sta­tion zur nächs­ten, von der Secret Police zur Secu­rity Police oder wie sie alle hei­ßen. Irgend­wann ver­lie­ren wir den Über­blick, ren­nen aber mit­hilfe Ahmeds durch die ganze Stadt von der einen zur nächs­ten Sta­tion. Es scheint, als müsse jede Stelle ein­mal einen Blick auf uns wer­fen, um dann das Ok geben zu kön­nen. Das ganze Pro­ze­dere in Isch­ka­schim nimmt eine gefühlte Ewig­keit in Anspruch und tat­säch­lich steht die Sonne ver­däch­tig tief, als wir end­lich los­fah­ren. Unser Gefährt für die nächs­ten Tage ist ein klapp­ri­ger alter PKW, der uns über jede Schot­ter­piste und schmale Berg­straße füh­ren soll. Wir sind auf ihn ange­wie­sen. Öffent­li­chen Ver­kehr oder Sam­mel­ta­xis gibt es schlicht­weg nicht. Es wird sich zei­gen, dass nur die aller­we­nigs­ten im Wak­han über ein Auto ver­fü­gen. Kaum ver­las­sen wir Isch­ka­schim, ist keine Burka mehr zu sehen. Und da sind sie: die Wakhi-Frauen mit ihren schö­nen Klei­dern und vor allem mit ihrem schö­nen Lächeln. Erste Bekannt­schaf­ten wer­den geschlos­sen, Gesprä­che wer­den geführt, Tee wird getrun­ken. Vor allem aber wer­den Unklar­hei­ten aus dem Weg geräumt. Ahmed als Über­set­zer macht das erst mög­lich. So erklärt uns Sara, dass nur die sun­ni­ti­schen Män­ner ihre Frauen nicht ohne Burka aus dem Haus gehen las­sen. Der sun­ni­ti­sche Bevöl­ke­rungs­an­teil in Isch­ka­schim ist rela­tiv hoch und wird Rich­tung Khan­dud, der Haupt­stadt des Distrikts Wak­han, immer weni­ger. Die Wakhis sind Shii­ten und Shii­tin­nen, genauer gesagt gehö­ren sie der ismai­li­ti­schen Glau­bens­ge­mein­schaft an. Auch Ahmed ver­si­chert uns, dass die Ismai­li­tin­nen frei wären in die Schule zu gehen und zu arbei­ten, ver­schweigt uns aber nicht, dass es bereits zu Kon­flik­ten zwi­schen Sun­ni­tIn­nen und Shii­tIn­nen geführt hat. Junge sun­ni­ti­sche Män­ner sol­len den Umstand, dass sich shii­ti­sche Frauen nicht kom­plett ver­hül­len, als Anlass genom­men haben, ihnen zu nahe zu tre­ten und sie zu erniedrigen.

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Wir fah­ren ent­lang der tadschi­ki­schen Grenze, schla­fen in ver­schie­de­nen Ort­schaf­ten bei Fami­lien, die uns stets herz­lich emp­fan­gen. Unsere Erkun­dun­gen füh­ren durch die vie­len saf­ti­gen Fel­der, die wir nur zu oft von der tadschi­ki­schen Seite aus erbli­cken konn­ten. Ahmed hilft uns wie immer bei Gesprä­chen, die über ein paar begrü­ßende Worte hin­aus­ge­hen. So ler­nen wir auch einen in die Jahre gekom­me­nen Wakhi ken­nen. Inmit­ten der Weite sei­ner Fel­der trennt den afgha­ni­schen Mann nur der Fluss Panj von Tadschi­ki­stan. Dabei ver­deut­li­chen die Berge sowohl auf der tadschi­ki­schen als auch auf der afgha­ni­schen Seite, dass die­ses Tal ver­bin­det und nicht trennt. Wie viel näher sich die Wakhis auf der afgha­ni­schen Seite den Pami­ris füh­len im Ver­gleich zu den ande­ren Bevöl­ke­rungs­grup­pen Afgha­ni­stans wird nach weni­gen Wor­ten klar. Als der alte Herr beginnt, davon zu spre­chen, dass sie nur auf dem Papier Afgha­nen wären und dass nur der Pamir, der Panj und der Wak­han zäh­len, ver­lie­ren Lan­des­gren­zen für einen Moment ihre Bedeu­tung. Er erzählt uns von den weni­gen Wakhis, die einen Grenz­über­tritt über den Fluss wagen, um Freunde zu besu­chen und dafür eine Inhaf­tie­rung in Tadschi­ki­stan ris­kie­ren. Zumin­dest waren sol­che Grenz­über­tritte noch vor weni­gen Jah­ren ver­ein­zelt der Fall.

Für uns geht es immer wei­ter in die Iso­la­tion und doch scheint gerade die das Para­dies zu bedeu­ten. Das soll nicht als Ver­klä­rung der har­ten Lebens­um­stände miss­ver­stan­den wer­den. Aber in Anbe­tracht des­sen, dass der Wak­han eben in Afgha­ni­stan liegt und nicht in einem ande­ren Land, kann man bei der Abge­schie­den­heit sogar von einem Glück spre­chen. Die feh­lende Anbin­dung an das rest­li­che Afgha­ni­stan ist ein Grund dafür, dass hier bis­lang noch nie­mand die Tali­ban zu Gesicht bekom­men hat.

Unser Weg führt uns bis an den Fuß des majes­tä­ti­schen Baba Tun­gis. Unmit­tel­bar dahin­ter liegt schon Paki­stan. Jedes Mal ist es eine Ehre eine der tra­di­tio­nel­len Pamiri-Häu­ser betre­ten zu dür­fen, deren Bau­weise uns schon von Tadschi­ki­stan bekannt ist. Viele Frauen zei­gen mir vol­ler Stolz ihren zahl­rei­chen Schmuck und die lie­be­voll ange­fer­tig­ten Sti­cke­reien auf ihrer tra­di­tio­nell geblie­be­nen Klei­dung. Ein älte­res Ehe­paar, das uns gemein­sam mit dem gro­ßen Rest der Fami­lie will­kom­men heißt, erwärmt unser Herz, indem die bei­den offen vor Frem­den wie uns ihre Zunei­gung für­ein­an­der zei­gen. Die­ses uner­müd­li­che Strah­len, die enge Umar­mung und der von Liebe erfüllte Blick erzäh­len Geschich­ten einer lang­jäh­ri­gen und glück­li­chen Part­ner­schaft. So ver­ge­hen Tage um Tage, die von einer wun­der­ba­ren Leich­tig­keit getra­gen wer­den. Nur hin und wie­der fällt das Wort auf die poli­ti­sche Situa­tion Afgha­ni­stans. Dann ist davon die Rede, dass die Poli­zei nur zu oft gemein­same Sache mit her­ein­fal­len­den Tali­ban-Trup­pen macht oder als ers­tes das sin­kende Schiff ver­lässt. Unwei­ger­lich müs­sen wir an die Grenz­be­am­ten den­ken, die sich nicht gerade mit Ruhm bekle­ckert haben. Aber schnell ver­blas­sen diese Gesprä­che und wir las­sen uns wie­der von der Fröh­lich­keit der vie­len Kin­der auf unse­rem Weg anstecken.

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Die Tage ver­ge­hen wie im Flug. Wir müs­sen auf­bre­chen. Wie­der zurück, raus aus Afgha­ni­stan und auf die andere Seite des Wak­hans. Weh­mut holt uns bereits bei der Abreise ein. Zu unglaub­lich war, was wir erle­ben durf­ten. Auf ein­mal steht fest: Noch nie haben wir etwas Schö­ne­res gese­hen. Die Refle­xion dar­über, was uns auf unse­ren Rei­sen vor­an­treibt, zau­bert ein Schmun­zeln auf unsere Lip­pen. Scheint es doch para­dox, die weite Welt zu suchen und doch die Iso­la­tion klei­ner Land­stri­che zu mei­nen. Eben dort zu fin­den, was wir suchen, wo es nichts gibt außer rei­ßen­den Bächen, blü­hen­den Wie­sen und einem herz­er­wär­men­den Lächeln – eben nichts außer dem, was es wirk­lich braucht. Die Reise war zu über­wäl­ti­gend, um nicht wie­der zu kom­men. Unsere Bekannt­schaft mit Ahmed soll auch über unsere Reise hin­weg bestehen blei­ben. Wie so oft ist es Face­book, was uns dabei hilft. Wir ver­las­sen den Wak­han und Afgha­ni­stan mit einem Gefühl der Zufrie­den­heit und Zuver­sicht. Scheint es doch einer der letz­ten Land­stri­che Afgha­ni­stans zu sein, der vor dem Leid, der in so vie­len ande­ren Tei­len des Lan­des herrscht, ver­schont bleibt.

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Wien. Über ein hal­bes Jahr spä­ter. Ahmed ist seit den letz­ten Tagen viel akti­ver auf Face­book als sonst. Uns ist nicht ganz klar warum, aber Beun­ru­hi­gung macht sich breit. In der Nacht auf den 29. April ist die Gewiss­heit da. Zebak, wenige Kilo­me­ter von Isch­ka­schim ent­fernt, ist in der Hand der Tali­ban. Die Früh­jahrs­of­fen­sive hat bereits begon­nen und sie ist rich­tungs­wei­send. Die Mel­dun­gen auf unse­rer FB-Chro­nik über­schla­gen sich. Zwi­schen süßen Tier­vi­deos, öster­rei­chi­scher Tages­po­li­tik und net­ten Urlaubs­fo­tos mischt sich die Angst der Leute aus Isch­ka­schim und Umgebung.

Unsere Reise holt uns ein. In Wien. In unse­ren siche­ren vier Wän­den. Es ist keine der vie­len Zei­tungs­mel­dun­gen jeden Tag. Die­ses Mal haben wir einen direk­ten Bezug zu der Region und den Men­schen, die dort leben. Unser Herz schlägt wie ver­rückt. Wir schrei­ben Ahmed. Ob es ihm gut gehe, ob er in Sicher­heit wäre, fra­gen wir. Die Lage sei ange­spannt, meint er. „Is it dan­ge­rous for you?“, sehen wir uns tip­pen. Seine Ant­wort ver­setzt uns einen Stoß. Nichts könnte deut­li­cher sein als ein kom­men­tar­lo­ses „Yes“. Alle Hoff­nung ist auf ein­mal ver­flo­gen. Wir wol­len uns nicht aus­ma­len, was geschieht, wenn die Tali­ban es wirk­lich schafft nach Isch­ka­schim vor­zu­drin­gen. Wir hören Ahmeds Worte nach­hal­len, als er uns damals ver­si­cherte, dass Leute, die mit Aus­län­dern zu tun hat­ten, immer als ers­tes die Schre­ckens­herr­schaft der Tali­ban zu spü­ren bekom­men. Die Angst der Men­schen vor Ort erreicht über Face­book auch uns. Plötz­lich fürch­ten wir um Ahmed, seine Fami­lie, den Wak­han – das Para­dies, das wir ken­nen­ler­nen durf­ten. Die Face­book­mel­dun­gen rei­chen uns nicht, wir brau­chen mehr Infor­ma­tion. Bei unse­ren Recher­chen sto­ßen wir auf den Tali­ban-Kanal, der in Dau­er­schleife die Ein­nahme Zebaks zeigt. Die Tali­ban-Pro­pa­ganda erreicht unser Wohn­zim­mer, neben unse­rem Lap­top noch die ent­wi­ckel­ten Fotos lie­gend, die wir die­ses Jahr den Wakhis mit­brin­gen woll­ten. Die nächs­ten Tage errei­chen uns erste Mel­dun­gen und Bil­der von einer zer­stör­ten Schule. Die Poli­zei hätte sich als ers­tes davon gemacht, heißt es. Die Tali­ban hätte bereits Dör­fer des Bezirks Isch­ka­schim ein­ge­nom­men, hören wir. Wir zie­hen Kar­ten heran, die die Tali­ban-Bewe­gun­gen ver­deut­li­chen. Auf ein­mal fällt es uns wie Schup­pen von den Augen. Es geht um die Ver­bin­dung nach Paki­stan. Zwi­schen­zeit­lich mel­det Ahmed, das Mili­tär wäre mit etli­chen Hub­schrau­bern nach Isch­ka­schim aus­ge­flo­gen und es würde nun alles gut wer­den. Doch die nächste Nacht bringt nicht den erwar­te­ten Erfolg. Es tut sich nichts. Ahmed und seine Freunde über­fällt aber­mals die Unruhe. Die zwi­schen­zeit­li­che Hoff­nung, sie ist schon wie­der verflogen.

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Afgha­ni­stan, das Land, das bis­lang übri­gens als siche­res Her­kunfts­land gilt, ver­fällt zuse­hends. Die Erin­ne­run­gen an unsere ver­gan­gene Reise: Sie wer­den gegen­wär­tig. Dass auf einen Schlag alles in Gefahr sein soll, scheint uns unwirk­lich. Wir ver­su­chen mög­lichst viele Infor­ma­tio­nen ein­zu­ho­len und sind froh, wenn wir etwas von Ahmed hören. Die nächste Mel­dung ver­heißt nichts Gutes. Tadschi­ki­stan eva­ku­iert NGOs ent­lang der afgha­ni­schen Grenze. Auf der tadschi­ki­schen Seite hört man die Kämpfe, heißt es. Vom erhoff­ten kur­zen Pro­zess mit der Tali­ban ist keine Rede mehr. Die Rück­erobe­rung durch das Mili­tär nicht sicher.

Dann doch. Die Mel­dung, dass das Mili­tär erfolg­reich gewe­sen wäre, lässt wie­der auf­at­men. Es ist die erste posi­tive Nach­richt seit lan­gem. Ahmed zeigt sich wie­der zuver­sicht­lich. Es gibt keine Alter­na­tive zur Zuver­sicht. Wir fra­gen uns aber trotz­dem. Wird die Tali­ban erstarkt wie­der kom­men? War der Rück­schlag groß genug? Was wird der Som­mer bringen?
Fällt erst Isch­ka­schim, ist auch der Wak­han nicht mehr sicher. Das Leben der Wakhis ist den Tali­ban ein Dorn im Auge. Frauen, die sich nicht in Bur­kas hül­len, sich frei in der Öffent­lich­keit bewe­gen und Mäd­chen, die ganz selbst­ver­ständ­lich zur Schule gehen – all das ist undenk­bar unter einer Schre­ckens­herr­schaft der Taliban.

Wir wer­den wie­der nach Zen­tral­asien fah­ren. Ob wir Afgha­ni­stan die­ses Mal nur von Tadschi­ki­stan aus sehen wer­den? Ob uns nur ein paar lächer­li­che Meter von den Fel­dern des afgha­ni­schen Wak­hans tren­nen wer­den, so wie die Wakhis eben nur diese Meter vom siche­ren Tadschi­ki­stan tren­nen? Wir wis­sen es nicht. Noch nie hat uns eine Reise viele Monate danach zuhause so aus der Fas­sung gebracht wie diese. Noch nie gab es Anlass dafür sich wirk­lich Sor­gen zu machen, um die Men­schen, die wir ken­nen­ge­lernt haben. Noch nie war, in Wien sit­zend, Afgha­ni­stan so nah.

Aller­dings kön­nen wir uns ent­schei­den, ob wir hin­fah­ren oder nicht. Abwä­gen, wel­che Risi­ken ver­schie­dene Rei­se­desti­na­tio­nen mit sich brin­gen. Der Zufall in einem siche­ren Land und in eine sichere Zeit gebo­ren zu sein, ist ein nicht ver­dien­tes Pri­vi­leg so vie­ler – uns ein­ge­schlos­sen. Wir füh­len mit den Leu­ten. Unsere Her­zen hüpft beim Gedan­ken, dass alles dahin sein könnte, was wir noch vor weni­gen Mona­ten erle­ben durf­ten. Aber schließ­lich wie­gen wir uns in Sicher­heit. Alles, was den Leu­ten vor Ort aber bleibt, ist zu hof­fen und bes­ser nicht zu fra­gen, was nächs­tes und über­nächs­tes Jahr sein wird.

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Anmer­kung: Alle vor­kom­men­den Namen wur­den geändert.

Cate­go­riesAfgha­ni­stan
Priska Seisenbacher

Auf ihren Reisen verliert die 1990 geborene und meist in Wien lebende Fotografin von Zeit zu Zeit ihr Herz. Zunächst an Iran, was zwei Bücher zur Folge hatte, nämlich den Stefan-Loose-Reiseführer Iran und den Bildband Highlights Iran. Ihre zweite große Liebe aber ist der Pamir, der sie seit ihrer ersten Reise 2016 im Bann hält und dessen Rufe, wiederzukehren, sie gefolgt ist. Letztlich legte die Reise allein quer durch diese Hochgebirgswelt den Grundstein für ihr nächstes Projekt World Wide Weddings, bei dem sie gemeinsam mit Cornelia Maria Gregor von weltweiten Hochzeitsfesten erzählt. www.priskaseisenbacher.com

  1. Z.Mitra says:

    Gelun­ge­ner Rei­se­be­richt und die Fotos sind ein­fach nur stark. Der Satz, das wir Men­schen die Weite Welt suchen und eigent­lich doch einen klei­nen Land­strich mei­nen, find ist sehr getrof­fen. Letz­tes Jahr wollt ich auch in den Wak­han Kor­ri­dor rei­sen, nach­dem ich bei Natio­nal Geo­gra­fik einen Bericht dar­über gele­sen habe und es mich irgend­wie gepackt hat, hatte ich nach etli­chen Ver­su­chen ein Visum erhal­ten, trotz afgha­ni­scher Wur­zeln. Bei der Ankunft hat es dann lei­der nicht geklappt zum Wak­han Kor­ri­dor zu rei­sen, weil die Tali­ban nach wie vor in dem Gebiet herr­schen, dafür bin ich aber dann in Usbe­ki­stan um im Bamyan Gebiet gelan­det und konnte genau sol­che herz­er­wär­men­den Erfah­run­gen machen. Werd es nie ver­ges­sen und bin dank­bar dafür.

  2. Was für unglaub­li­che Ein­bli­cke!! Wie sicher wir uns hier füh­len kön­nen, wird einem auch erst bewusst, wenn man mal das Gegen­teil gese­hen hat. Die Men­schen haben so andere Sor­gen und Gedan­ken, dass einem unsere „Weh­weh­chen“ unglaub­lich unbe­deu­tend vorkommen„

    1. Priska says:

      Wie recht du hast! Es ist eine ganz andere Lebens­welt und Men­schen wie du und ich, was hier immer viele ver­ges­sen. Nur dass diese Men­schen sich mit ganz ande­ren Pro­ble­men kon­fron­tiert sehen als wir.

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