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Was macht man, wenn man als alleinerziehende Mutter von vier Kindern, die immer voll berufstätig war, plötzlich in Rente geht – und sich nicht vorstellen kann, ein Kissen auf die Fensterbank zu legen und den Fernseher anzuschalten? Außer schon mal Angst vor dem Kissen auf der Fensterbank zu bekommen?
Ich legte statt eines Brettes eine lange To-do-Liste über das Loch, in das ich nicht fallen wollte – ich liebe Listen zum Abhaken, das gebe ich gerne mit einem Augenzwinkern zu, doch davon später.
Ich möchte an dieser Stelle von meinem Projekt erzählen, das mich seit dem Renteneintritt begleitet und meine letzten vier Jahre maßgeblich bestimmt hat. Entstanden aus einer Mischung aus Abenteuerlust, Wissensdurst und der Sorge, plötzlich zu viel Zeit zu haben.
Und weil Worte nicht alles erzählen können, gibt es dazu einige Fotos – besondere Augenblicke auf meinen langen Wegen.
März 2020 – die Welt steht still, die Gedanken kreisen
Als ich in Rente ging, war gerade der erste Lockdown. Statt Abschiedsfeiern und Reisen: Homeoffice im Ausnahmezustand. Ich hörte mehr Nachrichten als in den letzten Jahren zusammen, fast wie damals vor und nach der Wende. Eigentlich wollte ich zur Fastenzeit auf Rotwein und Schokolade verzichten. Das habe ich schnell aufgegeben – meine Nerven brauchten in diesen Tagen jegliche Unterstützung.
Um unter diesen Bedingungen trotzdem ein bisschen positiv vorauszudenken, richtete ich mir meinen Laptop schon mal neu ein und erstellte die erste Datei für mein neues Projekt: eine Tabelle mit allen europäischen Welterbestätten. Ich durchforstete die einschlägigen Wikipedia-Artikel, legte Ordner für Wissenswertes, Tagebücher und Fotos an. Meine Liste wurde 100 Seiten lang und jede Zeile war ein besonderer Ort, den ich mir ansehen wollte. Mit meinem GIS-Programm begann ich, die einzelnen Stätten zu verorten und mir einen Überblick über ganz Europa zu verschaffen. Nach und nach füllte sich die Karte mit Punkten – jeder davon ein Versprechen auf eine Geschichte, die ich erleben sollte.
Planen, Abwägen, Verwerfen
Die nächste Frage lag auf der Hand: Wie komme ich überhaupt zu all diesen Orten?
Öffentliche Verkehrsmittel? Ich habe mich durch Routen und Fahrpläne gewühlt, aber schon beim Gedanken an die tägliche Suche nach einer Unterkunft, das Schleppen von Proviant, Gepäck und Kamera und den letzten Bus, der mir vor der Nase wegfährt, wurde klar: Das würde mich mehr Zeit, Geld und vor allem Nerven kosten, als ich hatte.
Ein Elektroauto? Die Ladesituation und die Akkus waren 2020 schlicht noch nicht da, wo sie heute sind.
Ein Wohnmobil? Mit einem viel zu großen Auto und einem Komfort, den ich nicht brauchte, durch die Lande zu fahren, entsprach ebenfalls nicht meinen Vorstellungen.
Also suchte ich weiter – eine pragmatische Lösung musste her. Etwas, das mich unabhängig machte, wenig kostete und notfalls auch mal eine Nacht Schlaf auf einem Parkplatz erlaubte.
Vom leeren Laderaum zum Minicamper
Die Autohäuser hatten geschlossen, also begann ich aufmerksam durch die Straßen zu gehen. Was stand da am Rand? Ich hielt heimlich meinen Zollstock an parkende Fahrzeuge und googelte Preise. Schließlich fiel die Wahl auf einen goldfarbenen Dacia Dokker – klein, sparsam, unauffällig. Na ja, fast unauffällig – in der Sonne schimmert er schon manchmal, zumindest für mich. Ich nannte ihn liebevoll »Dobby«.
Der Ausbau war kein Hochglanz-Vanlife-Projekt, sondern eine pragmatische Lockdown-Lösung. Auf dem Innenhof schraubten wir mein rollendes Zuhause zusammen. Einfache Metallregale von IKEA, Klapphocker und Bänke vom Lieblings-Onlinehändler, ein kleiner 12 V‑Kühlschrank, große Wasserbehälter und Faltschüsseln – damals der neueste Schrei. Als Schlafplatz diente eine dicke Klappmatratze, tagsüber schnell verstaut. Strom für Licht, Laptop und Kamera lieferte ein Solarpanel auf dem Dach, das die Zusatzbatterie speiste.
Manches habe ich nach den ersten Praxistests verbessert. Aber am Ende stand da kein perfekt designter Campervan, sondern mein rollendes Zuhause – Dobby – einfach, funktional und ganz meins.
Aufbruch ins Ungewisse
Und dann, irgendwann, durfte es losgehen. Ich erinnere mich an meinen ersten Morgen unterwegs: Kaffeeduft, die Kühle des Morgens, Licht, das durch die halb geöffneten Hecktüren fiel. Das war der Start in mein großes Abenteuer – über 500 Welterbestätten, verteilt auf ganz Europa.
Meine ersten Routen waren coronabedingt auf Deutschland beschränkt, die Straßen leergefegt, die Sehenswürdigkeiten geschlossen oder nur mit Zutrittsbeschränkung zugänglich – doch genau das verlieh den Orten ein ganz besonderes Flair.
Wenig später dann – Budapest. Die Stadt war fast menschenleer. Ich stand im Sonnenuntergang auf der Fischerbastei und konnte kaum glauben, dass dieser Ort, sonst überlaufen, plötzlich nur mir gehörte. Ich schwamm alleine im Palatinusbad, als hätte man das warme Wasser nur für mich eingelassen.
Und schon im nächsten Sommer ging für mich ein langgehegter Traum in Erfüllung: Ich stand mit Dobby – zwar in dichten Nebel gehüllt, aber überglücklich – am Nordkap.
Zurück im Jetzt
Heute, nach mehr als hunderttausend Kilometern, steht mein Camper wieder vor der Tür. Das Manuskript für mein Welterbe-Buch liegt fertig auf dem Schreibtisch – der vorläufige Endpunkt eines Projekts voller Listen, langer Wege und vieler Unwägbarkeiten.
Ich bin ein wenig stolz darauf, dass ich mich losfahren ließ – und dass ich es durch Regentage, Schlaglöcher und entnervenden Stadtverkehr geschafft habe. Und ja, auch auf meine Improvisationskunst, die aus einem goldfarbenen Dacia Dokker ein Zuhause für 500 Welterbestätten machte.
Orte voller Geschichten
In den nächsten Beiträgen möchte ich euch mitnehmen zu einigen dieser Orte – außergewöhnlich, berührend, manchmal fast vergessen: die verwunschenen Sacri Monti, die mystische Wikingerinsel Birka, den alte Pfad auf Stevn’s Klint, die Insel Vega, wo die taffen Frauen Nester für die Eiderenten gebaut haben, die unvollendete Kapelle des Klosters Batalha, in die Tiefen der prähistorischen Feuersteinmine in Krzemionki oder auch zur kleinen Freistadt Rust, wo auf jedem Dach eine Storchenfamilie wohnt.
Lasst euch entführen in die vielfältige Welt der Geschichte(n)orte, die unseren alten Kontinent zu einem lebendigen Museum macht – und vielleicht gibt das ja dem einen oder anderen den Anstoß, seine eigene Liste zu schreiben und sein ganz persönliches Projekt zu beginnen.
Ich freue mich, meine Geschichten mit euch zu teilen!
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