Ich habe mich ver­goo­glet. Sonst stünde ich jetzt nicht vorn­über­ge­beugt um mein Gleich­ge­wicht rin­gend neben einem leicht ent­nerv­ten Fah­rer in einem Rum­pel­bus mit offe­nen Türen, ich hätte den 70-Liter-Ruck­sack nicht mehr auf dem Rücken und den Blick nicht noch immer ange­strengt auf fremde Mün­zen in mei­ner Hand gehef­tet. 35 Pesos – und nicht 20 – kos­tet die Fahrt vom Flug­ha­fen in Puerto Vall­arta nach Sayu­lita. Pas­send, por favor.

Beson­ders gründ­lich habe ich ihn nicht geplant, mei­nen Trip nach Mexiko. Ich wollte nur mal eine Woche raus aus dem Regen in Van­cou­ver. Mich trei­ben las­sen. Sa-yu-li-ta. Zuerst hat es mir der Name ange­tan. Ein klei­nes Sur­fer-Städt­chen an Mexi­kos Pazi­fik­küste. Zehn Minu­ten nach der Google-Bil­der­su­che (Bunte Wim­pel über schma­len Stra­ßen. In Dschun­gel ein­ge­rahmte Strand­buch­ten.) war der Flug gebucht.

Im Hos­tel werde ich hin­ein­ge­spült in eine Gruppe von Men­schen, die zur sel­ben Zeit hier stran­den. Jeder für sich allein. Jeder von ihnen inspi­rie­rend. Weil sie so viel rich­tig machen im Leben. Indem sie es genießen.

Wir sind in Mexiko!

Da ist Saskia aus Frei­burg mit ihrer anste­cken­den Begeis­te­rung. Mehr­mals, wenn wir beim Fla­nie­ren durch die Kopf­stein­pflas­ter­stra­ßen im Ort hin­ter die ande­ren zurück­fal­len, greift sie nach mei­nem Arm, schaut mir in die Augen und sagt: „Susanne! Wir sind in Mexiko!!!“

Bildschirmfoto 2015-10-23 um 09.25.00

Da ist Amber aus Bri­tish Colum­bia, die beim Schnor­cheln ihren Nasen­ring ver­liert. Sie hat ihn jah­re­lang getra­gen und trau­ert ihm höchs­tens vier Sekun­den lang nach. Im Was­ser streckt Amber die rechte Faust aus und ruft „Super­man!“, wenn die Wel­len sie erfassen.

Jenny aus San Fran­cisco zieht sich hin und wie­der zurück, um E‑Mails für die Arbeit zu schrei­ben. Der neue Job ist ihr wich­tig. Aber sie kann abschal­ten. Und umschal­ten. Auf albern. Mit „Dude“, fängt sie viele ihrer Sätze an, wenn sie sich uns wie­der anschließt. Jen­nys Film­zi­tate-Reper­toire ist unerschöpflich.

Und da ist Jesse aus New York. Selbst­be­wusst bis in die Haar­spit­zen. Stän­dig zie­hen die Frauen im Hos­tel seine brau­nen Kor­ken­zie­her­lo­cken lang und las­sen sie sprin­gen. Zu Hause fährt Jesse zum Sur­fen mit Wetsuit und Brett mit der U‑Bahn von Brook­lyn nach Queens. In Sayu­lita kehrt er jeden Mor­gen um neun das erste Mal vom Strand zum Hos­tel zurück. Da ist er schon zwei Stun­den lang gesurft. Klar, des­we­gen ist er ja hier.

Im Wasser: vier Supermans. Und ich.

Zusam­men machen wir uns auf den Weg an einen abge­le­ge­nen Strand. Keine ande­ren Tou­ris­ten, keine Ver­käu­fer. Wir schauen den Wel­len zu. Immer mehr, immer höher wer­den sie. „Lasst uns Body­sur­fen!“, schlägt Amber vor. Eine Minute spä­ter ste­hen wir zu fünft fast brust­hoch im Was­ser. Und sur­fen ohne Brett. Die ande­ren tun es Amber gleich. Welle für Welle. Wenn die vier Super­mans doch mal heil­los unter­ge­hen, tau­chen sie schreila­chend wie­der auf und lau­fen gleich wie­der zurück ins Meer.

Aber ich?

Ich tue mich schwer. Nie bin ich schnell genug, immer im fal­schen Moment an der fal­schen Stelle. Wenn die Welle bricht, stehe ich ihr im Weg, statt läs­sig unter ihr hin­durch­zu­tau­chen. Die Bran­dung drückt und reißt mit immer mehr Wucht, ich werde her­um­ge­wir­belt, schlage Pur­zel­bäume. Mir geht die Kraft aus. Salz brennt in mei­nen Augen, in mei­ner Nase, in mei­nem Rachen. Ich gebe auf. Und beob­achte lie­ber vom Ufer aus die Kami­kaze-Peli­kane, die das Meer nach Beute abscan­nen und sich dann senk­recht hineinstürzen.

Bis die ande­ren aus dem Was­ser kom­men. „Der Trick“, sagt Jesse und wirft seine nasse Mähne nach hin­ten, „ist, nicht dage­gen anzu­kämp­fen. Du musst dich ein­las­sen auf die Wel­len.“ Genau wie auf Ver­än­de­run­gen. Genau wie auf Gefühle, denke ich. Es ist, wie wenn das Leben Wogen schlägt: Dann musst du es füh­len wol­len, dich ein­las­sen, mit­ge­hen. Denn Ste­hen­blei­ben ist Schmerz. Und Schmerz ist kein Gefühl. Schmerz ist nur Wider­stand, das „Nein!“ zu allem, was ist.

Gleich wieder aufspringen

Zum rich­ti­gen Sur­fen am nächs­ten Tag bin ich mäßig moti­viert. Jesse hat sich bereit erklärt, Amber, Jenny, Saskia und mir eine Surf­stunde zu geben. „Pad­deln, du musst pad­deln!“, ruft er, als ich den rich­ti­gen Moment schon wie­der zu ver­pas­sen drohe. Natür­lich falle ich die ers­ten drei Male sofort wie­der vom Brett. Jesse sieht meine Ent­mu­ti­gung, das „Ich habe es doch gleich gesagt!“ in mei­nen Augen.
„Wie oft bist du run­ter­ge­fal­len?“ fragt er mich.
„Drei­mal.“
„Und wie oft bist du wie­der aufgesprungen?“
„Vier­mal.“
„Ganz genau!“, sagt mein Sur­f­leh­rer und grinst. Er hat mein Brett längst wie­der in die rich­tige Rich­tung gedreht. Mit der fla­chen Hand klopft er auf die Mitte und bedeu­tet mir, mich schnell wie­der draufzulegen.

DSCI0347

Denn da kommt sie schon, die nächste Welle.

Und sie ist groß. Ich höre auf Jes­ses Start­si­gnal, paddle mit den Armen los und drehe mich nicht mehr um. Ich spüre, wie die Welle mich erfasst. Ganz ruhig bleibe ich die­ses Mal. Sie trägt mich. Und trägt mich. Sie trägt mich fast bis zum Ufer. Erst im knie­ho­hen Was­ser wirft sie mich sachte ab. „WOOOOOOHOOOOOHOOOOOOO!“, höre ich Jes­ses sich über­schla­gende Stimme. Ich drehe mich um. Er hat beide Dau­men nach oben gestreckt. „Suzanna, das war GEIL!!!“, schreit er. Ich lächle und winke ihm zu.

Bei den nächs­ten Malen fliege ich früh vom Brett. Aber ich lande immer auf den Füßen. Und ver­su­che es gleich noch mal.

Cate­go­riesMexiko
  1. Alexander says:

    Dein Bei­trag ist rich­tig klasse – aber die­ses far­ben­frohe Foto, das den Ort zeigt, ist der pure Wahnsinn! 

    Ich habe anfangs sogar gerät­selt, ob es sich um eine Art „Wäsche­leine“ han­delt ;-) Aber wenn man Dei­nen Bei­trag genau liest („…Minu­ten nach der Google-Bil­der­su­che… Bunte Wim­pel über schma­len Stra­ßen…) scheint das tat­säch­lich der eigent­li­che Anstoß für Deine Rei­se­bu­chung gewe­sen zu sein.

    Jeden­falls ein tol­ler Bei­trag – auch für Nicht-Surfer!

    1. Hi Alex­an­der, ich danke Dir! Ja, so sieht Sayu­lita aus, ein hüb­sches Ört­chen. Ich hatte mit dem Flug die Wahl zwi­schen Puerto Vall­arta (da in der Nähe liegt Sayu­lita) und Can­cún und war am Ende nicht trau­rig, mich für die West­küste ent­schie­den zu haben. Viele haben mir gesagt, sie sei wesent­lich ursprüng­li­cher. Die andere Seite, die kari­bi­sche, möchte ich den­noch auch noch sehen. Danke!

  2. Ich war auch die­ses Jahr zum ers­ten Mal sur­fen und habe total Blut geleckt! Im Februar gehts nach Fuer­te­ven­tura und ich bin schon so auf­ge­regt. Aber Mexiko wär ja auch mal der Hammer!

    1. Hi, das hört sich toll an, ich wün­sche Dir dabei viel Spaß. Ein rich­ti­ger Surf­ur­laub wäre mir ja viel zu anstren­gend. Stimmt, Mexiko war schön – zumin­dest Sayu­lita gefiel mehr sehr. Mehr habe ich vom Land ja nicht gese­hen. Liebe Grüße!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert