Die Sonne lacht durch mein Fenster, sie will, dass ich raus gehe. Raus in den Herbst, der sich heute von seiner schönsten Seite zeigt. Also schlüpfe ich in meine Jacke, stülpe mir eine Mütze über den Kopf, ziehe meine Schuhe an und schließe die Haustüre hinter mir zu.
Ein Spaziergang in Kreuzberg
Kaum draußen, bin ich mitten drin im herbstlichen Blättertraum. Die Bäume sind in schönste Farben gehüllt – Ein kräftiges Rot, ein sattes Orange und ein Gelb, welches in der Sonne golden leuchtet.
In der Bergmannstraße reihen sich haufenweise Kneipen, Restaurants, Imbissbuden und Cafés aneinander. Einige Menschen sitzen draußen an den Tischen, in Decken gehüllt der Kälte trotzend. Es ist später Nachmittag. Die Sonne steht tief, schon bald wird sie hinter den Häusern verschwunden sein. Schatten breitet sich aus. Ich grabe mein Gesicht bis zur Nase in den dicken Schal, den ich um meinen Hals geschwungen habe. Gemütlich schlendernd passiere ich die Markthalle bis hin zur Passionskirche, wo der sonntägliche Flohmarkt stattfindet.
Es herrscht reges Treiben. Geschickt bahne ich mir einen Weg durch die Menschenmenge, vorbei an den Verkaufsständen, wobei mein Blick über die angebotene Ware schweift – Kleider, Schmuck, Filme, dies und jenes. An der Straßenecke vor einer lecker duftenden Bäckerei versucht eine Mutter ihren weinenden Sohn zu beruhigen. „Schau mal wie die Blätter tanzen.“ Die Augen des Jungen folgen der Richtung ihres ausgestreckten Zeigefingers. Fasziniert beobachtet er die von den Bäumen fallenden Blätter und das am Boden liegende Laub, das vom Wind aufgewirbelt wird. Er vergisst den Grund für seine Tränen.
Auch ich schaue zu und tatsächlich: Sie tanzen. Wehen umher. Im Takt des Herbstes.
Die Klänge eines Akkordeonisten begleiten mich bis zum Eingang des Friedhofes. Dann trete ich durch das Metalltor und lasse die Großstadt hinter mir.
Schon oft kam ich hier her, meist nach der Arbeit, um den Kopf frei zu kriegen, abzuschalten. Wie sonst auch, spaziere ich zuerst auf den schmalen Wegen unter großen Bäumen den Gräbern entlang, ehe ich mich auf eine Bank setze, um die wärmenden Sonnenstrahlen zu genießen. In tiefen Zügen atme ich die kalte Luft ein und aus. Ein und aus. Stille. Abgesehen vom Blätterrauschen, Vogelgezwitscher und den schnellen Schritten flinker Eichhörnchen ist nichts zu hören. Keine Motorengeräusche, keine lauten Gespräche, keine Wortfetzen, keine Autohupe, keine Fahrradklingel. Mitten in der Natur, so scheint es, und doch mitten in der Stadt.
Ich setze meinen Spaziergang fort, gehe zurück an den Anfang der Bergmannstraße. Biege ich hier nach rechts ab, wäre ich bald wieder in meinem temporären Zuhause. Ich wähle die Alternative und drehe mich nach links in jene Straße, die zum Viktoriapark führt. An Familien, Hunden und Joggern vorbei, laufe ich den kleinen Hügel hinauf, zum höchsten Punkt der sonst so flachen Umgebung. Einige Menschen sitzen auf der Treppe, schwatzen und erfreuen sich an der schönen Aussicht.
Ganz oben: Das Kreuz auf dem Berg, daher auch der Name des Bezirks.
Auf der großen, sonst oft gut besuchten Wiese, sitzt niemand mehr im Gras. Die Sonne wird bald untergehen und ohne ihre Wärme wird es schnell sehr kalt werden, zu kalt. Ich ziehe meine Mütze noch ein Stückchen tiefer ins Gesicht und mache mich auf den Nachhauseweg.
Herbst, so mag ich dich. Sonnig und farbenfroh. Ein paar Tage werden deine Blätter noch tanzen, bis schliesslich das letzte Blatt vom Ast fällt und die nackten Bäume den Winter ankünden.





































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