Sag niemals nie

Als ich mal wie­der einen die­ser Nie-Sät­ze spre­che, sit­ze ich im Büro eines Tour­anbie­ters an der berüch­tig­ten Pla­za Foch in Qui­to, der mich zu einem Wochen­end­aus­flug ein­la­den möch­te. Auch hier sind die Fron­ten schnell ver­här­tet. »Einen Coto-Bikes-Aus­flug müs­sen wir dir orga­ni­sie­ren, das ist sozu­sa­gen unser Aus­hän­ge­schild!«, sagt Vio­la, die für Gul­li­ver und Mis­ter Trip arbei­tet. »Nie im Leben stei­ge ich auf so ein Fahr­rad«, sage ich, als ich mir die Bil­der auf dem Fly­er anschaue.

Ganz ehr­lich, Fahr­rad­fah­ren ist für mich etwas Prak­ti­sches. In mei­ner Jugend muss­te ich mich häu­fi­ger aufs Rad schwin­gen, weil nach Mit­ter­nacht kei­ne Bus­se mehr fuh­ren und der Fuß­weg zu lang gewe­sen wäre. Seit­dem habe ich ent­we­der in Städ­ten gewohnt, in denen ich mir alles erlau­fen konn­te – oder in Städ­ten, in denen Rad­fah­ren einem Sui­zid­ver­such gleich­kommt. In der Stadt oder zumin­dest auf befes­tig­ten Rad­we­gen bin ich auch jetzt noch unter­wegs, wenn es sich ergibt. Wobei dann echt viel zusam­men­kom­men muss – ein siche­rer Abstell­platz, gutes Wet­ter und ein ver­nünf­ti­ger Grund gegen das Zu-Fuß-Gehen, unter ande­rem.

Gestatten, ich, Angsthase vom Dienst

Aber unbe­fes­tig­te Wald­we­ge, Schot­ter­pis­ten und Moun­tain­bike-Stre­cken? No way. Es hat einen Grund, war­um mein meist in der Gara­ge ste­hen­des Fahr­rad ein Hol­land­rad mit brei­tem Sat­tel und tie­fem Ein­stieg ist. Und der liegt dar­in, dass ich ein ver­damm­ter Schis­ser bin.

Das ist übri­gens auch der Grund dafür, war­um ich ver­dammt oft Sät­ze anfan­ge, die mit »nie« begin­nen. Nie­mals steig ich da ein, nie im Leben mach ich das, nie­mals schaf­fe ich das.

So kon­se­quent ich in sol­chen Aus­sa­gen bin, so schwach bin ich anschei­nend im Cha­rak­ter. Ande­rer­seits mag man es auch einer unter­schwel­li­gen maso­chis­ti­schen Ader und Vio­las Über­re­dungs­kunst zurech­nen, dass ich eine hal­be Stun­de spä­ter mit einem fix fürs nächs­te Wochen­en­de geplan­ten Rad­aus­flug in den Coto­pa­xi-Natio­nal­park, Code­na­me Coto-Bikes, im Bus sit­ze. Und mir inner­lich jeg­li­che Form von Zurech­nungs­fä­hig­keit abspre­che. »Was zur Höl­le hast du dir dabei gedacht?!«

Auf zum Cotopaxi!

Als der Tag gekom­men ist, an dem ich mich füh­le, als wür­de man mich zur Schlacht­bank füh­ren, ist es grau und eis­kalt. Irre ich mich, oder ist das tat­säch­lich ein Rest von Schnee da oben auf Qui­tos Haus­berg Pichin­cha? Ich suche ver­knirscht nach mei­nen Hand­schu­hen und mei­ner Müt­ze. Die Käl­te hat mich so früh aus dem Bett getrie­ben, dass ich tat­säch­lich den Bus neh­men kann. Könn­te. Denn als nach zehn Minu­ten kei­ner in Sicht ist, stei­ge ich wider­wil­lig in eines der Taxis, die mich aus dem Halb­schlaf hupen. Geht ja schon mal gut los.

Ich schaue aus dem Auto­fens­ter auf die tief hän­gen­den Wol­ken. Habe ich nicht irgend­wann, irgend­wo behaup­tet, ich fah­re ja nur wegen der Aus­sicht auf den Coto­pa­xi, den Berg aller Ber­ge, mit? Aber naja, einen Rück­zie­her kann ich jetzt auch nicht mehr wirk­lich machen. Ein­mal auf­ge­stan­den, hat der Tag eh ange­fan­gen, wür­den posi­tiv gestimm­te­re Men­schen wohl dazu sagen.

Erst mal haben wir sowie­so noch Schon­frist. Die klei­ne Grup­pe aus Aben­teu­er­su­chen­den quetscht sich in den Mini­van und wir hal­ten bereits nach einem kur­zen Stück der Stre­cke an, um zu früh­stü­cken. Und die Fahr­rä­der ein­zu­la­den. Mir dreht sich der Magen um.

Zum Glück bringt mich der obli­ga­to­ri­sche Spa­ni­er in der Grup­pe der­art zum Lachen, dass ich mei­ne Panik erst mal ver­ges­se. Wer latein­ame­ri­ka­ni­sches Spa­nisch gelernt hat, kann wahr­schein­lich gar nicht anders, als über das euro­päi­sche Cas­tel­lano min­des­tens zu grin­sen. Das liegt nicht nur an den schrä­gen Lis­pel­lau­ten, son­dern vor allem dar­an, dass die Spa­ni­er für alles unheim­lich bild­haf­te Umschrei­bun­gen und Rede­wen­dun­gen fin­den – die ich nicht ken­ne, deren Sinn ich mir aber pro­blem­los erschlie­ßen kann. Das Gan­ze wird gar­niert mit Schimpf­wor­ten, die einen für die meis­ten Lati­nos ohne­hin fürs ewi­ge Fege­feu­er qua­li­fi­zie­ren. Als er Ver­glei­che mit sämt­li­chen Tier­ar­ten der Arche her­an­zieht, um mir zu erzäh­len, wie ihm nach sei­ner letz­ten Fahr­rad­tour der Hin­tern geschmerzt hat, kann ich kaum noch an mich hal­ten.

Erst mal geht’s hinauf

Dann geht die Schon­frist wei­ter – wir legen einen Stopp an einem klei­nen bota­ni­schen Gar­ten am Ran­de des Natio­nal­parks ein. Mitt­ler­wei­le sieht man kaum die Hand vor Augen. Rings­um frus­trier­te Gesich­ter, die immer län­ger wer­den, als wir in den Natio­nal­park hin­ein­fah­ren. Vom Coto­pa­xi ist nichts zu sehen, genau­so wenig wie von irgend­ei­nem ande­ren Berg.

Und gera­de, als wir kol­lek­tiv die­sen Tag ver­flu­chen, ver­las­sen wir den Nebel. Ganz plötz­lich, als hät­te jemand einen Schal­ter umge­legt, ist es hell drau­ßen. Es mag kein blau­er Him­mel zu sehen sein, und auch der Coto­pa­xi ist noch schüch­tern – aber es ist ein Anfang. Und ohne den pene­tran­ten Nie­sel­re­gen, der uns im bota­ni­schen Gar­ten noch ver­folg­te, macht die anschlie­ßen­de Wan­de­rung um einen klei­nen See um eini­ges mehr Spaß.

Und als er sich unbe­ach­tet glaubt, schiebt der Coto­pa­xi doch noch ein paar sei­ner Wol­ken bei­sei­te. Für ein paar Minu­ten zumin­dest. Ich bin nicht sicher, ob ich das als freund­lich oder doch eher als zynisch inter­pre­tie­ren soll. Lau­tes Rufen, Hek­tik, Kame­ra­ge­zü­cke – erstaun­lich, was so ein Berg alles aus­lö­sen kann. Auf mei­nen Fotos sieht er eher aus wie ein moder­nes Gemäl­de (erin­nert sich noch jemand an Rab­bit in a Snow­storm aus Dare­de­vil?) als wie ein Berg, aber das ist irgend­wie in Ord­nung, es gibt dem Gan­zen etwas Geheim­nis­vol­les. Kann ja nicht immer die Son­ne schei­nen.

… und dann rasant hinunter

Ja, ich war drauf und dran, die Sache mit den Fahr­rä­dern getrost zu ver­ges­sen. Doch als ich von unse­rem Spa­zier­gang wie­der am Wagen ankom­me, wer­den die Todes­fahr­zeu­ge bereits aus­ge­la­den. Wenig Mut macht mir, dass unser Gui­de, den ich mich bis­her nicht getraut hat­te zu fra­gen, sei­ne Schürf­wun­den im Gesicht und auf den Armen als Ergeb­nis der letz­ten Coto-Bikes-Tour beschreibt. »Auf dem Schot­ter nie­mals nur vor­ne brem­sen«, eben­falls ein Nie-Satz, den er nicht befolgt hat, aller­dings mit unglück­li­chen Fol­gen. Vor Auf­re­gung habe ich drei Sekun­den spä­ter alles wie­der ver­ges­sen. War jetzt noch­mal rechts für das Hin­ter- und links für das Vor­der­rad, oder umge­kehrt?! Ver­dammt, mein gemüt­li­ches Hol­land­rad in der hei­mi­schen Tief­ga­ra­ge hat sogar Rück­tritt­brem­sen!

Egal, Augen auf und durch. Im Schritt­tem­po fah­re ich die Schot­ter­pis­te ent­lang, hal­te immer wie­der für Fotos an, bevor ich die Kame­ra schließ­lich in den Ruck­sack packe, um nicht die gan­ze Grup­pe auf­zu­hal­ten. Im Bus habe ich erfah­ren, dass eini­ge der Teil­neh­mer ähn­li­che Gefüh­le gegen­über der Rad­tour hegen wie ich. Eine jun­ge Kana­die­rin mit Panik im Blick ist nur dabei, weil ihre Rei­se­be­glei­tung sie dazu über­re­det hat, eine jun­ge Frau aus Indi­en zuckt mit Blick auf ihren Mann nur unglück­lich die Schul­tern: »Er ist halt so ein Sport­freak.«

Doch kaum haben wir die Schot­ter­pis­te hin­ter uns gelas­sen, pas­siert das Unglaub­li­che: Mein Rad spürt fes­ten Halt auf dem glat­ten Beton der Stra­ße, die quer durch den Natio­nal­park nach unten führt. Ich über­ho­le erst die Inde­rin, dann die Kana­die­rin, und nach und nach die Hälf­te unse­rer Grup­pe – ohne, dass mich Panik über­fällt. Ich flie­ge, hin­ein in die Nebel­wand, ich muss die Son­nen­bril­le wie­der anzie­hen, trotz der Dun­kel­heit, weil es mir die fei­nen Tröpf­chen sonst unmög­lich machen, die Augen offen zu hal­ten. Wid­ri­ge Umstän­de, könn­te man sagen, doch spä­tes­tens, als ich das eine Stre­cken­stück hin­ter mir gelas­sen habe, an dem es berg­auf geht, habe ich Spaß wie wohl noch nie auf einem Fahr­rad. Ich wer­fe mich todes­mu­tig in die Kur­ven, freue mich über den Fahrt­wind im Gesicht, auch wenn er klatsch­nass ist.

cotopaxi-pferde

Von nie, manchmal und immer

Viel, viel zu früh ist die Fahrt vor­bei. Wobei mei­ne zu Eis gefro­re­nen Fin­ger das ein wenig anders sehen. Von mei­nen geplag­ten Mit­rei­sen­den bekom­me ich ein aner­ken­nen­des Schul­tern­klop­fen, als sie spä­ter unten ankom­men.

Inner­lich dan­ke ich mei­nem schwa­chen Cha­rak­ter für die­se Erfah­rung. Mögen mir noch vie­le »Sag nie­mals nie«-Momente beschert sein!

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Antworten

  1. Avatar von Ole

    Ich war im Mai eine Woche in Qui­to und ärge­re mich grad maß­los, das ich dei­nen Bei­trag vor­her nicht gele­sen habe. Ich habe hin und her über­legt, ob ich die Tour mache, mich dann jedoch dage­gen ent­schie­den. Mit dei­ner ein­drucks­vol­len Schil­de­rung wäre mei­ne Ent­schei­dung anders aus­ge­fal­len!

  2. Avatar von Marie

    Hal­lo Aria­ne, schö­ner Arti­kel. Ich konn­te so rich­tig mit­füh­len wie es dir gegan­gen ist. Bei mir ist die ers­te Ant­wort auch oft ein unwill­kür­li­ches NIEMALS und doch bin ich dann meist bei jedem Aben­teu­er mit dabei und im Nach­hin­ein meist sehr froh dar­über! Respekt, dass du die Fahrt dann gemacht hast! Der Coto­pa­xi steht ganz weit oben auf mei­ner Ent­de­ckungs­lis­te – die Rad­tour wer­de ich aber nie­mals machen..oder dann viel­leicht. doch :-))

    1. Avatar von Ariane Kovac

      Hal­lo Marie, vie­len Dank für dei­nen Kom­men­tar! Ich kann die Rad­tour im Nach­hin­ein nur emp­feh­len 😉

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