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Polemik wider die Regelwut

Ist es der rich­ti­ge Weg, Regeln in einer Gesell­schaft auf den aus­zu­rich­ten, der even­tu­ell dümmst­mög­lich han­delt, und damit alle zu ent­mün­di­gen? Eine Pole­mik wider die Regel­wut.

Frü­her war es ein­fach. Mora­lisch rich­ti­ges Han­deln ver­än­der­te sich nicht, die Kin­der taten das­sel­be wie ihre Eltern, leb­ten im glei­chen Dorf, die Auto­ri­tä­ten waren klar ver­teilt in die­ser klei­nen Welt. Es gab nur sel­ten Grund, dar­an zu rüt­teln.

Das ver­än­dert sich. Jeder Mensch muss sich viel stär­ker mit sei­nen Ent­schei­dun­gen befas­sen. Wie sehr neh­me ich Rück­sicht auf die Umwelt? Für wel­che Idea­le enga­gie­re ich mich? Wie groß ist mei­ne per­sön­li­che Welt? Nach wel­chen Prin­zi­pi­en lebe ich Bezie­hun­gen?

Ich den­ke: Die Zeit ein­fa­cher, all­ge­mein­gül­ti­ger Regeln ist vor­bei.

Ich muss das Regel­spek­trum selbst defi­nie­ren, nach denen ich mein Leben aus­rich­te. Und alle ande­ren müs­sen es auch. Das erfor­dert eine gewis­se Hirn­tä­tig­keit. Kann man also auch erwar­ten, dass Men­schen in diver­sen Aspek­ten mit­den­ken – statt nur zu fol­gen? Und Ver­ant­wor­tung über­neh­men für ihre Hand­lun­gen?

Ein eher pro­fa­nes Lieb­lings­the­ma von mir ist ja die rote Ampel. Ampeln sind wich­tig, kei­ne Fra­ge. Doch ste­he ich an einer über­sicht­li­chen Kreu­zung, und die Stra­ße ist frei, dann gehe ich hin­über. Was wäre das für eine Ver­höh­nung des gesun­den Men­schen­ver­stan­des, ste­hen zu blei­ben! Und doch tun es vie­le: „Ja, aber die Ampel ist doch rot!“

Die bei uns tief ver­an­ker­te Direk­ti­ve, an einer roten Ampel ste­hen­zu­blei­ben, kann zwei gute Grün­de haben. Der Ers­te: Es gibt Leu­te, die nicht in der Lage sind, die Situa­ti­on rich­tig ein­schät­zen zu kön­nen. Kin­der zum Bei­spiel. Nun, man kann Kin­dern bei­brin­gen, dass sie an einer Ampel ste­hen blei­ben – sie dür­fen ja auch vie­le ande­re Sachen nicht tun, die Erwach­se­nen erlaubt sind.

Doch ich den­ke, es ist der zwei­te Grund, der ent­schei­dend ist: Men­schen wer­den dazu erzo­gen, ihren Kopf aus­zu­schal­ten. Eine Regel befol­gen ist so ein­fach. Es ist so, also mach ich es. Ich sehe rot, ich blei­be ste­hen. Das führt auch zu der ekel­haf­ten Ange­wohn­heit, auf sei­nem ver­meint­li­chen „Recht“ zu behar­ren, selbst wenn es nicht nötig oder hilf­reich ist.

Ist es not­wen­dig, dass eine Gesell­schaft einen Haupt­teil ihrer Ener­gie in das Bil­den, Über­wa­chen und Durch­set­zen von Ver­fü­gun­gen, Ver­bo­te und Aus­nah­me­re­ge­lun­gen steckt?

Selbst mit­zu­den­ken erfor­dert Ener­gie. Situa­tio­nen ein­schät­zen ler­nen ist anstren­gend. Vor allem, wenn einem die Gesell­schaft die­se Fähig­keit schon von der frü­hen Kind­heit an aus­treibt.

Aber sind Men­schen dazu über­haupt in der Lage?

Ja. Wenn ich eines gelernt habe auf die­ser Rei­se, ist es, dass Men­schen zu viel mehr fähig sind als ich annahm. Klein­kin­der, die sich völ­lig selbst­ver­ständ­lich um Ihre klei­nen Geschwis­ter küm­mern, kom­ple­xe Auf­ga­ben über­neh­men – aus Not­wen­dig­keit, nicht dass dies erstre­bens­wert wäre – zei­gen mir bespiel­haft, dass wir die Fähig­kei­ten des Men­schen weit unter­schät­zen.

Eine rote Ampel ist hier­bei nicht der sprin­gen­de Punkt. Es geht um eine Grund­ein­stel­lung, um ein Men­schen­bild. Es geht um Respekt. Man darf Hirn­ak­ti­vi­tät und ver­ant­wort­li­che Ent­schei­dun­gen erwar­ten. Man muss nicht vom dümms­ten denk­ba­ren Ver­hal­ten aus­ge­hen.

Ich fin­de es ist eine Fra­ge der Men­schen­wür­de.

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Antworten

  1. Avatar von Andrea
    Andrea

    Mei­nes Erach­tens geht es bei der Auf­for­de­rung zum Hirn­ein­schal­ten nicht dar­um, Regeln zu miss­ach­ten, son­dern im Gegen­teil – um im Bild zu blei­ben – an der grü­nen Ampel ste­hen zu blei­ben, wenn gera­de ein Auto mit hoher Geschwin­dig­keit ange­bret­tert kommt. Oder anders, es ist mög­lich und erlaubt eine Mas­ke zu tra­gen, auch wenn dies nicht per Ver­ord­nung gere­gelt ist.

    1. Avatar von Johannes Klaus

      Hi Andrea, natür­lich ist es in bei­de Rich­tun­gen rich­tig. An der grü­nen Ampel los­zu­lau­fen, egal was pas­siert, ist genau­so doof. Und bit­te lies den Bei­trag im Zusam­men­hang von 2011, nicht 2020 – es ist kein Kom­men­tar zu Coro­na-Maß­nah­men, und ganz sicher kein Auf­ruf, Ver­schwö­rungs­er­zäh­lun­gen zu fol­gen. Auch wenn die­se Men­schen zuge­ge­bener­wei­se ihren Quatsch in ähn­li­che Wor­te packen, was etwas weh­tut.

  2. Avatar von blogoli

    Na ja, Regeln miss­ach­ten indem man z.B. über eine rote Ampel geht ist ja ein Ergeb­nis von Hirn­ak­ti­vi­tät und die ist bei­lei­be jedem selbst über­las­sen. Regeln haben in keins­ter Wei­se Ein­fluss dar­auf ob wir den­ken oder nicht.
    Ich kann Dei­ne Ein­schät­zung über eine Ent­mün­di­gung durch Regeln nicht tei­len. Und Regeln kann man nicht zur Dis­po­si­ti­on stel­len a la »Die­se Regel gilt nur von x bis y und nur für z, und im zwei­ten Futur bei Son­nen­auf­gang anders­her­um«.

    Was heißt das? Du kannst ruhig bei rot über die Ampel gehen, es ist Dei­ne freie Ent­schei­dung. Aber wehe Du beschwerst Dich über den Straf­zet­tel, falls Du erwischt wirst, die­ser ist näm­lich Teil und Fol­ge Dei­nes Han­delns.

    1. Avatar von klys

      ich stim­me dir zu, dass man eine bestehen­de regel nicht nur auf einen teil des gan­zen anwen­den kann. wohl aber soll­te man in ers­ter linie über­le­gen, ob die­se regel wirk­lich sinn macht, oder ohne not­wen­dig­keit ent­mün­digt. dass man mit den kon­se­quen­zen leben muss und daher auch einen etwa­igen straf­zet­tel bezah­len müss­te gehört zur ent­schei­dung dazu, wenn man wählt sie selbst zu tref­fen.

  3. Avatar von Frau von Nöten

    Ja, ja, ja. Mit­den­ken erwar­ten find ich super. Es gibt nichts schlim­me­res als einen offen­sicht­lich klu­gen, gewitz­ten Men­schen, der aus Rou­ti­ne erst­mal sagt »Das geht nicht«, wenn er mit etwas Neu­em kon­fron­tiert wird. Und nach­weis­lich gene­riert man am meis­ten Krea­ti­vi­tät und Moti­va­ti­on, wenn man das Mit­tel­maß zwi­schen Unter- und Über­for­de­rung fin­det und for­dert.
    Wenn man eine zufrie­den­stel­len­de Zus­amm­ar­beit errei­chen will, muss man fähig sein die­ses Mit­tel­maß je nach Indi­vi­du­um nach oben und unten zu ver­schie­ben.

    1. Avatar von klys

      auch ein guter punkt.

  4. Avatar von lisa
    lisa

    wer sich nicht an regeln hält wird schnell ein­sam.
    son­der­lin­ge wer­den aus­ge­grenzt.
    anders sein wird beäu­gelt und belacht oder the­ra­piert.
    man muß schon sehr stark sein, wenn man nicht nach der norm leben will.

    1. Avatar von klys

      das stimmt wohl. ich will aber auch kei­ne revo­lu­ti­on. ein klei­nes biss­chen mit­den­ken fänd ich aber super…

  5. Avatar von Philipp
    Philipp

    …ich kann recht­schreib­feh­ler nicht lei­den. man kann hier aber nich Fel­er ver­bäs­sern. Die Regel sitzt bei mir. Dum­men bezieht sich auf Gedan­ken und muss des­halb klein geschrie­ben wer­den. Recht­schreib­re­geln sind gud, fint ich.

    1. Avatar von klys

      was meihnst du? ich vert­seh dich nich

  6. Avatar von Philipp
    Philipp

    Ers­tens: ich lebe nach der Regel: was du nicht willst, das man dir tu, das füge kei­nem and­ren zu. Und dar­aus folgt zwei­tens: ich gehe nicht vom dümms­ten Gedan­ken des Gegen­übers aus. Und wenn ich ihn bei einem Dum­men ertap­pe, ent­schud­li­ge ich ihm das meist als Ver­se­hen. Aber ich füh­le drit­tens, dass dies noch nicht der Weis­heit letz­ter Schluss ist. On we go. Fun­ky.

    1. Avatar von klys

      das wäre mal ein guter start, zwei­fels­oh­ne… wür­de zumin­dest jede men­ge jura-lite­ra­tur über­flüs­sig machen… 🙂

  7. Avatar von Lule

    »Man muss nicht vom dümms­ten denk­ba­ren Ver­hal­ten aus­ge­hen.«

    Das ist ein schö­ner Gedan­ke. Den­noch ist es in unse­rer momen­ta­nen Gesell­schaft lei­der so, dass genau davon aus­ge­gan­gen wer­den MUSS. Regeln waren ein­mal dazu da den Men­schen Rich­tun­gen zu wei­sen – beson­ders in mora­li­schen Din­gen. Sie haben uns zu der Kul­tur gebracht, die wir heu­te genie­ßen. Sicher treibt es die Büro­kra­tie ger­ne mal zu bunt, jedoch ist sie dazu oft gezwun­gen wor­den, nach­dem Indi­vi­duuen ver­sucht haben exis­tie­ren­de Regeln zu umge­hen, was neue Maß­nah­men erfor­der­te. Man­soll­te sich eines immer vor Augen hal­ten: Wir wol­len alle Fair und gleich behan­delt wer­den und genau das ist es was für mich Regeln leis­ten sol­len. Nicht mehr und nicht weni­ger.

    1. Avatar von klys

      kann ich teil­wei­se mit­ge­hen. ohne regeln geht es nicht, ganz klar. was ich nur ver­mis­se ist die grund­an­nah­me, dass man etwas erwar­ten muss vom indi­vi­du­um, erwar­ten soll­te. denn bei vie­len ist es doch so: erst wenn man etwas for­dert kön­nen sich men­schen wei­ter­ent­wi­ckeln und füh­len sich auch ent­spre­chend wich­tig und wert­ge­schätzt. setzt man die mess­lat­te ganz unten an bleibt auch die mot­via­ti­on unten.

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