Per Anhalter durch Japan

Ich traf Sachi­ko in dem Berg­dorf Koya­san, als ich am Stra­ßen­rand ver­such­te, eines der weni­gen Autos zu stop­pen und sich das Gefühl der Ein­sam­keit längst düs­ter ein­ge­gra­ben hat­te.

Rück­lich­ter blink­ten auf, wie die rote Nase eines Zir­kus-Clowns, da sprang ein Mann aus dem Wagen, lächelnd und win­kend. Mit einem lan­ge­zo­ge­nen: „Eeeeeeeeeeee…!“ stürm­te er auf mich zu, um sich anschlie­ßend tief vor mir zu ver­beu­gen. Zehn Minu­ten hat­te ich am Stra­ßen­rand gewar­tet, als der ers­te Fah­rer stopp­te: Sachi­ko und sein mik­ri­ger Daihatsu. Sachi­ko war ein schma­ler Mann mit gro­ben Hän­den, dem eine Bril­le auf der Nase hing, durch die einen Man­del­au­gen hei­ter anblick­ten.

Auf mei­nem Papp­schild stand in Kan­ji das Wort Shira­ha­ma. Hiro­to, der Besit­zer des ein­zi­gen Cafes in Koya­san, hat­te mir die Schrift­zei­chen auf die Pap­pe gemalt, anmu­tig, kunst­voll – und mich dann aus­ge­lacht. Per Anhal­ter durch Japan zu rei­sen ist unge­fähr so ange­sagt wie Tokio Hotel im Musi­kan­ten­stadl.

Ich woll­te Meer. Der Ort Shira­ha­ma schien mir als Part­ner­stadt von Hono­lu­lu der rich­ti­ge Fleck zu sein, nach­dem ich ein paar Tage zuvor mei­nen Flug vom Nari­ta-Air­port nach Hawaii strei­chen muss­te, weil ich mich schwach und elend fühl­te. Meer und Wei­te. Nur weit weg von der Enge und dem Gefühl der Ein­sam­keit, das einen in Tokyo so rasend schnell, qual­voll und mit ver­blüf­fen­der Sicher­heit befällt, als hät­te eine Som­mer­grip­pe ihre Hand im Spiel.

Vor­bei an der blen­den­den Kon­pon-Dai­to Pago­da und dem letz­ten der ein­hun­dert Klös­ter des hei­li­gen Berg­dorfs, dräng­ten schon die dich­ten grü­nen Bäu­me bis an die asphal­tier­te Stra­ße. Stun­den­lang roll­ten wir in beschwing­ten und hei­te­ren Schlan­gen­li­ni­en die Ser­pen­ti­nen rauf und run­ter und wie­der rauf.

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Manch­mal, wenn wir gera­de wie­der run­ter fuh­ren, plät­scher­te an unse­rer Sei­te ein rau­schen­des Bäch­lein dahin, dem unse­re Gesell­schaft gefiel. Die glei­ßen­de Son­ne wärm­te und durch das offe­ne Fens­ter weh­te wei­che Luft, sodass wir die Mög­lich­kei­ten der Wei­te schnup­pern konn­ten. Wir strahl­ten, lach­ten, fühl­ten uns wie wehen­de Locken. Das war die Natur, die uns flan­kier­te und die Zeit, als wir der Natur der Spra­che auf die Pel­le rück­ten. Denn hier begann ich zu begrei­fen, was es meint, mit dem Her­zen zu spre­chen.

Nach einer Wei­le mach­ten wir mit­ten in den Ber­gen für ein Mit­tag­essen Halt und bogen schwung­voll auf dem Park­platz des Restau­rants ein, einem aus­ge­spro­che­nen Tou­ris­ten­lo­kal. Vom Park­platz aus hat­ten wir einen fabel­haf­ten Aus­blick auf die umlie­gen­den Ber­ge. Sachi­ko zück­te sei­ne Kame­ra und woll­te, daß ich ein Foto von ihm schie­ße. Als ich schon mein­te, alles sei im Kas­ten, muss­te ich an exakt der glei­chen Stel­le Posi­ti­on bezie­hen und auf sein Tschi­id­su („Cheese“) hin eben­falls ein Vic­to­ry-Zei­chen in die Kame­ra pres­sen.

Wir gin­gen in das Restau­rant, wo Sachi­ko sogleich zwei gro­ße Scha­len mit Sup­pe bestell­te, irgend­et­was mit Algen. Bevor Sachi­ko mit sei­nem Kopf schlür­fend in der Schüs­sel ver­schwand, sah ich, daß er sich die Hän­de mit einem wei­ßen, feucht­war­men Lap­pen wusch. Obwohl ich nicht wuss­te, was in der Scha­le schwamm und ich mei­ne Mühe hat­te, eine Nudel­sup­pe mit Stäb­chen zu essen, schmeck­te mir das Essen aus­ge­zeich­net.

Mir wur­de aller­dings zuse­hends unwoh­ler, da Sachi­ko neben der Fahrt nun noch für mein Essen auf­kam. Von Zeit zu Zeit nahm Sachi­ko den Kopf hoch, lach­te und nick­te mir zu, wäh­rend der Mund die Nudeln zuzel­te. Um höf­lich zu sein, nick­te ich zurück, lach­te und schlürf­te laut. Ich schlürf­te in einer Laut­stär­ke, von der ich annahm, sie bele­ge, die Sup­pe sei ein Ereig­nis und ein­sa­me Spit­ze.

Sachi­ko leg­te den Gang ein und wir fuh­ren wei­ter, vor­bei an Gip­feln, hin­un­ter zum Meer. Nie­mand von uns sprach ein Wort. Das Pro­blem ist, daß Japa­ner sechs Jah­re lang eng­li­sche Voka­beln in der Schu­le pau­ken, aber nie­mand die Spra­che spricht. So fuh­ren wir seit Stun­den dahin: taub, aber nicht stumm. Auf eine selt­sa­me Art fühl­te ich mich hier gebor­ge­ner, weni­ger ein­sam als in Tokyo. Obwohl wir nicht mit­ein­an­der rede­ten, hat­te ich das Gefühl, dass wir uns etwas zu sagen hat­ten. Mit Sachi­ko ver­si­cker­te mei­ne Ein­sam­keit.

Dann spul­te Sachi­ko sei­ne Abschieds­ze­re­mo­nie run­ter, ver­beug­te sich wie­der tief und streck­te mir einen 100 Yen-Schein ent­ge­gen, wie ein Gabe. Sachi­ko sprach in einem Ton, als wol­le er aus­drü­cken: Ich muss­te es machen, obwohl ich weiß, dass ich es nicht schaf­fen kann. Ich kann es nicht nicht tun. Das ist Japan. Wie tra­gisch schön das ist.

Nun, da wir Abschied neh­men muss­ten, reich­ten mir sei­ne gro­ben Hän­de einen hand­ge­schrie­be­nen Zet­tel, mit dem er mir noch die­se drei Zei­len schenk­te:

In den Ber­gen
ein stum­mes Echo
warm wie die Herz­stim­me

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Antworten

  1. Avatar von Detlef Weber
    Detlef Weber

    ein­sam in Tokyo, ich hab›s erlebt. Aber auch: Arbei­ter, die in der Mit­tags­pau­se gemein­sam medi­tie­ren und dann ihr Mit­tag­essen mit mir tei­len wol­len. Jugend­li­che, die mir auf eng­lisch erklä­ren, die rich­ti­ge Bahn zu fin­den. Tokyo, alles ist fremd, auf­re­gend und unver­gess­lich.

  2. Avatar von Nina

    Oh, wie schön! Der Bericht hat mich gera­de für eini­ge Minu­ten nach Japan rei­sen las­sen – dan­ke. Ich war zwar bis­her nur in Tokio, Kyo­to und irgend­wo dazwi­schen – und schon da habe ich mich rest­los ver­liebt in die­ses Land. Mit Eng­lisch ging zwar auch fast gar nichts – das hat aber oft zu sehr amü­san­ten Situa­tio­nen geführt… und vie­len Fotos mit Vic­to­ry-Zei­chen 😉

    1. Avatar von markus

      freut mich zu hören, nina. ja, so isses mit der lie­be. schö­ne fotos bei euch drü­ben.

  3. Avatar von Philipp Laage

    In den Ber­gen
    ein stum­mes Echo
    warm wie die Herz­stim­me.

    - wie wun­der­bar -

    1. Avatar von markus

      hab dank, phil­ipp.

    2. Avatar von Niklas
      Niklas

      ja das hai­ku macht aus nem schö­nen rei­se­be­richt einen d.0_o.b – rei­se­be­richt.

      ich bin 2011 von Bus­an nach Fuku­o­ka mit der Fäh­re und dann in Osa­ka hän­gen­ge­blie­ben. Wür­de aber gern noch­mal zurück und mehr länd­li­che Gegen­den sehen.
      Ich hab die Geschich­te auch im wöchent­li­chen Rei­senews­wo­chen­rück­blick Unpack­ing Tra­vel rein­ge­packt, falls es dich inter­es­siert ›_​‹

    3. Avatar von Markus Steiner

      unbe­dingt, raus ins land! grün, grün, grün ist es dort. dan­ke für dei­nen kom­men­tar und fürs tei­len, niklas.

  4. Avatar von Oli

    Ein schö­ner Text, der die Anmut Japans auf­zeigt. Gros­ses Lob. Ich konn­te mich rich­tig in die Sze­ne ver­set­zen. Auch ich war auf mei­nen zahl­rei­chen Japan­rei­sen immer mal wie­der per Anhal­ter unter­wegs, habe dabei aller­dings etwas ande­re Erfah­run­gen gemacht als du. Ich hat­te fast immer tol­le Gesprä­che geführt. Meis­tens gings auf Eng­lisch, irgend­wie, aber viel­leicht half mir auch, dass ich mich auf Japa­nisch gera­de so knapp ver­stän­di­gen kann. Das hat dann wohl jeweils das Eis gebro­chen. Die Leu­te kön­nen näm­lich Eng­lisch, sie sind ein­fach zu schüch­tern. Falls es jeman­den inter­es­siert: ich habe vor kur­zem mei­ne Erfah­run­gen mit Auto­stopp in Japan in einem Pra­xis­ar­ti­kel zusam­men­ge­fasst: http://weltreiseforum.com/blog/autostopp-japan-fuenf-wichtige-fakten-fuer-kuenftige-anhalter/ Da soll­te eigent­lich alles drin sein, was poten­ti­el­le Anhal­ter in Japan wis­sen soll­ten. Denn auch beim Auto­stopp ist im Reich der Auf­ge­hen­den Son­ne eini­ges ziem­lich anders.

    1. Avatar von markus

      oli, dan­ke fürs tei­len, dol­le tipps.

    1. Avatar von markus

      herz­li­chen dank, jür­gen!

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