„Wir flie­gen nach Kara­chi!“, sagte ich zu ihr, mit dem Ticket in der Hand, ohne dass sie den Urlaub auf der Arbeit ein­ge­reicht hatte. So machte ich das schon häu­fig in den acht Jah­ren, in denen wir zusam­men sind. Nur, dass Desti­na­tio­nen wie Dubai, Johan­nes­burg, San­to­rini und Co. nicht bekannt für Tali­ban­hoch­bur­gen sind. 

„Wir flie­gen nach Kara­chi!“, sag­ten wir zu unse­ren Freun­den, ohne dass sie jemals etwas Posi­ti­ves über die Stadt und das Land Paki­stan gehört hat­ten. Beide Reak­tio­nen hat­ten eine Mischung aus Angst, Unge­wiss­heit und Über­ra­schung. Und wir woll­ten uns die­ser Her­aus­for­de­rung stel­len! Wir, dass sind Nele, tief im Sau­er­land ver­wur­zelt und ich, Malik Riaz, halb-Paki­stani mit deut­scher Mut­ter und paki­sta­ni­schem Vater. 

Kara­chi. Das ist eine 20 Mil­lio­nen Metro­pole im Süden von Paki­stan. Bekannt für.. Das ist eine gute Frage. Sollte man erwäh­nen, dass in Kara­chi jedes Jahr 1.482 Men­schen umge­bracht wer­den? Oder sollte man viel­leicht erwäh­nen, dass aus Kara­chi schon unzäh­lige Aus­län­der ent­führt wur­den? Ich habe eine Mis­sion: Ihr die schö­nen Sei­ten die­ses Molochs zu zei­gen. Die schö­nen Sei­ten eines Lan­des, das mein Vater vor 33 Jah­ren ver­las­sen musste, da er poli­tisch anders ori­en­tiert war und ich selbst nur spär­lich kannte.


Nach einem recht lan­gen Flug über Istan­bul – es gibt seit Jah­ren wegen Sicher­heits­be­den­ken keine Direkt­ver­bin­dung mehr ab Deutsch­land- lan­den wir am Jin­nah Inter­na­tio­nal Air­port. Vie­les in Paki­stan ist nach ihm benannt – dem Grün­der des Lan­des, der es 1947 in die Unab­hän­gig­keit von Indien und dem Bri­tish Empire führte. Lei­der wird sein Credo aber umso häu­fi­ger ver­ges­sen: Ein­heit, Hoff­nung und Dis­zi­plin. Die Anspan­nung ist groß, denn unser bes­ter Freund in Kara­chi hatte sich Whis­key gewünscht, dem wir ihn mit­brin­gen woll­ten. Der Import und Kauf von Alko­hol in die­sem isla­mi­schen Land ist ille­gal – es sei denn, man ist nicht mus­li­mi­scher Aus­län­der. Es ist des­halb nicht unüb­lich, dass der Zoll jedes Gepäck­stück öff­nen lässt. Ich wähnte mich mit ihr aber auf der siche­ren Seite. Es ging ohne Kon­trolle durch den Flug­ha­fen. Noch mal dem paki­sta­ni­schen Gefäng­nis entkommen.

 

Ankom­men im Land der Reinen

Es beginnt schon in den ers­ten Momen­ten, wo man paki­sta­ni­schen Boden betritt: Die Gast­freund­schaft. Wir wagen den Schritt aus dem Ter­mi­nal hin­aus in das Land hin­ein und wis­sen kaum, was uns erwar­tet. Es ist 3 Uhr in der Früh und trotz­dem war­ten meh­rere hun­dert Men­schen auf Ver­wandt­schaft, die sicher­lich für einen Hun­ger­lohn im mitt­le­ren Osten schuf­tet. Aber beim Anblick eines west­li­chen (zumin­dest zur Hälfte) Paa­res sehen wir die Hoff­nung in ihren Augen und freuen uns über die „Wel­come to Paki­stan“ Rufe. 

Ab ins Hotel. Das ist so eine Sache in Kara­chi. Es gibt vier 5‑Sterne Hotels, deren Sterne Bewer­tung man sich offen­sicht­lich selbst gibt, die einem einen Rück­zugs­ort in die­ser lau­ten, von Abga­sen ver­seuch­ten Stadt, bie­ten. Und weil das Ange­bot rela­tiv begrenzt ist, sind die Preise dem­entspre­chend hoch. Wir ent­schei­den uns für das Avari Towers, da ein Freund einen Freund dort hat, der uns einen akzep­ta­blen Preis machen kann. Grund­sätz­lich funk­tio­niert in Paki­stan alles über irgend­wel­che Kontakte.

 

Eine Stadt­rund­fahrt mit Sicherheitsleuten

Es ist eine Fahrt durch eine Stadt, die geprägt ist von Bau­ten aus dem 19. Jahr­hun­dert, von Gebäu­den, die nach bri­ti­schen Offi­zie­ren benannt wur­den und von Über­ra­schun­gen. Die Fahrt führt uns zum Bei­spiel zum Mere­we­ther Memo­rial Tower, einem Uhren­turm mit David­stern auf der Fas­sade. In Ber­lin nicht unüb­lich, aber in einem Land, wo es offi­zi­ell nur 745 jüdi­sche Fami­lien gibt schon. Der Turm wurde im Jahr 1886 zum Geden­ken an den Com­mis­sio­ner der Pro­vinz Sindh errich­tet. Wir fah­ren wei­ter zur St. Patricks Cathe­dral, der größ­ten Kir­che der Stadt, wo wir nach dem Secu­rity Check einer Taufe bei­woh­nen kön­nen. Es wird gesun­gen und gefei­ert. Fast so wie bei uns, nur dass hier alle Türen offen ste­hen, da sonst die 30 Grad nicht zu ertra­gen wären. Das Innere der Kir­che beher­bergt eine kleine Krypta und eine Nach­bil­dung des Hei­li­gen Franz Xaver, des Schutz­pa­trons von Goa. Da der größte Teil der katho­li­schen Gemeinde in Kara­chi Wur­zeln in Goa hat, wird der hei­lige Fran­zis­kus auch in der katho­li­schen Gemeinde hier hoch verehrt.

Bei der Stadt­rund­fahrt fällt uns auf, dass dem Füh­rer sehr daran gele­gen ist, ein diver­si­fi­zier­tes Kara­chi für jeder­mann zu zei­gen. Dass jeder in Kara­chi leben kann. Ihm fällt aber nicht auf, dass viele sei­ner Erzäh­lun­gen in der Ver­gan­gen­heit ste­cken blei­ben. Zum Bei­spiel, dass das Haupt­haus der Frei­mau­rer ent­eig­net wurde, weil sie angeb­lich Juden waren und nun dort die Wild­tier­be­hörde ihren Sitz hat. Oder, dass das ehe­ma­lige Hotel Metro­pole, wo deut­sche Air­line-Crews wilde Par­tys gefei­ert haben, heute nur noch ein Hau­fen Schutt und Staub ist. 

 

Little Italy

Mit­tags ver­ab­re­den wir uns mit Maaz, unse­rem Whis­key Freund, der im wah­ren Leben PRler ist und auf­grund sei­ner Aus­spra­che in Oxford leben könnte. Wir fah­ren süd­lich des chao­ti­schen Zen­trums der Stadt über die Clif­ton Bridge, in die geho­be­nen und rela­tiv wohl­ha­ben­den Vier­tel „Clif­ton“ und „Defence“. Hier fin­det man zahl­rei­che Kunst­ga­le­rien, Cafés, Museen, Ein­kaufs­zen­tren und einige der bes­ten Restau­rants der Stadt. Die Stra­ßen sind gesäumt von Pal­men und archi­tek­to­ni­schen High­lights rei­cher Pakistani.

Das Mit­tag­essen führt uns in eines die­ser schi­cken und moder­nen Restau­rants „Il Posto“ – ein Ita­lie­ner. Ein mit Kunst­schnee bedeck­ter Weih­nachts­baum und Zuc­chero emp­fan­gen uns. Wir sind die ein­zi­gen Gäste. Natür­lich sind wir sofort vor­ur­teil­be­la­den. Aller­dings wer­den wir vom Gegen­teil über­zeugt, denn der Chef ist ein Paki­stani, der in Süd­ita­lien gelebt hat und einen ita­lie­ni­schen Koch mit nach Süd­pa­ki­stan gebracht hat. Wahr­schein­lich der ein­zige im Land. Als er erfah­ren hat, dass wir aus Deutsch­land sind, bie­tet er uns eine Spe­zia­li­tät an, die er für beson­dere Gäste, aller­dings nicht auf der Spei­se­karte, hat: Flamm­ku­chen. Der impor­tierte Ita­lie­ner kennt sein Hand­werk, unsere Tor­tel­lini und Gnoc­chi sind haus­ge­macht und schme­cken wie in Mai­land. Ich hätte jetzt gerne einen Weiß­wein. Maaz sagt, dass das unter der Hand bestimmt mach­bar ist. Er kennt den Besitzer.

Es ist Zeit für einen Strand­spa­zier­gang. Wir kom­men gerade rich­tig, denn der Son­nen­un­ter­gang begrüßt die Stadt und den pul­sie­ren­den Strand. Inter­es­san­ter als der Son­nen­un­ter­gang für die Kara­chis sind aller­dings die blauen Augen von ihr. Es kommt also nicht nur ein­mal vor, dass Men­schen bei uns ste­hen blei­ben, oder mit uns mit­lau­fen. Für man­che ist die Begeg­nung mit einer Wes­ter­lin ein im Leben ein­ma­li­ges Erleb­nis. Und so ist es keine Sel­ten­heit, dass wir von Rik­scha­fah­rern nach Sel­fies gefragt wer­den und als Foto­mo­tiv die­nen. Also ver­zei­hen wir das Gestarre und beob­ach­ten wie Leute in ihrer All­tags­klei­dung ins Was­ser sprin­gen, wie man­che ver­su­chen die hier rum­lau­fen­den Kamele zu erklim­men oder wie Pär­chen sich heim­lich tref­fen um ja nicht von der Fami­lie ent­deckt zu werden. 

Noch lei­den wir nicht an den übli­chen Magen­pro­ble­men, die man in Paki­stan auf­grund der Luft, des Was­sers oder des Essens bekommt. Also ent­schlie­ßen wir uns abends etwas lan­des­ty­pi­sches zu essen. Man muss nur dem Strand fol­gen und schon lan­det man in Do Darya. Einem Abschnitt der Stadt, wo Restau­rants auf dem offe­nen Meer gebaut wur­den. Kolachi ist das erste Restau­rant dort. Der Weg dort­hin ist ziem­lich dun­kel und trost­los, wohl­ge­merkt, aber davon darf man sich nicht abschre­cken las­sen, denn das Essen ist himm­lisch. Wir ent­schei­den uns für das Gemüse Curry, „wei­ßes Hähn­chen“ ein mit Joghurt gekoch­tes Huhn und natür­lich Kebab. Wenn man beim Essen einen Blick unter den Tisch wirft, hat man einen wun­der­ba­ren Blick auf die Tiefe des Mee­res und kann mit Glück auch den ein oder ande­ren Fisch entdecken. 

Kara­chi ist für uns ein unend­li­ches Buch mit vie­len ver­schie­de­nen Kapi­teln. Und nir­gends ist das so sicht­bar wie in der eins­ti­gen Haupt­stadt Paki­stans und der bis heute mit Abstand größ­ten, kos­mo­po­li­tischs­ten und öko­no­misch bedeu­tends­ten Stadt des Lan­des, die genauso von glit­zern­den Ein­kaufsmalls und teu­ren Desi­gner-Bou­ti­quen geprägt ist wie von stau­bi­gen Stra­ßen­märk­ten. Als wir auf dem Weg zurück nach Deutsch­land sind, schaut sie mich an und sagt mir: „Ich liebe diese Stadt“. Mis­sion erfüllt.

Cate­go­riesPaki­stan
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Malik Riaz Hai Naveed & Nele Hai

Nele Hai und Malik Riaz Hai Naveed sind seit 8 Jahren zusammen und bereisen die weite Welt. Getrieben von Error-Fares stand am Anfang nicht das Ziel im Fokus, sondern das Ferne. Egal ob Johannesburg, Guatemala oder die USA, Hauptsache Weg.
Mit dem Job und Malik’s Wurzeln in Pakistan, wurde der Wunsch nach einer internationalen Familie immer größer. In diesem Jahr bereisen sie zum dritten Mal gemeinsam das 200 Millionen Land, geprägt von Gastfreundschaft, Curry und Familie.
Malik betreibt neben seiner Selbstständigkeit ein Fußballentwicklungshilfeprojekt in Pakistan: www.footballpakistan.com

  1. Lisa Jackson says:

    Paki­stan is natu­rally and tra­di­tio­nally very rich coun­try. A lot of tou­rist attracts spe­ci­ally in the nor­t­hern areas. Skardu is one of the ama­zing places to visit in Pakistan.

  2. Steffen says:

    Rich­tig guter Arti­kel. Genau wegen sol­chen Bei­trä­gen schaue ich hier ab und an mal rein. Das hat sich sehr inter­es­sant gelesen. :-))

  3. Breena says:

    Vie­len Dank für die tol­len Ein­bli­cke! Vor eini­gen Jah­ren hatte ich einen Couch­Sur­fing Host in Lon­don, der aus dem Paki­stan stammt. Seit dem habe ich viele Fotos gese­hen und Geschich­ten gehört. Auch nicht so schöne, wie z.B. dass er bei einem Tali­ban-Anschlag ver­letzt wurde. Den­noch möchte ich eines Tages nach Paki­stan rei­sen und die­ses wun­der­schöne Land ent­de­cken! Warum eines Tages… Es steht noch soooo viel auf mei­ner Liste… Die Erde ist ein unglaub­lich schö­ner Ort!

  4. Marlies says:

    Hey :) danke für die­sen tol­len Ein­blick! Bin ganz zufäl­lig auf die­ser Seite gelan­det. Mein Freund ist Paki­sta­ner und macht gerade sei­nen Mas­ter hier in D. . Sehr häu­fig werde ich durch besorgte Eltern, die Gesell­schaft und Freunde mit vie­len Ängs­ten und Beden­ken kon­fron­tiert in das Land zu rei­sen (und selbst er ist davon über­zeugt, dass ich dort zumin­dest nicht zufrie­den dau­er­haft leben könnte – wes­halb wir uns nun getrennt haben). Ich freue mich doch wirk­lich sehr über diese neue posi­ti­ven Einblicke.

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