Wenn man aus so einem Ort wie Bled in Slo­we­ni­en weg­fährt, dann denkt man, es kön­ne nicht mehr bes­ser wer­den. Und vor allem: auf kei­nen Fall noch mär­chen­haf­ter. Und dann steht man in Berch­tes­ga­den.

Okay, ich gebe es zu, ich wun­de­re mich zunächst mal über die Tou­ris­ten­mas­sen, die zusam­men mit mir in Rich­tung des Boots­an­le­gers am Königs­see strö­men. Es ist ein Tag Anfang Okto­ber, der sich anfühlt wie mit­ten im Novem­ber, kalt und grau, und es ist früh mor­gens. Rei­se­grup­pen und Schul­klas­sen zwän­gen sich in die Boo­te, Babys wer­den aus regen­schutz­fo­li­en­be­pack­ten Kin­der­wä­gen gezo­gen. Ich erin­ne­re mich an die vie­len Insta­gram-Bil­der und Rei­se­blog-Fotos vom Königs­see, stets in abso­lu­ter Ein­sam­keit, hüb­sche blon­de Blog­ge­rin vor See und Fels­wand, und muss grin­sen. So viel zum The­ma fal­sche Erwar­tun­gen.

Impressionen vom Königssee

Wir steu­ern einen Bedarfs­halt an, an dem nur eine Per­son aus­steigt, ein Mann mit Hund, der aus­sieht wie eine Mischung aus Bear Grylls und dem Kerl, der bei einer Zom­bie­apo­ka­lyp­se allen mit der Pump­gun Deckung gibt. Es erüb­rigt sich, ihn zu fra­gen, ob er für eine Wan­de­rung ins Nir­gend­wo bei die­sem Wet­ter gerüs­tet ist. Der Rest von uns fährt mit dem Boot bis zur End­hal­te­stel­le am ande­ren Ende des Sees. Doch einen kur­zen Halt machen wir noch – ganz tra­di­tio­nell wer­den die Elek­tro­mo­to­ren kurz aus­ge­schal­tet und einer der Boots­män­ner bläst ein paar Noten mit der Trom­pe­te gegen die hohen Fels­wän­de. Das sonst so beein­dru­cken­de Echo bleibt aus, wird ver­schluckt von Nebel und Nie­sel­re­gen.

Als ich aus­stei­ge, lau­fe ich einem Boot ent­ge­gen, auf das ein paar Bau­ern mit ziem­li­cher Mühe ihre Kühe scheu­chen. Es ist Alm­ab­trieb, und den Königs­see kann man nicht so ein­fach umwan­dern, dafür ragen die umlie­gen­den Ber­ge zu steil und zu nah am Was­ser auf. Die Lösung sind fla­che Holz­boo­te, auf denen die Kühe unter hek­ti­schem Geblö­ke ange­bun­den wer­den. Der Alm­ab­trieb wur­de mir schon als Tou­ris­ten­high­light schlecht­hin ange­prie­sen – umso glück­li­cher bin ich über die Tat­sa­che, fast allei­ne hier zu ste­hen, nur ein Mann mit über­di­men­sio­nal gro­ßer Kame­ra umschwirrt die Bau­ern. Foto­gen ist das Gan­ze außer­dem nur gering­fü­gig: An die Stel­le von Leder­ho­sen und Edel­weiß­mus­tern sind Gum­mi­stie­fel und Funk­ti­ons­klei­dung getre­ten. Wenigs­tens Filz­hut und blau-wei­ße Kor­deln zeu­gen davon, dass wir uns im tiefs­ten Bay­ern befin­den.

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Oh, Obersee!

Ich bin etwas ent­täuscht über das schlech­te Wet­ter – ohne die stei­len Fels­wän­de sieht der Königs­see nur halb so beein­dru­ckend aus, und dun­kel­grau­er See vor hell­grau­em Him­mel, mhm­ja, nicht der Traum einer Foto­gra­fin. Sehr viel schö­ner ist dabei der Ober­see, der hin­ter dem Königs­see liegt, ein paar Fuß­mi­nu­ten von der Anle­ge­stel­le ent­fernt. Wie mit dem Was­ser­far­ben­kas­ten gemalt gehen hier Ufer und tür­ki­ses Was­ser inein­an­der über. Auf dem gegen­über­lie­gen­den Ufer tau­chen Fel­sen und Bäu­me direkt aus dem Was­ser auf. Ein klei­nes Boots­haus steht auf dem Sand, das per­fek­te Motiv. Ganz Insta­gram-sym­me­trisch krie­ge ich mein Bild nicht hin, dafür ste­hen ein­fach zu vie­le Men­schen um mich her­um. Merkt hof­fent­lich kei­ner, den­ke ich, und mache heim­lich Fotos von den Tou­ris­ten­mas­sen.

Ich fra­ge mich erst, wie es hier an einem war­men Juli­tag sein mag, und dann ärge­re ich mich dar­über, dass ich nur einen Vor­mit­tag Zeit habe, um ihn hier zu ver­brin­gen. Denn die Besu­cher ver­tei­len sich zu gefühlt neun­und­neun­zig Pro­zent auf die drei Anle­ge­stel­len, machen einen kur­zen Spa­zier­gang und set­zen sich dann zu Bier und Fisch in eine der Gast­stät­ten. Wer sich ein wenig ent­fernt, sich traut, einen der stei­len Wege rings­um zu erklim­men oder gar von einem der Bedarfs­hal­te ab wan­dert, wird ver­mut­lich kaum einen Men­schen tref­fen.

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Ach je, Hintersee!

Und dann fin­de ich es doch noch, mein High­light in Berch­tes­ga­den. Und es kommt ganz unschein­bar daher – vom Hin­ter­see habe ich noch nie etwas gehört. Ist schließ­lich kei­ner die­ser Insta­gram-Hypes. Unver­ständ­li­cher­wei­se. Denn bereits der kur­ze Spa­zier­gang durch den Zau­ber­wald, vor­bei an einem klei­nen Fluss, nimmt mir den Atem. Es ist so wun­der­schön, so ruhig, so – ver­wun­schen. Der Weg schlän­gelt sich hin­durch zwi­schen moos­be­wach­se­nen Bäu­men, über denen die tie­fen grau­en Wol­ken noch immer hän­gen, bereit, sich jeder­zeit über mir zu ergie­ßen. Über Brü­cken und Ste­ge geht es wei­ter, an Fels­wän­den ent­lang, dem Fluss fol­gend, und dann, ganz plötz­lich, der viel­leicht schöns­te See, den ich je gese­hen habe, und das den­ke ich, obwohl ich am Tag zuvor noch in Bled war.

Die Spie­ge­lung ist per­fekt: Der gesam­te See ist grün-grau mar­mo­riert, näher am Ufer kommt dann das eige­ne Tür­kis durch. Ein paar ein­zel­ne Bäu­me, die aus dem Was­ser wach­sen, zer­bre­chen das Bild, wach­sen ein­mal nach oben und ein­mal nach unten. Als wäre die Welt umge­dreht wor­den, den­ke ich. Und dann: Wenn ich hier­von noch nie gehört habe, wel­che Schät­ze lie­gen dann noch ver­steckt im Berch­tes­ga­de­ner Land?

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Antworten

  1. Avatar von Marc

    Schö­ne Stim­mung auf den Bil­dern. Im Berch­tes­gar­de­ner Land war ich 2004 wan­der­mä­ßig unter­wegs und habe ich noch in schö­ner Erin­ne­rung. Auch einer die­ser Orte an den man mal wie­der zurück kom­men kann.
    LG Marc

  2. Avatar von Aylin Krieger

    Hübsch siehts aus! Und da ich Bled auch ken­ne, macht der Königsee/​ Hin­ter­see schon sehr neu­gie­rig

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