Verdammt! Der Strand ist weg

Ich hat­te es mir wie eine Zeit­rei­se vor­ge­stellt. Vor 30 Jah­ren stand ich genau hier. Jung, wild, mit Ruck­sack und Som­bre­ro und unsterb­lich ver­liebt in die­sen Ort an der Atlan­tik­küs­te von Cos­ta Rica: Cahui­ta. Und jetzt? Fas­sungs­los star­re ich auf das, was ein­mal ein Traum­strand war. Er ist so gut wie weg. Und der schma­le Pfad, auf dem damals Beni­to, der Fischer, jeden mor­gen auf sei­nem Esel vor­bei kam und frisch gefan­ge­ne Lan­gus­ten ver­kauf­te: er ist auch weg. Statt des­sen: Bran­dung. Wo ist der Strand? Und wo ist Beni­to?

Im Dorf tref­fe ich Juan Fran­cis­co. Er hat Beni­to noch gekannt. „Das Meer hat alle gefres­sen“, sagt er: „den Strand, den Pfad, Beni­to und die Lan­gus­ten auch. Wenn wir nicht wenigs­tens die Tou­ris­ten noch hät­ten, wären wir schon alle ver­hun­gert.“ Der alte Fischer führt mich zu sei­nem Haus. Einst sein gan­zer Stolz, steht sein bau­fäl­li­ges Zuhau­se heu­te zum Ver­kauf. Das Dach müss­te drin­gend gemacht wer­den, aber der 60 jäh­ri­ge Fischer hat kein Geld.

„Wenn wir frü­her mit unse­ren Boo­ten raus­ge­fah­ren sind und unse­re Net­ze aus­ge­wor­fen haben, kamen wir nach ein bis zwei Stun­den zurück und hat­ten  rund 50 kg Fisch gefan­gen. Heu­te fan­gen wir manch­mal tage­lang kei­nen ein­zi­gen Fisch.“

Costa-Rica-Cahuita-NP_008Juan Fran­cis­co Sabal­lo, Fischer

Das Was­ser ist den Mee­res­be­woh­nern zu warm gewor­den, die Bran­dung zu stark. Die schüt­zen­den Koral­len­rif­fe haben sich dem Angriff des Kli­ma­wan­dels erge­ben. Die Fische sind nach Nor­den wei­ter­ge­zo­gen. Und die Erträ­ge, die Don Sabal­lo aus sei­nem klei­nen Geschäft mit den Tou­ris­ten bezieht, rei­chen nicht aus, sein Haus in Schuss zu hal­ten. Des­halb wird er nun den Fischen in das wei­ter nörd­lich gele­ge­ne Puer­to Limon fol­gen. „Die Fische flie­hen nach Nor­den und wir Men­schen hin­ter­her“, sagt er.

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Einst sein gan­zer Stolz: das Haus der Fami­lie

Sein Sohn Jose bleibt. Er ist 38 Jah­re alt und Mit­ar­bei­ter des Natio­nal­parks Cahui­ta. Sein Arbeits­platz hat rund 1102 ha Land­flä­che und 23.290 ha Mee­res­flä­che. Es sei der schöns­te Arbeits­platz der Welt, sagt er mit strah­len­den Augen.

Costa-Rica-Cahuita-NP_001Sohn José bleibt

In die­sem kari­bi­schen Küs­ten­ab­schnitt befin­den sich unter­schied­li­che Öko­sys­te­me: Koral­len­rif­fe, Sand­strän­de, Wäl­der, Flüs­se und Man­gro­ven. Im Lau­fe der Zeit haben sich hier zahl­rei­che Arten ent­wi­ckelt. An den Sand­strän­den brü­ten Leder- und Grü­ne Mee­res­schild­krö­te und im Wur­zel­werk der Man­gro­ven fin­den Fische und Krus­ten­tie­re Schutz. Auch die Koral­len und mari­nen Wei­de­flä­chen bie­ten vie­len Arten wie See­igel, Schwäm­men,  Fischen und Mee­res­schild­krö­ten Schutz und Nah­rung. Ins­ge­samt beher­bergt der Lebens­raum Cahui­ta ein­und­zwan­zig ver­schie­de­ne Rep­ti­li­en, sieb­zehn amphi­bi­sche Arten, zwei Affen- und vier Wild­kat­zen­ar­ten. Jose kann sie alle auf­zäh­len. Aber ich kom­me nicht mehr mit. Schwit­ze und stau­ne.

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Als ich 1981 nach 12 Mona­ten quer durch Süd­ame­ri­ka mei­nen Ruck­sack in Cahui­ta aus­pack­te und wochen­lang nichts ande­res tat als am Strand ent­lang zu schlen­dern, aufs Was­ser zu schau­en und den Kapu­zi­ner­äff­chen beim Fres­sen zuzu­gu­cken gab es nicht den kleins­ten Hin­weis dar­auf, dass die­ses Para­dies ein­mal gefähr­det sein könn­te. Längst steht das Gebiet unter Schutz. Aber der Schutz kommt auch nicht mehr mit. Des­halb tritt jetzt Plan B in Kraft: Anpas­sung an den Kli­ma­wan­del. Nach dem Mot­to: wenn wir den Kli­ma­wan­del nicht auf­hal­ten kön­nen müs­sen wir uns eben anpas­sen. Wohl­ge­merkt: anpas­sen. Nicht auf­ge­ben. Wie geht das, José?

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Jose läuft mit mir den Besu­cher­pfad ab. Immer wie­der tref­fen wir auf ange­schwemm­te, tote Koral­len. Jose sta­pelt sie an Sam­mel­punk­ten. Bis zu zwei Meter hohe Hügel wei­ßer Koral­len ragen wie Mahn­ma­le am Weges­rand auf. „Das sind nicht die Tou­ris­ten“, sagt Jose, „das ist der Kli­ma­wan­del. Man­che Koral­len befin­den sich nur noch 80 Zen­ti­me­ter unter Was­ser. Die Was­ser­tem­pe­ra­tur ist dort emp­find­lich gestie­gen. Es wird ihnen zu warm. Auch die Strö­mung hat sich ver­än­dert und die Gezei­ten sind aus­ge­präg­ter. Also bre­chen die Koral­len schnel­ler.“

Costa-Rica-Cahuita-NP_006Tote Koral­len­hü­gel am Weges­rand

In den letz­ten 20 Jah­ren sind etwa 40% der leben­den Koral­len unwi­der­ruf­lich ver­lo­ren gegan­gen. Das Koral­len­ster­ben bedroht nicht nur die Mee­res­be­woh­ner: Immer unge­hin­der­ter tref­fen die Wel­len auf die Küs­te. Sie schwem­men den Strand fort und rei­ßen Bäu­me mit sich. Jetzt weiß ich auch wo der Strand geblie­ben ist.

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Am alten Park­wäch­ter­häuss­chen wird das gan­ze Aus­maß sicht­bar: Noch vor weni­gen Jah­ren befand es sich ober­halb des Stran­des – jetzt steht es im Was­ser. „Allein in den letz­ten 3 Jah­ren hat das Meer 50 Meter Strand­brei­te und Bäu­me geschluckt. Vom höchs­ten Was­ser­stand bei Flut bis zum Besu­cher­pfad waren es etwa 30 Meter Abstand. Heu­te kommt die Flut bis zum Weg. Wir wer­den einen neu­en machen müs­sen.“

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Anpas­sung an den Kli­ma­wan­del heißt auch, natür­li­che Schutz­me­cha­nis­men zu stär­ken. Die Koral­len kön­nen nicht wie­der­be­lebt wer­den aber die dar­aus fol­gen­de Ero­si­on durch die Wucht der Wel­len kann auf­ge­hal­ten wer­den, indem die tro­pi­schen Wäl­der und Man­gro­ven der Küs­te geschützt wer­den. Denn die sind der bes­te Mit­tel gegen Sedi­men­tie­rung. Ein deut­sches Pro­jekt unter­stützt die Ticos beim „blau­en Kli­ma­wan­del“ Die Mis­si­on: Küs­ten­re­gio­nen unter Schutz stel­len und die Bewoh­nen die­ser Zonen an den Kli­ma­wan­del anpas­sen. Am, im und unter Was­ser.

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Ich find’s gut, dass Leu­te wie Jose sich dafür enga­gie­ren. Viel­leicht fin­den so auch die Enkel von Juan Fran­cis­co Sabal­lo, dem sech­zig­jäh­ri­gen Fischer, irgend­wann einen Job am „schöns­ten Arbeits­platz der Welt“, dem Natio­nal­park Cahui­ta.

Und ich bin nach einer Woche Cahui­ta wie­der ein biss­chen ver­söhnt mit die­sem Ort: klar, nichts ist mehr wie es ein­mal war. Aber ich habe mich ja auch ver­än­dert in den letz­ten 30 Jah­ren, muss mich an Fal­ten und Zip­per­lein anpas­sen. War­um soll es der Welt anders erge­hen?

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Antworten

  1. Avatar von Patrick Meier

    Hal­lo, ein tol­ler Bericht. Wir haben in der Rei­se­ru­brik von blogg.de dar­auf ver­linkt und hof­fen es kom­men vie­le Leser vor­bei. Einen tol­len Sonn­tag noch.

  2. […] Doch als sie dann nach drei­ßig Jah­ren wie­der an den Küs­ten­ab­schnitt zurück­kehrt, da fin­det sie mit­ten im Para­dies nur noch Res­te davon. Lest sel­ber was sie erlebt habt. […]

  3. […] „Rei­se­de­pe­schen“ fin­det sich wie­der ein­mal ein inter­es­san­ter Gast­bei­trag, der deut­lich auf­zeigt, wel­chen Ein­fluss der Kli­ma­wan­del auf bestimm­te Regio­nen der Erde hat, wie in die­sem Fall zum […]

  4. Avatar von Martin

    Ich finds erschre­ckend wie schnell die­se Ver­än­de­run­gen von stat­ten ging.
    Nicht mehr lan­ge und die Male­di­ven und auch ande­re Insel­grup­pen sind auch nicht mehr da.
    Da ist dann nicht nur der Strand weg.

    @Marco
    Die Kli­ma­ver­än­de­rung ist mei­ner Mei­nung nach men­schen­ge­macht.

    1. Avatar von gitti müller

      ja schlimm. 30 Jah­re ist ja nix in der Erd­ge­schich­te.

  5. Avatar von World Whisperer

    Wie viel sich in 30 Jah­ren ver­än­dern kann. Schon fas­zi­nie­rend.

    Aber gut, dass die Men­schen sich anpas­sen und nicht alles schwarz sehen.

    1. Avatar von gitti müller

      fin­de ich auch. José, der Sohn des Fischers ist das bes­te Bei­spiel dafür. Er arbei­tet jetzt eben nicht mehr als Fischer son­dern als Hüter der Natur.

  6. Avatar von Marco

    Das ist wirk­lich scha­de zu hören. Auch ich habe die­sen Ort in tol­ler Erin­ne­rung und das ist erst 10 Jah­re her. Aber mei­ne Erfah­rung zeigt, dass es fast immer schmerz­haft ist, an alte Orte zurück­zu­keh­ren. Meis­tens ist die Ver­än­de­rung jedoch nicht kli­ma­be­dingt, son­dern men­schen­ge­macht.
    Trotz allem ein schö­ner und infor­ma­ti­ver Bericht!

    1. Avatar von gitti müller

      Dan­ke Mar­co, der Ort hat noch immer viel Charme und ist auf jeden Fall eine Rei­se wert. Die Ticos machen inzwi­schen viel mehr für den Natur­schutz und eine Wan­de­rung durch den Natio­nal­park ist nach wie vor ein Erlebnis…auch wenn da jetzt ‑anders als frü­her- kein Cam­ping mehr erlaubt ist.

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