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Schwere Lasten, steile Abgründe

Es tren­nen mich 15.500 km vom hei­mi­schen Nord­deutsch­land. Aber diese Zahl sagt gar nichts über die emp­fun­dene Ferne, die ich am Vul­kan­see Kawah Ijen fühle, aus. Der Ijen ist ein Ort, von des­sen Exis­tenz ich zuge­ge­be­ner­ma­ßen bis vor Kur­zem nicht ein­mal wusste. Das Tolle daran: kein Bild in mei­nem Kopf passt zu dem, was uns hier erwar­tet. Und das macht den Reiz aus…

Der Kra­ter des Ijen Vul­kans ist ein rie­si­ger Schlund, in des­sen Rachen gif­ti­ger Schwe­fel spru­delt. Der flüs­sige Schwe­fel erhär­tet an der Luft, wird hän­disch von den Arbei­tern abge­baut, in Bam­bus­kör­ben zum Fuße des Vul­kans getra­gen, gewo­gen und sofort ver­kauft. Klingt ein­fach- ist es aber nicht.

Arbeiter Ijen

Im Mor­gen­grauen begin­nen wir den Auf­stieg zum Schwe­fel­see. Die Mor­gen­luft ist frisch, so frisch, dass es mich sogar in mei­ner Fleece­ja­cke frös­telt. Mein Atem pro­du­ziert kleine Rauch­wölk­chen. Was für mich eine ein­ma­lige Tour ist, ist das täg­lich Brot der star­ken Män­ner aus Bany­u­wangi; von dort stam­men die Schwe­fel­ar­bei­ter des Kawah Ijen. So auch Adis und Ali, die wir wäh­rend des Auf­stiegs ken­nen­ler­nen. Beide stei­gen täg­lich mehr­mals den 3 km lan­gen Weg zum Vul­kan­see hin­auf; über Stock und Stein, Geröll und Sand. Uns kom­men Arbei­ter bereits schwer bela­den ent­ge­gen. Und schwer bela­den heißt wirk­lich schwer bela­den. In Bam­bus­kör­ben schul­tern die Schwe­fel­ar­bei­ter zwi­schen 70 und 100 kg des gel­ben Roh­stoffs. An der Stelle, wo der Korb auf­liegt, ist ihre Haut ver­narbt. Wäh­rend wir uns ent­lang des Weges hoch schlän­geln, kann ich mir nicht ein­mal vor­stel­len, mit mei­nem Ruck­sack hier hin­auf­zu­kom­men (und der wiegt lächer­li­che 10 kg).

Ausblick

Stolz erzählt Ali, dass ihn vor ein paar Jah­ren eine fran­zö­si­sche Jour­na­lis­tin über zwei Wochen beglei­tete. Sie recher­chierte für eine TV-Doku­men­ta­tion über die Arbeit am Schwe­fel­see. Von den 900 Euro Lohn hat er sich ein Haus in Bany­u­wangi gekauft. Viel übrig ist wohl nicht mehr, denn sein lin­ker Gum­mi­stie­fel ist zer­ris­sen und für Neue reicht das Geld nicht. 1kg Schwe­fel bringt nur 780 Rupiah (0,05 Euro). Übrig ist dafür der Stolz auf die ehr­li­che Arbeit und die Stärke der Män­ner aus Bany­u­wangi: es herrscht Anpa­cker-Arbeits­stim­mung, jeder grüßt uns „Sel­a­mat pagi“ (Guten Mor­gen), warnt vor beson­ders rut­schi­gen Stel­len mit „Hati Hati“ (Vor­sicht) und „Pelan Pelan“ (Lang­sam). Je näher wir dem Kra­ter kom­men, desto ner­vö­ser werde ich. Ab und zu kommt uns eine stin­kende Schwe­fel­wolke ent­ge­gen, die sich glück­li­cher­weise rasch ins Tal ver­flüch­tigt. Der Schwe­fel riecht nicht nur unge­sund, er ist es auch.

Arbeiter am Ijen

Als wir den Kra­ter­rand erbli­cken, wär­men uns bereits die ers­ten Son­nen­strah­len. Ehr­fürch­tig nähere ich mich dem Kra­ter, des­sen Dimen­sion mich schier über­wäl­tigt. Der tür­kise Kra­ter­see strahlt mit dem schlumpf­blauen Him­mel um die Wette. Weiße Rauch­wol­ken paf­fen fried­lich gen Him­mel. Und nur der gift­gelbe Farb­klecks lässt erah­nen, dass wir hier kei­nen nor­ma­len See vor­fin­den: die Schwe­fel­quelle gur­gelt ruhig vor sich hin.

Krater

You wanna go down?“ holt mich Adis ins Hier und Jetzt zurück. Fas­zi­niert bli­cke ich in den Kra­ter hin­ein. An einer steil abfal­len­den Fels­wand kra­xeln die Arbei­ter zur Quelle hin­un­ter. Neu­gierde und Aben­teu­er­lust sind groß, also schaue ich am Schild „DANGER! It is pro­hi­bi­ted to go down to the cra­ter!“ vor­bei. Ent­lang der Kra­ter­wand win­det sich ein stei­ler Fels­pfad. An man­chen Stel­len ist er so schmal, dass sich Staus bil­den- denn die ent­ge­gen­kom­men­den Arbei­ter mit schwe­rer Last haben Vor­fahrt. Von Fels zu Fels han­geln wir uns nun der Quelle ent­ge­gen. In den Abgrund schaue ich erst  gar nicht, damit ich nicht ans Abstür­zen denke. An einem brei­ten Fels­vor­sprung knip­sen wir mun­ter ein paar Bil­der, alles scheint in Ordnung.

Schwefelquelle

Das ändert sich aller­dings schlag­ar­tig ein paar Meter wei­ter. Wir sind nah an der Quelle, als der Rauch plötz­lich zunimmt, dich­ter wird, dunk­ler. Bin­nen von Sekun­den ste­hen wir in einer dicken, schwar­zen Schwe­fel­wolke. Mich ergreift Panik. Die Augen begin­nen zu Trä­nen, die Lunge brennt mit jedem Atem­zug, ich ziehe mir mein Hals­tuch hek­tisch vor den Mund. Japse nach Luft. Ali eilt her­bei und kippt Was­ser über mein Hals­tuch. Das hilft zwar, aber in mei­nem Kopf sprin­gen schon Gedan­ken­flum­mis unkon­trol­liert auf und ab. Das Kopf­kino ist in vol­lem Gange: Wie lange kann ich im Schwe­fel­rauch aus­har­ren? Was pas­siert, wenn ich hier bewusst­los werde? Werde ich jetzt blind? Oder kann ich hier sogar ster­ben?  Was ratio­nal oder irra­tio­nal ist ver­mag ich nicht mehr zu unter­schei­den- ich will nur noch weg: „Ich gehe wie­der raus!“ Ste­fan will aller­dings wei­ter. Also greife ich hek­tisch nach unse­ren Staub­mas­ken, schmeiße ihm die Packung ent­ge­gen. Unsere Was­ser­fla­sche auch. Und dann krab­bel ich wie von der Taran­tel gesto­chen hoch. Ein paar Meter wei­ter sitzt eine junge Tou­ris­tin am Boden, japst nach Luft, hus­tet, keucht laut, spukt stau­bige Spuke. Meine letzte Maske gebe ich ihr, Adis greift ihr unter die Arme. Aber sie ruft nur „I can not brea­the.“ Ich schaue in den Him­mel, die Sonne ist nur noch ein roter Feu­er­ball, der am Hori­zont brennt. Das Blau des Him­mels ver­wun­den. Der Rauch ver­ne­belt die Sicht, die trä­nen­den Augen hel­fen nicht gerade bei der Ori­en­tie­rung. Also klet­tere ich auf allen Vie­ren. Als meine Panik weicht, über­kommt mich eine rie­sige Angst um Ste­fan. Unten im Kra­ter hatte ich kei­nen Nerv für eine Dis­kus­sion. Da war der Flucht­in­stinkt domi­nant. Jetzt frage ich mich, ob es ein Rie­sen­feh­ler war, ihn zie­hen zu las­sen. Ner­vös warte ich am Kra­ter­rand, beru­hige mich damit, dass die Arbei­ter ihn tra­gen könnten…

Zum Glück müs­sen sie das nicht.

Schwarzer Rauch zieht auf

Geschafft!

Cate­go­riesIndo­ne­sien
Aylin & Stefan Krieger

Aylin & Stefan waren mal 1,5 Jahre auf Weltreise. Das reicht ihnen aber nicht. Stefan sucht Abenteuer. Aylin liebt die Freiheit unterwegs. Darum zieht es sie immer wieder raus in die weite und nahe Welt. Ihre Sicht der Dinge gibt es dann auf Today We Travel. In Wort & Bild. Subjektiv. Ehrlich.

  1. *be says:

    Ich war im Dezem­ber da, aller­dings schon um 4 Uhr mor­gens in kom­plet­ter Dun­kel­heit, um das Blue Fire zu sehen. Unser Füh­rer, der kein Wort Eng­lisch sprach ging auch mit uns den Kra­ter hin­un­ter. Die Luft war extrem, aber aus­zu­hal­ten bis plötz­lich eine rie­sige Schwe­fel­wolke aus dem Kra­ter kam, eine Panik aus­brach und ich wirk­lich sagen muss, dass wir extre­mes Glück hat­ten, dass wir alle schnell genug her­aus­ge­kom­men sind. Wäre jemand gestürzt, wäre er glaube ich erstickt, da war nie­mand der hätte hel­fen kön­nen… Auch wenn es aben­teu­er­lich ist, kann ich nur emp­feh­len nicht in den Kra­ter zu steigen.

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