Nacktscanner Cook Islands

Wenn man sich im Flie­ger auf die Cook Islands umsieht, trifft man vie­les: wie­der ein­mal zahl­rei­che Deut­sche, Paa­re Mit­te 50 mit Gür­tel­ta­schen und Hawaii­hemd, frisch ver­hei­ra­te­te Pär­chen, die es kaum erwar­ten kön­nen, ihren Bett­la­ken­schwan im 5 Ster­ne-Resort zu zer­wüh­len. Und dann war da ich. Unglück­lich als wür­de ich einer Zukunft auf Alca­traz und Rob­ben Island zusam­men ent­ge­gen flie­gen.

Man hat gelernt sich nicht zur Vor­freu­de zu zwin­gen in sol­chen Momen­ten. Weil es nicht funk­tio­niert. Man reist seit nun­mehr fast sechs Mona­ten und wer das nicht selbst getan hat, kommt nicht umhin die­ses Ver­hal­ten als undank­bar, Lei­den auf hohem Niveau und unan­ge­bracht zu bezei­chen. Und jeder tut rich­tig dar­an. Es ist aber auch so, dass man sich nach sechs Mona­ten ab und an in Momen­ten ver­liert, in denen man mehr zurück als nach vorn schaut, in denen man Men­schen will und kei­ne Orte, in denen das Wei­ter­zie­hen tem­po­rär ver­hasst ist wie 7 hung­ri­ge Mücken und 7 aus­dau­ern­de Schnar­cher in einer Dorm­nacht auf ein­mal. Und das ist nicht gut und auch nicht schlecht. Das ist ein­fach so.

045

Und dann stand man da, mor­gens sechs Uhr auf Raroton­gas Flug­ha­fen und mäch­ti­ge Män­ner mit mik­ri­gen Uku­le­len bestä­ti­gen nächt­li­che Urlaubs­re­por­ta­gen auf Phoe­nix. Der Flug­ha­fen kommt in sei­ner Grö­ße etwa der Küchen­ab­tei­lung im kleins­ten vor­stell­ba­ren Ikea gleich. Uku­le­len­män­ner, Blu­men­ket­ten­frau­en – Cook Islands also. Raroton­ga ist die Rush Hour der Cook Islands. Als größ­te Insel pul­siert hier im Ver­gleich zu den klei­ne­ren Inseln der Cooks das Leben. Das bedeu­tet nicht mehr als dass es eine Stra­ße gibt, die kreis­för­mig die Insel umrun­det und auf der stünd­lich ein Bus in bei­de Rich­tun­gen vor­bei­bremst. Rasen wäre hier völ­lig unan­ge­mes­sen. Ich gebe mein bes­tes und ver­su­che den Slow Moti­on Rhyth­mus der Insel in mich aus­zu­sau­gen. Für den Kaf­fee am Mor­gen brau­che ich in den fol­gen­den Tagen drei Stun­den – vom Ent­schluss Kaf­fee zu kochen bis zum Spüh­len der Tas­se. Ich bin stolz dar­auf.

169

Das Hos­tel liegt direkt am Strand. Die Olym­pi­schen Spie­le wir­ken hier dank der Gries­brei­emp­fangs­qua­li­tät wie eine Doku­men­ta­ti­on über die Spie­le zu Blü­te­zei­ten Athens. Und 50MB Inter­net kos­ten hier 15Dollar. Aber die Men­schen sind gut. Jeder winkt von sei­nem Rol­ler und lächelt. Wer hier ernst guckt, muss gro­ße Pro­ble­me haben. Wäh­rend man also auf Raroton­ga neben den erblin­dend tür­kis far­be­nen Strän­den aller­lei Men­schen­kon­takt hat, nachts im Sand unter den Ster­nen schläft, neue Pal­men­blät­ter ins Strand­la­ger­feu­er wirft, mit lieb gewon­ne­nen drei­bei­ni­gen Hun­den um sei­nen Platz auf der Decke im Sand kämpft (erfolg­los) oder nachts von der Town (3 Bars) zum ers­ten Mal im Leben zum Hos­tel trampt (erfolg­reich), denn die Insel zu umrun­den sind immer­hin doch 32km, war­tet mit Aitu­ta­ki der Nackt­scan­ner für See­len auf mich.

043

Der Flug erin­nert ein biss­chen an Kai Pflau­me. Alles ist so sur­re­al und Sonn­tag­abend­weh­mü­tig, dass man erwar­tet, gleich wird Olaf-Tor­ben von sei­ner Sil­ke über­rascht, die dölf­hun­dert Blu­men­ket­ten quer über die Insel in Herz­form gelegt hat. – Mei­ne Fern­seh­kon­sum­ver­gan­ge­nen­heit holt mich immer wie­der ein. Wie auch immer. Ich habe Sitz 1A. Und das ist er auch. Mei­ne Kame­ra schielt die gesam­ten 50 Flug­mi­nu­ten aus dem Fens­ter. Meer, Meer, Meer und dann: Pal­men, so vie­le dass man nur schwer Sand­bo­den sehen kann. Wir lan­den. Der Flug­ha­fen erin­nert in sei­ner Grö­ße nun nur noch an einen die­ser blau­en Ikea-Tüten. Den­noch: Blu­men­ket­ten­frau­en und pfun­di­ge Uku­le­len­män­ner. Auch das Tem­po ist hier noch ein­mal mehr gedros­selt. Raroton­ga ist der Usain Bolt der Cooks im Ver­gleich. Ich pas­se mich dem an. Mei­ne Schild­drü­sen­un­ter­funk­ti­on kommt mir dabei zu Gute.

120

Im Guest­house ange­kom­men, stel­le ich zufrie­den fest, dass ich der ein­zi­ge Gast bin. Gut so, ich bin so unschlag­bar im Men­schen-Ver­mis­sen. Und das tue ich gera­de sehr. Also brau­che ich nicht noch mehr Men­schen, die ich ohne­hin bald erneut ver­mis­sen wer­de. Ich habe ein Dop­pel­bett und kei­ne Dorm­ge­nos­sen. Mein Rücken und mei­ne Ohren sind im Para­dies. Wären da nicht die Häh­ne, die jeden Mor­gen in einer Laut­stär­ke krä­hen als woll­ten sie Men­schen in Grön­land wecken. Die fol­gen­den Tage umrun­de ich die Insel mit dem Fahr­rad, schleu­se mich erfolg­reich als ver­meint­li­cher 5‑S­ter­ne-Hotel­gast auf klei­ne eige­ne Inseln, peit­sche mei­ne Pig­men­te zum Haut­typ Schwarz­afri­ka­ne­rin oder stür­ze mich mühe­los in finan­zi­el­le Unkos­ten: Burger=8Dollar, Internet=15Dollar. Was ich aber vor allem mache, ist in einer Wei­se allein sein, wie man es wohl irgend­wann im Leben mal sein soll­te. Den gesam­ten Tag an einem ein­sa­men Strand zu ver­brin­gen, zieht einem die emo­tio­na­len Schu­he aus. Was war damit wur­de, was ist? Was war gut? Was soll nie wie­der sein? Wer will ich sein und wenn ja, wo? Aitu­ta­ki zer­schlägt mich in tau­send Tei­le und ich ver­brin­ge die Tage damit, mich wie­der zusam­men­zu­bas­teln, Stück für Stück. Ab und zu kom­men klei­ne Jungs vor­bei und angeln ein paar Fische. Ab und zu krie­chen ein paar Muscheln vor­bei. Ab und zu weiß ich was ich will. Ab und zu weiß ich dass ich nicht weiß was ich will. Ab und zu dre­he ich mich in der Son­ne lie­gend um gleich­mä­ßig zu ver­bren­nen. Man muss das aus­hal­ten kön­nen. Man kann das ler­nen. Oder man kapi­tu­liert für einen Tag und kauft sich für 36 Dol­lar 150MB Inter­net. Dort im Post Office trifft man beim Sur­fen dann auch gleich wie­der fünf Deut­sche und mag dann doch wie­der zurück zum Grü­beln an den Strand.

036 (3)

Aitu­ta­ki ist ein Nackt­scan­ner für die See­le. Manch einer kommt lachend hier­her und erhält sich das, manch einer fällt unbe­darft hier ein und merkt, erst ein­mal auf sich selbst zurück­ge­wor­fen, dass da doch die eine oder ande­re Flüs­sig­keit mit mehr als 100ml abge­ge­ben wer­den muss und manch einer kommt trau­rig hier an, wird tage­lang zum alter­na­tiv­lo­sen Grü­beln gezwun­gen, und ver­lässt die Insel mit einem kla­re­ren Kopf. Vor allem aber mit Bil­dern von einem Tür­kis, dass sich durch die Pupil­len direkt in die Hirn­rin­de brennt, und das auf Lebens­zeit.

074 071 082 084

Erschienen am



Antworten

  1. Avatar von Torsten
    Torsten

    Super Arti­kel – man kann es gar nicht bes­ser for­mu­lie­ren! Bei mir ist es jetzt schon 17 Jah­re her und damals bin ich auch allei­ne in ein­fa­chen Unter­künf­ten auf den den »cooks« unter­wegs gewe­sen. Ein­fach ein unver­gess­li­ches Erleb­nis auf Aitu­ta­ki! Zum Glück scheint sich dort also in all den Jah­ren nichts geän­dert zu haben…

  2. Avatar von Bernward Kullmann
    Bernward Kullmann

    Gre­at, so habe ich mir das in etwa vor­ge­stellt. Möch­te dort unbe­dingt bald hin, ahbe aber noch kei­nen gefun­den, der oder die mit­kommt, des­halb stel­le ich mich lang­sam aber sicher aufs allei­ne Rei­sen im Dez/​Jan 2014/​2015 ein..

    Ber­nie

  3. Avatar von Daniel
    Daniel

    Dan­ke für dei­nen Bericht. Er macht rich­tig Hun­ger aufs Rei­sen, aufs Rei­sen allein in die Süd­see, aufs Rei­sen zum Nach­den­ken

    glg Dani­el

  4. Avatar von Lorenz
    Lorenz

    Allein sein bedeu­tet unheim­lich viel zeit zu haben, über sich, fami­lie, freun­de und ande­re wesent­li­che din­gen nach­zu­den­ken <3

  5. Avatar von Tobi

    Rich­tig schö­ner Arti­kel 🙂 Allei­ne sein kann nicht immer ein­fach sein, aber ich glau­be die Gedan­ken so nie­der­zu­schrei­ben hilft unge­mein 😉

  6. Avatar von Caroline

    http://www.quadraturderreise.de wur­de gesperrt? Wie­so das? Ich ken­ne den Blog erst seit ges­tern und woll­te ihn noch lan­ge wei­ter­le­sen. Welch Jam­mer.

  7. Avatar von Jonny

    Super geschrie­ben!!

  8. Nacktscanner Cook Islands

    […] Wenn man sich im Flie­ger auf die Cook Islands umsieht, trifft man vie­les: wie­der ein­mal zahl­rei­che Deut­sche, Paa­re Mit­te 50 mit Gür­tel­ta­schen und Hawaii­hemd, frisch ver­hei­ra­te­te Pär­chen, die es kaum erwar­ten kön­nen, ihren Bett­la­ken­schwan im 5 Ster­ne-Resort zu zer­wüh­len. Und dann war da ich. Unglück­lich als wür­de ich einer Zukunft auf Alcat… Rei­se­de­pe­schen […]

  9. Avatar von Alex

    Vie­len Dank für dei­nen super­schö­nen Bericht. Ein Traum…

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert