„Willst Du mich wie einen Schlapp­schwanz daste­hen las­sen“, brüllt er mich an. „Ich lass mir doch nichts vor­schrei­ben“, denke ich zurück. Was man als patente Frau im West­jor­dan­land alles falsch machen kann.

Die­sig kriecht die Sonne über die Dächer der Alstadt Jeru­sa­lems als ich mich mit dem deut­schen Inge­nieur am Bus­bahn­hof treffe. Er ist weit gereist und hat einige Erfah­rung mit den Sit­ten in ara­bi­schen Län­dern. Der ideale Gefährte also, um spon­tan von der Alt­stadt Jeru­sa­lems „rüber zu machen“ in die besetz­ten Gebiete.

Die Fahrt nach Beth­le­hem dau­ert keine 20 Minu­ten. Im Bus schwat­zen ältere mus­li­mi­sche Frauen leise mit­ein­an­der. Ein paar Arbei­ter dösen, ihre Köpfe dot­zen bei jedem Schlag­loch an die Fens­ter­schei­ben. Die Pass­kon­trolle an der Mauer – viel mas­si­ver und erdrü­cken­der die in Ber­lin – ver­läuft ohne Zwi­schen­fälle. Wir sind drin.

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Beth­le­hem, das ist West Bank light, was für die Tou­ris. Sau­bere Stra­ßen, Sou­ve­nir-Stände auf dem Platz vor der Geburts­kir­che, viele deut­sche Paare um die 40 – er im obli­ga­to­ri­schen schwar­zen Jack-Wolfs­kin-Wind­brea­ker, sie trägt das Damen­mo­dell in lila. Die Fas­sa­den sind sau­ber, die Men­schen freund­lich, wenn auch reli­giös etwas frag­wür­dig. Gerade die Besu­cher aus den Ver­ei­nig­ten Staa­ten mit ihren Asche­kreu­zen auf der Stirn. Aber ich mische mich da nicht ein.

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Ein Taxi bringt uns zur Mauer, zu den Graf­fi­tis – Wand­bil­der, einst gesprayt mit Pathos, jetzt von den Abga­sen ganz grau vor Resi­gna­tion. Wir knip­sen ein paar Bil­der, las­sen uns vor der Beton­wand mit gestell­tem Lächeln foto­gra­fie­ren. Das übli­che. Ich gehe alleine zurück zum Auto und setze mich vorne neben den Taxi­fah­rer. Der schaut irritiert.

Als meine Beglei­tung auch zurück­kehrt, ver­steht der die Welt nicht mehr. Ob ich ihn wie einen Schlapp­schwanz daste­hen las­sen wolle, fragt er mich. Nein … aber … meine linke Augen­braue wan­dert Rich­tung Haar­an­satz. Er erklärt mir recht bestimmt, dass hier im Auto der Mann vorne sitzt, Frauen neh­men hin­ten Platz. Und ein­fach mal locker mit dem Fah­rer quat­schen, ist auch nicht. Ich tue sein Gerede als das eines Kerls mit schlap­pem Schwanz ab und bleibe vorne sit­zen. So.

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In Hebron, eine halbe Stunde Bus­fahrt wei­ter süd­lich, mache ich gen­der­tech­nisch auch alles falsch. Ich trage keine Kopf­tuch, dafür aber Hosen. Ich gehe zu schnell, und ich frage Pas­san­ten forsch nach dem Weg. Da kaum Frauen auf der Straße unter­wegs sind, spre­che ich zwangs­läu­fig Män­ner an. Einer, klein und hager mit müden Augen, stam­melt ein paar eng­li­sche Bro­cken. Ich hake nach, er wird sicht­lich ner­vös. Dann zerrt mich mein Beglei­ter weg. Ers­tens: Ich könne nicht ein­fach drei Schritte vor ihm lau­fen, eine Frau läuft hier hin­ter dem Mann. Und zwei­tens: Eine Frau spre­che nicht ein­fach wild­fremde Män­ner auf der Straße an. Das gehöre sich nicht.

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Was sich nicht gehört, denke ich mir, ist mich in mei­ner Selbst­be­stimmt­heit zu beschnei­den. Natür­lich denke ich das nicht wort­wört­lich. Meine Gedan­ken fol­gen ja nicht Alice Schwar­zers Kugel­schrei­ber, wenn sie Phra­sen für die nächste ARD-Talk­runde in ihr lila Notiz­buch krit­zelt. Eigent­lich denke ich mir „F*** dich halt mal mit dei­nem Macho­ge­la­ber“. Der Rest des Tages schwei­gen wir.

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Jetzt, fast zwei Jahre nach die­ser Reise, muss ich noch immer an diese Situa­tio­nen den­ken. Eigent­lich hatte mein Beglei­ter ja recht. Wenn man ein frem­des Land besucht, muss man sich den Sit­ten und Gepflo­gen­hei­ten dort anpas­sen, muss man sen­si­bel sein für die Kul­tur, die so anders ist als die zuhause.

Muss man? Oder soll man, gerade wenn man fremd ist, das auch zei­gen und so recht­fer­ti­gen, dass man sich nicht an die Regel hal­ten kann, weil man sie schlicht­weg nicht kennt?

Cate­go­riesPaläs­tina
Pia Röder

Es beginnt mit einem Kribbeln in den Kniekehlen. Es wandert die Waden hinab zu den Füßen. Sie krampfen und zittern, sie bitzeln bis in den kleinen Zeh. Das sind die ersten Symptome von Fernweh. Bei manchen ist es akut, bei Pia chronisch. Es packt sie und sie muss wieder los. Ihr Leiden hat sie bisher monatelang durch ihre zweite Heimat Argentinien geführt, hoch bis nach Caracas getrieben und blind über den Atlantik segeln lassen. Es zwang sie nachts in der jordanischen Wüste zum Beduinen-BBQ und peitschte sie tausende Kilometer durch Osteuropa. Aber sie will nicht jammern. Sie leidet an der schönsten Krankheit der Welt – und schreibt über ihre Methoden zur Fernwehbewältigung.

  1. Wenn Dein Beglei­ter Dein ara­bi­scher Mann wäre, würde ich zustim­men dass die Dich an diese Regeln hal­ten müss­test. Dass er aber als Deut­scher(!) ver­langt dass du im Taxi hin­ter ihm sitzt und hin­ter ihm läufst finde ich dane­ben – da geht es ihm nur um sein Ego, denn ich denke nicht dass Ein­hei­mi­sche erwar­ten dass sich ein deut­sches Touristen„paar“ an sol­che stren­gen Regeln hält. Dass natür­lich Kör­per­kon­takt, enganliegende/kurze Klei­dung usw. ein no-go sind sollte klar sein.

    Als ich län­ger alleine durch Marokko gereist bin habe ich mich manch­mal ganz schon ver­rückt gemacht vor lau­ter Angst, mich gegen­über Ein­hei­mi­schen falsch zu ver­hal­ten. Letzt­end­lich muss ich sagen dass die Leute viel tole­ran­ter und offe­ner waren als ich vor­her dachte und ich wohl nicht immer so über­vor­sich­tig agie­ren hätte müs­sen. Auch was in Rei­se­füh­rern an Ver­hal­tens­re­geln steht ist manch­mal über­trie­ben – im Bus wur­den fremde Män­ner neben mich gesetzt als wäre es das nor­malste der Welt, und ich hatte nie den Ein­druck dass ein Mann pikiert war wenn ich ihn auf der Straße ange­spro­chen habe – im Gegen­teil, gerade gegen­über mir als allein­rei­sende Frau habe ich die Marok­ka­ner als sehr beschüt­zend und hilfs­be­reit erlebt.

  2. Stefanie says:

    Schwie­rige Frage, beson­ders als allein rei­sende Frau. An eine sol­che Kul­tur kann frau sich schwer anpas­sen. Schließ­lich dür­fen die Frauen frem­den Män­nern in auch nicht in die Augen schauen. Ich finde es eine Extrem­erfah­rung, bei der man immer mit den Kon­se­quen­zen der Nicht­an­pas­sung umzu­ge­hen hat. Ich hatte irgend­wann mal (nach Oasen­reise durch Ägyp­ten) beschlos­sen, nur noch dort­hin zu fah­ren, wo ich mich auch unter­hal­ten kann und damit eine „Tar­nung“ habe, je nach Stärke des Akzents :) Das schränkt mei­nen Radius aber auch sehr ein :)

  3. Martin says:

    Grund­sätz­lich denke ich ist es schon ange­bracht sich an die Gepflo­gen­hei­ten des Lan­des anzu­pas­sen – schliess­lich ist man der Gast. Gleich­zei­tig darf man aber auch etwas Kulanz erwar­ten, schliess­lich ist man der Gast :-). Ich denke immer: Leben und leben las­sen – solange nie­mand dar­un­ter leidet.

  4. Alex says:

    Ich finde schon, daß man sich in frem­den Län­dern an deren Regeln hal­ten sollte. Vie­les ist schließ­lich kul­tu­rell ver­an­kert und als Tou­ris sind wir immer noch Gast…

    Liebe Grüße

    Alex

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