Medellín: Ewiger Frühling im Schatten Pablo Escobars

Me·ta·mor·pho·se, die; Meta­mor­pho­se, Meta­mor­pho­sen; (geh.) die Wand­lung von etwas (in eine ande­re Gestalt oder in einen ande­ren Zustand)

Jeden Abend zwi­schen zehn und elf Uhr erwacht der Pate von Medel­lín wie­der zum Leben. Das kolum­bia­ni­sche Pri­vat­fern­se­hen wie­der­holt gera­de, pünkt­lich zum 20. Todes­tag der Haupt­fi­gur, die popu­lä­re Serie Pablo Esco­bar – Patron des Bösen.

In über 110 Fol­gen wird hier erzählt, wie aus dem Sohn eines kolum­bia­ni­schen Vieh­züch­ters einer der mäch­tigs­ten Dro­gen­bos­se der Welt wur­de. In den 1970er Jah­ren bau­te Esco­bar in sei­ner Hei­mat­stadt Medel­lín sein Dro­gen­im­pe­ri­um auf. Ende er 80er Jah­re war Esco­bar laut dem For­bes Maga­zin der siebtreichs­te Mann der Welt und kon­trol­lier­te 80 Pro­zent des inter­na­tio­na­len Koka­in­mark­tes.

P1390579_1050x1400

Man sagt über Pablo Esco­bar, dass er den Dro­gen­han­del per­fek­tio­niert und indus­tria­li­siert haben soll. Auch erzählt man sich, dass Esco­bar sein vie­les Geld gar nicht mehr zäh­len konn­te. Er ließ es der Ein­fach­heit hal­ber nur noch wie­gen.

Am Ein­gang sei­ner rie­si­gen Haci­en­da Nápo­les nahe sei­nes Hei­mat­or­tes steht, einem natio­na­len Denk­mal glei­chend, das Sport­flug­zeug, mit dem er die ers­te Ladung Koka­in in die USA schmug­gel­te. Am Ende sei­ner frag­wür­di­gen Kar­rie­re haben ihm Sport­flug­zeu­ge nicht mehr gereicht. In einer umge­bau­ten Boe­ing 727 ließ er zehn Ton­nen Koka­in auf ein­mal in die USA expor­tie­ren.

Anfang der 90er Jah­re erreich­te der Dro­gen­krieg in Medel­lín sei­nen Höhe­punkt. Im Schnitt wur­den täg­lich 20 Men­schen ermor­det. Medel­lín galt als eine der gefähr­lichs­ten Städ­te der Welt. Im Dezem­ber 1993 wur­de Esco­bar auf der Flucht erschos­sen. An sei­ner Beer­di­gung nah­men über 20.000 Men­schen teil. Zu Leb­zei­ten ließ Esco­bar fast 500 Poli­zis­ten und 30 Rich­ter ermor­den.

P1390279_1400x1050

Heu­te, zwei Jahr­zehn­te spä­ter, sind in Kolum­bi­ens zweit­größ­ter Stadt die Spu­ren von Pablo Esco­bar noch immer sicht­bar. Tou­ris­ten las­sen sich zu den wich­tigs­ten Sta­tio­nen in Esco­bars Leben füh­ren und ler­nen dabei sogar des­sen älte­ren Bru­der Rober­to ken­nen. Im Inter­net kau­fen sie dann T‑Shirts mit dem Kon­ter­fei des Dro­gen­ba­rons. Ver­kauft von sei­nem Sohn Juan Pablo, der unter fal­schem Namen in Bue­nos Aires lebt. Für das Armen­vier­tel Bar­rio Pablo Esco­bar ist der Dro­gen­pa­tron Namens­ge­ber.

Die Bewoh­ner Medel­líns sind ver­är­gert, wenn man über den wohl berühm­tes­ten Sohn der Stadt spre­chen möch­te. Jeder hat hier, so heißt es, eine Geschich­te über ihn zu erzäh­len. Doch nie­mand möch­te – zu frisch sind die Erin­ne­run­gen an die wohl dun­kels­te Zeit in Medel­lín.

P1390357_1400x1050

Trotz­dem: Fast die gesam­te heu­ti­ge Mit­te-30er-Gene­ra­ti­on hat Kin­der­fo­tos aus dem Zoo in ihrem Foto­al­bum kle­ben. Erin­ne­run­gen, geschos­sen auf dem Land­sitz Esco­bars, wohin der Kopf des Medel­lín-Kar­tells die ver­schie­dens­ten Tier­ar­ten für sei­nen per­sön­li­chen Zoo ein­flie­gen ließ.

Inzwi­schen gilt Medel­lín nicht mehr als gefähr­lichs­te Stadt der Welt. Medel­lín hat sich gewan­delt. Erst kürz­lich erhielt die Stadt vom Wall Street Jour­nal den Titel Inno­va­tivs­te Stadt der Welt; noch vor der Kon­kur­renz aus New York und Tel Aviv.

Medel­lín hat sich gewan­delt, weil es die Ver­än­de­rung such­te. Man möch­te das Stig­ma Esco­bar end­lich hin­ter sich las­sen. 25 bis 30 Pro­zent sei­ner Aus­ga­ben steckt die Stadt in Kul­tur, Erzie­hung und Sozia­les. Zahl­rei­che Biblio­the­ken, Spiel­plät­ze und Parks ließ die Stadt­ver­wal­tung in die soge­nann­ten Pro­blem­vier­tel set­zen. Die Stadt ist Sitz von sechs Uni­ver­si­tä­ten. Gera­de in Kolum­bi­en sind die­se Zah­len her­aus­ra­gend. Im Kampf gegen die Gue­ril­la wird hier näm­lich lie­ber in die Armee und die Poli­zei inves­tiert.

Die Paisas, die Bewoh­ner der Regi­on Antio­quia, sind stolz auf ihre Haupt­stadt Medel­lín. Sie gilt als eine der fort­schritt­lichs­ten Städ­te Kolum­bi­ens. Die über­ir­di­sche Schnell­bahn, die Metro, gehört zu den moderns­ten Nah­ver­kehrs­zü­gen Latein­ame­ri­kas. An der Hal­te­stel­le Ace­ve­do kann man in die Gon­del­bahn umstei­gen und über die unver­putz­ten Zie­gel­häu­ser des Armen­vier­tels San­to Dom­in­go glei­ten. Eine Neue­rung, die vor allem den Bewoh­nern der hoch oben auf den Hügeln gebau­ten Vier­tel den All­tag erleich­tern soll.

P1390557_1400x788

Der berühm­tes­te Sohn der Stadt soll nicht mehr Pablo Esco­bar hei­ßen. Wie wäre des denn mit Fer­nan­do Botero? Den wohl tou­ris­tischs­ten Platz der Stadt, die Pla­zo­le­ta de las Escul­turas, zie­ren 23 gro­ße Bron­ze­sta­tu­en des kolum­bia­ni­schen Künst­lers, der ein Freund und Ver­fech­ter der üppi­gen Mas­se ist.

Zwi­schen all den posie­ren­den Tou­ris­ten ver­kau­fen hier mobi­le Ver­käu­fer alles, was das Tou­ris­ten-Herz begehrt. Stroh­hü­te, unrei­fe Man­gos in Schei­ben geschnit­ten und mit Salz, Pfef­fer und Zitro­nen­saft gewürzt oder aber kal­te Geträn­ke.

P1390522_1400x1050

P1390286_1400x788

Das kul­tu­rel­le Ange­bot in Medel­lín beein­druckt mich. Es lau­fen gan­ze acht Fes­ti­vals gleich­zei­tig, lese ich an einer der vie­len Info-Tafeln in der blitz­blan­ken Metro­sta­ti­on. Musik, Poe­sie, Klein­kunst, Lite­ra­tur, Unter­hal­tung für Kin­der und Fami­li­en, Foto­gra­fie.

Die meis­ten kul­tu­rel­len Ver­an­stal­tun­gen sind kos­ten­frei und fin­den unter frei­em Him­mel statt.

Drau­ßen. Das ist über­haupt das Stich­wort der Stadt. Das Leben ist auf den unzäh­li­gen schö­nen Plät­zen und Parks der Stadt zu fin­den. Und dabei han­delt es sich nicht im jenes gezwun­ge­ne Drau­ßen-Sein, weil es Drin­nen heiß und sti­ckig ist. Hier in Medel­lín, der Stadt des ewi­gen Früh­lings, wie die Bewoh­ner sagen, ist man drau­ßen, weil es drau­ßen ein­fach gera­de­zu per­fekt ist.

P1390372_1400x1050

Die Stadt des ewi­gen Früh­lings wür­den wir Mit­tel­eu­ro­pä­er wohl eher als die Stadt des ewi­gen Som­mers bezeich­nen. Das gan­ze Jahr über herrscht tags­über eine kon­stan­te Tem­pe­ra­tur von 27 Grad. Die Son­ne scheint. Das Leben ist schön.

Regen gibt es kaum. Und wenn, dann ist er nicht von Dau­er. Wenn es hier mal eine Stun­de am Stück reg­net, gucken die Paisas ver­dutzt in den Him­mel.

Im Bota­ni­schen Gar­ten lie­gen die Stu­den­ten lesend im Gras, Pär­chen tum­meln sich neben­an tur­telnd auf den Schrä­gen des Par­que De Los Dese­os, Musik­stu­den­ten klim­pern und zup­fen gemein­sam an ihren Instru­men­ten. Kin­der spie­len auf dem Spiel­platz, wäh­rend die Eltern ent­spannt in der Son­ne lie­gen. Nachts wer­den hier Fil­me auf eine gro­ße Wand pro­ji­ziert.

P1390432_1400x788 P1390434_1400x788 P1390445_1400x788

Der Par­que Peri­odista ist genau wie in Kolum­bi­ens Haupt­stadt Bogo­tá der offi­zi­ell inof­fi­zi­el­le Kif­fer-Treff­punkt, nur dass er hier nicht aus einer grü­nen Wie­se mit vie­len Jugend­li­chen, son­dern aus eini­gen Holz- und Stein­bän­ken mit frag­wür­di­gen Gestal­ten besteht.

In der Alt­stadt ist der Par­que de Boli­var mor­gens Treff­punkt der Rent­ner und am Nach­mit­tag Pil­ger­ort der Trans­ves­ti­ten.

P1390591_1400x1050P1390530_1400x788

Nach einem Rund­gang durch die geschäf­ti­ge Innen­stadt kann man sei­ne Füße im Par­que de los Pies Des­cal­zos, dem Bar­fuß-Park, auf Fuß­re­flex­zo­nen-Mas­sa­ge-Rund­we­gen oder bei einem erfri­schen­den Fuß­bad ent­span­nen. Neben­an wird gera­de eine Büh­ne auf­ge­baut. Für eines von drei Kon­zer­ten, das heu­te in der Stadt gespielt wird.

Im Museo Inter­ac­tivo wer­den wir wie­der zu gro­ßen Kin­dern und ver­brin­gen unge­plant tat­säch­lich den gan­zen Tag in dem rie­si­gen Gebäu­de. In unzäh­li­gen Expe­ri­men­ten kann man hier tes­ten, wie flott sein Gehirn funk­tio­niert, wie schnell man lau­fen, wie laut man schrei­en, wie kom­plex man den­ken und bei wel­cher Wind­stär­ke man nicht mehr ste­hen kann.

Medel­lín hat nicht nur die groß­ar­ti­ge Idee der Ein-Mann-Sitz­bank erfun­den (es muss ja nicht immer gesel­lig sein), son­dern erfreut uns auch noch mit Ein­woh­nern, die offe­ner, freund­li­cher und extro­ver­tier­ter sein sol­len, als im Rest des Lan­des. Fragt man hier mal nach dem Weg, wird einem nicht nur eine kur­ze Erklä­rung ent­ge­gen gegrum­melt. Aus­nahms­los alle Men­schen haben für uns ihre ursprüng­li­che Ziel­rich­tung geän­dert und uns plau­dernd bis zu unse­rem Ziel beglei­tet.

P1390458_1400x1050

Die­se Freund­lich­keit muss wohl auch an dem guten Essen lie­gen. Ein typi­sches Paisa-Früh­stück sieht in unse­ren Augen aus wie ein def­ti­ges Mit­tag­essen für zwei Per­so­nen. Nur, dass dazu eine hei­ße Tas­se Kakao gereicht wird.

Doch das berühm­tes­te Gericht aus der Gegend ist nicht etwa das Früh­stück, son­dern die hoch­ge­lob­te und heiß umwor­be­ne Ban­de­ja Paisa. Ein Tel­ler rand­voll gefüllt mit Rin­der­hack, Wurst, gebra­te­nem Schwei­ne­bauch, roten Boh­nen, Reis, gebra­te­ner Bana­ne, der unum­gäng­li­chen Are­pa, Spie­gelei und Avo­ca­do.

P1390805 - Bandeja Paisa_1051x788

Gemein­sam mit Luz, unse­rer Gast­ge­be­rin in Medel­lín, betre­ten wir einen hohen Turm, in dem zwei Auf­zü­ge vom Wach­per­so­nal beauf­sich­tigt wer­den. Der Auf­zug führt uns in eine ande­re Welt. Haben wir in Cali noch in der sozia­len Klas­se 2, einer der nied­rigs­ten in Kolum­bi­en gewohnt, führt uns die­ser Auf­zug nun hoch in die sozia­le Schicht 5 von 6. Oben ange­kom­men bringt uns eine Stahl­brü­cke mit Rund­um­blick auf Medel­lín in das geschütz­te Wohn­vier­tel. In Apart­ment­hoch­häu­sern woh­nen hier die Wohl­ha­ben­den unter sich und tei­len sich Sau­na, Dampf­bad, Pool und Fit­ness­raum.

P1390380_1400x788 P1390886_1400x1050

Wir besu­chen das in der Nähe gele­ge­ne Gua­tape. Das klei­ne Städt­chen ist bekannt für sei­ne kun­ter­bun­ten Beton­ver­zie­run­gen, die die eigent­lich unan­sehn­lich unver­putz­ten Back­stein­bau­ten zu einem net­ten Hin­gu­cker machen. Eine krea­ti­ve Art die Hüh­ner davon abzu­hal­ten, in die Wän­de zu picken. Doch wegen lus­ti­gen Bild­chen sprin­gen­der Läm­mer haben wir die 70 Kilo­me­ter bis hier her nicht auf uns genom­men.

P1390763_1400x788 P1390793_1400x788

Wir sind sei­net­we­gen hier: El Peñol – der Fels.

P1390755_1400x1050

Die­ser gigan­ti­sche Gra­nit­mo­no­lith ragt wie aus dem Nichts 200 Meter mas­siv in den Him­mel. Von den 659 Stu­fen sind die ers­ten 100 noch in einem Ver­such grie­chi­scher Anmut gehal­ten. Die rest­li­chen Stu­fen beein­dru­cken uns mit der unver­deck­ten, natur­be­las­se­nen Schön­heit eines unver­putz­ten und pro­vi­so­risch wir­ken­den Trep­pen­ge­län­ders.

Nach dem Zick-Zack-Auf­stieg genie­ßen wir die atem­be­rau­ben­de Aus­sicht. Die Land­schaft besteht bis zum Hori­zont aus klei­nen, mal bewohn­ten, mal unbe­wohn­ten und mal mit hohen Bäu­men bewach­se­nen, grü­nen Insel­chen, die von dem kon­tras­tie­ren­den, leuch­ten­den Blau des Was­sers umspielt wer­den.

P1390644_1400x788

Dass ein Stau­see so schön sein kann, über­rascht mich. Die Land­schaft wur­de 1970 künst­lich über­flu­tet, um so einen Groß­teil des kolum­bia­ni­schen Strom­ver­brauchs zu decken.

P1390732_1400x788

Zurück in Medel­lín holen uns die zer­fet­zen Res­te einer Bron­ze-Sta­tue des Künst­lers Botero aus unse­rem ewi­gen Som­mer-Traum zurück in die Rea­li­tät, die die­se Stadt noch vor nicht all­zu lan­ger Zeit zu einer der gefähr­lichs­ten der Welt mach­te.

1995 wur­de auf dem San Anto­nio Platz durch ein Spreng­stoff-Atten­tat nicht nur der bron­ze­ne Vogel zer­stört. 23 Men­schen haben dabei ihr Leben ver­lo­ren. Botero benann­te die Sta­tue nach dem Anschlag in Pája­ro her­i­do, ver­wun­de­ter Vogel, um. Und ließ direkt dane­ben eine Kopie der Sta­tue errich­ten. Sie trägt den Namen Pája­ro de la Paz – Vogel des Frie­dens.

Erschienen am



Antworten

  1. Avatar von Motorrad_Fan

    Bogo­ta ist herr­lich! Die Herz­lich­keit der Men­schen ist über­wäl­ti­gend! Das Essen ein­ma­lig!

    1. Avatar von Morten & Rochssare

      Kolum­bi­en ist wirk­lich eine unter­schät­ze und noch bei­na­he unent­deck­te Rei­se­per­le!

  2. Avatar von Philipp Laage

    Die Seen­land­schaft sieht wirk­lich schön aus. Und ein anre­gen­der Ein­blick in die Stadt!

    1. Avatar von Morten und Rochssare
      Morten und Rochssare

      Vie­len Dank. Der ist wirk­lich wun­der­bar. Auch die Stadt ist sehr reiz­voll. Eine ech­te Emp­feh­lung.

  3. Avatar von Philipp

    Sehr fei­ner Bericht!

    1. Avatar von Morten und Rochssare
      Morten und Rochssare

      Vie­len Dank, Phil­ipp.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert