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Ein Hamam im marokkanischen Atlasgebirge: Von ungleicher Gleichheit

Was­ser auf der Haut war alles, was ich wollte. Denn in den Ber­gen gab es nicht ein­mal einen klei­nen Fluss. Dort hatte ich gerade ein paar Tage ver­bracht, Open Air geschla­fen, geges­sen, gefro­ren, geschwitzt, gelebt. Jeder Form von Waschen war ich also auf­ge­schlos­sen. Und ein Hamam wollte ich auf mei­nem Marok­ko­trip eh ein­mal aus­pro­bie­ren. Also fuh­ren wir ins nächst­ge­le­gene Ber­ber­ört­chen mit Hamam. Schon auf der Straße fie­len wir auf. Weiße Frauen fal­len auf an Orten, an denen nie weiße Frauen sind.

 

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Vor dem Hamam emp­fin­gen uns nette, sehr tra­di­tio­nell wir­kende Ber­ber­frauen. Keine von ihnen sprach eine Spra­che, die ich spre­che, sodass unser Ber­ber­freund Moham­med der Frau meine Behand­lung dik­tierte: Ein­mal alles über­all abrub­beln, waschen und mas­sie­ren. Das war zumin­dest seine Emp­feh­lung. Und ich konnte eh nicht wider­spre­chen. Als ich hin­ein­ging, sah ich zum ers­ten Mal wäh­rend mei­ner Reise durch Marokko Frauen, die weni­ger anhat­ten, als ich. Näm­lich nichts außer einem Slip. Auf den Stra­ßen sieht man sie immer nur bis auf’s Gesicht ver­hüllt. Erst jetzt stellte ich fest, dass ich von die­ser Ver­hül­lung auch gleich auf eine Ver­klemmt­heit geschlos­sen hatte. Dem war aber gar nicht so. Völ­lig frei und unge­hemmt beweg­ten sich die Frauen dort in ihrer Nackt­heit. Ich freute mich für sie. Es macht mich fröh­lich, Men­schen mit einem so natür­li­chen Kör­per­ge­fühl zu sehen. Und dann noch Men­schen, von denen ich es nicht erwar­tet hatte.

 

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Ich zog gleich mit ihnen, da kam auch schon meine Ham­am­be­hand­lungs­frau – und zog sich aus. Genau wie alle ande­ren starrte auch sie mich an. Ich wollte mit ihr ein paar Worte wech­seln. Wenn man sich schon so ent­blößt gegen­über steht, wollte ich ver­su­chen, zumin­dest auch ein biss­chen unsere See­len ein­an­der zu ent­blö­ßen. Jedoch ver­stan­den wir uns ein­fach nicht und sie lief hil­fe­su­chend in die Meute der sich waschen­den und abrub­beln­den Frauen. Her­aus kam sie mit Féfé, einer jun­gen, wun­der­hüb­schen Stu­den­tin, die fran­zö­sisch und ein biss­chen eng­lisch sprach und mir hel­fen wollte. Ich war ihr unend­lich dank­bar, fühlte mich ihr gleich ver­bun­den und schüt­tete ihr mein Herz aus. Ich konnte kaum auf­hö­ren zu reden. Näm­lich, dass ich über­haupt nicht wusste, was ich machen soll, wo ich hin soll und was ich an- und aus­zie­hen soll. Aus lau­ter Unwis­sen hatte ich sogar mein Biki­nitop ange­zo­gen. Dafür lachte sie mich aus und befahl es gleich wie­der aus­zu­zie­hen. Wer war jetzt hier die Verklemmte?

Da meine Ham­am­be­hand­lungs­frau irgend­wie wie­der ver­schwun­den war, nahm Féfé mich mit in den Steam­er­raum. Ich setzte mich mit auf ihre Matte, sie gab mir einen Schwamm und zeigte mir, wie ich mich damit abrub­beln sollte. Denn beim Hamam geht es darum, abge­stor­bene Haut zu ent­fer­nen, um wie­der schöne, glatte Haut zu haben. Der Schwamm sah zwar eher aus, als würde ich mir fremde, alte Haut auf meine rub­beln, aber ok. In dem Steam­er­raum saßen unzäh­lige andere marok­ka­ni­sche Frauen, die sich und ihre Kin­der vol­ler Élan mit dem Schwamm behan­del­ten. Und dabei mich anstarr­ten. Ich hatte den Ein­druck, sie hat­ten noch nie eine euro­päi­sche Frau nackt gese­hen. Zudem mach­ten sie sich wahr­schein­lich auch lus­tig über meine lai­en­hafte Abrub­bel­tech­nik und meine abso­lute Hilflosigkeit.

 

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Ich behan­delte mich also mit dem Schwamm, ver­suchte dabei aus­zu­se­hen wie die ande­ren Frauen und ver­suchte mich mit Féfé, mei­ner Hel­din, zu unter­hal­ten. Das war gar nicht so leicht, denn ihren eng­li­schen und mei­nen fran­zö­si­schen Wort­schatz hat­ten wir bald aus­ge­schöpft. Viele der ande­ren Frauen frag­ten sie nach mir und lie­ßen mir Kom­pli­mente über­mit­teln. Ich denke aber, das war nur, weil sie so was wie mich zum ers­ten Mal sahen. Als ich gerade nicht mehr wusste, wo ich mich noch abrub­beln soll, kam meine Behand­lungs­frau dazu – und räumte erst­mal auf: Fri­sche Was­ser­ei­mer, ande­rer alter Schwamm, neuer Sei­fe­schleim­bro­cken. Dann nahm sie den Schwamm in die Hand und begonn mich abzu­rub­beln. Mit einer Stärke, die ich nicht erwar­tet hätte, fing sie bei den Füßen an und arbei­tete sich bis ins Gesicht vor, wobei sie akri­bisch dar­auf ach­tete, keine Stelle aus­zu­las­sen. Dabei machte ich ein­fach alles, was sie befahl. Beine anwin­keln, Arme hoch, auf den Bauch legen. Auch wenn der Boden voll war von abge­rub­bel­ten Fremd­haut­schup­pen. Auch wenn ich nicht wusste, wo der Schwamm vor­her schon alles war. Ich machte ein­fach mit, denn ich fühlte mich ihr wahn­sin­nig aus­ge­lie­fert und hatte ein unwoh­li­ges Gefühl, ihr zu wider­spre­chen. So bekam ich wenigs­tens die echte Hamamerfahrung.

 

„Also hair wash?“ fragte Féfé. „Yes, ever­y­thing you say.“ Also bekam ich auch eine Sham­poo­nie­rung mit einem sehr lieb­lo­sen, zie­pen­den Kämm­ver­such im Anschluss. Jetzt hatte ich nicht nur Haut­schup­pen, son­dern auch viele Haare dage­las­sen. Ich freute mich schon auf die Mas­sage und hoffte anschlie­ßend noch ein­mal duschen zu kön­nen. Féfé und ich hat­ten uns unter­des so gern gewon­nen, dass sie mich mas­sie­ren wollte. Ich freute mich dar­über, denn ich hatte das Gefühl, dass die Mas­sage ein freund­schaft­li­ches Sym­bol war. An unsere ver­ba­len Gren­zen waren wir gelangt, aber nicht an die sym­bo­li­schen. Es war zwar keine son­der­lich gute Mas­sage, aber trotz­dem die beste, die ich je bekam. Denn mit ihr bekam ich eine neue Freun­din. Féfé bat mich drau­ßen zu war­ten, sodass wir noch Face­book­kon­takte aus­tau­schen konn­ten. Eine Dusche gab es lei­der nicht mehr, also ging ich mit all den eige­nen und frem­den Haut­schup­pen an mir hin­aus und zog mich wie­der an. Um mit fri­scher Luft gegen die Steam­er­hitze in mir anzu­kämp­fen, ging ich vor die Tür, um dort auf Féfé zu war­ten. Ich kam gerade her­aus, da kam auch schon mein mit­rei­sen­der Freund Yaniz mit unse­ren zwei Ber­ber­freun­den Moham­med und Aisa ange­fah­ren. Ich gesellte mich zu den drei Män­nern in dem gro­ßen Truck. Wir unter­hiel­ten uns, hör­ten Musik und rauch­ten Zigaretten.

 

Dann kam Féfé aus dem Hamam. In ihrem marok­ka­ni­schen Haus­an­zug und ihrem Kopf­tuch wirkte sie viel schüch­ter­ner als ich sie zuvor ken­nen­ge­lernt hatte. Sie sah mich in mei­ner west­li­chen Klei­dung, in dem Truck sit­zend, locker mit den Män­nern redend. Sie winkte mir nur ver­stoh­len zu. Ich wollte meine neue Freun­din zu mei­nen alten Freun­den gesel­len, doch das war nicht mög­lich. Ich ver­stand lang­sam, dass wir nie­mals Freunde sein kön­nen. In dem Hamam, beide nackt, beide befreit von kul­tu­rell sicht­ba­ren Ein­flüs­sen waren wir ein­fach zwei Frauen. Zwei glei­che Frauen mit dem glei­chen Bedürf­nis, sich zu säu­bern. Vor dem Hamam hat­ten wir wie­der unser Kul­tur­ge­wand ange­zo­gen und waren plötz­lich so ver­schie­den, wie wir nur sein konn­ten. Ich sah, dass auch sie es genau so empfand.

 

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Weil ich wusste, dass sie nicht zu mir und den Män­nern kom­men konnte und um ihr zu zei­gen, dass mir all die Ein­flüsse um uns herum nichts aus­mach­ten, ging ich zu ihr, an die Tür des Hamams. Ich sprach zu ihr genauso wie ich es noch zwan­zig Minu­ten zuvor getan hatte. Ich berührte sie am Arm. Aber sie konnte es nicht erwi­dern. Sie ging in die Kas­sen­ka­bine des Hamams, die Kas­sie­re­rin war anschei­nend eine Freun­din von ihr. Eine Freun­din, der sie nah sein konnte. Jetzt trenn­ten uns neben einer gan­zen Welt auch noch eine Glas­scheibe mit Git­ter davor. Ich kaufte von der Kas­sie­re­rin ein Sham­poo und einen Lolli, bei­des schenkte ich Féfé. Auch wenn sie es erst nicht anneh­men wollte, freute sie sich. Dann bat ich sie um einen Zet­tel und schrieb ihr mei­nen Face­book­na­men auf. Auch sie schrieb mir ihren auf.

 

Einen Moment noch stand ich vor dem Auto. Kurz bevor wir fah­ren woll­ten, kam Féfé noch ein­mal zu mir und schenkte mir eine fri­sche Orange zum Abschied. Noch lie­ber hätte ich sie mitgenommen.

 

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Als ich Féfé gleich bei der nächs­ten WiFi-Gele­gen­heit schrei­ben wollte, konnte ich sie nicht fin­den. Erst Wochen spä­ter kon­tak­tierte sie mich von ihr aus. In die­sem Pro­fil hätte ich sie nie erkannt.

 

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Cate­go­riesMarokko
  1. Ghizlane says:

    Hallo Lena, die Geschichte vom Hamam finde ich lus­tig , nun ich wun­dere mich , dass die Dame dich nicht auf­ge­klärt hat , die Rei­hen­folge ist : man schmiert der gan­zen Kör­per mit der Schwar­zeseife , dann in dem Wärmste Raum 10 Minu­ten sit­zen , der Kör­per aus­spül­len , dann rei­ben mit dem Schwamm sieht wie Hand­schuhe aus , nach dem Schrup­pen , muß man sich mit was­ser aus­spül­len , da gibt es keine Dusche , aber ein Eimer was­ser und Behäl­ter rei­chen auch , dann Haare Waschen und zum Schluß noch­mal der gan­zen Kör­per von Kopf bis Fuß aus­spül­len , man­che Frauen schmie­ren noch ihren Kör­per mit Henna und Ghas­soul ( erd­steine ) die 10 Min in Behäl­ter durch war­men was­ser aus­ge­löst sind , diese Mischung 10 Minu­ten am Kör­per wir­ken las­sen , die Haut wird dadurch sehr fein , wie Baby Haut .

    In Hamam braucht man schon über eine Stunde sogar Stun­den bis man alle Kör­per Teile gerei­nigt hat , bei man­che Hamam gibt es sogar für jeden 2 Was­ser­hähne Warm und Kalt , 3 Raüme( sehr warm, warm und Kalt), Mitt­lere ist immer voll , viele Frauen neh­men Oran­gen zum essen weil die Auf­ent­halt im Hamam kann anstren­gend sein .

    Die Marok­ka­ni­sche Frauen benut­zen zu Ihre Schön­hei­ten viel Natür­li­che Pro­dukte wie HENNA, Ghas­soul ( Stei­nerde) Argan Öl gegen Fal­ten und viel mehr .

    Ich habe beide Berichte von dir gele­sen , ich finde die ganz toll , habe die sogar 2 Mal gelesen .

    Liebe Grüße
    Ghizlane

    1. Lena Kuhlmann says:

      Liebe Ghiz­lane, oooh vie­len Dank! Das freut mich aber. Gerade von dir als Exper­tin :) Es kom­men jetzt peu a peu noch mehr Berichte.
      Die Dame hat mich wahr­schein­lich wegen des Ver­stän­di­gungs­pro­blems nicht auf­ge­klärt. Aber jetzt, wo du es erklärst, macht es Sinn. In etwa so war es auch. In Argan Öl habe ich mich eh ver­liebt im Marokko. Das ist ja für alles gut! 

      Bis bald! Alles Liebe!
      Lena

    1. Lena Kuhlmann says:

      Das war auf jeden Fall eine Selbst­er­fah­rung. Denn ich dachte, ich sei frei davon. Aber das den­ken viele und sind wohl nur wenige.
      Danke für dein Kom­men­tar Clemens :)

  2. Mathilde says:

    Ich glaube, ver­hält sich ein klei­nes biss­chen anders: Natür­lich haben wir alle unsere kul­tu­rel­len Ein­flüsse dabei – auch im Hamam. In der Welt davor muss Féfé aller­dings bestimm­ten Erwar­tun­gen genü­gen (wie jeder Mensch inner­halb sei­ner sozia­len Gruppe Erwar­tun­gen genü­gen muss). Erwar­tun­gen, die ein durch­rei­sen­der Gast so nicht erfül­len braucht. Bliebe der Gast län­ger, wür­den sich auch die Erwar­tun­gen an ihn verändern.
    Prima Bericht, danke.

    1. Lena Kuhlmann says:

      Hey Mat­hilde, vie­len Dank für dei­nen Bei­trag. Du hast völ­lig Recht, es geht um soziale Erwar­tun­gen, die sich eben aus dem kul­tu­rel­len Gefüge erge­ben. Ich fand die Erfah­rung so inten­siv, dass sie in dem und vor dem Hamam so extrem unter­schied­lich sein können.

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