Als ich meine Frau vor ein bisschen mehr als 16 Monaten heiratete, wusste ich nicht wie das ist, wenn man „Ehemann“ ist! Wird sich unsere Beziehung ändern? Werde ich mich ändern? Wird die Verantwortung mich ändern? Natürlich fühlt sich das nun alles anders an: Wir sind eine kleine Familie geworden. Da ist eine Verantwortung. Eine spezielle, andere Verantwortung. Und diese Verantwortung fühlt sich wunderbar an. Wobei ich ehrlicherweise zugeben muss, dass ich nicht genau weiß, ob es ganz allein an unserer wunderschönen Ehe liegt oder auch daran, dass wir zusammen in ein großes Abenteuer gesprungen sind.
Schon vor unserer Heirat waren wir beide sehr unabhängige und selbständige Menschen. Kamen sehr gut alleine zurecht. Und haben das „Dinge auf eigene Faust tun“ beide sehr genossen! Was soll sich also nun wegen einer Eheschließung ändern?
Seit wir mit unserem eigenen Zuhause losgefahren sind, haben wir in den unterschiedlichsten Gegenden übernachtet, auf den zweifelhaftesten Märkten eingekauft, mit zwielichtigen aber auch mit den wundervollsten Menschen gesprochen und haben allerlei Dinge auch ganz alleine gemacht. Natürlich habe ich mich an manchen Orten gefragt, ob es in Ordnung ist wenn meine Frau alleine „loszieht“. Und ich habe mich jedes Mal riesig gefreut, wenn sie wieder zurück war. Weil ich sie vermisst habe! Und nicht vor Erleichterung, weil sie gesund zurück kam und nichts passiert war!


Und nach ein paar Monaten auf Reisen kam mir das ganz normal vor, dass auch jeder mal für sich „loszieht“. Dass wir auf einem Bazar mal ganz in Ruhe alleine stöbern können und uns nicht nur händchenhaltend fortbewegen. Dass wir an der Tankstelle oder vor einer Werkstatt beide aus dem Auto springen. Dass meine Frau von anderen Männern und Frauen höflich angesprochen wird. Dass ich meiner Frau nicht immer die Tür des Unimogs aufhalten muss. Dass ich auch nach Einbruch der Dunkelheit nicht überlege, ob es okay ist, irgendwo auszusteigen. Ganz einfach: wir beide bewegen uns als eigen- und selbständige Menschen in diesen so unterschiedlichen Kulturen. Bis zu diesem einen Tag, an dem sich alles so schlagartig veränderte.
Natürlich sind die ungeheuerlichen Grausamkeiten, die in jüngster Vergangenheit indischen genauso wie nicht-indischen Frauen angetan wurden (und sich unfassbarer Weise jeden Tag wiederholen) nicht an uns vorbei gegangen. Natürlich haben wir die Berichterstattung verfolgt, Meinungen von befreundeten Indern eingeholt, Kommentare gelesen. Und natürlich haben wir versucht offen zu bleiben und den 1,3 Milliarden Menschen in Indien völlig unvoreingenommen gegenüber zu treten. Und ich wage zu behaupten, dass es uns gelungen ist, weil wir hier so großartige Menschen kennenlernen durften, weil wir zusammen gelacht, gelernt, diskutiert und verstanden haben. Aber dann war diese Offenheit weg und was kam war Misstrauen und Vorsicht. Große Vorsicht!
Am helllichten Tag springt Jen aus dem Auto um an einem Stand ein paar Früchte zu kaufen. Ich bleibe im Auto sitzen. Sie kommt zurück, ich sehe sie vor der geöffneten Beifahrertür stehen. Lachend und freundlich wie immer sagt sie zu jemandem, den ich nicht sehen kann „No, thank you.“ Sie wiederholt es mit etwas mehr Nachdruck und dreht sich um, um in unseren Truck zu steigen. Und plötzlich sehe ich einen fremden Arm fest – zu fest – um die Taille meiner Frau greifend. Sie schreit laut auf! Und knallt die Tür zu! Ich springe aus dem Auto und renne auf die andere Seite. Vor mir steht ein Mann, der mir warum auch immer eine Kichererbse vor die Nase hält. Und er grinst. Brüllend, mit gehobener Hand deute ich ihm, dass er nie wieder meine Frau anzufassen hat … dass er nie wieder eine Frau so anzufassen hat!
Ob er mich verstanden hat? Ob er debil ist? Oder einfach nur zugedröhnt? Ich weiß es nicht. Ob ich ihm gerne zwischen die Beine getreten hätte? Ja! Ob ich es bereue, dass ich es nicht getan habe? Wenn ich manchmal genervt bin, weil wir uns gezwungen fühlen, jetzt viel vorsichtiger zu sein, dann ja! Das öffentliche Bloßstellen durch meine Tadelung auf offener Straße war wahrscheinlich effektiver für seinen Lernprozess (so meine naive Hoffnung). Es war aber nicht unbedingt „heilsamer“, um diese Situation schnellstmöglich bewältigen zu können – für keinen von uns beiden.
Was bleibt ist diese Vorsicht: seither will ich nicht, dass meine Frau alleine loszieht! Zumindest nicht überall! In einer Gasse alleine ein paar Früchte einkaufen fühlt sich nicht richtig an. Jen geht jetzt nicht mehr überall ohne mich hin. Weil es mir lieber ist. Und sie sich das nicht mehr überall traut. Und ich begleite sie zur Autotür. Und schließe diese hinter ihr.
Unendlich schade! Dieser eine einzige Vorfall, der auch in jedem anderen Land hätte passieren können, dieser Vorfall hat ausgereicht, um unsere Befürchtungen und vor allem die Konsequenzen für unser Verhalten Wirklichkeit werden zu lassen! So sehr wir uns auch dagegen wehren. Sie sind einfach da. Und der Vertrauensvorschuss weg.
„Mann“ Sein in Indien kann ganz schön anstrengend sein. Aber wie muss es sein „Frau“ zu sein! In Indien. Jeden Tag. Ein ganzes Leben. Für Männer ist das wahrscheinlich unvorstellbar. Und meine “Anstrengung” mehr als lächerlich verglichen mit der Situation einer Frau. In Indien. Und in vielen anderen Ländern dieser Welt.

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