Madrid: Stadt mit viel Herz und Mut

Ich war noch nie in Madrid. Und ich war noch nie so über­rascht vom Gesicht einer Groß­stadt, das so freund­lich und herz­lich daher kommt. Als sei es eine alte Ver­trau­te, die man aus den Augen aber nicht aus dem Her­zen ver­lo­ren hat. Einer­seits. Ande­rer­seits: eine Stadt, die sich gegen das Estab­lish­ment erhebt. Men­schen, die krea­tiv und kämp­fe­risch sind. Die etwas bewe­gen. Ich habe die Stadt und sei­ne Bewoh­ner ken­nen gelernt als ich im Novem­ber eine Fern­seh­re­por­ta­ge über Pode­mos gemacht habe.

Zum Bei­spiel Pablo. Ich tref­fe ihn im ange­sag­ten Lati­na-Vier­tel. Bis vor eini­gen Jah­ren war das ein Arbei­ter­vier­tel. Inzwi­schen haben sich Stu­den­ten und Künst­ler hier nie­der gelas­sen. Bio­lä­den, vege­ta­ri­sche Restau­rants und Stra­ßen­ca­fes säu­men die Gas­sen und schat­ti­gen Plät­ze. Pablo hat noch eine beson­de­re Über­ra­schung für mich. Direkt neben der Stadt­au­to­bahn: ein klei­ner urba­ner Gar­ten. Jeder kann hier säen und ern­ten, chil­len oder ein­fach nur Spaß haben. Vor eini­gen Jah­ren, auf dem Höhe­punkt der spa­ni­schen Wirt­schafts­kri­se, hat Pablo mit fünf Gär­ten in unter­schied­li­chen Stadt­vier­teln ange­fan­gen. Ille­gal. Heu­te hat er ein Netz­werk von über hun­dert Gär­ten in Madrid, legal und eini­ge sogar geför­dert von der Stadt.

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Deni (l) und Pablo ® wol­len etwas bewe­gen

Pablo ist davon über­zeugt, dass der Erfolg sei­nes Netz­wer­kes mit der Kri­se zu tun hat. „Solan­ge es allen gut geht kann man ohne wei­te­res in der klei­nen Fami­li­en­bla­se blei­ben und glück­lich sein“, sagt er.

»Wenn es den Leu­ten schlecht geht dann mer­ken sie: es ist eben nicht jeder sei­nes Glü­ckes Schmied, die Men­schen brau­chen ein­an­der. Will­kom­men in der Wirk­lich­keit.“

Pablos Freun­din Deni hat drei­zehn Jah­re in einer Bank gear­bei­tet und gekün­digt. „Ich woll­te nicht mehr Teil die­ses Sys­tems sein, dass Men­schen nur aus­beu­tet und als Zah­len betrach­tet.“ Sie und Pablo sind Zwei von Tau­sen­den, die wäh­rend der Kri­se auf die Stra­ße gin­gen und die berühm­te Puer­ta del Sol bela­ger­ten. Sie pro­tes­tier­ten gegen die Machen­schaf­ten der Poli­ti­ker, gegen Kor­rup­ti­on und gegen eine euro­päi­sche Spar­po­li­tik zu Las­ten der Armen. Aus die­ser Pro­test­be­we­gung „15M“ sind vie­le der „Empör­ten“ wie Pablo und Deni zu Akti­vis­ten gewor­den.

Aus Akti­vis­ten wur­den Poli­ti­ker

die sich in jun­gen Par­tei­en wie Pode­mos orga­ni­siert haben und gera­de dabei sind, die poli­ti­sche Land­schaft in Spa­ni­en gehö­rig auf­zu­mi­schen.

In der Zen­tra­le von Pode­mos ler­ne ich sie ken­nen: jun­ge Leu­te, kei­ner über drei­ßig. Sie alle bren­nen für ein neu­es Spa­ni­en. Auf einer Inter­net­platt­form haben sie die Vor­schlä­ge für ihr poli­ti­sche Pro­gramm hoch­ge­la­den und seit­dem wird hier gelik­ed und gedis­lik­ed was das Zeug hält. Nur Ideen, die genug Akzep­tanz fin­den, wer­den ins Par­tei­pro­gramm auf­ge­nom­men. Basis­de­mo­kra­tie. Sie finan­zie­ren sich über Crowd­foun­ding und Mikro­kre­di­te. Die Leit­fi­gur der Par­tei: ein jun­ger Polit­pro­fes­sor der Uni­ver­si­tät, mit Pfer­de­schwanz und Jeans. Er will Prä­si­dent wer­den. In sei­nen Wahl­kampfspots bewirbt er sich bei ver­schie­de­nen Bür­gern für die­sen „Job“. Denn, so die neue Phi­lo­so­phie: Poli­ti­ker ste­hen im Diens­te der Bür­ger.

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Viel­leicht macht auch das den Charme von Madrid aus: einer­seits sind die Leu­te freund­lich und herz­lich, ander­seits haben sie auch viel Kampf­geist und sind dabei über­aus krea­tiv. Über­all wird über Poli­tik gere­det, Bür­ger­initia­ti­ven und poli­ti­sche „Krei­se“ ent­wer­fen neue Model­le für ein sozia­les Mit­ein­an­der.

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Es gibt nicht vie­le Bett­ler in Madrid. Die neue Bür­ger­meis­te­rin will mehr sozia­le Gerech­tig­keit

Die neue Bür­ger­meis­te­rin Manue­la Car­me­na, ehe­mals Bür­ger­recht­le­rin im Wider­stand gegen das Fran­co-Regime, unter­stützt die neue Lin­ke. Sie hat eine Platt­form ein­rich­ten las­sen auf der die Bür­ger von Madrid Ver­bes­se­rungs­vor­schlä­ge machen kön­nen, über die dann abge­stimmt wird. Ers­te Erfol­ge gibt es schon: das Tarif­sys­tem für die Metro soll ver­ein­facht wer­den, zusätz­li­che Sozi­al­woh­nun­gen mit nied­ri­gen Mie­ten für Allein­er­zie­hen­de und Stu­den­ten, stren­ge­re Fein­staub­re­ge­lun­gen mit Auto­ver­bot und Aus­bau von Fahr­rad­we­gen und Leih­sta­tio­nen wer­den schon umge­setzt. Pablo und Deni sind nur noch mit dem Fahr­rad unter­wegs.

Ich habe es auch pro­biert. Und nicht schlecht gestaunt: an den städ­ti­schen Leih­sta­tio­nen gibt es aus­schließ­lich Elek­tro­fahr­rä­der zu mie­ten. Das macht Sinn, denn es geht zum teil hef­tig auf und ab in Madrid. In man­chen Stadt­vier­teln wie Chue­ca und Lati­na macht es rie­sen Spaß die Stadt so zu erkun­den. Aber bevor ich mich auf die gro­ßen Ver­kehrs­ach­sen wage war­te ich lie­ber noch ein biss­chen, bis die Fahr­rad­we­ge aus­ge­baut sind und es sich bei den Auto­fah­rern rum­ge­spro­chen hat, dass Fahr­rad­fah­rer ganz nor­ma­le Ver­kehrs­teil­neh­mer sind.

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Im Sze­ne­vier­tel Chue­ca braucht es kei­ne Fahr­rad­we­ge denn es geht durch klei­ne Stra­ßen und Gas­sen, vor­bei an Bou­ti­quen und loka­len Labeln, die aus­ge­fal­le­ne Kla­mot­ten ver­kau­fen. Chue­ca ist nicht nur ein Ein­kaufs­pa­ra­dies für Leu­te, die auf Mas­sen­wa­re und Bil­lig­chic der gro­ßen Kauf­häu­ser pfei­fen. Es ist auch das Vier­tel mit der höchs­ten Gas­tro­no­mie­dich­te. Lecker und preis­wert vor allem der Mit­tags­tisch in den vie­len klei­nen Restau­rants.

Nach dem Essen fah­re ich mit der Metro ins Sala­man­ca-Vier­tel und las­se mich ganz ent­spannt trei­ben. Die Pracht­stra­ßen des teu­ers­ten Vier­tel von Madrid mit den herr­schaft­li­chen Häu­sern und den guss­ei­ser­nen Bal­kon­brüs­tun­gen erin­nern mich an mei­ne Zeit in Paris. Aber dann mer­ke ich schnell, dass der Ver­gleich hinkt. Denn der Unter­schied ist der: in Paris het­zen die Men­schen mit mür­ri­schem, par­füm­um­wölk­ten Blick durch die Stra­ße und ren­nen alles um, was sich ihnen in den Weg stellt. Pas­san­ten, die nach dem Weg fra­gen, wer­den im bes­ten Fall igno­riert. Soll­te doch mal jemand inne hal­ten und sich die Mühe machen, den Frem­den zu ver­ste­hen, dann ist es gewiss ein Aus­län­der oder ein Süd­fran­zo­se. Aber kein Pari­ser.

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Frem­de fin­den immer hel­fen­de Madri­le­nos

In Madrid hin­ge­gen haben die Men­schen Zeit. Sie grü­ßen freund­lich, sie hal­ten an, wenn ich sie etwas fra­ge, nach dem Weg oder nach der Zeit, oder wo man gut essen kann, und sie geben ger­ne Aus­kunft. Manch­mal beglei­ten sie mich bis zur nächs­ten Stra­ßen­kreu­zung, um mir zu zei­gen wie es von dort wei­ter geht oder sie zei­gen mir auf dem Metro­plan wie ich hier­hin oder dort­hin kom­me. Madri­le­nos sind freund­lich. Sie sind stolz auf ihre Stadt. Und sie mischen Spa­ni­en poli­tisch gera­de so rich­tig schön auf.

Die Pode­mos-Repor­ta­ge auf WDR, Welt­weit (Media­thek)

 

 


Antworten

  1. Avatar von froi
    froi

    Gott sei dank hat Pode­mos nicht die Macht erlangt.
    Als Spa­ni­er kann ich Pablo Igle­si­as den Aus­län­der nur so erklä­ren: ein Dem­ago­ge, der die Kri­se genau­so wie Donald Trump in den USA ver­wen­det.

    Ja, es gibt jede men­ge Kor­rup­ti­on hier in Spa­ni­en – doch Pode­mos ist Popu­lis­mus wie nie zuvor

    1. Avatar von gitti

      Lie­ber Froi,
      bei allem Respekt aber der Ver­gleich hinkt gewal­tig.
      Im Gegen­satz zu Trump kann Pode­mos ein gut durch­dach­tes und von renom­mier­ten Exper­ten viel­fach gelob­tes Kon­zept für mehr sozia­le Gerech­tig­keit sowie ein nach­voll­zieh­ba­res Par­tei­pro­gramm vor­wei­sen. Hast du dir das Pro­gramm mal ange­schaut? Es ist wirk­lich sehr inter­es­sant und inno­va­tiv.
      Trump, und da wirst du mir sicher nicht wider­spre­chen, ist ein noto­ri­scher Lüg­ner. Das leug­net er nicht mal (-; Von Pode­mos ist mir nicht bekannt in wel­chen Punk­ten dreis­te Lügen auf­ge­tischt wor­den sein sol­len.
      Trump macht kei­nen Hehl dar­aus dass er Ras­sist, Sexist und Homo­phob ist. Sind dir sol­cher­lei Äuße­run­gen von Pablo Igle­si­as bekannt?
      Ich kann nicht nach­voll­zie­hen wo du da Par­al­le­len siehst.

  2. Avatar von Max

    Wow. Tol­le Repor­ta­ge. Ich habe mir gera­de die Doku in der Media­thek ange­schaut. Auch ich habe einst in Madrid gelebt, nun bin ich in Cádiz. In den letz­ten 12 Mona­ten konn­te ich fest­stel­len, dass in den Knei­pen wie­der leb­haf­ter über Poli­tik dis­ku­tiert wird. Auch wenn man die Ansich­ten von Pode­mos nicht unbe­dingt teilt, ist es doch erfri­schend zu sehen, wie die Dis­kus­si­on wie­der in Gang kommt und die Alt­eing­es­se­nen Polit­ker auf ein­mal Kon­kur­renz bekom­men und sich end­lich mal bewe­gen müs­sen.

    1. Avatar von Gitti
      Gitti

      Dan­ke Max. Der größ­te Erfolg von Pode­mos ist in der Tat die zuneh­men­de Betei­li­gung der Bevöl­ke­rung an poli­ti­schen Dis­kus­sio­nen und Ent­schei­dun­gen. Die Pro­test­be­we­gung und die neue poli­ti­sche Land­schaft hat gezeigt: zusam­men kann man etwas bewe­gen. Und das macht echt Mut.
      Cadiz ist sicher auch span­nend. Viel­leicht fängt mein nächs­ter Arti­kel ja mit dem Satz an: ich war noch nie in Cadiz.….(-;

    2. Avatar von Max

      Ich habe mir mal erlaubt einen klei­nen Bericht über dei­ne Doku zu ver­fas­sen. Ich wie­der­ho­le mich ger­ne: Gelun­ge­ner Film. Wir sehen uns in Cádiz… 😉
      http://www.strandgazette.com/2016/01/14/phaenomen-podemos-politik-und-gesellschaft-im-wandel/

  3. […] Git­ti phi­lo­so­phiert in ihrem Arti­kel über den „neu­en Zeit­geist in Madrid“. […]

  4. Avatar von Robert

    Dan­ke für die Tipps. Ich fah­re im kom­men­den Früh­jahr für eine Repor­ta­ge nach Madrid. Da ist Dein Bei­trag die per­fek­te Vor­be­rei­tung für mich!

    1. Avatar von Gitti
      Gitti

      Sehr ger­ne Robert, viel Spaß in Madrid!

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