Liebe Heather, die ich im Zug traf…

Lie­be Hea­ther,

Du wirst die­se Wor­te wahr­schein­lich nie­mals lesen, aber trotz­dem woll­te ich sie schrei­ben, um dir zu sagen wie sehr ich unse­re klei­ne Unter­hal­tung genos­sen habe. Es war im Zug von Glas­gow nach Edin­burgh, der Regen, der gegen die Schei­be pras­sel­te, reflek­tier­te mein Inne­res. Ich fühl­te mich ein­sam. Und es gibt einen Unter­schied zwi­schen „ein­sam“ und „allein“. Als Rei­sen­der habe ich es mir aus­ge­sucht, allein zu sein. Ich will Unab­hän­gig­keit, Frei­heit, Her­aus­for­de­run­gen. Was ich aber nicht will, ist Ein­sam­keit. Die­ses tie­fe schwar­ze Loch, in dem du dich ganz und gar ver­lo­ren fühlst und wo das ein­zig Erstre­bens­wer­te die Heim­rei­se zu sein scheint. Es war in dem Moment, als ich die­sen Unter­schied in mein Notiz­buch schrieb, dass du mich ansprachst.

„Sind Sie auf dem Weg zum Schrif­stel­ler-Work­shop in Edin­burgh?“

„Nein, bin ich nicht. Ich bin nur zu Besuch.“

„Ach so, naja. Hät­te ja sein kön­nen,“ sag­test du,  „weil Sie in ein Notiz­buch schrei­ben.“

Stil­le folg­te. Das Gespräch hät­te vor­bei sein kön­nen, aber ich woll­te nicht, dass es vor­bei war. Du hat­test mich mit war­men Augen ange­schaut, die mich neu­gie­rig gemacht hat­ten.

„Also sind Sie Schrift­stel­le­rin…?“ frag­te ich, etwas schüch­tern. Alles was ich an die­sem Mor­gen geschrie­ben hat­te, war Blöd­sinn und die Mög­lich­keit, nun neben einer Schrift­stel­le­rin zu sit­zen, einer ech­ten, mach­te mir Angst und Mut zugleich.

„Oh… nein, ich bin kei­ne Schrift­stel­le­rin.… Also, ich lie­be schrei­ben, aber es ist nicht mein Beruf. Ich war Eng­lisch­leh­re­rin, bevor mei­ne Kin­der gebo­ren wur­den. Und jetzt wo sie älter wer­den, habe ich das Schrei­ben ent­deckt als eine Sache, die ich für mich selbst tun kann.“

Du und ich unter­hiel­ten uns wei­ter. Du erzähl­test mir, dass du in Glas­gows Vor­stadt lebst, zusam­men mit dei­nen vier Kin­dern und dei­nem Mann, der bei der Bank arbei­te­te.

„Gefällt ihm der Job?“, frag­te ich und wuss­te, dass das viel­leicht zu weit ging, wuss­te aber auch, dass ich even­tu­ell der Frem­de sein könn­te, dem du dich öff­nest, weil du weißt, dass du ihn nie wie­der sehen wirst.

„Er hasst den Job, um ehr­lich zu sein. Es wird gut bezahlt, aber es ist ein­fach zu viel Stress.“

„Mei­nen Sie, er wird kün­di­gen?“

„Das kann er nicht, er muss sich um vier Kin­der küm­mern.“

Du berich­te­test von dei­nen Kin­dern und dei­ne Augen strahl­ten dabei.

„Ich lie­be sie so sehr! Ich wür­de sofort noch eins haben, wenn das Geld nicht wäre. Aber ab und an ist es auch schön, mal für mich zu sein. Schrei­ben ist mei­ne Aus­zeit,“ sag­test du.“ Und Sie? Sind Sie Schrift­stel­le­rin?“

Ich zöger­te. Nie­mand hat­te mir jemals zuvor die­se Fra­ge gestellt. „Ja, ich glau­be schon. Oder zumin­dest arbei­te ich dran. Wenn ich groß bin, möch­te ich Rei­se­ge­schich­ten schrei­ben.“

„Und sind Sie des­halb hier in Schott­land?“

Genau so war’s und ich erzähl­te dir von mei­nen Plä­nen, von mei­nen Ängs­ten, mei­nen Hoff­nun­gen und Träu­men. Und dann ver­stand ich: Genau­so wie ich dein Frem­der war, so warst du auch der mei­ne. Wir erzähl­ten uns unse­re Geschich­ten, denn das ist es doch, was Schrift­stel­ler tun oder? Aber als der Zug in den Bahn­hof von Edin­burgh Waver­ley ein­fuhr, war es Zeit, mit unser bei­der Leben fort­zu­fah­ren.

„Also,“ sag­test du,“ ich fin­de, Sie sind eine sehr muti­ge Frau.“

„Oh nein, bin ich nicht,“ ant­wor­te­te ich,“ aber ich fin­de Sie schon. Sie haben vier Kin­dern das Leben geschenkt. Sie müs­sen jede Men­ge span­nen­de Geschich­ten zu erzäh­len haben.“

Dann lächel­test du und nur für einen kur­zen Moment spür­ten wir bei­de das Glück, uns selbst durch die Augen eines Frem­den zu sehen. Und als wir aus dem Schat­ten in den Son­nen­schein gin­gen, stell­te ich dir eine letz­te Fra­ge.

„Wie hei­ßen Sie eigent­lich?“

„Ich bin Hea­ther. Und du?“

„Hal­lo Hea­ther, ich bin Gesa. Es hat mich sehr gefreut, dich ken­nen­zu­ler­nen.“

„Und dich. Wirk­lich schön, sich mit dir zu unter­hal­ten. Ich wün­sche dir alles Gute, Gesa.“

Dann gaben wir uns die Hand und es war „Hal­lo“ aber auch „Lebe­wohl“…

heather

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Antworten

  1. Avatar von Bärbel Frau auf Reisen

    Lie­be Gesa, dan­ke für die­se tol­le Moment­auf­nah­me. Genau­so sind die gro­ßen, klei­nen, wich­ti­gen Begeg­nun­gen, die wir auf Rei­sen erle­ben dür­fen. Ich woll­te selbst immer drü­ber schrei­ben: Über die zar­ten, bedeut­sa­men Pflänz­chen. Das Gespräch an der Bus­hal­te­stel­le, in irgend­ei­nem War­te­saal, im zufäl­lig zusam­men geor­der­ten Taxi. Ich habe dann doch nie so wirk­lich drü­ber geschrie­ben, Die­ser wun­der­ba­re Arti­kel sei mir ein Vor­bild! Mile Gra­zie.

  2. Avatar von Volker

    Eine sehr schö­ne Geschich­te, konn­te ich mir sehr gut vor­stel­len. Mal eine ande­re Rei­se­de­pe­sche!

  3. Avatar von Jennifer

    Hal­lo Gesa,

    ohhh, ich kann mir gut vor­stel­len, wie ent­rückt man wäh­rend des schot­ti­schen Regens ist und irgend­wie hat Schott­land immer etwas Magi­sches. Auch sol­che Begeg­nun­gen sind wun­der­bar und herz­er­fri­schend. Dabei erin­nert mich gera­de der Satz »durch die Augen einer Frem­den zu sehen« an die aktu­el­le Kam­pa­gne von Dove mit dem Zeich­ner. Kennst Du die­se?

    1. Avatar von Gesa

      Hal­lo Jen­ni­fer,

      Ja die Kam­pa­gne ken­ne ich. Ist viel Wah­res dran, oder?
      Im Übri­gen auch einer mei­ner liebs­ten Neben­wir­kun­gen am Rei­sen – das Fremd­sein und sich selbst durch frem­de Augen sehen.

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