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Ich spüre den Wind in jeder einzelnen Zelle meines Körpers, sodass ich mich kaum noch bewegen kann. Tränen laufen mir langsam das Gesicht hinunter, sodass ich denke sie werden gleich zu Eis gefrieren. Ein überwältigendes Gefühl überkommt mich, sodass ich all den vergangenen Schmerz vergesse.
Ich erblicke die Schönheit des Kilimandscharo und das Lächeln meines neu gewonnen Freundes strahlt mich an.
Ungefähr so fühlt sich die Begegnung mit dem höchsten Punkt Afrikas auf 5895 Metern, der Bergspitze des Kibo (der „Helle“), im Hochgebirge Kilimandscharo in Tansania an. Worte können diesem Erlebnis jedoch keinen Ausdruck verleihen.
23 Uhr, der Wecker klingelt: aufstehen – die letzte Etappe der Machame Route steht uns bevor. Ein Aufstieg von 5–7 Stunden im Dunkeln lag vor uns. 5 Kilometer und 1485 Höhenmeter, danach 2785 Höhenmeter runter zum Mweka Camp. Besser ist es, nicht daran zu denken, welcher Weg vor einem liegt. Die letzte Nacht vor dem Gipfelsturm verbrachten wir im Barafu Camp auf eisigen 4600 Metern Höhe. Viele fangen an, die Größe des Berges spätestens ab hier zu spüren: einen unheimlichen Druck im Kopf, einen flauen Magen, Schwindel und extreme Appetitlosigkeit sind keine Seltenheit. Jeder Bissen, den wir zu uns nehmen müssen, um weiterhin Energie zu haben, wird hier Oben zu einer Qual. Ein Kampf mit sich selbst.
Eine leichte Aufregung bahnt sich an, als wir in unserem Gemeinschaftszelt einen heißen Tee zu uns nehmen. Noch ist es nicht sicher, ob jeder den Uhuru Peak(„Freiheit“) erreichen wird, da zu jeder Zeit gesundheitliche Komplikationen auftreten können. Unsere Guides sind natürlich zuversichtlich, aber was sollen sie schon sagen: „Hey, bleibt lieber hier. Ihr schafft es eh nicht, wenn es euch jetzt schon so schlecht geht.“? – Nein.
Gegen 00 Uhr stapfen wir los, eingepackt in 7 Schichten. Zwiebellook alla Mama hatte sich bisher immer bewehrt gemacht. Eine Taschenlampe habe ich natürlich nicht dabei, doch zum Glück ist es eine Nacht nach Vollmond und dadurch ausgesprochen hell. Für einen Teil der Strecke ist eine Taschenlampe dennoch hilfreich. Kleine und große Steine verteilen sich über den Weg. Wir müssen sehr darauf achten nicht zu stolpern.
Die Vortage hatten uns gelehrt, dass die Höhe nicht zu unterschätzen ist. Langsamer als eine Schnecke, die schon halb ausgetrocknet ist, bewegen wir uns mühselig vorwärts. Wie sollen wir jemals ankommen?
Zur Akklimatisierung und zum Trinken wird jede viertel Stunde eine kurze Pause eingelegt. Das Herz pocht wie verrückt, der Brustkorb senkt sich rasch auf und ab. Die Luft war jetzt schon schwer und dünn. Wir wissen genau: weiter oben wird es nicht besser werden. Stille breitet sich aus, um Energie zu sparen.
5000Meter. Wow. Endlich ein kleiner Motivationsschub. Jetzt kann ich nicht mehr umdrehen, obwohl ich die zu vorigen Stunden öfters daran gedacht habe. Der Blick zurück aufs Camp hat etwas Magisches. Viel können wir zwischen zwei und drei Uhr morgens nicht erkennen, nur endlos viele kleine Lichter die sich im Gänsemarsch aufreihen und versuchen die Spitze vor Sonnenaufgang zu erreichen. Wir Menschen sind verrückt.
Die Guides fragen immer wieder, ob alles ok ist und versuchen mit uns kleine Konversationen anzufangen, um zu prüfen, ob wir noch klar denken können- sehr beruhigend. Doch oftmals können wir vor Erschöpfung nur mit „Ja“ oder „Nein“ antworten. Was passiert eigentlich, wenn ich hier oben zu wenig Sauerstoff bekomme? Zwar haben wir eine kleine Sauerstoffflasche dabei, aber ob die überhaupt funktioniert, wissen wir nicht. Und auch nicht, ob es eventuell zu spät ist, sobald sie zum Einsatz kommt. Auch wenn die Bergführer bemüht sind unseren Gesundheitszustand einzuschätzen, habe sie nur sehr wenig medizinische Vorerfahrungen, um diesen klar zu erkennen.
„Wieso tu ich mir das an?“ „Was hat das für einen Sinn?“ „Alles dem Ego zu liebe?“
Mir fehlt jedoch jegliche Kraft den Gedanken nach zu kommen und zu versuchen eine Antwort zu finden.
Um ehrlich zu sein, ist für nichts mehr Kraft vorhanden. Es ist eine einzige Qual. Ich sage zu meinem Guide Alex, dass es mir mittlerweile wirklich nicht mehr gut geht. Ich kann nicht mehr trinken, da mir so übel ist wie noch nie zu vor. Schwindel überflutet mich in jeder zweiten Sekunde, und wie meine Füße mich noch tragen können, weiß ich in diesem Moment auch nicht. Ich solle nicht aufgeben, betont Alex und verspricht, dass es mir bald besser gehen wird.
Was für eine Lüge. Bis ich mich 5 Mal übergebe.
Tränen laufen mir übers Gesicht. Ich kann nicht mehr. Es ist nicht nur unangenehm mich vor meinem treuen Begleiter zu übergeben, sondern denke ich auch, dass jetzt alles vorbei ist und ich umdrehen muss. Warum haben einige unter uns Menschen das Verlangen auf einen fast 6000 Meter hohen Berg zu wandern? Es gibt tausend Dinge die leichter sind und bei denen man mehr Spaß haben kann- aber nein.
Nach meinem zehnminütigen Zusammenbruch geht es weiter. Alex hilft mir auf, bleibt für kurze Zeit stumm, wartet und lächelt mich dann an: „Mach dir keine Sorgen, fast jeder muss sich hier oben übergeben. Dir wird es gleich besser gehen, du wirst schon sehen.“ Diesmal hat er Recht.
Unterdessen fangen die anderen Guides im Hintergrund an in Swahili zu singen:
„Jambo! Jambo bwana!
Habari gani? Mzuri sana!
Wageni, mwakaribishwa!
Kilimanjaro? Hakuna matata!
Tembea pole pole. Hakuna matata!
Utafika salama. Hakuna matata!
Kunywa maji mengi. Hakuna matata!
Kilimanjaro, Kilimanjaro,
Kilimanjaro, mlima mrefu sana.
Na Mawenzi, na Mawenzi,
Na Mawenzi, mlima mrefu sana.
Ewe nyoka, ewe nyoka!
Ewe nyoka, mbona waninzunguka.
Wanizunguka, wanizunguka
Wanizunguka wataka kunila nyama“
„Hello! Hello sir!
How are you? Very well!
Guests, you are welcome!
Kilimanjaro? No trouble!
Walk slowly, slowly. No trouble!
You’ll get there safe. No trouble!
Drink plenty of water. No trouble!
Kilimanjaro! Kilimanjaro!
Kilimanjaro, such a high mountain.
Also Mawenzi, also Mawenzi!
Also Mawenzi such a high mountain.
Like a snake, like a snake!
Like a snake you wrap around me
You wrap around me, you wrap around me
Trying to eat me like a piece of meat“
Das Jambo Bwana Lied begleitete uns schon die ganze Woche. Jeden Abend im Camp kamen einige Porter und Guides zusammen um den erfolgreichen Tag zu feiern und uns Touristen für den nächsten Aufstieg anzuspornen.
Das gemeinsame Ziel den Gipfel zu erreichen, verbindet jeden Einzelnen von uns. Obwohl sich alle größten teils fremd sind, entsteht auf Grund dessen ein Empfinden von Gemeinsamkeit.
Durch das Anstimmen des Liedes breitet sich neue Energie und Motivation in mir aus. Der Gesang ist auch ein Zeichen dafür, dass es nicht mehr weit sein kann. Konzentration, du schaffst das! Mir fällt auf, dass ich rein körperlich nicht in der Lage bin weiter zu gehen, aber meine Geisteskraft und das Wissen, dass jemand an mich glaubt, macht es mir möglich ganz langsam einen Schritt vor den Anderen zu setzen. Faszinierend. Mithilfe dieser Feststellung geht alles auf einmal viel leichter. Das steilste Stück der Strecke zum Stella Point auf 5745 Meter Höhe ist schneller überstanden als ich dachte. Auf einmal ist die Bergspitze zum anfassen nah. Ich will nur noch so zügig wie möglich zum Peak. Die Pause am Stella Point verkürzen wir auf ein paar Augenblicke, um die letzten 30–45 Minuten hinter uns zu bringen.
Die längste halbe Stunde meines Lebens stand mir bevor.
Ständig ist mein neu gewonnener Freund darum bemüht mich aufzumuntern und mir Mut zuzusprechen. Aufmerksam passt er darauf auf wo ich hintrete, damit ich mich noch verletze. Regelmäßig reicht er mir seine Trinkflasche, damit ich mich nicht bemühen muss meine zu öffnen.
Dennoch fangen meine Gedanken wieder an zu kreisen. Mir fällt auf, dass ich völlig unterkühlt bin und mein Gesicht starr ist. Meine Hände kann ich nicht mehr bewegen und Müdigkeit überflutet mich.
Ich weiß nicht genau warum, vielleicht weil ich ein paar strahlende Gesichter oder das Gipfelschild sehe, vielleicht auch weil die Sonne endlich aufgeht, aber auf einmal durchströmt ein mächtiges Gefühl mich und alle meine Sinne. Tränen fließen mir mal wieder über die Wangen, aber diesmal vor Glück und Erleichterung. Ich habe es geschafft! Noch 30 Meter. Ich bin unendlich stolz auf mich. Ein großes Lächeln macht sich auch auf dem Gesicht von Alex bemerkbar.
Wir lassen ein paar Fotos vor dem Gipfelschild von uns schießen und bewundern für kurze Zeit die Aussicht. Der Schnee reflektiert die warmen Lichtstrahlen der aufgehenden Sonne. Ein Windstoß bringt die Wolken dazu sich zu bewegen und das weite Land Tansanias erwacht unter uns.
Nach geschätzten fünf bis zehn Minuten flacht das Gefühl von Freude bei mir jedoch ab. Ich bin kurz davor zu Erfrieren (natürlich nur gefühlt- in Wahrheit war ich noch weit davon entfernt) und will kurzerhand, den Punkt, den ich seit 6 Tagen erreichen wollte, schleunigst hinter mir lassen. Es gibt bestimmt einige, die diesen Moment noch länger genießen können, doch mir ist alles zu viel. Der Zwiebellook hat sich nicht bezahlt gemacht und Unterzuckerung macht sich bemerkbar. Das Wiederkehren des klareren Denkens lässt mich jeden noch so kleinen Schmerz spüren. Alex zögert keine Sekunde, schenkt mir seinen Mango-Saft gegen den Unterzucker, hackt sich bei mir ein und führt mich sicher zurück ins Camp.
Es muss zwischen fünf und sechs Uhr morgens gewesen sein, als wir den Uhuru Peak erreichten. Im Barafu Camp sind wir gegen halb acht angekommen.
Völlig erschöpft, aber freudestrahlend umarme ich herzlich die Person, die dafür gesorgt hat, dass ich die Bergkuppe sicher erreichen konnte. Ich weiß genau, dass ich ihm für immer dankbar sein werde.
Auch wenn es eine meiner härtesten und anspruchsvollsten Erfahrung war, ich bereue keine Sekunde. Als ich die Spitze des Kibo erreichte, beantworteten sich alle meine Fragen. Noch nie zu vor war ich so stolz auf mich gewesen. Ich weiß jetzt, wieso ich den Kampf auf mich genommen habe. Es war ein Kampf gegen mich selbst. Innerhalb der 5–6 Stunden Aufstieg habe ich mich so gut kennen gelernt, wie noch nie in so einer kurzen Zeit. Genau so wenig Zeit brauchte ich, um eine wertvolle Freundschaft zu schließen. Auch wenn ich Alex wahrscheinlich nicht mehr wieder sehen werde, jedes Mal, wenn ich an die Bergtour denke, denke ich auch an ihn. Mit ihm so viele intensive und verschiedene Gefühle geteilt zu haben, hat uns zusammen geschweißt. Sein einfühlsamer Umgang mit jeder Situation macht ihn für mich zu einem wertvollen Menschen. Nicht nur das Erlebnis alleine lehrte mich viel Neues, vor allem er.
Antworten
Was für ein unglaublicher Bericht… bei deiner Beschreibung fühlt man sich echt mittendrin! Das muss ein unglaubliches Gefühl gewesen sein, da oben zu stehen… auch wenn nur kurz war!
Hallo!
vielen Dank, es war wirklich überwältigend.
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