Iran Teil 1 – Teheran und hohe Berge

Der ers­te Ein­druck eines Lan­des. Gibt es ihn über­haupt? Oder reist man mit so viel Gepäck, in Form von auf­ge­stau­ten Erwar­tun­gen an, dass man den ers­ten Ein­druck gar nicht gewinnt. Son­dern ihn mit­bringt?

Iran. Immer noch behaf­tet mit einem schlech­ten Ruf. Dabei erzähl­ten mir so vie­le Men­schen, die ich kreuz und quer zer­streut über den Glo­bus ken­nen­lern­te, sie sei­en sel­ten in einem so freund­li­chen und über­ra­schen­den Land gewe­sen. Da ist sie also, mei­ne Erwar­tungs­hal­tung. Bereits vor dem Abflug.

Sie­ben Stun­den War­te­zeit auf mei­nen Anschluss­flug von Istan­bul nach Tehe­ran. Ich lang­wei­le mich bereits nach zwei Stun­den unend­lich. Ver­fal­le ich Lethar­gie. Das hat irgend­wie aber auch sein Gutes. Als ich kurz vor Mit­ter­nacht Orts­zeit das Flug­zeug betre­te, ist mein Kopf ent­leert. Auch von allen vor­her fest­ge­leg­ten Erwar­tun­gen.

Die ers­ten zwei Ira­ner, die ich ken­nen­ler­ne, geben die Marsch­rou­te für die kom­men­den Wochen vor. Ich set­ze mich auf den mitt­le­ren der drei Plät­ze. Am Fens­ter zu mei­ner Lin­ken sitzt bereits ein etwa 40jähriger Ira­ner in einem Lacos­te Hemd und einem gepfleg­ten Drei-Tage-Bart im Gesicht. Kaum habe ich mich gesetzt und ihn, wie von mir ein­stu­diert, höf­lich mit salaaam begrüßt, spricht er mich in akzent­frei­em Deutsch an. “Besu­chen Sie zum ers­ten Mal unser Land?” Ich bin per­plex. Nicht nur, dass er es in mei­ner Mut­ter­spra­che fragt, son­dern die For­mu­lie­rung. UNSER Land. Das lässt auf­hor­chen. “Ja”, sage ich, “zum ers­ten Mal. Und ich bin ganz schön auf­ge­regt.” “Oh, Sie wer­den es lie­ben. Fah­ren Sie in den Süden nach Shiraz. Oder nein, war­ten Sie, fah­ren Sie zuerst ans Kas­pi­sche Meer. Um die­se Jah­res­zeit, wenn es Früh­ling wird, ist es dort herr­lich.” Ich muss lächeln. Sein Ton­fall und sei­ne Mimik ist durch und durch ehr­lich, da ist kei­ne Berech­nung. Kein Wer­be­slo­gan Smi­ley.

Kurz dar­auf lässt sich ein älte­rer Herr in grau­em Anzug, aber mit getön­ter Son­nen­bril­le auf der Nase (was ihm das Ant­litz des Opas aus der it’s cool man Mil­ka-Wer­bung aus den 90ern gibt, ihr erin­nert euch bestimmt), auf den Platz rechts neben mir sin­ken. Er keucht schwer, lächelt breit und sagt “Good evening, Sir”. In der Sekun­de, in der ich ihn eben­falls höf­lich begrüßt habe, fragt er direkt: “You go to Iran the first time?” Ich beja­he. “Oh, it’s a beau­tiful coun­try. Mys­elf, I lived in Lon­don now a long time. But I always fly back, you will see so beau­tiful things.”

Ganz gleich, was ich erwar­tet habe, das war es nicht. Und es ist mir bis­lang auch nie­mals bereits im Flug­zeug auf dem Weg in ein für mich neu­es Land pas­siert, dass ich drei Stun­den vor der Lan­dung am Ziel­ort so herz­lich will­kom­men bin.

Und wäh­rend ich mich noch freue, wie leicht die bei­den Män­ner mir den Ein­stieg machen, rol­len wir Rich­tung Start­bahn und die tür­ki­sche Ste­war­dess schärft den ira­ni­schen Pas­sa­gie­ren ein, doch bit­te nicht mehr auf­zu­ste­hen und in den Gepäck­fä­chern zu kra­men. Dann das übli­che Pro­ze­de­re, Beschleu­ni­gung, Abhe­ben. Kaum sind wir in der Luft, haut mich Minar, der älte­re Herr zu mei­ner Rech­ten, von der Sei­te an und sagt: “It’s still ama­zing. A pla­ne like this, with all peo­p­le, all packa­ge, and it flies. Like a bird.” Ich ant­wor­te: “You’re right. You fly so often that you for­get, but it’s still ama­zing.” Und dann kommt er in Fahrt: “But you know, some­ti­mes it CAN go wrong. The­re is just one small pie­ce that bra­kes, and we all fall down and die. Who knows how often it hap­pens. With the Malay­si­an Air for exam­p­le. It can be dan­ge­rous”. 1 zu 0 für Minar, den gut­mü­ti­gen Ira­ner.

 

Ankunft in Tehe­ran

 

Lan­dung in Tehe­ran. 4 Uhr 30 Orts­zeit. Ich fah­re nicht ohne Anlauf­stel­le oder nur als Tou­rist hier her, ich besu­che einen alten Freund. Er stu­diert seit fünf Mona­ten in Tehe­ran Per­sisch. Und er woll­te mich abho­len. Nun aber ist von ihm nichts zu sehen, dafür aber Hun­der­te Men­schen, die Frau­en zumeist im Cha­dor. Die Män­ner in gepfleg­ter Klei­dung, oft im Jackett. Manch­mal im Hemd. In Groß­fa­mi­li­en ange­tre­ten begrü­ßen sie ihre Ver­wand­ten, Freun­de, Bekann­ten. Noch nie habe ich Men­schen beob­ach­tet, die sich so herz­lich begrü­ßen und sich so sehr freu­en, ein­fach weil sie sich wie­der­se­hen. Wär­me füllt das Ter­mi­nal. Freu­de. Das passt lei­der so gar nicht zu mei­nem Befin­den, ich bin nahe­zu 24 Stun­den auf den Bei­nen und wür­de mich gern hin­le­gen. Nach einer hal­ben Stun­den War­te­zeit erken­ne ich schließ­lich mei­nen Freund. Wir begrü­ßen uns und ich ler­ne unse­ren Taxi­fah­rer ken­nen. Er spricht Deutsch. Was ist denn hier los? Noch jemand, der lan­ge in Deutsch­land leb­te. Wie in den meis­ten Län­dern des Ori­ents ist es rela­tiv güns­tig und vor allem schnel­ler, mit einem pri­vat gebuch­ten Taxi­fah­rer eine grö­ße­re Stre­cke zu fah­ren als mit öffent­li­chen Ver­kehrs­mit­teln.

Als wir die 50 Kilo­me­ter vom Imam Kho­mei­ni Inter­na­tio­nal Air­port zurück­le­gen, sind die Stra­ßen noch rela­tiv leer. Wir kom­men an der Moschee ent­lang, in der die sterb­li­chen Über­res­te von Kho­mei­ni beher­bergt wer­den. Bau­krä­ne ragen mit­ten in dem unsag­bar rie­si­gen Are­al in die Höhe. Die vier Mina­ret­te leuch­ten gold­glän­zend in der Mor­gen­däm­me­rung. 91 Meter sind sie hoch, angeb­lich sym­bo­li­sie­ren sie das Alter des geis­ti­gen Füh­rers und des Man­nes, der mit sei­ner Revo­lu­ti­on von 1979 das Land zu dem gemacht hat, was es bis heu­te ist. Eine isla­mi­sche Repu­blik. Ein Got­tes­staat. Der Wider­spruch zwi­schen den Men­schen, ihre Freund­lich­keit und Offen­heit, und dem poli­ti­schen Sys­tem, das noch immer durch Ein­schüch­te­rung und Kon­trol­le sei­ne Macht erhält, tritt mir bereits in den ers­ten Stun­den vor Augen. Die­ser augen­schein­li­che Wider­spruch wird in den kom­men­den Tagen noch stär­ker ersicht­lich. Als wir das Stadt­zen­trum durch­fah­ren, schockt mich der Ver­kehr dann doch. Es ist noch nicht ein­mal sechs Uhr, aber schon fie­ßen die Tau­sen­den Autos eher zäh- als flüs­sig über die Stadt­au­to­bahn. Oft­mals wird die Stre­cke in kit­schi­gen, knal­li­gen Far­ben ange­strahlt. Es sind vie­le ira­ni­sche Flag­gen zu sehen, an jeder Ecke. Und an vie­len der unan­sehn­li­chen Wohn­si­los pran­gen Bil­der des ehe­ma­li­gen Ober­haupts Kho­mei­ni und des momen­ta­nen geis­ti­gen Füh­rers Kha­men­ei. Kul­tur­schock? Über­for­de­rung auf jeden Fall.

Wir errei­chen das Wohn­heim mei­nes Freun­des, und nach­dem ich mei­nen Rei­se­pass an der Rezep­ti­on abge­ge­ben habe, wo er vor­erst in einer Schub­la­de ver­schwin­det, kann ich end­lich Schlaf nach­ho­len. Sofort bin ich weg. Als ich vier Stun­den spä­ter die Augen öff­ne und aus dem Fens­ter sehe, habe ich einen beein­dru­cken­den Aus­blick auf die ira­ni­sche Haupt­stadt. Das Wohn­heim mei­nes Freun­des befin­det sich im nörd­li­chen Stadt­teil Velen­jak. Dahin­ter kom­men dann nur noch die Ber­ge. Der rie­si­ge Hau­fen, den ich nun sehe, ist in den letz­ten zwan­zig Jah­ren voll­kom­men unkon­trol­liert gewach­sen. Und er wächst wei­ter. Tehe­ran ist mit­un­ter ein Moloch, der Smog dank der acht Mil­lio­nen Autos an den meis­ten Tagen im Jahr vor­han­den. An man­chen sogar gefähr­lich dicht. Heu­te ist ein mit­tel­gu­ter Tag, eini­ge Kilo­me­ter reicht mein Blick dann doch über die Metro­po­le. Man mun­kelt von 15 Mil­lio­nen Ein­woh­nern, wie immer in die­sem Teil der Welt ist sich dabei aber nie­mand so sicher. Viel­leicht weni­ger, viel­leicht mehr. Nach­dem wir geduscht haben fah­ren wir mit einem Mini­bus und zahl­rei­chen ira­ni­schen Frau­en in Rich­tung nörd­li­ches Zen­trum. Dort gibt es einen Basar und die Mosche namens Emamzadeh Saleh. Es ist die ers­te schii­ti­sche Moschee, die ich von innen sehe und ich bin wie vor den Kopf gesto­ßen. Aus Ägyp­ten oder Istan­bul ken­ne ich schlich­te Moscheen, wei­te Räu­me, wenig Ver­zie­rung. Kein oder kaum Glit­zer. Hier aber ein enger Raum, ver­spie­gel­te Wän­de, über­all glit­zert ist, Schmuck ist zu sehen. Im Innern wer­fen Män­ner betend Geld­schei­ne in eine Art Schrein, eini­ge von ihnen lamen­tie­ren weh­kla­gend, inbrüns­tig.

Es ist befremd­lich und ja, lei­der sogar leicht beängs­ti­gend. Oder sagen wir, es löst ein Unwohl­sein aus, eben da es so inten­siv ist. Als wir wie­der nach drau­ßen tre­ten, erklärt mir mein Freund: “Im Grun­de ist es ein­fach. Sun­ni­ten sind eher wie Pro­tes­tan­ten im Chris­ten­tum, wenig Schmuck, wenig Pom­pö­ses. Schii­ten eher katho­lisch, viel Pomp, mehr Bom­bast.” Tat­säch­lich hilft mir die­se zuge­ge­ben simp­le Erklä­rung über mein kur­zes Unbe­ha­gen hin­weg. Ich habe auch kein Pro­blem mit den vie­len Frau­en im Cha­dor. Doch liegt über allem so eine gewis­se Anspan­nung. Man spürt, dass die Men­schen hier rund um uns nicht so frei sind, wie wir es aus der Hei­mat ken­nen. Irgend­was liegt unter­schwel­lig in der Luft.

Also gut. Schii­ten sind anders als Sun­ni­ten. Check. Was noch auf­fällt, als wir den Basar durch­schrei­ten. Nie­mand inter­es­siert sich beson­ders für uns. Wir wer­den nicht als Tou­ris­ten gebrand­markt und zum Abschuss der Händ­ler frei­ge­ge­ben, son­dern sie ver­hal­ten sich uns gegen­über zurück­hal­tend. So, als ob wir eben­falls Ira­ner sind. Das ist höchst ange­nehm.

Unser ers­tes Abend­essen. Hähn­chen. Reis. Tee. Wir sit­zen nicht am Tisch, son­dern auf einem Per­ser­tep­pich. Es ist fan­tas­tisch. Auch, end­lich mal wie­der mit­ein­an­der zu spre­chen. Ein hal­bes Jahr lang haben wir uns nicht gese­hen, und ich kann kaum genug bekom­men von sei­nen Geschich­ten aus fünf Mona­ten in die­sem Land. Wir spre­chen auch über die Schat­ten­sei­ten. Mein Freund wur­de neu­lich mit eini­gen ande­ren Stu­den­ten auf eine pri­va­te Par­ty gela­den. Selbst­re­dend gab es dort Bier, har­ten Alko­hol und wei­che Dro­gen. Es war gute Stim­mung, wenn auch etwas auf­ge­setzt. Ira­ner, beson­ders jün­ge­re Men­schen, wün­schen sich nichts sehn­li­cher, als west­lich zu leben. Dadurch hat aber auch Small­talk Hoch­kon­junk­tur. Tie­fe­re Gesprä­che? Kom­men vor, aber es dau­ert natür­lich. Die Stim­mung kipp­te, als es an der Woh­nungs­tür klin­gel­te. Eine Kon­trol­le durch die Poli­zei. Die Par­ty auf­ge­löst. Die Gast­ge­ber zahl­ten eine gewis­se Sum­me an die Kon­trol­leu­re. Kei­ne wei­te­ren Stra­fen. So läuft das bei­zei­ten im ira­ni­schen Nacht­le­ben. Auch heu­te noch.

Am kom­men­den Tag haben wir eini­ges vor. Wir wan­dern in den Ber­gen des Pas-e-Qua­le. Bis auf über 2000m führt unser Weg. Der Smog ver­deckt viel von Tehe­ran, und doch erspä­hen wir von Hori­zont zu Hori­zont nur Häu­ser und Stra­ßen. Es ist gigan­tisch. Nach drei Stun­den sind wir auf Schnee­hö­he. Von Iran hat­te ich Wär­me und Wüs­te erwar­tet, nicht knie­ho­hen Schnee, den wir durch­que­ren. Aber so ist es nun. Ins­ge­samt sechs Stun­den sind wir unter­wegs, das Pan­ora­ma erdrückt uns. Die Ankunft in die­sem, mir noch voll­kom­men frem­den Land, sie ist geglückt.

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