Inmitten von Trommeln und Tradition – wie Peru unter die Haut geht

Es ist Sonn­tag, 11 Uhr. Ich schnü­re mir die Turn­schu­he, set­ze mei­ne Cap­py auf – die Anden­son­ne kennt um die­se Uhr­zeit kein Erbar­men – und tre­te hin­aus auf die Trep­pe mei­ner Frei­wil­li­gen­woh­nung. Ein Sonn­tags­spa­zier­gang durch die Anden, danach sehnt sich mei­ne See­le gera­de. Ein­mal tief Luft holen, die gewal­ti­gen Berg­rü­cken mit den Augen ver­schlin­gen. Lang­sam ver­lie­ren sie ihr sat­tes Grün, wer­den nach und nach ein tro­cke­nes Ocker­braun. Die Tro­cken­zeit hat die Regen­zeit abge­löst. Die Ber­ge bekom­men wie­der die­se raue Schön­heit, die mich damals bei mei­ner Ankunft in Peru begrüßt hat.

Ein Gedan­ke schleicht sich in mei­nen Kopf: »Shit, lang­sam geht die Zeit zu Ende.« Ein bit­ter­sü­ßer Stich.

Doch lan­ge blei­be ich nicht allein mit mei­nen Gedan­ken. Je näher ich der Pla­za de Armas kom­me, des­to lau­ter wird die Musik. Ich blei­be ste­hen, stau­ne, und fin­de mich plötz­lich mit­ten in einer Pro­zes­si­on wie­der. Uru­bam­ba auf 2.800 Metern Höhe fei­ert.

Fiesta? Siempre.

Zuerst zieht eine Tanz­grup­pe an mir vor­bei. Frau­en in wei­ßen Röcken tan­zen in ihren tra­di­tio­nel­len Leder­san­da­len. Die Män­ner wir­ken fast ein wenig furcht­ein­flö­ßend: Ihre Gesich­ter sind hin­ter wol­le­nen Mas­ken ver­bor­gen, aus denen nur Augen und Mund her­vor­schau­en. Kurz dar­auf folgt ein Kreuz, über und über mit gol­de­nen Stof­fen behan­gen, getra­gen auf einem Tisch von vier Trä­gern. Eine Blas­ka­pel­le schließt sich an, in knall­pink­far­be­nen Hosen und strah­lend wei­ßen Hem­den – ein Kon­trast, der mehr zum Schmun­zeln als zur Ehr­furcht ein­lädt. Und dann ent­de­cke ich zwei Män­ner mit lan­gen Greif­zan­gen, die immer wie­der Strom­lei­tun­gen anhe­ben, damit sich das hohe Kreuz nicht dar­in ver­fängt. Es sind die­se unschein­ba­ren Details, die mir ein Lächeln ins Gesicht zau­bern.

Señor Torechayo – der Auf­takt

Ich fol­ge der Pro­zes­si­on bis zur Kir­che. »Was war das denn jetzt? Hab ich einen Fei­er­tag ver­passt?« Tat­säch­lich ja. In Peru kann das schnell pas­sie­ren. Dia del Maes­tro, Dia del Cam­pe­si­no, Dia de la Mujer – hier weiß man, wie man das Leben fei­ert. Immer mit Musik, Umar­mun­gen und klei­nen Auf­merk­sam­kei­ten. An die­sem Tag war es das Fest des »Señor de Tor­rechayoc«, dem Schutz­pa­tron Uru­bam­bas. Eine Figur, umrankt von Legen­den und von gro­ßer Bedeu­tung für die Men­schen hier.

Bei die­sem einen Sonn­tag soll­te es jedoch nicht blei­ben, wie ich bald her­aus­fand. Denn die Fei­er­lau­ne hielt an – die gan­ze Woche über lag ein Hauch von Fest­lich­keit über Uru­bam­ba. Am dar­auf­fol­gen­den Sonn­tag­abend stand ich erneut auf den Stra­ßen der Stadt, die­ses Mal umge­ben von einem Far­ben­meer aus schil­lern­den Stof­fen und dem vibrie­ren­den Rhyth­mus der Trom­meln. Min­des­tens 15 Tanz­grup­pen zogen durch die Stra­ßen und prä­sen­tier­ten vol­ler Stolz ihre tra­di­tio­nel­len Tän­ze, vie­le davon mit Wur­zeln in Boli­vi­en. Ich stand am Stra­ßen­rand und wuss­te kaum, wohin ich zuerst bli­cken soll­te: glit­zern­de Kos­tü­me, Glo­cken, die im Takt an Schu­hen mit­klan­gen, kunst­voll ver­zier­te Hüte und beein­dru­cken­der Kopf­schmuck – ein Rausch aus Bewe­gung und Detail. Mein Han­dy glüh­te vor lau­ter Fotos – bis ich es irgend­wann weg­steck­te. Statt­des­sen ließ ich mich ganz vom Moment mit­rei­ßen. Ich wipp­te mit, lächel­te frem­den Men­schen zu und spür­te, wie ich nicht nur Zuschaue­rin, son­dern Teil des Gesche­hens war. Ein Gefühl von: mit­ten­drin.

Tan­zen­de Näch­te – Kos­tü­me & Kul­tur

Dem Sonnenfest entgegen

Und ich wäre nicht in Peru, wür­de nicht ein Fest das nächs­te jagen. Denn klei­ner Fun­fact am Ran­de: Der Juni ist in Cus­co der offi­zi­el­le Fei­er­mo­nat. Kein Wun­der also, dass mei­ne Che­fin beim Mit­tag­essen ganz neben­bei sagt: „Mor­gen ist Inti Ray­mi in Cus­co – das wäre bestimmt span­nend für dich.“Ich hor­che auf. „Das ist doch das Son­nen­fest der Inka, oder?“„Genau. Inti bedeu­tet Son­ne, Ray­mi Fest.“ Auch eines der Mäd­chen nickt eif­rig: „Wir haben heu­te in der Schu­le dar­über gespro­chen!“ Der Stolz, Teil die­ses kul­tu­rel­len Erbes zu sein, glänzt in ihren Augen

Am nächs­ten Tag mache ich mich also auf den Weg. Warm ein­ge­packt stei­ge ich in ein Coll­ec­tivo – einen Klein­bus, der erst los­fährt, wenn alle Plät­ze belegt sind. Für 7 Soles geht es 1,5 Stun­den durch die Ber­ge nach Cus­co. Dort ange­kom­men, zieht mich der Men­schen­strom zur Ave­ni­da del Sol. Bereits jetzt ste­hen Tri­bü­nen, Men­schen sam­meln sich. Dort hat das Schau­spiel bereits begon­nen. Ich gehe wei­ter hoch zur Pla­za de Armas und fin­de noch einen Platz auf einem Plas­tik­ho­cker im Schat­ten. Eine hal­be Stun­de spä­ter geht das Spek­ta­kel wei­ter: Krie­ger, Pries­ter, Tän­ze­rin­nen zie­hen in tra­di­tio­nel­len Gewän­dern über die Pla­za. Dann fol­gen der Inka-König und sei­ne Köni­gin, getra­gen auf gol­de­nen Thro­nen. Reden wer­den gehal­ten, auch auf Quechua. Ich bekom­me Gän­se­haut. All die­se Men­schen hau­chen der Ver­gan­gen­heit Leben ein – dan­ken der Son­ne für das, was war, und bit­ten sie, im nächs­ten Jahr zurück­zu­keh­ren.

Inti Ray­mi – das gro­ße Son­nen­fest (I)

Der Fest­zug zieht wei­ter zur archäo­lo­gi­schen Stät­te Sac­say­hu­amán. Ich fol­ge – zu Fuß. Cus­co liegt höher als die Zug­spit­ze, und die Trep­pen des Vier­tels San Blas sind gna­den­los. Mein Atem bleibt mir fast weg. Ein älte­rer Herr bleibt neben mir ste­hen, lächelt, wir stei­gen gemein­sam wei­ter. Wie so oft hier: Man hilft sich, kommt ins Gespräch, teilt Geschich­ten.

Inti Ray­mi – das gro­ße Son­nen­fest (II)

Oben ange­kom­men, liegt Cus­co wie ein Juwel im Tal. Die alten Inka­rui­nen, die Anden im Hin­ter­grund, eine natür­li­che Tri­bü­ne für das nächs­te Schau­spiel. Die Pro­zes­si­on erreicht die Höhe, Opfer­ga­ben wer­den dar­ge­bracht: Chicha, Blu­men, einst sogar ein Alpa­ka. Ich kann den Blick nicht abwen­den.

Mit Biss: Kulinarische Mutproben á la Peru

Zurück im Coll­ec­tivo sit­ze ich erschöpft, aber glück­lich. Ich bin so froh, dabei gewe­sen zu sein, weil ich mer­ke: Ich bin ange­kom­men. Durch mei­nen Frei­wil­li­gen­dienst habe ich gelernt, Fra­gen zu stel­len, zuzu­hö­ren, Teil zu sein. Auch wenn die Fra­ge „Hast du schon mal XY pro­biert?“ nie lan­ge auf sich war­ten lässt.

Ein The­ma, über das ich einen gan­zen Bei­trag fül­len könn­te: Essen. Die perua­ni­sche Kul­tur sieht das gemein­sa­me Mahl nicht zu Unrecht als eine ihrer „Love Lan­guages“. So wie wir in Deutsch­land drei­mal täg­lich Brot essen könn­ten, kann man hier mor­gens, mit­tags und abends Kar­tof­feln oder Reis – oder im bes­ten Fall bei­des – ser­viert bekom­men. Die Küche ist def­tig und kalo­rien­reich. Dass min­des­tens zwei war­me Mahl­zei­ten am Tag dazu­ge­hö­ren, ist für Peruaner*innen selbst­ver­ständ­lich.

Mei­ne anfäng­li­che Sor­ge, dass mein deut­scher Magen emp­find­lich auf die unge­wohn­ten Gewür­ze und Zuta­ten reagie­ren wür­de, war unbe­grün­det. Im Gegen­teil: Die perua­ni­sche Küche ist mir ans Herz – oder eher gesagt an den Bauch – gewach­sen. Cevi­che, das Natio­nal­ge­richt, bei dem roher Fisch in Zitro­nen­saft gegart und mit Mais und Süß­kar­tof­feln ser­viert wird. Papa Rel­lena, frit­tier­te Kar­tof­fel­klö­ße mit Gemü­se- oder Fleisch­fül­lung. Tall­ari­nes Ver­des, Pol­lo a la Bra­sa, Tru­cha, Lomo Sal­ta­do, Chau­fa – kuli­na­ri­sche Ver­füh­run­gen an jeder Ecke.

Kuli­na­ri­sche Mut­pro­ben – Peru auf dem Tel­ler

Man­che Spe­zia­li­tä­ten sind aller­dings ech­te Her­aus­for­de­run­gen. Cuy – also Meer­schwein­chen – wird hier zu beson­de­ren Anläs­sen ser­viert und steht defi­ni­tiv ganz oben auf mei­ner per­sön­li­chen „Mut­pro­be-Lis­te“. Dicht gefolgt von Alpa­ka­f­leisch, Schwei­ne­fü­ßen – und, mein per­sön­li­ches High­light: Hüh­ner­fü­ßen. Die Köchin erklär­te mir begeis­tert, wie gesund die Haut sei, denn Fleisch gibt es dar­an kaum. In der Sup­pe schwim­mend wur­den sie ser­viert, und die Kin­der strahl­ten vor Freu­de. Also gut, dach­te ich, pro­bie­re ich mal. Ich fisch­te einen Hüh­ner­fuß aus der Sup­pe, knab­ber­te vor­sich­tig – und leg­te ihn im nächs­ten Moment wie­der zurück. Nichts für mich. Aber die Kids freu­ten sich über mei­nen Anteil.

Kein Fest ohne Danksagung

Inmit­ten von Trom­meln, Tän­zen und damp­fen­den Sup­pen­schüs­seln habe ich etwas begrif­fen: Kul­tur ist nicht immer nur ein Kon­zept, das man stu­diert – es ist ein Gefühl, das man erlebt. Als Frei­wil­li­ge war ich nicht nur Beob­ach­te­rin, son­dern manch­mal mit­ten­drin, manch­mal ein­fach still dane­ben. Ich habe gelernt, dass es okay ist, nicht alles zu ver­ste­hen – solan­ge man bereit ist, mit offe­nem Her­zen dabei zu sein.

Viel­leicht ist das das größ­te Geschenk die­ses Jah­res: Momen­te des ech­ten Dazu­ge­hö­rens. Und wenn man dann das Gefühl hat, genau am rich­ti­gen Ort zu sein – dann lohnt es sich, still zu wer­den, hin­zu­schau­en, und ein­fach nur zu stau­nen. Denn die­se Augen­bli­cke sind sel­ten. Und wun­der­schön.

Gracias!

Und weil kein Fest ohne Dank­sa­gung aus­kommt (und die­ses Jahr defi­ni­tiv ein Fest war): Gra­ci­as an alle, die mich in die­sem Jahr beglei­tet, durch Höhen und Hüh­ner­fü­ße getra­gen, mir auf­mun­tern­de Wor­te oder ein­fach eine vol­le Tas­se Kaf­fee hin­ge­stellt haben. Dan­ke fürs Dasein!


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