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Ich habe mir Sorgen gemacht…

Argen­ti­nien, Sep­tem­ber 2005 | April 2006.

Ich bin erst einen Monat in Argen­ti­nien und spre­che kaum Spa­nisch. Mein Wort­schatz reicht gerade ein­mal aus, um eine Empa­nada zu bestel­len oder dem Taxi-Fah­rer mein Ziel anzu­sa­gen. Wie das mit den öffent­li­chen Ver­kehrs­mit­teln funk­tio­niert, ver­stehe ich sowieso über­haupt nicht, glaube, dass man ein- und aus­stei­gen kann, wo man will, sofern man die­sen Wunsch dem Fah­rer irgend­wie zu kom­mu­ni­zie­ren ver­steht – aber so sicher bin ich mir da auch nicht. Das ist der Grund, wes­halb ich bevor­zugt mit einem halb­pri­va­ten Taxi-Dienst unter­wegs bin, den man in Argen­ti­nien Remís nennt.

Ich bin mit einem Freund in der Stadt ver­ab­re­det. Wir haben aus­ge­macht, uns um neun Uhr abends beim Haupt­bahn­hof zu tref­fen. Da ich etwas außer­halb des Zen­trums wohne, dau­ert die Fahrt 30 Minu­ten – genü­gend Zeit, um mich mit Hän­den, Füßen und ein paar Bro­cken Spa­nisch mit dem Taxi­fah­rer zu unter­hal­ten. Als wir am Ziel ankom­men, gibt er mir zu ver­ste­hen, dass es für eine junge Frau wie mich – ich bin gerade ein­mal 21 – gefähr­lich beim Haupt­bahn­hof wäre und ich Acht geben solle. Ich ver­spre­che es, erkläre, dass mein Freund sicher schon auf mich war­tet. Dann zahle ich und steige aus.

Acht Monate spä­ter. Der süd­ame­ri­ka­ni­sche Herbst steht vor der Tür und meine Zeit in Argen­ti­nien neigt sich dem Ende zu. Schon bald werde ich mich auf den Weg zurück in meine Hei­mat machen. Mit mei­nem Spa­nisch komme ich inzwi­schen rela­tiv gut durch den All­tag, kann ganze Gesprä­che füh­ren, ohne stän­dig nach­zu­fra­gen, was die­ses oder jenes Wort bedeute. Ich habe auch gelernt, die öffent­li­chen Ver­kehrs­mit­tel ohne grö­ßere Pro­bleme zu benut­zen. Das ist gut so, denn die Taxi-Fahr­ten hät­ten mein monat­li­ches Bud­get gewal­tig belas­tet. Für meine letzte Fahrt in die Stadt – ich will alle meine Freunde noch­mals sehen, bevor ich mich für unge­wisse Zeit von ihnen ver­ab­schiede – leiste ich mir aber dann doch den Luxus, ein Remís zu rufen.

Das Taxi kommt, ich steige ein, sage dem Fah­rer, wo ich hin will. Wäh­rend der Fahrt unter­hal­ten wir uns. Ich erzähle, dass ich das Land bald ver­las­sen muss, er fragt mich, wie lange ich in Argen­ti­nien gewe­sen wäre, 9 Monate, ant­worte ich. Als wir am Fahrt­ziel ankom­men, dreht sich der Fah­rer zu mir um und fragt, ob ich ihn wie­der­erken­nen würde. Ich sage ihm, dass ich nicht weiß, ob ich ihn schon ein­mal gese­hen hätte. Zu viele neue Gesich­ter haben wäh­rend all der Monate mei­nen Weg gekreuzt. Der Taxi-Fah­rer kann sich sehr gut an mich erin­nern: “Ich habe dich damals zum Bahn­hof gebracht, habe mir große Sor­gen gemacht, weil du alleine unter­wegs warst. Schön, dich noch ein­mal zu sehen und zu wis­sen, dass es dir gut geht.”

Cate­go­riesArgen­ti­nien
Hanna Silbermayr

Oft sind es die kleinen Dinge, die uns zum Staunen bringen. Begegnungen und Gespräche, die zum Nachdenken anregen, uns einen Moment innehalten lassen in einer Welt, die sich immer schneller zu drehen scheint, uns ein Lächeln entlocken.

Solche Momente möchte ich nicht für mich behalten, sondern mit Euch teilen. Ich, das ist eine ausgebildete Grafikdesignerin, studierte Romanistin und Politikwissenschaftlerin, die im Namen des Journalismus immer wieder in Lateinamerika unterwegs ist. Demnächst wohnungslos und in stetiger Bewegung.

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