Ganz neue Langeweile

Um halb acht auf­ste­hen. Duschen. Ave­na Früh­stück. Um halb neun zum Unter­richt gehen. Die Stra­ße hoch, „Bue­nas dias!“ zu den Nach­barn links, Stra­ße wei­ter hoch, beim Trut­hahn rechts, über die pro­vi­so­ri­sche Brü­cke, durch die drei gro­ßen Pfüt­zen, rechts und gleich wie­der links. Dort steht die pro­vi­so­risch wir­ken­de, aber kon­ti­nu­ier­lich genutz­te Blech­hüt­te, in der ich jeden Tag Kin­der aus dem Dorf unter­rich­te.

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Nach ein­ein­halb Wochen in El Por­ve­nir war bereits der All­tag ein­ge­kehrt. In der Mit­tags­pau­se zurück ins Haus. Kochen, rum­sit­zen, zurück zur Blech­hüt­te. Nach­mit­tags­un­ter­richt. Danach holt mich mei­ne Freun­din Sany dort ab, wir gehen zusam­men zurück ins Haus. Kochen, rum­sit­zen.

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Wenn es wie immer reg­net, machen wir Yoga im Kel­ler. Wenn mal nicht, gehen wir jog­gen. Mehr aller­dings ist nicht drin. Wir haben zwei Stun­den zwi­schen Unter­richts­en­de und Tages­en­de. Denn sobald es dun­kel wird, ist es zu unsi­cher in den Stra­ßen. Und nach halb neun qua­si lebens­mü­de. Weil dann alles Stra­ßen­le­ben ver­schwin­det und nur noch die Stra­ßen­kri­mi­na­li­tät bleibt. Wir ver­brin­gen daher jeden jeden Abend im ver­bar­ri­ka­dier­ten Haus.

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In die­sem Haus gibt es nicht viel. Ein viel zu klei­nes Zim­mer für vier Ein­ge­quetsch­te. Eine offe­ne Küche mit vier Herd­plat­ten und nichts außer Steh­plät­zen. Ein Wohn­zim­mer mit Küchen­ge­ruch, aus­schließ­lich kaput­ten und daher unbe­que­men Sitz­mög­lich­kei­ten. Ein Bal­kon vol­ler Mücken, kom­plet­ter Ver­git­te­rung und daher Gefäng­nis­at­mo­sphä­re.

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An kei­nem die­ser Orte will man sich ger­ne für län­ger nie­der­las­sen. Nichts ist gemüt­lich genug, um dort Zeit zu ver­brin­gen und dar­über hin­aus krea­tiv zu wer­den. Eine Geschich­te schrei­ben, Spa­nisch ler­nen, einen Stuhl bau­en, sel­ber Kreuz­wort­rät­sel ent­wi­ckeln, ein Mit­tel gegen Mücken erfin­den. Zu nichts bin ich in der Lage. Zu beschäf­tigt bin ich damit, eine kom­for­ta­ble Situa­ti­on zu fin­den.

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Da mir aber dies nur sehr sel­ten gelingt, sucht mich daher hin­ge­gen eine kom­for­ta­ble Situa­ti­on heim: Die Lan­ge­wei­le. Wäh­rend ich so unge­müt­lich her­um­sit­ze, gera­de den immer glei­chen Weg zum Unter­richt lau­fe oder den Gas­herd in der Küche mal wie­der nicht anbe­kom­me, emp­fin­de ich die­ses Gefühl. Es ist ein neu­es Gefühl. Es fühlt sich irgend­wie läh­mend an – ich will es besei­ti­gen, aber nichts dafür tun. Als wür­de ich immer tie­fer in die Lan­ge­wei­le hin­ein­sin­ken. Auch ein biss­chen krib­be­lig, aber eher unan­ge­nehm, als ange­nehm krib­be­lig.

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Sogar der Unter­richt selbst hat eine Art Rou­ti­ne: Zu Begin freu­en sich alle da zu sein, jedes der Kin­der umarmt mich zum Hal­lo sagen. Alle set­zen sich brav auf die Stüh­le und Bän­ke, sind gespannt, was wir heu­te machen. Wir begin­nen mit einem rou­ti­nier­ten Ope­ning Cir­cle. Alle set­zen sich im Kreis hin, jeder sagt ‚Guten Mor­gen’ und was ihm vom letz­ten Tag beson­de­res in Erin­ne­rung geblie­ben ist.

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Dann star­ten wir in die ers­te Auf­ga­be. Jedes Mal wun­de­re ich mich wie­der, wie ruhig und auf­merk­sam dabei alle sind. Doch jedes Mal ist die­se Ruhe und Auf­merk­sam­keit auch nach der ers­ten Auf­ga­be vor­bei. Den Rest der Klas­se bin ich damit beschäf­tigt, die Kin­der im Zaum zu hal­ten. Bis es kurz vor Ende einen klei­nen Snack gibt. Dann sit­zen alle wie­der brav und ruhig, damit sie auch ihren Snack bekom­men. Nach dem rou­ti­nier­ten Clo­sing Cir­cle freu­en sich alle, wie schön der Tag war, was mich jedes­mal wie­der wun­dert. Jedes Kind umarmt mich zum Tschüss sagen.

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Lan­ge­wei­le gehört fast schon zu die­ser neu­en All­tags­rou­ti­ne, die unge­wöhn­lich schnell ein­ge­kehrt ist. Und die gera­de auf Rei­sen ein eigent­lich abwe­sen­des Phä­no­men ist, wo ich meis­tens weder die Uhr­zeit, noch den Wochen­tag ken­ne. Hier wer­den sogar die Wochen­en­den wie­der fühl­bar. Denn da wird, wie es sich für eine ordent­li­che Rou­ti­ne gehört, genau die­se gebro­chen.

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Kein Unter­richt, kein Wecker. Da es nur den einen Weg gibt, wird er trotz­dem gelau­fen. Dafür zu ande­ren Zei­ten. Wenn es wie immer reg­net, haben wir noch mehr Zeit zum unge­müt­li­chen Rum­sit­zen und Yoga im Kel­ler machen. Wenn mal nicht, gehen wir lau­fen oder aber machen einen Tages­aus­flug in den dschun­ge­li­gen Wald zu den Was­ser­fäl­len und den gro­ßen Bäu­men.

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Aber abends sind wir wie­der zurück im ver­bar­ri­ka­dier­ten Haus. Denn wenn es dun­kel wird, ist es zu gefähr­lich in den Stra­ßen. Und am Mon­tag um halb acht müs­sen wir wie­der auf­ste­hen. Duschen. Ave­na Früh­stück. Um halb neun zum Unter­richt gehen. Die Stra­ße hoch, „Bue­nas dias!“ zu den Nach­barn links, Stra­ße wei­ter hoch, beim Trut­hahn rechts, über die pro­vi­so­ri­sche Brü­cke, durch die drei gro­ßen Pfüt­zen, rechts und gleich wie­der links. Dort steht die pro­vi­so­risch wir­ken­de, aber kon­ti­nu­ier­lich genutz­te Blech­hüt­te, in der ich jeden Tag Kin­der aus dem Dorf unter­rich­te.

 

So schreck­lich und schön All­tag auch ist – irgend­wie fühlt er sich doch über­all gleich an.

 

 


 

Dan­ke Chris­ti­an für den Foto-Sup­port.

 

 

Erschienen am



Antworten

  1. Avatar von Sarah Althaus

    Wow, wie gekonnt beschrie­ben! Das Gefühl der töd­lich lang­wei­li­gen Rou­ti­ne ist nach dem Lesen die­ses Arti­kels rich­tig greif­bar. Mehr von sol­chen Berich­ten!

    1. Avatar von Lena

      Vie­len lie­ben Dank Sarah! Das Raus­schrei­ben hat die Rou­ti­ne auch schon ertrag­ba­rer gemacht 🙂
      Ger­ne bald mehr!

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